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ἀποκαταστασις

 –, restitutio, allgemeine Wiederherstellung, Wiederkunft des Gleichen, oder wie immer man das griechische Wort übersetzen will, – der Begriff würde dem philosophischen Wörterbuche der Gegenwart kaum mehr angehören, wenn der Ruhm Nietzsches nicht auch einigen Schrullen und unklaren Gedanken zur Popularität verholfen hätte, den ohnehin aphoristischen Gedanken in der unverantwortlichen Form, die den Herausgebern des Nachlasses aus dem Vorrat auszuwählen beliebt. Nun aber sprechen die Jünger und Leser Nietzsches von der ewigen Wiederkunft so geläufig, als ob diese Lehre mehr wäre als ein uraltes Wandermärchen. Der Philologe Nietzsche wußte ganz gut, daß schon Herakleitos (vielleicht auch Pythagoras) das Märchen erzählt hatte, das uns indisch anklingt, und daß bereits die Stoiker die fast realistischen Züge hinzugefügt hatten, die Wiederkehr der genau gleichen Ereignisse und Personen nach jeder Götterdämmerung, nach jedem Weltbrande (ἐκπυρωσις); der Pfarrersohn Nietzsche wußte wahrscheinlich, daß die Apostelgeschichte (III, 21) von der ἀποκαταστασις παντων (vulgata: restitutio omnium) spricht, daß Origenes diesen Glauben, der vielleicht nur Auferstehung des Fleisches bedeutete, mehr im Sinne der Stoiker ausbildete, und daß dieser Glaube an eine restitutio universalis in langen Zwischenräumen immer wieder gläubige Sekten fand, zuletzt in Amerika gegen Ende des 18. Jahrhunderts unter dem Namen des Universalismus. Ein Glaube, so brutal materialistisch, daß dagegen Mohammeds allzu irdischer Himmel fast idealistisch erscheint. Nietzsche hat seine Phantasie von der ewigen Wiederkunft so wenig und so schlecht begründet, daß eine Widerlegung überflüssig erscheint. Nur ein paar Worte. Sein Bild von der Sanduhr ist verkehrt. »Mensch! dein ganzes Leben wird wie eine Sanduhr immer wieder umgedreht werden und immer wieder auslaufen, – eine große Minute Zeit dazwischen, bis alle Bedingungen, aus denen du geworden bist, im Kreislaufe der Welt wieder zusammenkommen«. Nietzsche hat vergessen, daß gerade nur die Zeit, die doch nicht wiederkehrt, an der Sanduhr gemessen werden kann, daß aber just die Bedingungen des individuellen Lebens und die Abläufe des physischen und psychischen Lebens sich durchaus nicht umkehren lassen. Das wäre nur ein falsches Bild. Aber Nietzsche vergißt auch, wenn er die Notwendigkeit der Wiederkehr gleicher Zustände aus der Unendlichkeit der Zeit und der Endlichkeit der Zahl der Atomkombinationen berechnet, daß 1) bei der Winzigkeit der Atome und Moleküle schon die Atomkombinationen eines einzigen Menschenleibes eine Zahl ausmachen würden, die keine Menschenvorstellung von der Menschenvorstellung unendlich unterscheiden könnte, daß 2) Moleküle und Atome Rechenpfennige der höheren Chemie sind, Grenzbegriffe, mit deren realen Werten zu operieren jeder Philosoph sich scheuen sollte, der Moralphilosoph erst recht, daß 3) die Berufung auf die unendliche Länge der bereits abgelaufenen Zeit (die also alle Kombinationen erschöpft oder durch Entropie den vorhergesagten Gleichgewichtszustand erreicht haben müßte) durch die weitere Fortdauer der Zeit so einfach korrigiert wird, wie die sophistische Negierung des Bewegungsbegriffs durch das Fortlaufen des Diogenes. Zu der moralischen Ausdeutung der ewigen Wiederkunft zu einer Religion der freiesten, heitersten und erhabensten Seelen habe ich schon (Kr. d. Spr. I, 365) die Bemerkung gemacht: »Wenn Nietzsche der moralischen Regel Kants die verstiegene Maxime entgegenstellt: lebe so, wie du bei der Wiederkehr des Gleichen unzähligemal leben willst! so vergißt er völlig, daß da gerade das Schwergewicht seiner Idee und ihr Einfluß auf die Handlungen der Menschen die Wiederkehr des Gleichen einfach wieder aufheben müßte«. Ich glaube, deutlich gewesen zu sein. Wenn der Glaube an die ewige Wiederkehr moralisch d. h. praktisch werden könnte, wenn durch diesen Glauben auch nur ein Atemzug anders ausfallen könnte als ohne diesen Glauben, dann wäre die genaue Wiederkehr des Gleichen zerstört, der Gegenstand des Glaubens durch den Glauben vernichtet, – wie das ja wohl zu Zeiten kommen mag. In dem wildgroßen Gedichte seines Zarathustra hat Nietzsche der alten Phantasie von der ewigen Wiederkunft einen neuen poetischen Ausdruck gegeben, und dagegen dürfte nur ein Philister etwas einwenden. Im Reiche der Poesie hat auch diese Vorstellung ihren Platz. Auch im Reiche eines religiösen Mystizismus. Im Denken nur, im Denken mit leidlich klaren Menschenworten ist sie nicht unterzubringen, ein uraltes Märchen ist sie, aber kein schönes Märchen. Ein schönes Märchen ist die Vorstellung von einer Unsterblichkeit der Seele, so schön, daß ein Goethe mit dem Bilde gern spielte, vielleicht ernsthaft in Stunden der Mystik an die Unsterblichkeit bevorzugter aristokratischer Seelen, seiner eigenen Seele z. B., glaubte. Die Vorstellung von einer ewigen Wiederkehr ist die greulichste Karrikatur des Determinismus, die ausgedacht werden kann. Man denke es nur aus: eine große Minute Zeit dazwischen und Nietzsche geht noch einmal auf die Schule und Universität, wird noch einmal Professor, leidet noch einmal unsägliche Kopf- und Seelenschmerzen, zermartert sich sein Gehirn noch einmal am Aphorismenschleifen, verfällt noch einmal in Wahnsinn und aus seinem Nachlaß bringt die Schwester, die auch noch einmal lebt, noch einmal die Fetzen von der ewigen Wiederkunft ans Licht. Und die philologischen Herausgeber geraten einander noch einmal in die Haare. Es wäre zum Pessimistischwerden.

 


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