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II

Unter den guten Stuben Berlins, die einst die viel gerühmten besseren Tage gesehen haben und nun einschließlich Bedienung und Morgenkaffee für dreißig Mark an anständige junge Damen zu vermieten sind, war die der Witwe Klothilde Laue eine der empfehlenswerteren.

Sie enthielt eine rote Plüschgarnitur, die um die Zeit des deutsch-französischen Krieges den Höhepunkt der modernen Geschmacksrichtung verkörpert hatte. Sie enthielt einen Pfeilerspiegel, dessen Längsseiten von oben bis unten mit Neujahrskarten, Glückwunschadressen, mit Seife- und Puderreklamen phantasievoll bepflastert waren. Sie enthielt, an den Wänden hängend, die Photographien einst oft genannter Bühnengrößen, deren Ruhm inzwischen nicht weniger verblichen war als die Schriftzüge, mit denen sie ihre huldvolle Widmung dokumentarisch niedergelegt hatten.

Sie enthielt einen Waschtisch, auf dessen Marmorplatte eine gestickte Schutzdecke die sinnigen Worte trug:

»Willst du gut gewaschen sein,
So halte dein Gewissen rein.«

Sie enthielt Photographiealbums, Visitenkartenschalen, eine Windmühle aus Olivenholz, die eigentlich ein Zigarrenknipser war, eine Punschterrine aus grünem Eisglase und, hinter blauen Baumwollvorhängen schämig verborgen, ein brüchiges Fichtenholzbett.

Sie enthielt endlich über dem Sofa in einem goldumrandeten Glaskasten ein geheimnisvolles kreisrundes Gebilde, aus sechs miteinander verflochtenen, strahlenartig gruppierten Papierlappen bestehend, die von einer Florspitze umgeben waren und in undeutlichem Durchscheinen die Umrisse von untergeklebten Pflanzenteilen erkennen ließen.

In dieser guten Stube, die in der Neanderstraße vier Treppen hoch über einem Porzellanwarenlager, einer Pianoverleihanstalt und einem »mechanischen Reparaturatelier« gelegen war, von deren Fenstern aus man seitwärts die grüngrauen Wellen des Engelbeckens glitzern sah und in die sogar ein großes Stück echten Berliner Rauchhimmels hineinschien, war Lilly eines Tages gelandet.

Frau Laue, eine abgearbeitete Fünfzigerin, mit einem Gesicht wie ein vertrockneter Apfel und zwei großen, starren, ewig tränenden Augen darin, strich in ungläubiger Bewunderung um sie herum. Es schien, als ob sie nicht zu fassen vermöge, daß soviel Glanz und Schönheit sich zu ihr verirrt habe. –

Und schon am Tage der Ankunft erfuhr Lilly ihre ganze Geschichte:

Ihr Mann, der an einem der beliebtesten Trikottheater Berlins Rendant und Kassenführer gewesen war, hatte sie vor zwanzig Jahren schutz- und pensionslos in dieser bösen Welt zurückgelassen, in der kein himbeerfarbener Schein einsame Tränen verklärt und kein scherzender Singsang den Schrei des Hungers übertönt.

Da war jener geheimnisvolle Papierlappenkranz, der sich bei näherem Zusehen als ein Lampenschirm entpuppte, ihre Rettung geworden. Sie hatte ihn einstmals von einer künstlerisch begabten Freundin zum Geschenk erhalten und war in ihrer Not auf den Einfall gekommen, ihn als Modell geschäftlich zu verwerten.

Nach jahrelangem Hausieren, nach Mühen und Enttäuschungen aller Art, hatte sie sich als Spezialistin für »Lampenschirme aus getrockneten Blumen« Ruf und Absatzgebiet erobert.

In ihrem einfenstrigen Hinterzimmer, in dem es nach Heu und Kleister roch und in dem auf einem langen, weißgescheuerten Tisch die Leichen der thüringischen Waldkinder zu Hunderten aufgereiht lagen – sie selbst hatte zum Sammeln natürlich keine Zeit – waltete sie seit zwei Jahrzehnten, tippte, pinselte, klebte, trocknete, fädelte und flocht sechzehn Stunden lang täglich und verdiente – dank ihrem Ruf als Spezialistin! – damit so viel, daß sie ihre gute Stube – ihre Schatzkammer, ihr Heiligtum – für dreißig Mark an eine Fremde vermieten mußte.

Fremd allerdings blieben die beiden sich nicht.

In das Dasein dieser verdampften Hinterstubennatur, der die Bilder von ein paar glitzernden Theaterkokotten als Idealgestalten, als Verkörperung nie erreichbar gewesenen Pompes vor Augen schwebten, war Lilly aus der Welt wahrhafter Vornehmheit, wie aus Himmelshöhen herniedergestiegen. Ihre Wirtin vergötterte sie, weil sie in ihr eine Sendbotin aus jenem ganz unwahrscheinlichen Lande sah, in dem sonst nur die Romane spielen und in dem Worte wie »Lakai« und »Salon« und »Perlenkollier« – Lilly hatte von dem ihren bald erzählt – und was man sonst noch mit halbgeschlossenen Augen auf der Zunge zerschmelzen läßt, als Wirklichkeiten schlicht zu Hause sind.

Schon in den ersten Tagen war sie Lillys Vertraute und Beraterin geworden. Sie half ihr über die nachwirkende Schmach des Scheidungsprozesses hinweg, sie sprach ihr Mut zu, wenn das Gefühl des Verlorenseins sie lähmte, und sie verwies sie auf eine strahlende Zukunft.

In dem großen, allmächtigen, wundertätigen Berlin da brauche niemand unterzugehen, da gäbe es jeden Tag ein Dutzend glücklicher Zufälle, die einem wieder auf die Beine hülfen. Da wären einsame alte Damen, die jammernd nach einer Universalerbin suchten, edle, junge Aristokraten, die, angeekelt von der Unnatur ihrer Kreise, sich hilflos danach sehnten, einer armen, schönen Waise die Hand zum Lebensbunde zu reichen, gefeierte Künstler, die in den Armen reiner Liebe den Fangnetzen lüsterner Verehrerinnen zu entfliehen trachteten, große Dichter, bei denen die Stelle einer Muse soeben vakant geworden war.

Die ganze Weltstadt schien nur nach Lilly ausgeschaut zu haben, um sie jubelnd auf den Thron der Herrscherin zu heben. –

Wieder gingen Monate dahin.

Der Gram um das verspielte Leben erblich allmählich. Die Nächte wurden ruhiger, und nicht mehr ließ dieses oder jenes Bild aus verlorenen Paradiesen, das sonst zwischen Schlaf und Wachen in schreckhafter Klarheit vor Lillys Seele gestanden hatte, sie aufschreiend in die Höhe fahren.

Doch eines lernte sie nicht: Die kurze Spanne Zeit, in der sie auf den Höhen des Lebens gewandelt war, als eine bloße Episode zu betrachten, die ihr eigenes, gar bescheidenes Dasein launen- und traumhaft unterbrochen hatte. Vor ihrem Bewußtsein war und blieb sie eine Art von verwunschener Prinzessin, die unerkannt als Bettlerin einherging, bis es der göttlichen Vorsehung belieben würde, sie wieder in ihre Rechte einzusetzen.

Mit angstvoller Sorgfalt hütete sie alles, was sie an die entschwundene Herrlichkeit erinnerte.

In Frau Laues Kleiderschranke hingen die Festgewänder, die der Oberst in Dresden für sie hatte machen lassen, – ihre Leibwäsche, mit siebenzackiger Krone gestickt, füllte in blütenhafter Zartheit Frau Laues leere Kommoden, – und vor dem großen Spiegel in Frau Laues guter Stube lagen in langer Reihe, weiß schimmernd, von goldenem Rankenwerk durchzogen, die stolzen Teilstücke des elfenbeinernen Necessaires, welches einst der Triumph ihres Toilettenzimmers gewesen war. Daß auch von ihnen jedes nach wie vor die goldene, siebenzackige Krone trug, versteht sich von selbst. Lilly würde es als einen Raub an ihren heiligsten Menschenrechten betrachtet haben, wenn sie sie hätte loslösen müssen.

Und derweilen harrte sie auf die Zukunft. Wohl studierte sie noch Annoncen und schrieb Meldebriefe, aber die Annoncen wurden meistens vergessen, und die Meldebriefe selten abgeschickt.

Weil sie aber schlechterdings etwas zu tun haben mußte und auch Frau Laues Gesellschaft nicht mehr entbehren mochte, so gewöhnte sie sich daran, bei ihr in der Hinterstube zu sitzen und ihr behilflich zu sein. Bald tippte, klebte, pinselte, fädelte und flocht sie gerade so wie ihre Meisterin, und da Geschmack und Begabung für alles künstlerische Tun ihr in die Wiege gelegt waren, so übertraf sie sie sogar. Die Blumenmuster, die sie zusammengesetzt hatte, wurden in den Geschäften sofort herauserkannt und den anderen vorgezogen, so erzählte Frau Laue ihr neidlos, wenn sie vom Abliefern zurückkam.

Da erwachte ihr Ehrgeiz. Sie strebte Kunstwerke zu schaffen und konnte sich nicht genug tun.

»Wenn Sie nicht so viel an jedem Sträußchen herummurksen würden,« tadelte Frau Laue, die nach jedem Geschäftsgang redlich mit ihr teilte, »so könnten Sie jetzt mehr verdienen als ich.«

Aber Lilly war mit den vierzig oder fünfzig Mark zufrieden, die ihre Arbeit ihr allmonatlich eintrug. Ihre neu arbeitende Phantasie flog höheren Zielen entgegen.

Besonders die getrockneten Gräser – »Grasblumen«, wie Frau Laue sie nannte – hatten es ihr angetan. Ihre schlank aufschießenden Halme, die sanfte Anmut ihrer Verzweigungen, die müde Trauer ihrer hängenden Rispen machten sie kleinen Waldbäumen gleich, Hängeweiden am Bachrande, Trauereschen, die sich über marmorne Urnen neigen, Palmen, die sehnsüchtig auf heißen Felsen stehen.

Sie träumte von einer neuen Kunstgattung, in der transparente Glasgemälde durch Vordergründe von daraufgeklebten Gräsern silhouettenartig ergänzt werden. Von Lichtschirmen und Fenstervorsätzern träumte sie, auf denen Wälder von Rispengras und Farnwedeln kleine Häuschen mit reliefartigen Pappwänden lieblich umschatten, Häuschen, deren ausgestochene Fenster von innen her erleuchtet scheinen und über denen Lichtwolken daherziehen … Von glutvoll gemalten Sonnenuntergängen, von verschwommenen Hügelzügen und dunkelblauen Flußbändern, auf denen der Mond schwankende Lichtbrücken baut.

Ganz unabsehbar schien die Reihe der Bilder, die plötzlich vor ihr erstanden waren, und immer neue quollen hervor. Man wußte gar nicht, was mit all dem Reichtum beginnen.

Frau Laue, die seit zwanzig Jahren unentwegt ihre Ölpapiere geklebt hatte und vor jedem Darüberhinauswollen einen ehrlichen Abscheu empfand, warnte nach Kräften.

Aber mit Lilly war rein der Teufel los.

Und eines Tages machte sie einen Gewaltstreich: Sie trug ihre Pfeilbrosche, an deren Spitze sechs kleine Smaragden saßen, zum Juwelier und kaufte sich für die achtzig Mark, die sie erhielt – die Brosche war natürlich das Fünffache wert gewesen – geschliffene Glasplatten, die paarweise durch messingne Schrauben aufeinander zu befestigen waren und sich mittels feingliedriger Kettchen vor den Fensterscheiben aufhängen ließen … Einen Farbenkasten kaufte sie auch, und während Frau Laue die Hände über dem Kopfe zusammenschlug, malte sie tapfer darauf los.

Aber ihre Kunst, die aus nichts weiter als etlichen Erinnerungen an die Tuschübungen der Töchterschule bestand, versagte vollkommen. Die Farben liefen ineinander, und die Wälder des Vordergrundes, die erst durch die Landschaft, in der sie stehen sollten, Sinn und Wert erhalten hätten, blieben Farnstauden und Grashalme, die zwecklos im Leeren wurzelten.

Lilly quälte sich lange. Aber schließlich warf sie unter heißen Tränen den ganzen Kram in den Winkel und kehrte reuig zu ihren Lampenschirmen zurück. Sie klebte nun wieder ölpapierne Flügel und flocht deren sechs durch weißseidene Bänder zusammen.

Frau Laue, die in den letzten Wochen dieses Irregehens mürrisch geschwiegen hatte, fing von neuem zu locken und zu planen an. Alles, was sich während zwanzig langer Jahre an schweifenden Phantasien in ihrem armen Hirnschädel festgefangen hatte, das legte sie, nun für sie selber nichts mehr zu erhoffen war, freigebig in Lillys ausgestreckte Hände.

Die hörte ihr wohl immer noch begierig zu. Aber je weiter ihr Leben – das, was sie Leben nannte – voranschritt und das Gefühl, langsam, unmerkbar fast, doch tiefer von Tag zu Tag, in dieser dunklen Erbärmlichkeit zu versinken, ihre Seele bedrückte, desto quälender wurde das Grauen vor dem zusammengeschnurrten Menschenwesen, in dessen großen, nassen, rotgeränderten Augen ein hoffnungsloses Lebenwollen noch immer leuchtete, dieweil es sich über seinen Lampenschirmen schon bis zum Halse ins Grab hineingearbeitet hatte.

Und dieses Grauen packte sie oft so stark, daß sie hinauslaufen mußte, gleichviel, wohin – nur der Welt, dem Leben in die Arme.

Aber es dauerte keine Stunde, dann war sie wieder da. Die Straße machte ihr Angst … Die geschminkten Dirnen, die ihre Schultern streiften, die abenteuersuchenden Bürschchen, die hinter ihr hertrotteten, die unbekümmerte Dreistigkeit, mit der ein jeder seine Ellenbogen brauchte, das alles stimmte sie sorgenvoll und feige.

Ein dunkles Gefühl sagte ihr, daß sie dieser Art von kampffroher Selbständigkeit nie mehr gewachsen sein würde. Wie ein hilfloser Krüppel erschien sie sich, wenn sie des armen Ladenmädchens gedachte, das zwischen Frau Asmussens Schmökern in vergnüglicher Sicherheit seines Amtes gewaltet und sich im Rechte gefühlt hatte, selbst da, wo es log und trog und Prügel bekam und offenbar im Unrecht war …

Und dann das Warten – das Warten – das nie einschlafende, immer hungrige Warten!

Worauf? sie wußte es selber nicht.

Aber irgend etwas mußte doch kommen. Zwischen diesen Ölpapierlappen konnte das Leben doch nicht zu Ende gehen.

Bisweilen tauchte wohl auch der reiche Zinkgußwarenfabrikant, an den Walter sie einst gewiesen hatte, als dunkle Sehnsucht in ihrer Seele auf. Aber dann erschrak sie vor der Inbrunst, mit der sie sich an diesen Schatten klammern wollte, und scheuchte ihn rasch wieder fort.

Ein Jahr war verstrichen, seitdem jener Brief geschrieben worden. Um sich auf ihn zu stützen, dafür war es nun wohl längst zu spät.

Also wartete sie weiter.

Manchmal, wenn beim Auskleiden ihr Blick in den Spiegel fiel und ein durch Schönheit geweihtes Menschenbild in schlanker Fülle, mit langwimprigen Sehnsuchtsaugen und einem reifgeküßten Munde vor ihr stand, dann faßte sie ein frohes Staunen bei dem Gedanken: Bin ich das? … Dann überfiel sie ein Taumel von Jugendbewußtsein und Liebesbereitschaft, dann war die Welt nur dazu da, um sie ans Herz zu drücken. Dann wurde selbst dieses muffige Arbeitsdasein ein Segen, weil es die Kräfte spannte zu Rausch und Flug.

Und in der Abenddämmerung, wenn sie sich zu knapper Muße über ihr Sofa streckte und die blauen Blitze der elektrischen Bahnen über den Stuck der Decke schwirren sah, dann kamen leise die Träume geschlichen und lösten das brennende Warten in weiche, schon halberfüllte Wünsche, dann stahl sich ein Gefühl des Gerettetseins wie ein Dankgebet in ihre Seele, und was sie sonst wohl als verlorenes Glück beweinte, wurde zum Albdruck, den ein gütiges Schicksal von ihr genommen hatte.

Aber diese Stunden waren selten. – Sie glichen auch mehr dem lindernden Wahne des Verdürstenden als dem Trunke selbst.


Der Winter zerstob in Regennebeln.

Märzmilde Abende ließen Rosenwolken über den Dachfirsten erblühen … Und dann war auch der Frühling selber da. Die frisch beschnittenen Bäumchen auf den Plätzen trieben braungrüne Knospen, aus denen allgemach bläßliche Blattreihen sich herauswickelten.

Von dem, was draußen vor den Toren an blütenfroher Fülle, an Kirschbaumschnee und Rotdornglühen sich entfaltete, sah Lilly ebensowenig wie damals, als sie den gelben Staub von Frau Asmussens Bücherschränken hinweg geblasen hatte.

Frau Laue liebte es nicht, ins Freie zu gehen. Sie fürchtete sich vor dem Ertapptwerden, das sie schon öfters erlebt hatte. Denn eine Wiese zu sehen, ohne darauf Pflanzen zu sammeln, oder ein Gartengitter, ohne die Hand hindurchzuzwängen, war ihr ein unfaßbarer Gedanke.

Sich aber allein unter die losgelassene Menge zu mischen, würde Lilly niemals gewagt haben.

Und so kamen die drückend heißen, graudunstigen Sonntagnachmittage heran, an denen unermeßliche Völkerscharen zur Stadt hinauspilgern, an denen die endlosen Straßenzüge erstorben daliegen, an denen der Wolkenhimmel die Vereinsamten fast erdrückt, die schweratmend zwischen den Häusermauern zurückgeblieben sind.

Dann steckte Frau Laue sich ein Paar »Boutons« von echten Rheinkieseln in die Ohren, zog ein braunes Samtkleid an, dessen viereckige Halsöffnung ein Kragen von schwarzen Jetperlen prangend umgab, und stattete Lilly in ihrer guten Stube einen Respektsbesuch ab. Dann wurden die Dresdener Gesellschaftskleider aus dem Schranke gezogen und sorgfältig mit den Prunkgewändern verglichen, die die Damen der Proszeniumslogen vor jenen fünfundzwanzig Jahren auf dem gefälligen Leibe getragen hatten, dann wurden die vergilbten Bilder lang verschollener Bühnengrößen von der Wand geholt und auf ihre Reize hin geprüft, dann gab es aufregende Erzählungen von selbsterlebten Abenteuern, in denen die eheliche Treue inmitten fröhlichen Lasters und sieghafter Raubzüge ihren bescheidenen Wert behauptet hatte.

Und der Sommersonntagabend sank herab, – bleich und schweißig wie ein Fieberkranker. Heiße Winde strichen durch die Fenster. Der Lack auf den Palisandermöbeln dunstete, die Häusermauern leuchteten in wächsernem Glanze, und Frau Laue erzählte, ihr Käsebrot muffelnd, noch immer die Geschichte von ihrer altbackenen Tugend.

Wenn sie sich endlich verabschiedet hatte, dann sank Lilly stöhnend auf ihr Bett, vergrub das Gesicht in den schwülen Kissen und horchte, wie draußen das Jauchzen der Heimkehrenden allgemach verklang.

Am nächsten Morgen begann das Blumenkleben von neuem.

So war der Juli herangekommen.

Da hielt sie sich nicht länger.

In einer Montagnacht, als die Frühmorgenhelle sie immer noch wach und wartend fand, als ihre Kissen naß geweint waren und plötzlich ein Schauer von Lebenwollen so heiß nach ihrem Herzen griff, daß sie aufschreiend, aufjauchzend aus dem Bette sprang, da wurde der Entschluß reif in ihr: »Heute tu' ich's. Heute geh' ich den schweren Gang, den Bettelgang zum fremden Manne.«

Doch nein – um Gotteswillen! Betteln – das wollte sie nicht. O, sie hatte sich alles seit langem sorgfältig zurechtgelegt.

Nur um einen kleinen Rat wollte sie bitten, wie ihn ein vielerfahrener Kenner des Kunsthandwerks der Landfremden, Lernbegierigen wohl erteilen konnte, ohne sich ein größeres Opfer als fünf Minuten Arbeitspause zuzumuten.

Wie und wo man am besten Unterricht nehmen könne, transparente Landschaftsskizzen auf Glasplatten zu malen, das war es, was sie ihn fragen wollte.

Und wie seine Antwort auch ausfallen mochte, der Grund zu neuem Leben war gelegt.


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