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Die Widersprüche, welche der Begriff der Zweckmäßigkeit darbietet, sobald wir ihn, der einzig und allein Motive des bewußten Handelns bedeutet, auf die Organe der Lebewesen anwenden, – die Widersprüche des Begriffs und einiges aus seiner Wortgeschichte suche man in den Artikeln Organismus und Zweck. Hier möchte ich insbesondere einen dem Zwecke benachbarten Begriff betrachten, den Scheinbegriff der Endursachen. Das deutsche Wort, natürlich eine Lehnübersetzung von causae finales, mag wohl der Arbeit der fruchtbringenden Gesellschaft sein Dasein verdanken; es findet sich zu Ende des 17. Jahrhunderts schon in dem Wörterbuche von Stieler. Wenn mein Sprachgefühl mich nicht täuscht, so hört man aus der silbengetreuen Übersetzung Endursache die Sinnlosigkeit der Koppelung viel deutlicher heraus, als aus dem uralten Fremdwort causa finalis oder aus den Umschreibungen Zweckmäßigkeit, Zielstrebigkeit. Bei Aristoteles, der mit leidenschaftlichem Eifer Teleologie predigt, aber den Unbegriff einer Endursache nicht geradezu aufstellt, wird nur immer behauptet, daß die Natur Gründe habe, weshalb (οὑ ἑνεκα) sie ihre Werke hervorbringe. Ἡ φυσις ἑνεκα του ποιει παντα; deutlich wird da der Anthropomorphismus ausgesprochen, daß die Natur nach einer vorgefaßten Absicht handle. Im Altertum konnte diese metaphysische Teleologie von den Materialisten oder Atomisten einfach geleugnet werden. Als aber die Scholastik den Aristoteles ins Christliche übersetzt, die Zweckmäßigkeit der Organismen aus der Allweisheit Gottes, deren Nützlichkeit für den Menschen aus der Allgüte Gottes erklärt hatte, wurde es gefährlich, die causae finales in der Natur zu leugnen. Wer dem christlichen Gotte bei der Schöpfung der Pflanzen und Tiere die rein menschlichen Fähigkeiten des Voraussehens und des Handelns absprach, der war ein Atheist. So konnte selbst Bacon sich entschließen, seiner Verwerfung der Teleologie einige Höflichkeiten gegen Gott hinzuzufügen; denn die alte Teleologie war durch die Scholastik, besonders durch Thomas, theologisch geworden. Erst der freie Spinoza wagte es (Eth. I prop. 36) rücksichtslos und allgemein auszusprechen: omnes causas finales nihil nisi humana esse figmenta. Dabei hätte es sein Bewenden haben können; und es ist traurig zu lesen, wie Schopenhauer (W. a. W. II 372 ff.) sich abmüht, die Existenz von Endursachen zu beweisen, nur aus dem Grunde, weil er den Willen zur metaphysischen Ursache der Welt gemacht hat, und weil die Endursachen wirklich zu keinem Systeme ungezwungener zu passen scheinen als zu einem, das die organische Welt – und sogar die unorganische – wie aus einem bewußten Wollen hervorgegangen darstellt; nur daß dieser berühmte Wille Schopenhauers ein unbewußter Wille ist, der keine Absichten haben kann. Dieser grundlegende Fehler Schopenhauers, daß er den spezifisch menschlichen Willensbegriff zu einem metaphysischen Begriffe erweitert, und nachher dennoch mit einem solchen x als wie mit einer bekannten Größe rechnet, hat nun in der Frage der Endursachen dazu geführt, daß Schopenhauer, der leidenschaftliche Atheist, zu einem Gegner Spinozas und zu einem Anwalte scholastischer Lehren wurde. An den feinsten psychologischen Bemerkungen fehlt es freilich dennoch nicht: wir ärgern uns, wenn die Physiologie von einem Organ nicht sagen kann, welchen Zweck es habe, wie wir uns ärgern, wenn die Physik von einer Erscheinung nicht sagen kann, welche Ursache sie habe; dieser Ärger ist aber doch wohl nur ein psychologischer Anreiz für die Forschung, nicht ein philosophischer Standpunkt. Schopenhauer durchschaut auch in diesem Zusammenhange ganz gut die Willkürlichkeit seines metaphysischen Willensbegriffs; er nennt es selbst (S. 378) einen Widerspruch und eine Kühnheit, wenn er zu der Definition gelangt: »Die Endursache ist ein Motiv, welches auf ein Wesen wirkt, von welchem es nicht erkannt wird.« Die Schwierigkeit der Untersuchung scheint mir wirklich darin zu liegen, daß die Endursachen Motive sind; zu lösen aber ist die Schwierigkeit nicht durch den metaphysischen Willen in der Natur (vgl. Art. Schopenhauers Wille), sondern durch das Eingeständnis, daß in der Philosophie sehr oft Zwecke mit Ursachen verwechselt worden sind aus dem einfachen Grunde, weil in einem einzigen Falle, dem menschlichen Handeln nämlich, Zwecke zu Ursachen werden können. Ich hoffe das deutlich zu machen. Einerlei, ob Hume mit seiner Gleichsetzung von Ursache und Zeitfolge ganz im Rechte war oder nicht, ist doch sicher etwas daran, daß die Ursache der Wirkung vorausgehe, daß die bewirkende Veränderung vor der bewirkten Veränderung existiere. Ebenso sicher ist es, daß die Endursache oder das Ziel einer menschlichen Handlung, sobald man seine Aufmerksamkeit auf das wirklich erreichte Ziel richtet, der Zeit nach auf die Handlung folgt, die von diesem Ziele motiviert wird. Also läge ein Widerspruch darin, das Motiv einer menschlichen Handlung ihre Ursache zu nennen. In der psychologischen Wirklichkeit ist aber das Motiv eine ganz richtige, vorausgehende Ursache; wir dürfen uns nur durch den Doppelsinn der Begriffe Zweck, Ziel oder Absicht nicht täuschen lassen. Nicht das erreichte, nachfolgende Ziel ist das Motiv, sondern das vorgestellte, vorausgehende Ziel. Das vorgestellte Haus ist dem Bauherrn das Motiv für den Auftrag an den Architekten; das vorgestellte Haus ist für den Architekten das Motiv für seinen Bauplan; das Bild des Plans wird für die Maurer das Motiv ihrer Handlungen. Das Bild geht der Ausführung regelmäßig voran, wie jede Ursache ihrer Wirkung. Das vorgestellte Bild eines Ziels ist das Motiv; das erreichte Ziel kann kein Motiv sein. Das Bild ist die Ursache. Wie beim Bau eines Hauses so bei jeder menschlichen Handlung. Im Französischen hat denn auch der beabsichtigte Zweck oder der Vorsatz und der Entwurf oder Abriß zu einem Bilde die gleiche Bezeichnung: dessin; der Billardspieler z. B. führt seinen Stoß nach einem dessin aus. Die Motive sind also ganz richtige, vorausgehende Ursachen der menschlichen Handlungen. Wollte man nun deshalb die menschlichen Motive allein Endursachen nennen, d. h. Ursachen, bei denen verständige Voraussicht des Endes mitspielt, so wäre gegen einen solchen Ausdruck höchstens der Einwand zu erheben, daß er geschmacklos sei. Halten wir aber fest daran, daß Motive und Endursachen völlig synonyme Begriffe sind, und legen wir also den Organismen, weil wir ihre Lebensfähigkeit anstaunen und nicht begreifen können, bei der Einrichtung ihrer Organe Motive unter, so wird der Anthropomorphismus des Ausdrucks über allen Zweifel klar. Und da Endursachen gar nichts anderes bedeuten können als diese Motive, so müssen wir eingestehen: wir können uns bei diesem scholastischen Worte nichts, aber auch gar nichts denken. Außer wir wären Poeten, und liehen der Natur Augen, Ohren und ein Gehirn. Die abgründige Schwierigkeit steckt ganz wo anders als in dem Worte Endursache. Daß die Endursache der Handlung zeitlich vorausgehe, wie jede Ursache ihrer Wirkung, das wußte wahrscheinlich schon Thomas; denn er lehrte: Finis est prior in intentione, sed est posterior in executione. Und daß die intentio ein Bild sei, meinetwegen eine Idee, vom künftigen Ziele, das war den Scholastikern eine gar geläufige Vorstellung. Dachten sie sich doch die Begriffe, mit deren Hilfe das Denken etwas Künftiges vorwegnehmen kann, als Bilder oder Ideen. Wir aber wollen uns nicht mehr mit solchen Bildern von Bildern begnügen und stehen vor der wirklich abgründigen Frage: wie ist es möglich, daß wir uns (beim Bau eines Hauses wie bei den einfachsten Handlungen) ein brauchbares Abbild machen können von einem noch nicht erreichten Ziele, machen können in Worten oder Vorstellungen, die nur Rückstände von Erinnerungen an Vergangenes sind? Nicht in der Wiederkehr der gleichen Erfahrung, nicht in der sogenannten Gesetzmäßigkeit der Natur liegt die Schwierigkeit; sondern nur in der Fähigkeit des Menschen, mit Hilfe seines Gedächtnisses, das allein von der Vergangenheit lebt, die Vergangenheit zu überwinden und zukünftige Gestaltungen zu Motiven zu machen. Wieder steigt das Rätselhaupt aus der dunkeln Tiefe auf, wohlbekannt und unerkennbar. Man halte sich, um den Abgrund dieser Gedanken achten und scheuen zu lernen, nur ein einziges Beispiel vor Augen. Wenn der Mensch handelt, nach ursächlichen Motiven handelt, verläßt er sich auf die Gesetzmäßigkeit der Natur, auf die regelmäßige Folge von Ursache und Wirkung. Nur dann heißt sein Handeln zweckmäßig. Wir nennen auch die Einrichtung der Organismen zweckmäßig, weil die einzelnen Teile so ineinander greifen, als ob ein menschenähnlicher Verstand die Naturgesetze gekannt und alles geordnet hätte. Das menschliche Auge wurde so Anlaß, die Weisheit seines Schöpfers zu bewundern. Da kam der Darwinismus und lehrte uns, die Zweckmäßigkeit des Auges lasse sich aus Ursachen erklären, ohne Endursachen, ohne Motive. Gut. Seid umschlungen, Millionen! Wieder einmal waren alle Rätsel gelöst. Wie aber? Auch das Gehirn ist so ein Organ, das aus natürlichen Ursachen entstanden ist, sich entwickelt hat, ohne Motive einer Intelligenz. Also fangen die Endursachen oder die Motive erst bei den Wesen zu wirken an, die ein Gehirn haben, die sich Bilder von der Zukunft machen können. Sehr gut; beinahe architektonisch schön. Wie aber, wenn es auch Ursachen erst im menschlichen Gehirn gibt, wenn es in der Natur vorher keine Ursachen gab? Wie können dann Ursachen das Gehirn gebildet haben? Können wir dann noch einen wesentlichen Unterschied festhalten zwischen dem, was die Sprache der Naturwissenschaft Ursachen, und dem, was die Sprache der Theologie Endursachen nennt? Ist auch Ursache nur ein Scheinbegriff? Ich vermesse mich nicht, für diese Frage eine Antwort auch nur zu suchen.