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III

War es ein Schicksalsweg?

Die Straße sah aus wie immer. Lastwagen rasselten. Vor den Fleischerläden drängten sich einholende Frauen. Die geschäftigen jungen Leute, die mit Mappen und Büchern und Wachstuchrollen an ihr vorüberjagten, fanden noch Zeit, sich nach ihr umzuschauen. Das fühlte sie halb mit Genugtuung, halb mit Verdruß wie immer.

War es ein Schicksalsweg?

Das Herzklopfen, mit dem sie dahinschritt, sagte »Ja«.

Ihr war zu Mute, als ob sie zu Markte ginge, um sich zu verkaufen.

Sich – alles was von ihr noch übrig war: ihr bißchen Stolz, ihr bißchen Freiheit, den Glauben an ihr Auserwähltsein, den Glauben an das Wunder, das um ihretwillen einst geschehen würde.

Eine Stunde fast währte der Gang.

Sie verirrte sich. Sie fragte die Schutzleute. Sie blieb vor Schaufenstern stehen, um sich darin zu spiegeln, denn sie fürchtete zu mißfallen. Und jedesmal, wenn sie die schlanken, weichen Linien ihrer hohen Gestalt in wohltuender Selbstverständlichkeit sich gegenüber sah, atmete sie beruhigt auf.

Als sie den Namen der Straße las, in der er wohnte, erschrak sie, denn sie hatte im stillen immer noch gehofft, daß sie sie nicht finden und schließlich würde umkehren müssen.

Sein Haus bot nichts Bemerkenswertes. Ein grauer, vierstöckiger Kasten, mit einer weiträumigen, viereckig-schmucklosen Einfahrt, die ihrer ganzen Breite nach mit Gerüststangen vollgestellt war.

Liebert & Dehnicke,
Kunstgießerei und Metallwarenfabrik

stand auf einem mächtigen Eisenschilde, das die Länge des halben Hauses einnahm, mit Goldbuchstaben zu lesen.

Vom jenseitigen Bürgersteige aus musterte sie alles aufs Genaueste, immer noch von der Frage bedrückt, ob sie nicht doch lieber umkehren solle.

Die Fenster des ersten Stockes waren mit zarten, gelblichen Gardinen dicht verhängt, die in durchbrochener Stickerei Muster von niedersteigenden Blumenranken trugen. Schneeweiße Porzellantöpfe standen davor, aus denen rotblühende Geranien und Goldnelken sich emporwölbten. Überhaupt sah dort alles gepflegter und gedeihlicher aus als in der ganzen Umgebung.

»Dort wird er wohl wohnen,« dachte sie und empfand noch ein kleines Bangen mehr vor soviel friedlich-strenger Schönheit.

Dann faßte sie sich ein Herz und schritt quer über den Fahrdamm geradeswegs auf die eisenvergitterte Tür los, die dicht neben der Einfahrt gelegen war und zu jenem ehrfurchtgebietenden ersten Stock emporführen mußte.

Aber diese Tür war verschlossen. Und als sie vor dem Klingeln durch die Ranken des Eisengitters spähte, sah sie die dunkle Treppe mit einer aufwärts führenden Allee von Zypressen und Lorbeerbäumen feierlich bestanden, sah oben im Hintergrunde ein in roten und blauen Lichtern erglühendes Fenster und davor, von farbigen Reflexen überhaucht, eine weiße Frauenbüste, die Büste der Klytia, die sie von den Auslagen der Kunsthandlungen wohl kannte und um ihrer sanften Trauer willen immer geliebt hatte.

Als sie das alles gewahrte, sank ihr das Herz von neuem. Ganz und gar unwürdig erschien sie sich, in diesen feierlichen Frieden einzutreten, und darum sprang sie die dreistufige Schwelle lieber hinab und ging in die profanere Einfahrt, an deren bloßgelegten Ziegelwänden mehrere weißkittlige Männer eifrig arbeiteten, um sie mit bunt geädertem Marmorstuck zu bekleiden.

Auch auf dem Hofe war man am Werke. Die runden Steine, die ihn ehedem bedeckt hatten, lagen in plumpen Haufen aufgeschichtet. Statt ihrer wurde auf dem Boden ein zierliches Mosaikpflaster festgestampft, dessen lichtes Grau durch weiße Ranken und Kreise unterbrochen war, ähnlich wie die Fußböden in alten Kirchen.

Den Hintergrund bildete eine Fabrik mit roten, kahlen Ziegelwänden. Selbst sie schien in den allgemeinen Verschönerungsplan hineingezogen, denn der Mauer wurde bis etwa zur Höhe des ersten Stockes ein Gewand von gelben und blauen Fliesen angezogen, das bunt und festlich aussah und, fertig geworden, dem alten, verräucherten Hofraum den Charakter eines geschmückten Saales verleihen mußte.

»Hier geht es hoch her,« dachte Lilly und fühlte sich immer furchtsamer werden.

Zu ihrer linken Hand befand sich ein Quergebäude, auf das von dem verfeinernden Firnis der anderen Teile noch kein Tröpfchen hinübergespritzt war. In dunkelschmutzigem Kalke standen seine nüchternen Wände da, und zur Seite einer sehr schlichten Eisentreppe war eine Blechtafel angenagelt, auf der das Wort »Kontor« geschrieben stand.

Dorthin wandte sich Lilly, betrat einen wenig hellen, verstaubten Raum, der durch ein Holzgitter entzwei geschnitten wurde und in dessen hinterem Verschlage an Schreibtischen mit zerschlissenem und verflecktem Tuche ein halbes Dutzend junger Leute saß, die bei ihrem Eintritt mit verwunderten Glotzaugen nach ihr herüberstarrten, ohne daß einer von ihnen auf den Einfall gekommen wäre, nach ihrem Begehren zu fragen.

Offenbar war eine Erscheinung wie die ihre an diesem Orte noch nie geschaut worden.

Erst als sie ihre Karte aus dem goldblinkenden Brokattäschchen hervorgeholt und wortlos auf den Tisch gelegt hatte, kam Leben in die versteinerte Gesellschaft. Alle sechs sprangen auf und suchten sich der Karte zu bemächtigen. Viel fehlte nicht, so hätte es eine Rauferei gegeben.

Einer, ein Fahlblonder, Langaufgeschossener, der eine gewisse Autorität zu besitzen schien, jagte die anderen mit ein paar heimlichen Püffen auf ihre Plätze zurück und sagte unter Bücklingen, er werde sofort sehen, ob der Chef – – Dann verschwand er mit der Karte in einem hinteren Zimmer.

Eine Weile verrann. Durch die halbgeöffnete Tür vernahm Lilly halblaute Worte:

»Czepanek? – kenn' ich nicht. – Fragen Sie, was sie will. – Wie sieht sie aus?«

Die Antwort, die mehrere Sekunden in Anspruch nahm, mußte befriedigend ausgefallen sein, denn statt aller Weiterungen öffnete der wiederkehrende Kommis das Holzgitter und führte sie zur hinteren Tür.

Nun stand er vor ihr.

Stämmig, mittelgroß – kleiner als sie – mit Neigung zur Korpulenz. Ein rundes, wohlgepflegtes Gesicht mit graublauen, guten, wenig sprechenden Augen. – Die Stirn gewölbt, das dunkelblonde Haar glatt aus den Schläfen frisiert … Schnurrbart kurz im Bogen emporgedreht, wohl um den Leutnant zu markieren … Merkwürdig kleine Ohren und kleine Hände hatte er … Alles an ihm atmete Sauberkeit und Sorgfalt, wenn es vielleicht auch etwas weniger geleckt hätte sein können.

Bei Lillys Eintreten war er betroffen zurückgefahren, seine Augen rundeten sich in artigem Staunen.

Das Bewußtsein, ihren Eindruck nicht verfehlt zu haben, gab ihr Mut und Sicherheit zurück. Nicht umsonst wollte sie die Schule der Schwertfeger durchgemacht haben.

»Die Empfehlung eines gemeinsamen Freundes, der Sie auf meinen Besuch vorbereitet hat, führt mich zu Ihnen,« begann sie, innerlich froh, wieder einmal die große Dame spielen zu können.

Drüben hing ein Spiegel, und mit Befriedigung sah sie den diskreten Veilchenkranz des lila umschleierten Capotehütchens, sah das violette Tailor-made mit der weitausladenden langschößigen Jacke wie aus dem Bilde eines Malers vornehmer Welt sich leutselig entgegenschauen.

Er bot ihr schweigend einen Sessel, und statt der Bestürzung der ersten Sekunde war ein zuwartendes Mißtrauen in seinen Augen zu lesen. Offenbar wagte er nicht, sie in der Gesellschaftsklasse unterzubringen, in die ihre Erscheinung sie wies.

Sein Kopf saß etwas schief auf dem Halse, nach links hinübergeneigt, wie bei einem, der vor kurzem den Hexenschuß gehabt hat, und diese Haltung steigerte noch ihren Eindruck, beargwöhnt zu sein.

Sie schaute auf ihr Brokattäschchen hinunter und tat, als müsse sie ein Lächeln mühsam unterdrücken.

Nun wurde er noch verwirrter. »Darf ich fragen,« stammelte er, »wer dieser …? Ich entsinne mich nicht …« Und dabei drehte er ratlos die Karte, die sein junger Mann ihm hineingetragen hatte.

In ihr sträubte sich ein Gefühl, den Namen des einstigen Geliebten in den Mund zu nehmen, und damit dem Manne, der hinter den bürgerlichen Porzellantöpfen zu Hause war, ihre Schande preiszugeben.

»Sollten Sie sich nicht erinnern,« fragte sie zögernd, »von einem ehemaligen Regimentskameraden einen Brief erhalten zu haben, in dem Ihr Interesse erbeten wurde für eine Dame, die – –?«

Er schoß in die Höhe und wurde rot bis in die Schläfen hinein. Seine Augäpfel saßen nun so blank und rund zwischen den weit aufgerissenen Lidern, daß es schien, als wollten sie ihm aus dem Kopfe springen.

»Verzeihung,« stotterte er, »wäre das vielleicht der Brief, den vor bald anderthalb Jahren Leutnant von Prell – –?«

»Derselbe,« bestätigte sie.

»Aber gnädigste Baronin,« rief er, gänzlich außer Fassung geratend, »wenn ich hätte ahnen können, daß gnädigste Baronin« – … Und auf seinem Gesicht malte sich soviel schlichtbürgerliche Ehrerbietung, daß das Aristokratenbewußtsein in Lilly nicht unwesentlich wieder emporwuchs.

Aber dabei konnte es leider nicht bleiben.

»Ich nenne mich Lilly – Czepanek,« flüsterte sie, nun ihrerseits rot werdend, und freute sich über die Wendung: »Ich nenne mich«, denn sie ließ allenfalls die Annahme offen, daß man freiwillig zu seinem Mädchennamen zurückgekehrt wäre.

Der Schreck über die Unzartheit, deren er sich schuldig glaubte, war deutlich auf seinem Gesichte zu lesen. »Verzeihung,« bat er, »ich hätte bedenken müssen, daß gnädigste Frau inzwischen viel Schweres durchgemacht haben.« Und dann, wie aus der Pistole geschossen: »Warum aber sind gnädigste Frau nicht schon früher gekommen? Ich habe gewartet und gewartet – einen Monat – drei, vier Monate – dann bin ich auf die Suche gegangen, vergeblich – immer vergeblich … Vielleicht hätte ich mich auch an ein Detektivbureau gewandt, aber da ich fürchtete, die gebührende Zurückhaltung zu verletzen –«

Lilly nickte mit einem Lächeln der Erkenntlichkeit.

»An einen anderen Namen hab' ich leider nicht im Traume gedacht. Und dann hab' ich die Hoffnung aufgegeben, daß ich noch jemals das unendliche Glück –«

Im Überschwange seiner Freude schien er willens, ihre Hand zu ergreifen, zeigte sich aber wohlerzogen genug, davon abzusehen, als er sah, daß sie ihm nicht entgegenkam.

Lilly war nun ganz auf der Höhe der Situation. Sie fühlte sich so durchtränkt von leidender Romantik, so umgeben von dem zarten Dufte hoheitsvoller Unnahbarkeit, als ob sie eben aus einem Buche der Frau Asmussen ans Tageslicht emporgestiegen wäre.

»Ich bin Ihnen dankbar für die Vorwürfe, die Sie mir machen, Herr – Leutnant,« erwiderte sie, – der Name »Dehnicke« wollte ihr als allzu plebejisch nicht über die Lippen – »denn ich ersehe daraus mit Freuden, daß ich nicht vergebens an Ihre Tür gepocht habe.«

»Wenn ich Ihnen versichere,« erwiderte er, den Kopf zum Zeichen der Beteuerung noch mehr auf die Seite legend, »daß ich mich Ihnen zur Verfügung stelle mit allen meinen Kräften, mit allem, was ich bin und was ich« – Er stockte. Das Wörtchen »habe«, das folgen mußte, scheute er sich wohl, als der gewissenhafte Kaufmann, der er war, so ohne weiteres in den Mund zu nehmen.

»Ich werde Sie natürlich nicht viel beanspruchen,« erwiderte sie leichthin, um seiner Inbrunst einen kleinen Dämpfer aufzusetzen. »Es ist mir nur darum zu tun, bei der Gründung einer künftigen Existenz nicht ganz ohne Berater zu bleiben, und da – – Herr von Prell« – nun war das Wort heraus – »mir gesagt hat, ich dürfe volles Vertrauen zu Ihnen haben –«

»Sie dürfen auf mich bauen, gnädigste Frau, wie auf ihn selber,« versicherte er.

»Das wäre nicht gerade viel,« fuhr es ihr durch den Kopf, aber sie hütete sich, diesen Gedanken auch nur durch ein Lächeln zu verraten.

»Was haben Sie übrigens für Nachricht von ihm?« fragte er dann.

Sie errötete in dem Gefühl, sich durch das Geständnis seines Schweigens unrettbar bloßzustellen, und um nicht als eine Vernachlässigte und Beiseitegeworfene dazustehen, erwiderte sie:

»Wir haben uns beim Scheiden das Versprechen gegeben, bis auf weiteres nichts voneinander hören zu lassen, denn wir meinten, in den bevorstehenden Kämpfen würde uns das ewige Warten auf Nachricht und das ewige Fürchten für einander nicht die nötige Kraft lassen, den Anforderungen des Lebens gewachsen zu sein. – Aber Sie haben doch gewiß neuerdings einen Brief von ihm?«

Er stutzte und besann sich einen Augenblick.

»Ja, – das heißt, nein; neuerdings nicht … Er schrieb mir vor einiger Zeit, es ginge – ihm gut … Er sei im Begriffe, sich einen Wirkungskreis zu bilden … Und erkundigte sich dringend nach dem Verbleib der gnädigen Frau … Worauf ich ihm zu meinem Leidwesen natürlich keine Antwort geben konnte.«

Das klang nicht allzu glaubhaft. Eben noch hatte er gefragt, was sie für Nachrichten von ihm habe. Und als sie nun gar noch Walters Adresse wissen wollte, mußte er stotternd bekennen, eine Adresse wäre leider nicht angegeben gewesen, und deshalb hätte er schon ohnehin nicht – – –

Nun lag es auf der Hand, daß er gelogen hatte.

Wahrscheinlich hoffte er in ihren Augen größere Bedeutung zu erlangen, wenn er seine Beziehungen zu ihrem Geliebten als weiter bestehend darstellte. Aber da sie selbst es vorhin aus ähnlichen Beweggründen mit der Wahrheit nicht sehr genau genommen hatte, war kein Anlaß vorhanden, ihm darum gram zu sein.

Dann ging sie auf die eigentliche Ursache ihres Kommens über, schilderte die zartgefügte Kunst, die sie in den jüngsten Monaten erlernt hatte, die Vervollkommnungsgedanken, die sich für sie daran knüpften, und die Verlegenheit, mit der sie jeder praktischen Betätigung gegenüberstand. – Ob sie ihn darum bitten dürfe, ihr einen Maler zu nennen, dem sie sich zur Weiterbildung anvertrauen könne. Denn das gerade sei es, was sie zu ihm führe.

Er hatte ihr mit sachlichem Eifer zugehört, tat auch so, als ob er ihre Zukunftspläne wunder wie wichtig nähme, aber hinter der stummen Andacht seiner Züge lag etwas, das ihr nicht gefiel. Mitleid war es nicht, beileibe nicht, eher ein Warten und Suchen und dann eine steigende Genugtuung, als ob er sich selber durch die immer mehr enthüllte Hilflosigkeit ihrer Lage wachsen fühle.

»Es wird mir ein Leichtes sein, gnädigste Frau,« erwiderte er, und seine Haltung war nun unbefangener als zuvor, »die nötigen Lehrkräfte für Sie ausfindig zu machen. Unter den Künstlern, die für mein Geschäft die Modelle liefern, gibt es mehrere, die eigentlich Maler sind. Da ist –« er blätterte in einem Buche – »der Kellermann, der wäre schon gleich der richtige, da ist ferner – … Doch lassen wir das vorläufig. Wichtiger scheinen mir einige andere Dinge, die für die Ausübung des von Ihnen gewählten Berufes in Betracht kommen. Und darum bitte ich, mich nicht für indiskret zu halten, wenn ich diese oder jene Frage an Sie richte.«

Sie nickte zustimmend.

»Welches ist Ihre künstlerische Vorbildung?«

»Nun ja, das ist es ja eben,« erwiderte sie, ihre Verlegenheit niederkämpfend. »Weil ich keine habe, darum möchte ich eben –«

Er verzog keine Miene. »Welches sind Ihre Subsistenzmittel?« fragte er weiter.

Sie schwieg. Ihr war zu Mute, als beginne man ihr die Kleider stückweise vom Leibe zu ziehen.

»Es versteht sich von selbst,« setzte er hinzu, »daß ich nicht die Absicht habe, mich in Verhältnisse zu drängen, die mich nichts angehen. Da mich gnädigste Frau aber eines Rates würdigen –«

»Ich habe noch einigen Schmuck,« sagte sie und sah ihn strenge und hochmütig an. »Wenn der zu Ende ist, habe ich nichts mehr.«

Er nickte ganz wenig vor sich hin, als wolle er damit sagen: Das habe ich mir gedacht.

»Und eine letzte Frage: in welcher Umgebung leben Sie augenblicklich?«

»In der Umgebung, die sich für meine Lage geziemt. Vier Treppen hoch bei einer armen Frau, derselben, von der ich das Blumenkleben gelernt habe.«

Und wie sie das sagte, fiel ihr Blick in den Spiegel und zeigte ihr das Abbild der vornehm schönen Weltdame, die sich herbeiließ, Herrn Dehnicke, den »Kameraden von der Reserve« in seinem dunklen Kontorloche mit ihrem Besuche zu begnaden.

Er stand auf und schritt einige Augenblicke zwischen Schreibtisch und Türe hin und her. Alles knackte und knirschte an ihm vor Engigkeit und vor Patenz. Wie aus einer Spielzeugschachtel genommen sah er aus in seiner polierten Rundlichkeit, und ein Glätzchen hatte er auch schon. Aber sein Gesicht blieb ernst, sorgenvoll beinahe. Es war, als ob ihr schwieriges Schicksal ihn zu Boden drücke.

»Gnädigste Frau,« begann er dann, vor ihr stehen bleibend, und seine Stimme zitterte ein wenig, »was ich Ihnen jetzt sage, entspricht nur der langjährigen und innigen Freundschaft, die mich mit Herrn von Prell verbindet –«

Lilly fielen die höhnisch-herablassenden Worte ein, mit denen Walter sie auf ihn hingewiesen hatte.

»– ich habe so viel schöne und glückliche Stunden mit ihm verlebt, ich verdanke ihm so viel Anregung und –« er hielt inne, es war zu viel, was er ihm verdankte, er konnte sich nicht gleich auf alles besinnen – »ich werde mein Leben lang dafür in seiner Schuld bleiben.«

»Der sich mir dadurch verschuldet fühlt, daß er mir etlichen Mammon pumpte,« hatte Walter geschrieben. Es gab also wirklich so rührende Menschen.

»Am dankbarsten aber bin ich ihm für das Vertrauen, das er mir schenkt, indem er mir seine Verlobte gleichsam als Vermächtnis übergeben hat.«

»Verlobte!« Das Wort war gefallen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Sie erschrak, aber sie wies es nicht zurück. Bis heute hatte sie nicht im Traume daran gedacht, sich für gebunden zu halten, weder sich, noch den armen, kleinen Kerl gar, der nicht einmal für sich selbst zu sorgen wußte, geschweige denn für Weib und Kind. Aber dennoch – vor diesem Manne bürgerlicher Sitte lag darin die einzige Rechtfertigung ihrer verpfuschten, regellosen Existenz. – Und nicht bloß vor ihm – vor aller Welt – und wenn sie wollte, auch vor sich selber. Wenn sie mit ihren Wünschen und Empfindungen an dem Verschollenen festhielt, war ihrem ganzen Menschen ein neuer Halt gegeben, – selbst vor Gott konnte sie dann Sühne und Rechtfertigung verlangen.

Das alles zuckte ihr blitzschnell durch den Kopf, während Herr Dehnicke fortfuhr, seine Freundschaft für Walter zu beteuern, und sie mit seinen runden Augen in wunschloser Anbetung dabei ansah. Dann kam er zur Nutzanwendung.

»An seiner Statt und um seinetwillen rate ich Ihnen dringend, gnädigste Frau, daß Sie vor allem eine Umgebung verlassen, die nicht zu Ihnen paßt, und sich ein Milieu schaffen, wie es Ihrer Vergangenheit würdig ist und wie Sie es notwendigst brauchen, wenn Sie Ihre Pläne jemals realisieren wollen.«

»Was hat meine Umgebung mit meiner Kunst zu tun?« fragte sie achselzuckend.

»Nun, vor allem müssen Sie doch ein Atelier haben, wo Sie Ihre Kunden empfangen können, – wo Sie ihnen zeigen können, wer Sie sind und was Sie für Ansprüche machen und was es mit Ihren Kunstabsichten eigentlich für eine Bewandtnis hat. Nur auf diese Weise wird den Herren Bestellern von vornherein die Lust benommen, Sie wie eine gewöhnliche Heimarbeiterin zu behandeln und zu bezahlen.«

»Die Besteller kommen ja nicht zu mir,« warf sie ein.

»Sie sollen aber zu Ihnen kommen,« rief er, sich immer mehr in einen gemäßigten Eifer hineinredend. »Ein Künstler, der sich respektiert, macht keinen Schritt aus seinem Hause, um seine Waren anzupreisen. Und so müssen Sie es auch halten, gnädigste Frau.«

Sie zählte im Geiste den Rest ihrer Broschen und Ringe und Armbänder und erwiderte lächelnd: »Das ist leicht gesagt.«

Er nahm einen Anlauf. »Die alte und innige Freundschaft, die mich mit Walter verbindet,« – jetzt nannte er ihn sogar schon beim Vornamen – »gibt mir das Recht zu einer – wie soll ich sagen? – einer Fürsorge, einer –«

Sie sah voraus, was kommen würde, und lehnte jede weitere Erörterung ab.

»Ich fühle mich zufrieden, wo ich bin,« erklärte sie, »und ehe ich mir nicht durch eigene Kraft die passende Umgebung geschaffen habe, die Sie freundlichst für mich wünschen, halte ich mich zu keiner Änderung für befugt.«

Er verneigte sich, in seinem Freundschaftseifer merklich abgekühlt, und bat, ihm dann wenigstens ihre gegenwärtige Adresse mitteilen zu wollen, damit er wisse, wohin er ihr die verlangten Auskünfte übersenden könne.

Zögernd nannte sie Nummer und Straße und fügte die Bitte hinzu, sich unter keinen Umständen hinbemühen zu wollen.

Er verneigte sich abermals, und seine Kühle ging in Steifheit über.

Sie aber freute sich, wie gut sie verstanden hatte, ihn sich vom Halse zu halten. Eine Bettlerin würde sie keiner auf Erden zu schelten wagen.

Umso liebenswürdiger verabschiedete sie sich, denn um ihn für immer von sich fortzuschrecken, war sie ja nicht gekommen.

Er fing den herzlicheren Ton sofort mit Inbrunst auf.

Wenn er sonst etwas für sie tun könne – ob sie sich einsam fühle – ob sie Gesellschaft brauche.

Sie sah nach seiner Rechten, die keinen Trauring trug und lächelte ablehnend.

Er hatte Blick und Lächeln wohl verstanden, denn er sagte, indem er eine neue Verwirrung räuspernd niederkämpfte: »Ich lebe zwar mit meiner Mutter zusammen, aber bei ihr kann ich Sie leider nicht einführen, da sie viel kränklich ist und sich nach dem Tode meines Vaters ganz von der Welt zurückgezogen hat. Aber im übrigen würde ich bei jedem Verkehr, den ich Ihnen vielleicht empfehlen dürfte, die denkbar strengste Auswahl beobachten.«

»Das habe ich als selbstverständlich betrachtet,« erwiderte sie in freundlicher Herablassung, »aber trotzdem – ich danke wirklich … in der eigentümlichen Lage, in der ich mich zur Zeit befinde, bleibt man besser ohne Gesellschaft.«

Damit verneigte sie sich königlich, reichte ihm die Hand und schritt hinaus.

Er folgte ihr voll Ehrfurcht, und die sechs jungen Herren standen zu beiden Seiten aufgereiht und machten krumme Buckel wie er.

Mit heißem Gesichte ging sie durch den halbfertigen Prunk des Hofes, durch die falsche Marmorhalle auf die Straße hinaus und dachte halb triumphierend, halb enttäuscht: »Nein, das war kein Schicksalsweg.«

Aber einen Bräutigam hatte sie plötzlich. Und das war immerhin etwas.


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