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Kirchhoff hat den im engsten Kreise der Erkenntnistheoretiker berühmt gewordenen Satz gewagt, es sei Aufgabe der Mechanik »die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben.« Der Satz wird oft wiederholt, trotzdem Kirchhoff selbst unter »vollständig und auf die einfachste Weise« die schwer zugänglichen Formeln der mathematischen Physik verstand und sich kaum mit jeder Berufung auf sein Wort einverstanden erklärt hätte. Immerhin war es gewiß seine Meinung, daß Natur sich nur beschreiben, nicht erklären lasse, daß Erklärung und Beschreibung mitunter recht ungleiche Begriffe seien. Erklärung hat zwei verschiedene Bedeutungen; einmal fällt es mit dem Begriffe Definition zusammen, das andere Mal besagt es die Zurückführung einer Erscheinung auf ein Gesetz. Man kann das was und das warum einer Erscheinung oder einer Vorstellung erklären wollen. Beide Bedeutungen lassen sich etwa mit begreifen wiedergeben, wenn man unter begreifen das eine Mal die Subsumption unter einen substantivischen Allgemeinbegriff versteht, das andere Mal das Aufweisen des Zusammenhangs zwischen einem unbekannten neuen Vorgang und dem durch ein Verbum ausgedrückten bekannten Vorgang. Für gute Ohren liegt in dem Worte erklären überdies noch ein Nebenton. Man erklärt ein Wort oder einen Vorgang für andere, für Schüler oder für die Nachwelt; dies gilt allgemein für die Erklärung im Sinne von Definition; aber auch der Entdecker eines bisher unbekannten Naturzusammenhanges erklärt erst andern, was er für sich mühsam gefunden hat. Beschreibung steht nun zunächst im Gegensatze zur definierenden Erklärung. Die Definition hält sich streng an den Oberbegriff und das unterscheidende Merkmal, einerlei ob sie Wort- oder Sacherklärung ist. Die Beschreibung fügt hinzu, was vom Standpunkte der Logik überflüssig ist. Die definierende Erklärung ist mit ihren zwei Begriffen das knappste Erinnerungszeichen für den Sachkenner und darum für den Neuling nur der Form nach verständlich; die Beschreibung ist eine weitläufige Erklärung und soll dem Neuling die Anschauung ersetzen, was wieder nicht eigentlich möglich ist, es verstünde denn ein Dichter durch eine lebhafte Beschreibung die eigene Seelensituation dem Leser mitzuteilen. Die einflußreiche Logik von Port-Royal, Arnaulds »Art de penser«, sagt (in der lateinischen Ausgabe) von der Beschreibung: sie sei eine minus accurata definitio, quae rem facit notam per accidentia; sie determiniere ein Ding so, daß wir uns davon eine Idee formieren können, die es von jedem andern Dinge unterscheidet. Im Gegensatze zu der Erklärung im zweiten Sinne, zum Begreifen des Warum, hat nun die Beschreibung, wie Kirchhoff sie verstand, keine Ähnlichkeit mit der weitläufigen erzählenden Beschreibung; »vollständig und auf die einfachste Weise« soll sie geschehen, in der mathematischen Physik also einzig durch mathematische Formeln, ohne überflüssige Worte. Die Sachlage dürfte also etwa folgendermaßen zu beschreiben sein: der große Entdecker findet den neuen Zusammenhang oder das neue Gesetz intuitiv, sprachlos; er bringt sich selbst die eigene Entdeckung zum Bewußtsein durch die Formeln, zu denen er nachträglich über seinen Rechnungen gelangt; soll die Mit- und Nachwelt etwas von seiner Entdeckung haben, so muß er den umgekehrten Weg einschlagen, muß die Rechnungen mitteilen und seine Entdeckung als Fazit ans Ende setzen; so wird, was beim großen Entdecker (Kepler, Newton) eine überflüssige und weitläufige Erklärung für den Meister war, durch die Mitteilung zu einer Beschreibung für den Schüler. Also sind auch so einfache und ungleiche Begriffe wie Beschreibung und Erklärung nicht ganz streng auseinander zu halten.