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Cogito ergo sum

I.

Descartes führt in der Philosophiegeschichte den Beinamen eines Vaters der neueren Philosophie. Um seine Lehre wurde lange gekämpft, wie sonst nur um kühne Neuerungen bahnbrechender Geister. Der ganz große Spinoza ist in der mathematischen Form seines Systems, wie in den grundlegenden Axiomen, von Descartes abhängig; die englische Erkenntniskritik des 18. Jahrhunderts, von der wir eben erst über Kant herkommen, ist eine einzige, große Auseinandersetzung mit Descartes. Woher dieser außerordentliche historische Erfolg des Mannes, der um die Physik und Geometrie sehr bedeutende Verdienste hatte, auf dem Gebiete der Philosophie jedoch ängstlich, unentschieden, verworren war? Und durchaus nicht originell. Was er unter den klaren und bestimmten Ideen verstehe, denen man allein vertrauen könne, hat er niemals klar und bestimmt gesagt; dies Vertrauen begründet er überdies mit der Wahrhaftigkeit Gottes, der uns die angeborenen Ideen anerschaffen habe, wobei denn die Philosophie und Theologie, die Descartes doch getrennt haben wollte, wieder durcheinander geworfen werden. Er ist ein Mitbegründer des Rationalismus und wendet sich trotzdem gegen den mittelalterlichen Wortrealismus. Er hat dem Sensualismus mächtigen Vorschub geleistet, den Satz aber, nichts sei im Verstande, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre, öfter angegriffen. Er hat die Unveränderlichkeit der Bewegungsenergie schon gelehrt, aber diese Behauptung theologisch begründet und die Wunder nicht geleugnet. Dieser Mangel an Entschiedenheit, diese Resignation, die weit ab von dem Agnostizismus eines Sokrates sich etwa damit beschied: »Andere wissen auch nicht mehr als ich!« – diese Schüchternheit gegen die Ansprüche der Theologie, machten ihn gerade seiner Zeit plausibel. Descartes war im innersten Herzensgrunde geneigt, die ganze Natur mechanistisch zu erklären, so wie er die mathematische Erklärung der Physik sehr gefördert hat; er nennt nicht nur, was wir wie ein Verbrechen empfinden, die Tiere Maschinen, sondern möchte auch gern die Physiologie des Menschen als eine Maschinerie auffassen; damit wäre er wirklich der Vater des modernen Materialismus geworden, der sich jetzt Monismus nennt, nur daß Descartes in noch viel stärkerem Maße für den Dualismus eingetreten ist, für die Lehre von der grundsätzlichen Verschiedenheit der Seele und des Leibes. Ich glaube nun, daß gerade diese Schwäche des Standpunktes entscheidend war für seinen Erfolg. Die Naturwissenschaftler führten seine Untersuchungen weiter bis zum konsequenten Materialismus; und fanden es in einer Zeit, in der die Kirche immer noch ein bißchen das Verbrennen der Ketzer besorgen durfte, ganz bequem, mit dieser Kirche nicht anzubinden und die letzten Fragen, die Welträtsel, mit einer höflichen Verbeugung der Theologie zuzuschieben; es war einzig und allein eine Frage der Gewissensfreiheit, war also nur von der politischen Entwicklung abhängig, wie weit sich diese Cartesianer in der Richtung des Materialismus vorwagten. Die Scholastiker wiederum, deren Geschlecht ja bis zur Stunde nicht ausgestorben ist, die Schulphilosophen, die vom Verstande ausgingen, turnten über hundert Jahre lang lustig auf dem Seile herum, das Descartes zwischen Seele und Leib ausgespannt zu haben schien, ohne daß jemand wußte, woran eigentlich die beiden Enden befestigt waren. Vom Ruhme des Descartes ist wie von dem Ruhme manches tieferen Denkers, eigentlich nicht viel mehr übrig geblieben in dem Wortschatze der stadtläufigen Bildung als ein geflügeltes Wort: Cogito ergo sum. Ich möchte zeigen, daß dieser Satz, das Axiom des Descartes, eine noch leerere Tautologie war als von den Kritikern dieser drei Worte schon längst behauptet worden ist; ich möchte aber auch mit der Anerkennung nicht zurückhalten, daß nur ein Mann von wahrhaft faustischem Wahrheitsdrang, den Descartes bei aller Scheu vor der Kirche doch wohl besaß, in dem Axiom den Mittelpunkt einer ganz neuen Weltanschauung erblicken durfte.

II.

Descartes ging bekanntlich vom Zweifel an aller Gewißheit aus; der große Zweifel, der tödlich fruchtbare der ganz freien Geister, war seine Sache nicht; daß aber die Wirklichkeit unerkennbar sei, die Lehre von der Welt als Vorstellung, die heutzutage nach Berkeley, Kant und Schopenhauer zum ABC der Erkenntnistheorie gehört, diese Lehre dämmerte dem Vater der neueren Philosophie zum erstenmale in ihrer abgründigen Bedeutung auf: Die Wirklichkeitswelt wurde von uns nur mittelbar erkannt, war ungewiß; irgendeine Seelentätigkeit in uns war unmittelbar gewiß. Descartes, der so elegant vom Zweifel ausging, zweifelte dennoch nicht daran, daß der wahrhaftige Gott uns mit der Sehnsucht nach Wissen nicht gefoppt haben könnte; Descartes suchte nun nach einem Schwungbrett, mit dessen Hilfe man aus dem Zweifel in das Wissen hinüberspringen könnte. Und fast triumphierend fand er dieses Schwungbrett in der armen Tautologie: Cogito ergo sum. Man höre sein jubelndes Heureka: Sic autem rejicientes illa omnia, de quibus aliquo modo possumus dubitare, ac etiam falsa esse fingentes; facile quidem supponimus nullum esse Deum, nullum coelum, nulla corpora; nosque etiam ipsos non habere manus, nec pedes, nec denique ullum corpus; non autem ideo nos qui talia cogitamus nihil esse: repugnat enim, ut putemus id quod cogitat, eo ipso tempore quo cogitat, non existere. Ac proinde haec cognitio, ego cogito, ergo sum, est omnium prima et certissima, quae cuilibet ordine philosophanti occurrat. Unzählige Male sind dem Satze seit seiner Aufstellung die beiden Vorwürfe gemacht worden, daß er uralt sei und daß er einen falschen Schluß enthalte. Die beiden Vorwürfe widersprechen einander durchaus nicht. Falsche Beweise sind mehr als einmal durch die Jahrhunderte gegangen; der ontologische Beweis für das Dasein Gottes – ich komme gleich auf ihn zurück – hat eine sehr ehrwürdige Geschichte. Es hat also nichts mit dem Werte des Satzes zu tun, daß er sich bereits, weniger hübsch ausgedrückt, bei Campanella findet, vorher beim hl. Thomas, vorher beim hl. Augustinus und wahrscheinlich lange vorher in den allerheiligsten Schriften der Inder. Der logische Fehler soll nun darin bestehen, daß die Existenz aus der Tätigkeit des Denkens allein erschlossen wird, aber aus jeder anderen Tätigkeit, der höchsten wie der niedersten, ebensogut erschlossen werden könnte. Der Ichbegriff steckt bereits in der Verbalform cogito, einerlei ob ich der Verbalform ausdrücklich vorangestellt wird oder nicht; nach der Lehre der vergleichenden Sprachwissenschaft steckt ein uraltes Wort für ich sogar noch materiell in jeder Verbalendung der ersten Person der Einzahl. Es ist darum ganz gleichgültig, ob das Sein des Ich aus cogito, aus volo oder meinetwegen aus mingo erschlossen wird; immer wird nur die Existenz des Subjekts, das in dem kurzen Satze cogito schon enthalten war, ausdrücklich bestätigt. Dieser Fehler ist zum erstenmale von Lichtenberg bemerkt worden, und er hat bei diesem Anlaß gleich den ganzen Abgrund beleuchtet. »Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt es blitzt. Zu sagen cogito ist schon zuviel, sobald man es durch ich denke übersetzt.« (Verm. Schriften I, 99.) Wobei Lichtenberg allerdings übersehen hat, daß Descartes selbst an der entscheidenden Stelle ego cogito gesagt hat. Alle diese Einwürfe wären gegenstandslos gewesen, wenn Descartes nicht seinem Satze, so kurz er war, durch das unglückliche ergo die Form eines Beweises gegeben hätte. Tantum ergo! Aber schon der erste und weitaus größte Erklärer Descartes', Spinoza nämlich, hat, und gleich in der Einleitung seiner Darstellung der Cartesianischen Philosophie (Opera III 116), energisch darauf hingewiesen, daß dieser Fundamentalsatz kein logischer Schluß sei: »Bezüglich dieser Grundlage ist besonders zu bemerken, daß der Satz dubito, cogito ergo sum kein Syllogismus sei, in welchem etwa der Obersatz fortgeblieben wäre. Denn wenn er ein Syllogismus wäre, müßten die Prämissen klarer und bekannter sein als die Folgerung ergo sum; ja sogar die Vorstellung ego sum wäre nicht mehr die erste Grundlage aller Erkenntnis, abgesehen davon, daß sie keine sichere Folgerung wäre; denn ihre Wahrheit würde von allgemeinen Prämissen abhängen, welche von unserem Verfasser längst angezweifelt worden waren. Also ist cogito ergo sum ein einziger Satz, gleichbedeutend mit dem Satze ego sum cogitans

III.

Wenn Spinoza mit dieser Aufklärung recht hat, wenn das ergo in dem Fundamentalsatze nur eine Folge der allgemeinen Schulfuchserei der Zeit war, die ohne logische Redensarten ( ergoter nennen es die Franzosen noch heute) wissenschaftlich nicht denken zu dürfen glaubten, so heißt der Ausgangsgedanke des Descartes nur: wir müssen die Begründung der Philosophie von vorn anfangen, wir müssen von dem einzig Gewissen ausgehen, von unserem Selbstbewußtsein. Und zieht man in Betracht, daß Psychologie in unserem Sinne zu Anfang des 17. Jahrhunderts noch gar nicht existierte, daß die offizielle Philosophie des ganzen Mittelalters nicht von inneren Erlebnissen herkam, sondern immer nur von logischen Bearbeitungen bereiter Begriffe, so wird man den faustischen Drang des Mannes nicht verkennen, der wirklich zum erstenmale das innere Erlebnis – das er als Selbtbewußtsein empfand – zum Ausgangspunkte machen wollte und alles sonst dem Zweifel preisgab. Sokrates hatte gesagt: Ich weiß, daß ich nichts weiß! Jetzt rief Descartes: Ich weiß doch etwas! Ich weiß mich! Damit war wenig geschehen, aber doch eins: die Aufforderung an die philosophierende Menschheit, Psychologie zu treiben, bevor sie Metaphysik trieb. Die Sehnsucht nach den Leistungen eines Locke, Hume und Kant war ausgesprochen. Nur die Sehnsucht. An sich ist auch der Satz ego sum cogitans, ohne ergo also, inhaltlos. Ich denke oder ich spreche heißt doch für uns nichts anderes als: ich habe in den lokalisierten Bewegungserinnerungen der Artikulation Merkzeichen für die Wiederkehr von Sinneseindrücken, oder – auf die kürzeste Form gebracht –: ich habe Erinnerungen. (Ich mache darauf aufmerksam, daß auch dieser Satz, wie alles eben, wieder eine Tautologie enthält; denn ich heißt ja wieder selbst nichts als ein Etwas, das Erinnerungen hat.) Vielleicht ist die Erinnerung nur eine Voraussetzung des sogenannten Denkens, vielleicht ist sie das Denken selbst; jedenfalls aber ist derjenige Satz, welcher das cogito am besten wiedergibt: ich habe Bewußtsein – nur ein Synonym für: ich erinnere mich. Es will also der Vordersatz ich denke nichts weiter besagen als: ich habe in diesem Augenblick Bewußtsein, d. h. ich verknüpfe den Sinneseindruck dieses in diesem Augenblick vollzogenen Federstrichs mit der Erinnerung an frühere Federstriche, überhaupt an Früheres; ich habe das Bewußtsein meiner Dauer. Ich muß noch einmal unterstreichen, daß Denken für mich niemals etwas anderes ist. Ich bin oder ich existiere heißt nun zunächst gar nichts. Der Begriff sein bleibt übrig, wenn man der Wirklichkeitswelt Stück für Stück alles nimmt, was begriffen werden kann. Das Sein als oberste Kategorie ist ein Jongleurkunststück. Das Wort sein ist auch deshalb bis zu dem schmachvollen Dienste einer Copula, zum Kuppeldienste, herabgesunken und darum auch ganz tonlos. Neben diesem ganz unbetonten sein gibt es das gleiche Wort noch einmal in ganz anderer Aussprache; es wird betont und heißt so viel wie existieren. Viel heißt das nun freilich auch nicht; es bezeichnet höchstens den Gegensatz des Nichtvorhandenseins, es ist eine Art Kopfnicken oder Bejahen, das auf die stille Frage: »Gibts denn das eigentlich?« mit Ja antwortet. Wenn ich nun diese Existenz von irgend einem Körper der Wirklichkeitswelt aussage, so meine ich damit, daß er meine Sinnesorgane so und so beeinflußt, daß ich aus diesen so und so kombinierten oder kombinierenden Empfindungen den Schluß auf einen Körper als ihre Ursache ziehe. Ich versetze diese Ursache dann irgendwohin in den Raum der Wirklichkeitswelt und wende die Gesetze des Raumes auf sie an, wie die anderen sogenannten Naturgesetze. Wenn ich aber von mir selbst aussage, daß ich existiere, so kann ich damit nur sagen wollen: ich sei in diesem Augenblicke im Besitze eines Gefühls, einer Empfindung, einer Stimmung, kurz eines Bewußtseinsinhalts, ich habe aber dabei die Erinnerung eines vorhergegangenen Bewußtseinsinhalts. (Nebenbei: es ist aber wieder das Bewußtsein mit seinem wechselnden Inhalt doch eben nur die Erinnerung oder das Ich; »das Bewußtsein hat Inhalt« heißt also »ich habe Erinnerungen« und ist wieder eine Tautologie.) Wäre meine Existenz auf diesen Augenblick beschränkt, ich würde sie ebenso wenig Existenz nennen, wie ich etwa den Moment, oder den Punkt, oder die Grenzlinie zwischen einem Körper und der umgebenden Luft existierend nenne. Ich bin heißt also wieder nur (ebenso wie ich denke): mein Bewußtsein ist kein Augenblicksbewußtsein, ich habe die Erinnerung meiner selbst, ich habe das Bewußtsein meiner Dauer. Der Satz des Descartes lautet also: ich daure, also daure ich. Oder etwas feiner, ja vielleicht für manchen Leser so fein, daß er die tautologische Leerheit wieder entfernt glaubt: Cogito ergo sum; ich habe Erinnerungen, also habe ich Erinnerung.

IV.

Habe ich den Satz cogito ergo sum bisher für sich allein betrachtet, zunächst seine logische Form preisgegeben und dann seinen inneren Gehalt erkannt als diese schlichte Tatsache des Selbstbewußtseins, des bloßen Bewußtseins meiner Existenz, so möchte ich jetzt noch einige Fäden verfolgen, die von dem Satze zu einigen letzten Fragen der Ontologie leiten. Es ist nach dem Gesagten klar, daß ich anstatt des ganzen Satzes ebenso gut bloß das erste Glied cogito oder bloß das zweite Glied sum zum Ausgang nehmen könnte; ja sogar das gewöhnlich unterdrückte Subjekt der beiden Satzglieder, ego, würde dazu genügen; in diesen Abstraktionen des Denkens haben alle diese drei Worte cogito, sum und ego nur einen einzigen und darum den gleichen Inhalt. Ich behaupte nun, daß der Denkfehler, der aus dem berühmten Satze cogito ergo sum den Angelpunkt einer antiskeptischen Philosophie zu machen wagte, identisch ist mit dem radikalen Denkfehler aller Ontologie oder aller Metaphysik vom Sein. Mit der verhängnisvollen Neigung des grüblerischen Menschengeistes, doppelt zu sehen, zweimal zu setzen, einmal als Begriff und einmal als Existenz zu setzen, was auch nur einmal genau zu sehen, was mit bestimmter Akkommodation zu fixieren über die Kräfte des Menschengeistes geht. Die Irrenärzte wissen, ein wie gefährliches Symptom das Doppeltsehen realer Gegenstände ist; das Doppeltsehen der Philosophen ist nicht ganz so gefährlich, weil die Krankheit vielleicht nur an der philosophischen Sprache haftet. Die Sprache sieht doppelt und setzt doppelt, wenn sie ein Wort ego hat, außer und neben dem Worte sum, wenn sie von einem Gotte redet, der neben und außer der Welt sei, wenn sie außer und neben den Worten für die adjektivische Welt noch eine Fülle anderer Worte für die substantivische Welt hat. Mit den Fragen, an die ich hier streife, hat sich wortabergläubisch, bevor nämlich Sprachkritik mit Locke ihren Anfang nahm, derjenige Teil der Metaphysik beschäftigt, der Ontologie hieß (vgl. Art.  Ontologie). Es ist kein Zufall, daß unmittelbar nach Descartes, durch Clauberg, der Name Ontologie erst gebildet wurde, als ein notwendiger Korrelatbegriff zu dem viel geläufigeren Worte Theologie. Nicht mehr und nicht weniger sollte in dieser Disziplin ausgemacht werden als die wahre Beziehung zwischen Begriff und Existenz; noch Kant hat gelegentlich seine eigene Transzendentalphilosophie nur als einen neuen Namen für diese alte Ontologie bezeichnet. Es fällt unserer nüchternen Zeit nur schwer, so abgründige Grübeleien unter dem Namen Ontologie zusammenzufassen; wir haben uns durch Häckels Terminologie, die von einem Gegensatz der Ontogenese und Phylogenese redet, daran gewöhnt, in dem ersten Wortbestandteil (natürlich das griech. ὀν) das Einzelwesen ausgedrückt zu sehen, den individuellen Organismus im Gegensatze zu seiner Stammesgeschichte, das gegebene Einzelding; wir können diese Gewohnheit nur schwer wieder ablegen, nur schwer in dem Gegebenen die Aufgabe erblicken, in dem ὀν die Frage. Es ist auch kein Zufall, daß derselbe Descartes, der den Satz cogito ergo sum so triumphierend ausrief, der Adoptivvater desjenigen Beweises für das Dasein Gottes war, der den Namen des ontologischen Beweises führt. So unsäglich albern, wie ich diesen Beweis noch als Schüler vortragen hörte und wie ich ihn auswendig lernen sollte (Gott ist das allervollkommenste Wesen; zur Vollkommenheit gehört auch das Dasein: also existiert Gott) ist die Fassung nicht gewesen, die ihm seine Väter gaben, weder die ältere und sehr feine Fassung bei Anselm von Canterbury noch die neuere Fassung bei Descartes; sonst hätte Kant zu seiner prachtvollen Widerlegung dieses ontologischen (Cartesianischen) Beweises nicht seinen ganzen Scharfsinn aufzuwenden brauchen. Der große Gegensatz zwischen dem mittelalterlichen Nominalismus und dem Wortrealismus steckt hinter dem Kampfe um den Beweis. War der mittelalterliche Realismus berechtigt, so war die Schlußfolgerung des Anselm unwiderleglich, die Schlußfolgerung von der Existenz eines Begriffs auf seine reale Existenz. Und täuschte den Descartes seine innere Stimme nicht, die Berufung auf das Selbstbewußtsein, so war auch seine psychologische Deutung des ontologischen Beweises unwiderleglich. Mir ist es aber hier nur darum zu tun, kurz darauf hinzuweisen, daß der Denkfehler im cogito ergo sum der gleiche ist wie im ontologischen Beweise. Und zwar steckt in dem Satze, wenn man ihn als Syllogismus nimmt, der ontologische Beweis des Anselmus, wenn man ihn aber (mit Spinoza) als Tatsache des Selbstbewußtseins nimmt, der ontologische Beweis des Descartes. Wenn da geschlossen wird, wird wirklich ganz kindisch aus der Existenz eines Begriffes oder Wortes auf die Realität der Sache geschlossen, die bei dem Worte gedacht worden ist. Es macht dabei nicht viel aus, daß ego cogito nicht heißt ich bin ein Begriff, sondern ich habe Begriffe; die Begrifflichkeit, das Begriffsein ist von cogitare nicht zu trennen. Wird aber nicht geschlossen, wird nur ego sum cogitans als eine Tatsache des Selbstbewußtseins empfunden, dann wird das Ichgefühl genau ebenso aus der Tiefe des Gemüts geschöpft, wie in dem modernisierten, cartesianischen ontologischen Beweise der Glaube an Gott (nicht das Dasein Gottes) aus der vermeintlichen Unmöglichkeit, Gottes Dasein von seinen Eigenschaften wegzudenken. Das cogito ergo sum ist der ontologische Beweis für das eigene liebe Ich. Und noch eins. Spinoza glaubte so fest an dieses ontologische cogito ergo sum, wie er es deutete, daß er es lapidar an die Spitze seiner Ethik stellte; es ist die erste von den unseligen Definitionen, mit denen Spinoza sein Werk einleitet, und die so abschreckend leer sind, so scholastisch, daß manch ein guter Leser über sie nicht zu den Herrlichkeiten des eigentlichen Buches weiter gedrungen sein mag. Causa sui ist, dessen essentia involvit existentiam. Auf seinem Wege fortschreitend ist Spinoza zu den Definitionen des Anfangs kaum wieder zurückgekommen; aber die causa sui und die essentia melden sich häufig zum Worte und enthüllen sich als Gott oder die Natur. Auch Spinoza konnte der Neigung nicht widerstehen, zweimal zu nennen, was nur einmal existiert; die Größe seiner Lehre in diesem Punkte besteht darin, daß er nicht zweimal setzt, was er doppelt benannt hat: Deus sive Natura. Die Kritik des ontologischen Beweises mag man bei Kant selbst (Kr. d. r. V. 620-630) nachlesen. Sie ist eins seiner annihilierenden Meisterstücke: Die Logik abstrahiert von allem Inhalte; sein ist kein reales Prädikat; hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche; das analytische Urteil, daß ein Ding existiere, ist nichts als eine elende Tautologie. »Es ist also an dem so berühmten ontologischen, (cartesianischen) Beweise vom Dasein eines höchsten Wesens aus Begriffen alle Mühe und Arbeit verloren, und ein Mensch möchte wohl ebenso wenig aus bloßen Ideen an Einsichten reicher werden, als ein Kaufmann an Vermögen, wenn er, um seinen Zustand zu verbessern, seinem Kassenbestande einige Nullen anhängen wollte.« Und dieser Kant fand nachher, in der praktischen Vernunft, dasselbe höchste Wesen als Tatsache des eigenen Selbstbewußtseins. Darüber ist nicht zu rechten; ob man das Ideal seiner Persönlichkeit im Ich gefunden hat oder das Ideal der Welt in Gott, einerlei, ein inneres Bedürfnis hat sich ausgesprochen. Cogito ergo sum; cogito ergo est. Kant wie Descartes hatten sich nicht über die Sprache erhoben wie Lichtenberg mit seinem: es denkt, wie man sagt es blitzt. Aus dem unpersönlichen es denkt könnte nicht einmal die Sprache den Schluß ziehen: Ich denke Gott. Das Subjekt des Satzes wäre ein Etwas, und über das Objekt dürfte man nicht einmal dieses Minimum aussagen.


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