Friedrich Spielhagen
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Friedrich Spielhagen

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Siebentes Kapitel.

Vor dem Herrenhause in Vacha, unter der breitkronigen Linde, neben dem runden steinernen Tische, an dem die Burgherren zur Zeit des ewigen Landfriedens schon gezecht haben mögen, sitzt an einem wundervollen Nachmittage im Spätherbste die jungen Herrin des Hauses in eifrigem Gespräche mit Schwager Fritz, während Schwager Max, die Mappe auf den Knien, auf der Brustwehr des Altans kauert, der über dem Tale der Vacha hängt, und der Stunde noch eine Farbenskizze abgewinnen will. Jetzt hebt er den Kopf und blickt in die duftige Ferne; dann fallen die kurzen, dunkelglänzenden Locken wieder über die scharfgeschnittene Stirn, und die geniale, vielgeübte Hand fliegt über die Leinwand. Er muß sich hasten: blauer und blauer dämmert's aus den Schluchten herauf, und morgen will er, nach beinahe drei Monaten, in denen er so viel Wunderbares erlebt – da oben im Lande, das im Norden an die Eskimos grenzt – wieder zurück in sein geliebtes München.

Ebenso wie Fritz nach Bonn zu den ebensolange unterbrochenen Studien.

Sie hatten schon heute aufbrechen sollen, aber die Baronin, die Lafing und Maggie eigentlich bis nach Nizza begleiten wollte, ist gestern in Kassel wieder umgekehrt, um noch einen Tag bei Gerhard und Edith zu verbringen, bevor sie die Rückreise nach Pommern antritt, und ›ich denke, die jungen Herren werden Gerhard helfen, ihre alte Freundin die Honneurs vor ihre Ahnenburg zu machen‹.

Die jungen Herren haben sich nicht lange bitten lassen; sie trennen sich nach dem langen, ereignisreichen Beisammensein schwer genug von ihrem Ältesten und der angebeteten jungen Schwägerin, und sie sind während Gerhards Krankheit Wochen und Wochen die Gäste der Baronin auf Basselitz gewesen und stehen mit ihr auf dem besten Fuße, besonders der Maler, der, nach Aussage aller, in unverantwortlicher Weise von der guten Dame bevorzugt und vorgezogen wird.

In der Tür, die noch mit den dicken Eichengirlanden zu Ehren des Einzuges vor drei Tagen geschmückt ist, erscheint Stude im Schlafrock, tritt aber, als er die beiden unter der Linde erblickt, sofort wieder zurück und steckt nur noch den Kopf hervor.

»Nun, Anton«, ruft Fritz, »hast du endlich Schicht gemacht?«

Stude verzieht das Gesicht zu einer tragikomischen Grimasse.

»Apage, böser Bube, der du mit lächerlichen zweiundzwanzig Jahren deinen Doktor in Sicherheit hast und mich alten Knaben zu schnöder Faulheit verlocken willst! Bis des Tages Gestirn erloschen, ist mir nicht vergönnt, aus meiner Zelle zu gehen. Ich hab's geschworen bei dem grauen Haupte meines Vaters und meiner zehn Schwestern blonden Locken!«

Das drollige Gesicht verschwindet, aber nur für einen Moment.

»Na, ausnahmsweise, weil's der letzte Abend ist! Sie müssen ja auch bald zurückkommen. Ich will nur den alten Flaus ausziehen und ein festlich Kleid anlegen, wie es sich für die Gesellschaft von Menschen schickt, die, wie ihr, das Leben in holdem Müßiggang verschleudern.«

»Ob er wohl diesmal Ernst macht?« sagt Fritz, sich wieder zu Edith wendend.

»Ich glaube es«, erwidert Edith. »Der Tod des Onkels, Gerhards Krankheit, zuletzt das Wiedersehen seines Vaters, den die Sorge um die vielen unversorgten Töchter mehr noch drückt, als die Last der Jahre – das alles hat ihn tief erschüttert. Er hat mir selbst gestanden: ich weiß, daß ich die Grenze längst überschritten, wo der leichte Sinn zu frevelhaftem Leichtsinn wird: es ist die höchste Zeit für mich, umzukehren. – Und glücklicherweise ist es ja noch nicht zu spät. Gerhard sagt: er ist ein so genialer Mensch: wenn er nur wirklich will, kann er das Versäumte im Fluge nachholen, sein letztes Examen mit Glanz bestehen. Dann ist ihm ja unsere Pfarre gesichert. Ich freue mich dessen, um Studes und Gerhards willen. Ich weiß, er würde den Freund schmerzlich vermissen und ist glücklich in dem Gedanken, ihn dauernd, ihn für immer in seiner Nähe zu behalten.«

»Nun«, sagt Fritz: »auf Stude allein würde ich mich nicht verlassen; aber, mit Gerhard ihm zur Seite, ist der Erfolg gesichert. An Gerhards Edel- und Gradsinn zieht sich die mutwilligste, krauseste Ranke willig hinauf. Hat er denn nicht auch uns erzogen, mich und den Farbenkleckser da, und den wildesten der wilden Jungen, den in Valparaiso, der in seinem letzten Briefe schreibt: ›Sorgt Euch nicht um mich, jeder Schiffer hat einen Stern, zu dem er zuerst und zuletzt emporblickt, dem er unbedingt vertraut, daß er ihn aus aller Not und Gefahr erretten werde; und so habe auch ich meinen Stern, und der heißt Gerhard.‹«

Die Augen Ediths glänzen stolz; dennoch sagt sie in einem herausfordernden Lächeln:

»Wenn ihr ihn nur loben könnt!«

»Und du ihn loben hören kannst! Glaub' ich doch bei meiner Seele, du gibst dir manchmal die Miene, unseren brüderlichen Enthusiasmus zu bekritteln, nur, um dir beweisen zu lassen, daß er wahr und wahrhaftig in seinem reinen, treuen Wesen wie in einer hohen Burg wohnt, zu der das Niedrige und Gemeine keinen Zugang hat. Du meintest vorhin: er hätte dir das traurige Geheimnis enthüllen, er hätte an dich glauben müssen! Ja, Edith, jetzt, wo ihr eure Hände zum ewigen Bunde ineinandergefügt! Aber, wer streifte den Ring vom Finger in jenem verhängnisvollen Augenblicke? Du tatest es aus Edelmut, aus Liebe – ich gebe es zu – vielmehr: ich weiß es; aber, Edith, diesen Edelmut, diese Liebe hatte er gefürchtet, mußte er fürchten, je besser er dein Herz kannte! Und denke auch, wie lange Zeit – denn in solchen Verwicklungen werden Tage zu Monden, Wochen zu Jahren – du bedurftest, dich auf dein Herz zu besinnen, die wahre Sprache deines Herzens zu verstehen. Ja, habe ich unrecht, wenn ich behaupte, Gerhards Krankheit hat erst die Überzeugung in dir gereift: er kann ohne mich, ich mag ohne ihn nicht leben.«

Edith blickte sinnend vor sich nieder. – »Ja«, sagte sie, »in jenen endlosen Nächten, als ich durch das Seufzen des Windes in den Bäumen des Basselitzer Parkes und das dumpfe Rauschen der Wogen am Strande auf jeden Atemzug seiner Brust lauschte und fürchten mußte: jeder werde der letzte sein – da habe ich es erfahren; da habe ich mir geschworen, wenn Gott ihn am Leben erhielt, wolle ich die Seine werden – müsse ich die Seine werden – trotz alledem! Ich finde es ja auch jetzt so selbstverständlich, daß ich jeden Zweifel besiegte, so völlig undenkbar, daß der Kampf meiner Seele hätte zu einem anderen Resultate führen können; aber den Kampf selbst darfst du mir nicht verargen. Es war derselbe, der auch Gerhard manche, manche schlimmste Stunde gekostet. Und für mich war der Sieg um so viel schwieriger, als für ihn, wie Geben seliger denn Nehmen, Verzeihen süßer als um Gnade bitten.«

Der junge Mann schüttelte den Kopf.

»Noch immer so stolz bescheiden! nein, Edith, als der da und ich an das Krankenbett Gerhards eilten und die Antwort auf seine Frage: ob wir des Großvaters Tod rächen wollten auf Kosten des Mädchens, das er liebte, eben jenem Mädchen brachten, indem wir es auf den Knien anflehten, uns den Bruder zu erhalten, der nicht genesen konnte ohne sie – wer war's denn da, der zu gewähren hatte – wir oder du?«

»Meinst du, daß es uns Frauen leichter wird, gegen die Stimme unseres Herzens zu handeln, als euch Männern, das Opfer eures Verstandes, eurer besseren Einsicht, eures weltlichen Ehrgeizes, wenn du willst, zu bringen?«

Die großen, glänzenden Augen Ediths ruhen so fest auf ihm – seine Wimpern senken sich unwillkürlich, und eine schnelle Röte fliegt über das feine, bleiche Gesicht. Dann aber schaut er mutig auf und erwidert:

»Nun denn! – ich habe es nicht Wort haben wollen; aber meine Hochachtung vor dir ist so unbedingt, mein Vertrauen zu dir so unbegrenzt – ich danke dir, daß du mir Gelegenheit gibst, dir mein ganzes Innere zu enthüllen, damit fortan zwischen dir und uns Brüdern auch nicht der Schatten eines Zweifels, eines Mißverständnisses bleibe. Oder eigentlich kann ich nur für mich selbst, nur von mir selbst sprechen. Max' enthusiastisches Künstlerherz hatte Gerhards Frage sofort mit einem freudigen, rückhaltlosen Ja beantwortet; und so ist das nachträgliche Ja unseres jungen Schiffers gewesen und wird's bleiben in alle Zeit – darauf magst du dich verlassen. Auch ich, Edith, ich schwöre es dir, habe keinen Moment vergessen: er ist der Chef der Familie, er ist der älteste, der treueste, der beste der Brüder, der Vaterstelle an dir, an deinen Brüdern vertreten: du hast dich seinem Willen zu fügen, seine Handlungen zu sanktionieren; und in diesem Sinne durfte ich meine Bitten mit Max' Bitten und Flehen vereinigen. Aber – du hast das Wort gesprochen, Edith: ein Opfer war's – für mich! ein Opfer, das der Mensch dem jungen Juristen brachte, der die Weisheit Salomonis unter seinem frischen Doktorhute zu tragen wähnte. Und, Edith, ich hatte unseren Prozeß aufs gründlichste studiert; ich darf sagen: ich war mit an diesem Studium zu einem Rechtsverständigen geworden; der Traum meiner Studentenjahre war gewesen: ich könnte den Prozeß da wieder aufnehmen, wo er weniger kräftigen Händen entfallen war, und dann natürlich zu einem glorreichen Ende führen. Ich hatte stets an der Möglichkeit festgehalten, das Geheimnis, das über dem Ende des Großvaters lag, könnte enthüllt werden; es könnte sich der an keine Zeit gebundene Widerruf des Großvaters finden, und – dieser Widerruf hat sich gefunden durch ein halbes Wunder und – war vernichtet worden! Was ich dabei empfand? einem Archimedes müßte so zumute sein, der im Begriff steht, von dem endlich entdeckten festen Punkte die Welt aus den Angeln zu heben, und dem neidische Götter diesen Punkt unter den Füßen wegziehen! Um das unschätzbare Dokument in meiner Rechten zu halten – ich würde damals meine Linke willig in das Feuer gelegt haben, das es verzehrte. Und heute, Edith, –«

»Heute?«

»Würde ich – ich selbst mit beiden Händen die Papiere verbrennen, könnte es noch einmal geschehen.«

»Du bist fest, fest davon überzeugt?«

»Wie von meinem Dasein.«

»Und was hat diese Überzeugung in dir zuwege gebracht?«

»Nicht die andere, die sich mir seitdem erschlossen, daß auch mit den Papieren – dem Widerruf des Großvaters – wie die Dinge lagen, kein Beweis zu führen gewesen wäre. Eine Handschrift kann gefälscht werden, die Unterschriften von Zeugen, die schon seit einem Menschenalter im Grabe ruhen, sind schwer – sind gar nicht zu beurkunden. Deep würde keine Macht der Welt zum Geständnis gebracht haben, hätte er auch nicht noch in derselben Nacht seinen gräßlichen Tod gefunden, und das Grab selbst, das er ausgeleert, erzählte nichts mehr. Deines guten Vaters Aussagen würden angezweifelt, Gerhards Mitteilungen der Bekenntnisse des Försters, der halben Zugeständnisse Deeps für nichts geachtet sein. Weiter – woran weder Gerhard noch der Graf gedacht: die Tat war nicht in Preußen, sondern in Schweden, wozu Neuvorpommern damals noch gehörte, geschehen. Die preußischen Gerichte hätten sich erst mit den schwedischen, diese wieder mit den französischen, zuletzt mit unseren weimarischen verständigen müssen. Und so hätte sich die Sache fortgewälzt von einem Gerichtshof zum anderen, von Instanz zu Instanz; und ich, der ich den Prozeß zu führen gehabt, würde mein jung frisch Leben daran gesetzt und dabei verwüstet haben, wie unser armer Vater das seinige. Indessen, diese nachträgliche Einsicht würde selbst noch heute nicht bestimmend für mich sein, ebensowenig wie der Umstand, daß hinterher auch dem Staate, dem Gemeinwesen, nicht nur kein Schaden aus der Wendung der Sache entstanden, sondern ein offenbarer Gewinn erwachsen, nachdem ihr sofort auf Kosenow zugunsten des Staates verzichtet und das zusammengeraubte Vermögen Deeps, als eines ohne jegliche Verwandte Gestorbenen, an den Fiskus gefallen ist; schließlich auch die Brissacsche Familie uns ihre Zustimmung, ja, ihre innigste Dankbarkeit ausgesprochen hat; mit einem Worte, der Handel zu allseitiger völliger Befriedigung ein für allemal geschlichtet ist. Das alles, wie gesagt, hätte für mich sein, oder auch nicht sein können, es wäre für mich völlig irrelevant, stünde ich noch auf dem alten Satze, daß man der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen müsse, und sollte die Welt darüber zugrunde gehen; diesen absurden, gotteslästerlichen Satz hatte die bessere Einsicht bei mir verdrängt, daß eine solche Gerechtigkeit die höchste Ungerechtigkeit sein würde gegen die schöne, herrliche Gotteswelt, die unter allen Umständen bestehen soll, und nicht bestehen könnte, wäre wirklich der Mensch verdammt, die Erbschaft seiner Väter immer und überall anzutreten. Nein, Edith, nein! und tausendmal nein! er soll nicht dazu verdammt sein, er ist es nicht! Kein Mensch soll und darf verantwortlich gemacht werden für etwas, das er nicht begangen; und – was unendlich wichtiger und darum auch unendlich schwerer zu begreifen und unendlich schwerer auf sich anzuwenden und in Tat zu übersetzen ist: er soll und darf sich selbst dafür nicht verantwortlich machen wollen; er soll den Mut haben, sich – wie in ökonomischen – so auch in sittlichen Dingen – und da erst recht – auf seine eigenen Füße zu stellen und mit sich selbst, für sich selbst ein neues Leben beginnen.«

Die sonore Stimme des jungen Mannes bebt vor tief innerster Erregung; seine dunkeln Augen leuchten:

»Und weißt du, Edith, wem ich diese Einsicht, dies neue Evangelium verdanke? ihm, dem ich so vieles, dem ich alles sonst schon zu danken habe: meinem, deinem Gerhard, dem unerschütterlichen Glauben, mit dem er – trotz alledem und alledem! an der Heilslehre festhielt und sie mutig verkündete und ihrem Gebote gemäß handelte bis in das Delirium des Fiebers hinein, und mit dem letzten Aufgebote seiner Kräfte die unseligen Papiere ins Feuer schleuderte, damit aus der Asche eine neue Welt erstehe, damit aus dem irdischen Feuer ein göttliches werde, das uns alle durchglüht und erleuchtet hat: auch dich, Edith! Auch du bedurftest seiner Hilfe, seines Beispiels! Ein Schwanken, ein Zaudern nur von seiner Seite – und du hättest dich, wie ich, nicht von dem alten Bunde der finsteren, weltvernichtenden Gerechtigkeit loslösen können, und der neue, herrliche Bund wäre nie geschlossen. Habe ich recht?«

Ediths Augen schimmern von Tränen, und ein seliges Lächeln verklärt die jungfräulichen Züge:

»Mein Leben wird die Antwort auf die Frage sein!« flüstert sie. »Und dir, du Guter, Edler, Dank, unendlichen Dank, daß du mir gesagt, was zu hören ich mich so sehr gesehnt, was mich erst wahrhaft zu eurer Schwester macht!«

»Hallo!« ruft der auf der Brüstung des Altans, indem er den breiten Hut ergreift und in das Tal hinabwinkt. Dann legt er Pinsel und Palette in den Kasten, wirft noch einen Blick in die Landschaft, einen zweiten auf die Skizze, kommt über den Hof und setzt sich zu den beiden.

»Nun, habt einmal wieder spekuliert, während die Sonne jede Tanne zu Goethes grüngoldnem Baume des Lebens machte? Ihr seid die wahren Gottesleugner! Es gibt überhaupt nur noch zwei harmlos-fromme Menschen; das bin ich, und der andere ist dein guter Papa, Edith. Als wir in Basselitz waren, hielt ich auch die Baronin für eine Auserwählte; aber seitdem sie Lafing und Maggie in die weite Welt entlassen, finde ich sie sehr stark von des Gedankens Blässe angekränkelt. Freilich: wem dabei keine Gedanken kommen!«

»Nichts gegen Maggie, wenn ich bitten darf!« sagt Edith sanft.

»Gegen Maggie? ich? gegen Maggie, für die ich schwärme? die ich anbete? Ich verweise auf meine Skizzenbücher, wo ihr holdes Bild in hundert Variationen, auf mein Herz, wo es in Lebensgröße steht – von dem ersten Momente! Mein Gott! wie deutlich ich mich daran erinnere! Wir waren eben angekommen – Fritz war hinaufgegangen – es sollte ja nur einer vorgelassen werden – die Baronin hatte euch begleitet – Lafing mochte fühlen, daß er überflüssig war – wir – sie und ich – standen in einem der tiefen Fenster – unter uns der Park – durch die Wipfel der Bäume, über die Wipfel fort das blaue Meer – ich sah alles nur wie im Traum – ich sah nur ihre Augen und – Gott verzeih mir's! – hatte völlig vergessen, daß ich einen todkranken Bruder eine Treppe höher hatte, daß ich zu einem anderen Zwecke gekommen, als mich in die schönsten Augen zu verlieben, die meine Augen je erblickt. Ich war stumm – der Mensch ist immer stumm, wenn ihm eine Offenbarung wird – auch sie war stumm – vielleicht, daß sich auch ihr in diesem Moment etwas offenbarte, was dem schönen Herzen vorher dunkel war. Dann aber faßte sie sich zuerst und sagte mit jener Stimme, die süßer ist, als Mandolinenklang in stiller, lauer Sommernacht –«

»Du bist ein nichtsnutziger Schwätzer, Max!«

»Nein, das sagte sie nicht, Fritz! einmal duzten wir uns damals noch nicht, wie jetzt; und nichtsnutzig? per bacco! Wem verdankt es Lafing, daß die Baronin darauf bestand: der Winter dürfe nicht ins Land kommen, bevor Maggie Frau Baronin von Basselitz wäre? und daß der liebe kleine, dicke Pastor in Zarnewitz bei der Gelegenheit auch Gerhard und diese junge Dame zusammengehen müsse? Mir, und einzig und allein mir! dem Lichte, das von mir ausstrahlte, und in das sich der schöne Schmetterling zu stürzen drohte, auf die Gefahr hin, eine arme Malersfrau zu werden! So ging denn die kluge Baronin hin und löschte das Licht aus, und sie wurden Mann und Frau und – saßen im Dunkeln.

Er fährt sich über Stirn und Augen und sagt, plötzlich in einen ernsthaften Ton fallend:

Das arme Mädchen! sie tut mir bei Gott von ganzem Herzen leid; es ist doch hart, Lafing heiraten zu müssen. Sie sagt: sie habe es gemußt. Sie hatte Vertrauen zu mir, mehr als zu irgend einem von euch; sie fühlte sofort heraus, daß ich sie verstehen würde, wie eine Künstlernatur die andere versteht. Und daß sie ihren Beruf verfehlt hat, daß sie auf die Bühne gehört und eine der größten Schauspielerinnen geworden wäre, die die Welt gesehen – davon bin ich überzeugt wie von meinem Leben. Doch das nebenbei! Sie erzählte mir also einmal, während ich im Park skizzierte und sie mir zusah: sie habe einen Traum gehabt – als zwölfjähriges Mädchen. Es sei ihr eine bildschöne Frau erschienen, die niemand gewesen sein könne, als eure Mutter, Edith, deren Ebenbild sie selbst ja wohl sein soll. Diese habe sie bei der Hand genommen und durch das Haus geführt und durch den Garten und die Felder, und habe auf jedes gedeutet und gesagt: dies wird dein Vater verlieren und dies und dies und alles, und wird arm werden, ganz arm, und du wirst hinaus müssen in die Welt wie ich, und die Sklavin hochmütiger, fremder Leute sein, wie ich es gewesen, außer du heiratest den! Und da sei aus dem Walde – alles im Traume, versteht ihr! – Lafing gekommen auf einem Schimmel und sei abgestiegen und habe vor ihr gekniet, und das habe so drollig ausgesehen, daß sie habe lachen müssen, und vor Lachen sei sie erwacht. Und als sie am nächsten Morgen in den Garten gegangen und aus dem Garten in den Wald und an den seltsamen Traum gedacht habe und an Lafing, sei Lafing leibhaftig aus dem Walde gekommen auf einem Schimmel, und der Schimmel habe gescheut vor ihr, die plötzlich aus den Büschen an der Wegseite aufgetaucht. Sie will vor dem Schimmel, der unmittelbar vor ihr sich bäumt, fliehen und fällt. Lafing, als ein exzellenter Reiter, der er ist, reißt das Tier herunter, springt aus dem Sattel und kniet neben ihr nieder, die sich bereits wieder aufgerichtet, so daß er faktisch zu ihren Füßen liegt. – Von dem Augenblicke an, sagt sie, habe sie festiglich geglaubt, daß sie Lafing heiraten müsse, und an dem Gedanken festgehalten, und sei immer wieder darauf zurückgekommen, obgleich ihr Herz – wie sie mit rührender Aufrichtigkeit gestand – sie mehr als einmal nach einer anderen Seite gezogen. Du lachst, Fritz! Du glaubst nicht an die Geschichte? ich bin überzeugt, daß sie buchstäblich wahr ist; du nicht auch, Edith?«

»Maggie ist von jeher ein so eigenes Kind gewesen«, erwiderte Edith; »wer kann sagen, was sich in dem seltsamen Kopfe, in ihrem wunderlichen Herzen abgespielt! Und dann: ihr dürft nicht vergessen: das arme Kind hat nie eine Mutter gehabt.«

»Auch du warst erst drei Jahre, als die Mutter starb«; murmelte Fritz.

»Ich war und bin meines guten Vaters Kind; von frühester Jugend auf drehte sich mein Sinnen und Denken um den Vater, dessen Liebling ich auch war: wohl in zu ausgesprochener Weise. Maggie empfand das tief: sie fühlte sich vereinsamt – sie war es.«

»Hatte sie nicht dich zur Schwester?« sagte Fritz.

»Wir sind so ganz verschiedene Naturen; auch habe ich es wohl nicht verstanden, mir ihre Liebe, ihr Vertrauen zu gewinnen, die sie dann Personen schenkte, die es oft am wenigsten verdienten; wie ihre alte Kinderfrau Sara, an der sie mit der größten Zärtlichkeit hing. Dann kamen später noch andere, deren Einfluß auf sie leider nur zu groß war –«

»Die famöse Tante Julie zum Beispiel!« ruft Max. »Ja, ja – auch das hat sie mir gesagt! Oh, diese Tante Julie, die ich nie zu Gesicht bekommen! und wohl ihr! sie würde sonderbare Dinge von mir gehört haben, unter anderen: wie jammerschade es sei, daß wir nicht mehr in den schönen Zeiten leben, wo so liebe Damen sich in glühenden Schuhen zu Tode tanzen mußten, oder auch in einem Nägelfaß einen Burgberg hinabgekollert wurden.«

»Was sagt er da, der Mosjö, von hinabgekollert?« ertönt eine kräftige Stimme. – »Wer ist hinabgekollert? frage Er hier seinen Bruder, ob ich den Berg nicht 'runter und 'rauf gehüpft bin wie ein Wippstart – uff!«

Die Baronin ist, Gerhard und dem Vater vorauf, zu ihnen getreten. Ihr volles Gesicht glüht von der Anstrengung des Steigens; sie fächelt sich mit ihrem Taschentuche und sagt einmal über das andere: »Uff! diese Berge! nein, Kindings! diese Berge! es wäre wunderschön bei euch; und die Schneidemühle ist ein Prachtwerk und wird euch manchen runden Taler abwerfen, wie Gerhard mich das alles erklärt hat; aber diese Berge, uff! Nun gib mich aber auch was zu trinken, Edith! so eine Flasche von eu'r köstliches Bier, und ein Budding, weißt du, mit Käse – es ist, sowieso, die Zeit für das lütt Abendbrot. –«

Die Sonne ist seit einer halben Stunden hinter die purpurnen Berge gesunken; am Horizont steigt die Dämmerung herauf; aber der ganze obere Himmel ist rosig durchleuchtet.

Und von dem rosigen Himmel fällt ein Widerschein auf die steilen Dächer und altersgrauen Mauern der Vachaburg und auf die Gesellschaft, die nach dem ›lütt Abendbrot‹ noch immer unter der Linde plaudernd beisammensitzt.

Die Baronin hat das Wort – jedenfalls in dem Sinne, daß ihr jeder gern das letzte Wort läßt. Die drei Brüder wetteifern gegen sie in ritterlicher Aufmerksamkeit, und sie ihrerseits verkehrt mit ihnen, als ob sie alle ihre Söhne wären, und mit Edith wie mit einer lieben Tochter. Für den alten Freund, der still an ihrer Seite sitzt, hat sie immer ein herzliches Wort; und Stude, der nun, strahlend in dem Wohlgefühl absolvierter Pflicht, mit unermüdlichem Appetit und unverwüstlichem Humor erschienen, ist ihr eine bequeme Zielscheibe ihrer harmlosen Witze: es sei so jammerschade, daß er sein Staatsexamen noch immer nicht gemacht! sie habe gerade die Pfarre in Granskewitz zu vergeben, auf der man bloß drei Pfarrerswitwen säßen, von denen die jüngste noch lange keine fünfundvierzig Jahre sei wie gewisse Damen, für die er einstmals geschwärmt.

Sie lacht über ihre Späße, als ob ein anderer sie gemacht hätte; aber ein feineres Ohr hört heraus, daß die Lustigkeit der guten Frau nicht so ganz von Herzen kommt; und es überrascht eigentlich niemand, als sie plötzlich in ihrem sonoren Lachen abbricht und nach einer gedankenvollen Pause, tief aufseufzend, sagt: Heute reisen sie von Kassel ab.

»Und ich hatte mich schon so darauf gefreut, die Gesellschaft in München, wo ich sie einholen sollte, herumzuführen!« ruft Max.

»Wäre auch alles sehr schön gewesen«, erwidert die Baronin; »aber das blieb unterwegs mit die Berge immer so bei – just so, wie hier bei euch – und ich dachte: das hältst du auf die Dauer nicht aus. Und dann: es kam mich doch ein bißchen komisch vor, daß die beiden jungen Leute mit mich alte Person in der Welt herumziehen sollten, als ob sie noch nicht vor sich selber laufen könnten. Wenn Lafing auch sein Leblang, glaube ich, keine acht Tage ohne mich gewesen ist – einmal muß er's doch lernen, und – ich auch. Ich habe mir nun auch entschlossen, daß ich von Basselitz abziehe, ehe sie zu Weihnacht zurückkommen, und mir in Granskewitz einrichte, das mir mein seliger Mann gleich von vornherein zu meinem Witwensitz bestimmt hatte. Es wird mich sehr wunderlich vorkommen; aber besser ist besser! Zwei Frauen in demselbigen Hause taugen nicht; eine kann nur befehlen – das ist jetzt Maggies Sache, und ich könnte das Kommandieren nicht lassen – da gäb's dann bloß Verwirrung und Unfriede. Das heißt: Maggie ist ja so gut gegen mir und gegen Lafing! – Du glaubst es gar nicht, Edith! –«

»Gewiß glaube ich's«, sagte Edith eifrig.

»Ich meine nur«, fährt die Baronin fort; »es ist ja nicht so wie bei euch beiden; mit mein Lafing muß man umzugehen wissen und ein bißchen Geduld haben; er ist ja so ein guter Junge, bloß sein Kopf ist nicht von die hellsten, und da kann er manchmal recht eigensinnig sein.«

Der Maler schneidet ein grimmiges Gesicht, das die Baronin glücklicherweise nicht bemerkt. Aber sie fühlt, daß sie wohl in ihrer Aufrichtigkeit diesmal ein wenig zu weit gegangen – selbst so guten Freunden gegenüber – und da fällt ihr zur rechten Zeit der Brief ein, den sie gestern in Kassel von der Gräfin vorgefunden, und der verschiedenes enthält, das für die anderen von Interesse ist. Sie ist im Laufe des Tages über all dem Besehen und Herumwandern nicht dazu gekommen, ihre Neuigkeiten mitzuteilen und tut es jetzt.

»Denkt euch, Kindings, Julie, die sich doch in Grünwald in die Einsamkeit vergraben wollte, ist plötzlich nach Paris gereist, auf den ganzen Winter, versteht sich: mit ihrer Schwester! Die beiden werden da eine schöne Seide zusammen spinnen! Na, mir geht's nichts an, und ein bißchen Trost ist ihr ja auch zu gönnen, da Bagdorf sich nun doch mit Emming Sallentin verlobt hat. Ich bin froh, daß ich sie aus der Nähe los bin; sie tat ja zuletzt kaum noch was anderes, als über uns allen räsonieren, und fand es schrecklich, daß ihr und Lafing und Maggie Hochzeit gemacht habt drei Monate nach ihres Mannes Tode! Na, ihr hatten wir doch nicht dazu eingeladen! still genug ist es auch dabei hergegangen, und sie sollte man ganz still sein, die ruhig zu Hause blieb, als wir ihn zu Grabe trugen. Aber ich habe es immer gesagt: es ist bei ihr im Kopfe nicht ganz richtig! Und in ihrem Herzen auch nicht: ihr armes Wurm von Kind hat sie bei Salchen in Grünwald gelassen! Denk dich, Edith! na, ich werde ein Auge drüber haben und Salchen auf den Dienst passen und schlimmstenfalls das Wurm zu mich nehmen, und wäre es mit Gewalt. – Und dabei fällt mir ein: Sallentin hatte doch partout Retzow für Lindblad pachten wollen; aber die Regierung – schreibt mich die Gräfin – will alle drei Güter in Bauergüter parzellieren. Na, ich freue mir darüber, und Zempin, wenn er's hören könnte, würde sich noch im Grabe darüber freuen. Er hat hundertmal zu mich gesagt: diese großen Güter – dabei kommt nichts heraus, als daß wir faul und dumm werden und uns die gebratenen Tauben ins Maul fliegen lassen, bis wir eines Tages keinen Sperling in der Hand und mehr Schulden als Haare auf dem Kopfe haben und von Haus und Hof müssen. Ja, ja, der! Das war ein ganzer Kerl, als er damals von die Universität kam! wie der zu reden verstand! und hat's auch recht gut mit die kleinen Leute gemeint, als er sein bestes Land für ein Spottgeld an die Büdners gab, und wenn er hernach – ich hab' ihn oft genug gewarnt, und er hörte auch anfangs auf mir, aber später – später –«

Die Baronin wischt sich die Augen, fährt aber alsbald in erregtem Tone fort:

»Und nun denkt euch, was mich die Gräfin schreibt: der Graf ist ganz außer sich über die Regierung. Da wäre ihm doch zehnmal lieber gewesen: der Deep hätte alles beisammen behalten! Gott soll mir bewahren! ich glaube: er hätte ihm womöglich noch zum Oberamtmann gemacht! Er war ja ganz verliebt in den gräßlichen Kerl! Ich muß mir noch heute über das Gesicht wundern, das er machte, als ich bei ihm vorfuhr und ihm erzählte, wie ich den Deep gefunden. – Großer Gott, sagt der Graf, und daran bin ich am Ende schuld! Noch gestern habe ich mit ihm davon gesprochen, daß ich die Gräber öffnen lassen will, und er hat sich gleich angeboten, mich zu helfen. Aber, wie hätte ich gedacht, daß er sich schon heute morgen ans Werk machen würde – nach so eine Nacht! seine Wagen und seine Leute sind ja alle in Kosenow bei dem Brande gewesen! Wie sind Sie denn so früh dahin gekommen? Ich erzähle ihm denn, daß ich den Doktor Blank aus Gartendamm hätt' holen wollen zu Doktor Müller aus Grünwald, der schon in Basselitz wär, denn Gerhard läge auf den Tod. Und als wir an die Hünengräber gekommen, hätt's so gestöhnt und gewimmert, und ich hätt' zu Friedrich gesagt: halt mal still, Friedrich! Du sollst sehen, da ist noch was passiert. Mein Herr Graf hört kaum hin, und zu mich in den Wagen und was die Pferde laufen wollten zurück nach die Gräber. Es waren mittlerweile schon Menschen genug da, denn ich hatte hingeschickt, wem ich just begegnete; aber helfen hatten sie ihm alle nicht können, denn der Stein hat achtzig Zentner gewogen, und da lag er geradeso, wie ich ihn vor einer Stunde gefunden, bloß daß er mittlerweile mausetot war. Kindings: ich kann gewiß ein gut Teil vertragen; aber das unglückselige Menschenkind zu sehen mit dem halben Leibe aus der Grube und mit dem halben Leibe drin, und die scharfe Kante von dem Stein ihm gerade ins Rückgrat, daß ihm alle Knochen im Leibe entzweigeschlagen waren! Und ich wußte ja an dem Tage noch gar nicht, was er da gewollt, der greuliche Mörder, der Leichenschänder, und dachte, er hätt' sich wirklich nur lieb Kind bei dem Grafen machen wollen, und das glaubt ja der Graf noch bis auf den heutigen Tag, wird's auch glauben bis an seinen letzten, denn das Grab war ganz leer, davon habe ich mir selbst am Nachmittage überzeugt, als sie endlich den Stein in die Höhe hatten. Wohin er's gebracht, was er drin gefunden, das wird kein Mensch je erfahren; die alte malle Mutter Schulten ist ja hernach noch einmal mit eine halb vermoderte französische Kokarde aus den Wald gekommen und ist damit herumstolziert; aber als ich ihr fragte, woher sie die hätt', lacht sie so und sagt: sie wolle es nur dem Herrn Baron sagen, als wie Gerhard; aber, eh wir dir wieder auf die Beine hatten, Gerhard, weißt du, da war die Alte ja tot.«

Wem die Baronin eigentlich die Geschichte erzählt, ist nicht wohl erfindlich, denn jeder der Anwesenden kennt sie bis ins kleinste Detail; es ist eben eine Hauptgeschichte der Baronin, auf die sie – natürlich nur in diesem Kreise – immer wieder zurückkommt. Vielleicht denkt sie auch daran, daß der kleine Kreis morgen für lange, lange Zeit sich trennen wird, und wer kann sagen, ob er jemals wieder vereinigt sein wird. Da mögen ihr denn all die wunderbaren Ereignisse durch den stets geschäftigen Kopf gehen, und sie mag in ihrer Weise die Moral daraus ziehen, denn sie sagt nach einer langen Pause: »Ja, ja, Kindings, es ist ein altes Wort, und ein wahres: Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher.«

Glücklicherweise hat die gute Frau so schlimme Erinnerungen in dem Kreise wecken dürfen, ohne die Stimmung im mindesten zu trüben. Und eigentlich hat nur einer ein wirklich aufmerksames Ohr geliehen: der junge Jurist, der nicht müde wird, von Deep zu vernehmen, den er für ein finanzielles und ökonomisches Genie erklärt, das zu einem großen Staatsmann oder Verbrecher prädestiniert gewesen; Max und Anton, die sich ein paar Schritte entfernt, haben einen gestern unterbrochenen Disput über die Holbeinsche Madonna aufgenommen, die Anton über die Sixtinische stellt, was Max für einen Wahnsinn erklärt; Gerhard und Edith sitzen Hand in Hand, selig in dem Gefühl, daß jetzt, nach Fritzs Geständnis, das Edith dem Geliebten mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen mitgeteilt, ihr Glück ohne die kleinste Trübung ist wie der Himmel über ihnen.

Und noch ein anderer schaut dankbar auf zu dem reinen Äther, durch den eine Schar Stare zieht, die den Süden suchen. Sein Blick verfolgt die kleine Wolke, die immer blasser wird und wohl nur noch dem Falkenauge des Vogelstellers wahrnehmbar ist. Aber er tut es instinktiv, aus alter Gewohnheit, ohne Verlangen, mit den Vögeln zu wandern, ohne Wunsch, sie in seinen Käfigen festzuhalten. Er braucht seine schlimmen Träume nicht mehr mit den Vögeln in die Ferne zu schicken, er braucht sein Herz nicht mehr von den Vögeln zur Ruhe singen zu lassen. In seinem Herzen ist es ganz ruhig, er hat keine schlimmen Träume mehr. Er weiß ja jetzt alles! auch daß die Papiere verbrannt sind, nach denen er sein Leben lang gesucht!

Aber was kann darin gestanden haben, als daß die Kinder das Glück genießen möchten, das den Ahnen nicht beschieden war?

Das Wölken ist im lichten Äther zerflossen. Der Blick des guten, treuen Mannes wendet sich wieder erdenwärts und weilt voll inniger Zärtlichkeit auf dem Kinde seines Herzens und dem Enkel des Mannes, den der Knabe so sehr geliebt.


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