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XX

Es war am Abend des folgenden Tages.

Der Wagen, der Lilly der gefürchteten Zusammenkunft entgegenführte, hielt vor dem berühmten Lindenrestaurant, in dem seit Jahren die elegante Welt zu Hause ist.

Obgleich Lilly schon lange nicht mehr darin verkehrt hatte, so kannte sie doch noch jeden Stein.

Und auch den langen Albert kannte sie, der, die Hand an die betreßte Mütze legend, würdevoll am Eingang stand. Er war es gewesen, der einstmals die Annäherung des schönen Gardehusaren vermittelt hatte.

Mit niedergeschlagenen Augen, den Kopf gegen Konrads Schulter gedrückt, glitt sie an ihm vorüber, hoffend, daß er sich ihrer nicht mehr erinnere. – –

»Das ist Lilly, lieber Onkel.«

Ein kaum mittelgroßer, o-beiniger alter Herr in schlecht sitzendem Smoking und mit verknautschtem Umlegekragen kam aus einem der Hinterzimmer schlenkernden Schrittes auf sie zu und streckte ihr eine breite, fleischige Rechte entgegen, deren braune Haut sich spielend bewegte wie ein lose übergezogener Handschuh.

Sie warf einen scheu spähenden Blick auf den Allgewaltigen, den sie sich als einen gebieterisch-zutunlichen Donnerer vorgestellt hatte und der ihr nun als ein wackliger, rundlicher, ziemlich kommun aussehender Gnom gegenüberstand.

Und da, als sie sich sagte, daß ihr Benehmen jetzt und in der nächsten Stunde über Konrads und das eigene Lebensglück entscheiden würde, da fühlte sie, wie die alte, leidige Befangenheit, die sie in letzter Zeit kaum mehr verspürt hatte, in lähmendem Erstarren über sie herfiel. Wenn diese Krankheit kam, dann wurde sie zur Puppe, die stumpfsinnig lächelte und den eigenen Namen nicht wiederfand.

Aber auch dem alten Onkel schien bei ihrem ersten Anblick das Wort in der Kehle eingefroren.

Er besah sie von oben nach unten und von unten nach oben und vergaß beinahe, sie zum Nähertreten einzuladen.

Dieses Hinterzimmer mit seinen goldblumigen Ledertapeten, seinen bordeauxroten Seidenvorhängen und den blauen Perserteppichen auf dem hochlehnigen Sofa war ihr wie alles andere an diesem Orte sehr bekannt.

Manche heißblütige Spätabendstunde hatte sie einstmals, als Richard noch von dem Ehrgeiz besessen gewesen war, zur höheren Lebewelt zu gehören, mit ihm und seinen Zufallsfreundschaften darin durchtollt.

Ein tadellos rasierter Kellner nahm ihr Brokatsack und Spitzenumhang ab und musterte sie dabei, als wolle er sagen: »Dich müßt' ich doch eigentlich kennen.«

O, es war eine peinliche Minute!

Der alte Onkel, der nicht aufgehört hatte, sie mit ehrfürchtig-grimmigen Blicken verstohlen anzuglupen, gab sich einen Ruck und sagte: »Ja, was ich doch gleich wollte! Ja, nun wollen wir hübsch gemütlich sein, Kinder … Hübsch gemütlich woll'n wir sein. – Ja?« …

Lilly verneigte sich.

Und diese Verneigung war steif genug, um die Hochachtung des alten o-beinigen Herrn scheinbar noch zu erhöhen. Er stapfte wie ratlos auf dem Teppich umher, spielte mit den goldnen Kartoffelknollen, die als Berlocks aus seiner Uhrtasche hingen, und nickte dabei Konrad zwei-, dreimal voll feierlicher Anerkennung zu.

Man setzte sich an den weiß blinkenden Tisch, der mit Kristall und Blumen überschüttet war.

Um die bronzene Stehlampe herum – auch sie mit ihren Greifenklauen und dem schlanken Lilienschaft stand Lilly noch in Erinnerung – hing ein Schleier von violetten Orchideenranken, die sicherlich eine Unsumme gekostet hatten.

Zu leben verstand er, der alte, struppige Schwerenöter, das mußte man ihm lassen.

Lilly sah sich auf ihrem Sofaplatze einem Spiegel gegenüber, der ihr das eigene Bild in beruhigender Vornehmheit entgegenstrahlte.

Sie hatte ein Plisseekleid von schwarzer Libertyseide gewählt, mit einer Taille von Chantillyspitzen, die sich trotz aller Kostbarkeit mit schlichtester Anmut um Brust und Arme schmiegten.

Ahnungslose Gemüter konnten immerhin glauben, daß dergleichen zwischen San Franzisko und St. Petersburg, zwischen Kapstadt und Christiania für zweihundert Mark zu haben sei.

Ihren Schmuck hatte sie wohlweislich zu Hause gelassen, nur das dünne goldne Kettchen, das sie sonst auf bloßem Leibe zu tragen pflegte, umgab in mädchenhafter Anspruchslosigkeit den hochumhüllten Hals.

Wie eine strenggehaltene junge Edelfrau sah sie aus, die zum ersten Male neugierig und schüchtern in die große Welt hinausschaut.

Der Stuhl zu ihrer Rechten war Konrad angewiesen worden, den Platz, welcher der Tür zunächst lag, behielt der Onkel für sich.

Von dem Moment an, daß er vor dem gedeckten Tische saß, begann er sich einigermaßen in seinem Element zu fühlen. Er krähte und kommandierte und war mit nichts zufrieden.

»Äh, Boy,« sagte er zu dem Kellner, der gerade die Hors d'oeuvres-Platte auf den Tisch stellte, »is das etwa 'n Schliff für 'ne Pohrtweinkaraffe? … Weißt du denn nicht, du Dojahn, daß 'n Pohrtwein, der in der Karaffe nicht Funken gibt, einem den Durst verschlägt?«

Der Kellner, der sich durch sein Schnauzen einschüchtern ließ, wollte sofort nach einer anderen Karaffe fragen, aber der Onkel erklärte, so viel Zeit habe er nicht, er müsse sich mal gleich auf der Stelle 'nen kleinen »Rush« geben.

»Ich häng' jetzt noch 'n bißchen am Spannseil,« fügte er entschuldigend hinzu. »Den Verkehr mit so schönen und dabei so ungnädigen Frauen bin ich gar nich jewöhnt.«

Lilly empfand einen kleinen Herzstich.

Aus den Augen des Geliebten traf sie ein vorwurfsvoller und ermunternder Blick, der ihr sagte: »Du darfst nicht so stumm sein. Du mußt nett zu ihm sein.«

Und demütig und abbittend erwiderte sie auf demselben Wege: »Ich kann doch nicht, sprich du doch für mich.«

Da fing er in seiner Angst zu reden an, als ob er für die Unterhaltung der Tafelrunde bezahlt worden wäre. Er beschrieb die Altertümer, die der Onkel auf seiner rheinischen Burg zusammengehamstert hatte, streifte die bedrohliche Konkurrenz der Amerikaner und erörterte, nach Italien übergehend, die Schäden der Lex Pacca und, weiß Gott, was sonst noch.

Es war ein höchst lichtvoller, kleiner Vortrag, dem der Onkel mit gemäßigter Aufmerksamkeit zu folgen schien, indem er nach Lilly hinüberschielte und ab und zu ein Stückchen Thunfisch in Öl schmatzend durch die Zähne zog.

Dann sagte er: »Das ist gewiß alles höchst richtig und inschtruktiv, mein Sohn. Aber könntest du mir nicht auch einiges Wissenswerte über die Whiskyverhältnisse dieses Hauses mitteilen?«

Konrad sprang in die Höhe, um nach der Klingelbirne zu greifen. Aber der Onkel hielt ihn zurück.

»Stop – stop – stop. Dies ist meine Privatangelegenheit … Für euch is ja der Pohrtwein da … Und schließlich bleibt eine schöne Frau immer eine schöne Frau, auch wenn sie anderer Leute schöne Frau ist … Prost, schöne Frau.«

Das klang wie Hohn.

Wollte er sie zum besten haben, ehe er sie von sich stieß?

»Übrigens mach' ich Ihnen mein Kompliment,« fuhr er fort. »Sie haben da schon ein greifbares Stück Arbeit an dem Jungen verrichtet … Tanzt wohl schon tüchtig nach Ihrer Pfeife, was?«

Nun mußte sie schlechterdings etwas erwidern.

»Ich pfeife nicht, und er tanzt nicht,« sagte sie, sich gewaltsam zusammenraffend. »Wir sind beide nicht sorgenlos genug dazu.«

»Ähäh, da hab' ich's uf die Näse,« lachte er, und dieses Lachen klang ärgerlich und gereizt.

»Lilly meint es gewiß ganz harmlos,« warf Konrad ein, um ihr zu Hilfe zu kommen. »Und die Zeiten, die wir jetzt durchmachen müssen, sind auch wirklich nicht leicht. Wenn sie mir nicht tagtäglich mit ihrem Verstehen und ihrer Herzensgüte zu Hilfe käme, ich glaube kaum, daß meine Kräfte standhalten würden.«

»Das mag ja alles sehr gut und sehr schön sein, oder – oder – oder – vielmehr sehr bedauerlich sein,« erwiderte er. »Aber was 'n alter Onkel is, der hat noch nich 'n mal 'n Blick von ihr gekriegt – als Vorschuß auf die Verwandtschaft.«

»O, wenn's bloß darauf ankommt,« dachte Lilly.

Und indem sie das Glas gegen ihn erhob, suchte sie ihn für sein Einlenken mit einem kleinen, koketten Lächeln schamhaft zu belohnen.

Das erfüllte ihn mit sichtlicher Befriedigung. Er wirbelte den Spitzbart und sah sie aus seinen Zwinkeraugen lockend und vertraulich von der Seite an, als wolle er irgend ein Zeichen geheimen Einverständnisses aus ihr herausholen.

»Gott sei Dank, er ist vielleicht gar nicht so schlimm,« dachte sie und fühlte aufatmend, wie sich die Fesseln ihrer Befangenheit ein wenig zu lockern begannen.

Als jetzt der Kellner wiederkam, entspann sich zwischen dem Onkel und ihm eine bedeutsame Auseinandersetzung über die Whiskymarken, die das Haus zur Verfügung hatte, – ein langes Hin-und-her, welches damit endete, daß der Herr Direktor selber in den Keller stieg, um nach einer Flasche auszuspähen, die mit dem Zeichen irgend einer berühmten Firma aus irgend einem berühmten Jahrgang noch vorhanden sein mußte.

Nun erst zeigte der Onkel sich wieder bereit, seine Aufmerksamkeit der schönen Schwiegernichte zuzuwenden.

»Ich bin eine alte Dreckschwalbe,« sagte er. »Ich habe mit Guano, mit Fischtran, mit Kopra, mit australischen Lumpen, mit Schiffsschmiere und anderen mehr oder weniger uncleanen Sachen gehandelt. Man kann es mir nicht verdenken, daß ich, um mich zu erholen, einem so appetitlichen Gegenstand, wie zum Beispiel Sie sind, meine teure Ungnädige, mein ganz besonderes Interesse zuwende. Ich möchte nur, daß ich hierbei auch einige Gegenliebe fände.«

»Ach was,« dachte Lilly, »ich werd 'mal frech sein.«

Und laut erwiderte sie: »Herr Rennschmidt, Sie wissen doch, ich sitze hier wie ein armer, zitternder Kandidat im Examen. Ich bitt' schön« – sie erhob die beiden aneinandergelegten Hände gegen ihn – »spielen Sie nicht länger Katz' und Maus mit mir.«

Damit war glücklich der Ton getroffen, den er verlangte.

»Tut sie nu endlich den Mund auf?« rief er strahlend. »Und sie hat eine famose kleine Schnauze, Konrad. Eine von den langzähnigen Mauseschnauzen hat sie, bei denen die Oberlippe zur Unterlippe sagt: ›Wenn du nu nich gleich mitküßt, dann geh' ich auf Reisen‹. – Was Konrad, dummer Kerl du – was?«

Nun mußte sie herzlich auflachen, und das gute Einvernehmen war endgültig geschlossen.

Auch über Konrads liebes, abgemüdetes Gesicht breitete sich für ein paar Augenblicke ein beruhigtes Lächeln, das ihr wie ein Gotteslohn das Herz weit machte. Sie hätte sich für ihn dem Onkel vor die Füße werfen mögen, so sehr liebte sie ihn. Und in aufquellendem Triumph dachte sie: »Jetzt soll er aber erst erleben, wie nett ich gegen das alte Scheusal sein kann.«

Es wurde ihr auch gar nicht so übermäßig schwer. Wenn sie ihn ansah mit seinem runden, zermürbten Spitzbubengesicht, mit den flinken, schlauen, grauen Äuglein und der schöngewellten, schneeweißen Diplomatenperücke, – ja wahrhaftig, er trug eine Perücke, die die Stirn mit dunklen Strichen begrenzte und an den Ohren in zwei vorgekämmte Spucklöckchen auslief, – dann hatte sie mehr und mehr das Gefühl, als sei er ein guter Bekannter, mit dem eine alterprobte Spießgesellenschaft sie im stillen verband.

Und doch war sie ihm sicherlich noch niemals begegnet.

Ein Hauch von herrenhafter Sicherheit ging trotz seines äußeren Proletentums von ihm aus.

Wie er das Menü zusammengestellt hatte, das war einfach bewundernswert. Der achtundsechziger Steinbergerkabinett, der wie bernsteinfarbiges Öl in die hellwandigen Römer niederfloß, paßte zu der blauen Forelle, als wäre sie ihr Lebtag in diesem Element herumgeschwommen. Und die Kalbsmilchpasteten à la Montgelas schlossen sich würdig daran. Weder Richard noch irgend einer von der Bande verstand sich auf die Lebenskunst wie er.

Wenn er nur nicht ewig seinen Whisky dazwischen gegossen hätte!

»Mein Hirn ist von dem langen money-making abgestumpft wie 'n Brettnagel auf Gußstahl,« sagte er zu seiner Rechtfertigung. »Ich muß ihm ab und zu einen Wetzer geben, sonst wird es ganzdekrepid.«

Beim Punsch à la romaine entspann sich über die Tugenden gewisser american drinks eine kurze und eifrige Unterhaltung, in der Lilly, dank ihrer gründlichen Kenntnisse des gesamten Barwesens, sich als Meisterin erwies. Sogar die vom Onkel als seine Spezialität gepriesene »Südseebowle«, in der Scherry, Kognak und Angosturabitter sich mit Eigelb und Chateau d'Yquem – man kann im Notfall auch Mosel nehmen – zu einem flammenden Gebräu zusammenfinden, kannte sie aufs genaueste. Sie durfte sich sogar erbieten, ihm die seltene Mischung nach Tische so sachverständig zu bereiten, daß er bekennen mußte, sie zwischen Singapore und Melbourne nicht köstlicher getrunken zu haben.

Konrad, der von dieser Gattung ihrer Talente offenbar keine Ahnung gehabt hatte, folgte ihren Worten mit einem Erstaunen, das sie nicht wenig stolz machte.

Sie sandte ihm einen heimlichen Blick nach dem andern, die ihn fragten: »Bist du zufrieden? Bin ich genügend nett zu ihm?«

Aber er wollte nicht recht darauf eingehen. Er blieb schweigsam und zerstreut, und manchmal war es, als ob er gar nicht dazu gehöre.

»Träum' du nur,« dachte sie glückselig. »Ich sorg' schon für unser Glück.«

In jeder Minute wuchs nun die Freundschaft zwischen ihr und dem Alten.

Als zu den Wildenten der dunkel-hitzige Burgunder kam, dessen erste Gläser wie schmeichelnde Flammen durch die Kehle glitten, da nannte sie ihn lange schon »Onkelchen«.

Und er erklärte einmal über das andere, er sei » totally wrapped up in his dear, dear little Lilly.«

So also sah die Prüfung aus, die grausame, vor der es kein Verschweigen, kein Entrinnen gab, in der sie entkleidet, zersägt und zerschält werden sollte bis in das Mark ihrer Seele hinein.

Man konnte kaum an sich halten, wenn man dran dachte.

Jawohl! Nu jawohl! Da saß sie, die große, die gefürchtete Lebensgefahr, deren Geldbeutel Sieg oder Untergehen in sich barg, – ein kirre gewordenes kleines Untier, tätschelte mit den greulichen Runzelhänden ihre Finger und wand sich und blähte sich um einen Brosamen ihrer Gunst.

Und drollig war er wirklich – vor allem, wenn er seine Witze auskramte.

Was da an Kolonientratsch alles zum Vorschein kam!

In einem ganzen Jahre hatte man so viele Anekdoten nicht gehört.

Da war zum Beispiel eine: Der deutsche Gouverneur, Herr von Soundso – bei Uhl hatte sie ihn einmal kennen gelernt – begibt sich auf seinen Posten. Mit ihm sein Hofstaat, bestehend aus Sekretär, Diener und Köchin. Nach sechs Monaten kommt die Köchin und sagt: »Herr Governör, es is so weit.« Er gibt ihr zweitausend Mark und sagt: »Aber Maul halten.« Dann geht sie zum Sekretär und sagt: »Herr Müller, es is so weit.« Er gibt ihr dreihundert Mark. »Aber Maul halten.« Dann geht sie zum Diener: »Johann, es is so weit, wir können heiraten.« … Nach drei Monaten kommt der Diener zum Gouverneur und sagt: »Exzellenz, dat Biest hat uns alle drei belämmert. De Bengel is swarz.«

Und so noch manches andere.

Kurz, es war zum Totlachen.

»Lach doch, Konrad, Liebling, lach doch!«

Und er lächelte dann auch wirklich. Aber sein Auge blieb ernst und seine Stirn gespannt.

Als der Sekt da war, schloß man Brüderschaft.

Es war zwar ein Grauen, den dicken, gierigen Greisenmund zu küssen, aber das künftige Glück verlangte es so.

Auch Konrad sollte seinen Kuß bekommen. Aber er mochte nicht. Ja, noch schlimmer! Er wollte ihr sogar das Trinken verbieten.

Sie sei nicht vorsichtig genug, nörgelte er. »Und, bitte, Onkel, schenk ihr nicht so oft ein! Wir haben sonst nie viel getrunken.«

Aber beide lachten ihn aus.

»Äh, der is schon immer 'n Flickschuster gewesen,« ulkte der Alte, »und hat nie gewußt, was gut schmeckt … Du bist viel zu schad für ihn, Lillychen. 'n Mann wie mich mußt du haben. Nich so 'n Kerl in Halbsamt. Nich so 'ne Begräbniskerze.«

Aber hierin verstand sie keinen Spaß.

»Wirst du wohl nicht auf mein Konnichen schimpfen, du altes Ekel du! Erzähl' du lieber deine Meidinger. Allons! Vorwärts!«

Nein, auf ihr süßes Konnichen ließ sie nichts kommen.

Und der Onkel hub aufs neue zu erzählen an.

Jetzt waren es Anekdoten in »Pigeon-Englisch«, jenem Kauderwelsch, das im fernen Osten die Chinesen und andere interessante Herrschaften als Verständigungsmittel mit den weißen Sahibs handhaben. »Tom und Paddy im Teehause« … »Die tugendhafte Miß Laura in Macao« … »Der Fremdenführer und die Bajadere« … Sie alle hatten es faustdick hinter den Ohren.

»Aber Konni darf nicht mehr zuhören, Onkelchen. Konni könnte mir sonst verdorben werden.«

Darum schob sie auch ihr linkes Ohr ganz dicht an Onkelchens Lippen heran und bildete mit ihm zusammen eine »Flüstergrotte«, wie sie innerhalb der Bande Sitte war, wenn man zu heftig flirtete oder sich sonstwie unanständig benahm.

Wer im übrigen glaubte, daß sie auf den Mund gefallen sei, oder etwa nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten wisse, der würde sich arg geschnitten haben. Die Kasinowitze des Generals litten an Saftigkeit keinen Mangel, und was man gar von der Bande her kannte, war erst recht nicht von schlechten Eltern.

Für ein so dankbares Publikum, wie »Onkelchen« es war, konnte man schon ein übriges tun. Konrad aber mußte es sich gefallen lassen, daß man ihm, zur größeren Sicherheit, die Watte, auf der die Calvilleäpfel ruhten, in die Ohren stopfte.

Als der Kaffee vorüber war, verlangte der Alte, sie solle ihr Versprechen wahr machen und ihm die Südseebowle brauen, mit deren Kenntnis sie gewiß nur geprahlt habe.

Das durfte sie sich natürlich nicht zweimal sagen lassen.

Alle möglichen Flaschen wurden heran geschleift, neben dem Scherry und dem Angostura auch ein alter, süßer Yquem, der eigentlich für diese Zwecke viel zu schade war und von dem man daher auf Rat des Onkels noch ein paar Gläschen extra naschen mußte.

Zwar zerschellten die Eier beim Öffnen am unrechten Platze und ergossen ihren Inhalt auf Kleid und Teppich. Aber das machte nichts, das steigerte nur das Vergnügen, – und das liebe, alte Onkelchen bezahlte ja alles.

Dafür flatterte die blaue Alkoholflamme auch umso wilder in die Höhe – bis in die Orchideen hinein – bis zum Himmel hinauf. – Am liebsten hätte man das züngelnde Feuer in sich hineingesogen – wie die Hexen.

»Dein Glück, Konni – unser Glück, Konni!«

»Trink nicht,« hörte sie seine Stimme. Die war härter als sonst. Ganz fremd klang sie vor lauter Strenge.

»Flickschuster!« lachte sie, die Zunge gegen ihn ausstreckend.

»Trink nicht,« warnte die Stimme noch einmal. »Du bist das Trinken nicht gewöhnt.«

Sie – das Trinken nicht gewöhnt? Wie durfte er so etwas sagen? Das ging gegen ihre Ehre. Gegen ihre Ehre ging das.

»Was weißt du, was ich gewöhnt bin? … Ganz andere Dinge bin ich gewöhnt … Hier auf dem Platz, wo ich jetzt sitze, hab' ich gesessen mehr als einmal – mehr als zehnmal – und habe noch viel, viel mehr getrunken.«

»Liebes Herz, besinn dich, – das ist doch alles nicht wahr.«

Jetzt klang die Stimme wieder ganz sanft, ganz weich, als wäre man ein unartiges Kind, das ermahnt werden müßte.

Weinen hätte man mögen über solche Schmach.

»Wie kannst du sagen, daß das nicht wahr ist? Du glaubst wohl, ich bin eine Schwindlerin? Glaubst wohl, ich kenne solche schicken Lokale nicht? Päh … Soll ich dir den Beweis liefern? Jawohl, das kann ich! … Hier in den Lampenfuß eingekratzt, muß mein Name noch stehn … Lilly Czepanek … Lilly Czepanek … Such nur, such nur! …«

Mit jähem Ruck war er in die Höhe gefahren, – – den erstarrenden Blick auf die spiegelnde Fläche geheftet, die eine Wirrnis von gekritzelten Runen durchfurchte.

Aber das L. C., nach dem er suchte, fand sich nicht … Sie mußte ihm erst zu Hilfe kommen … Hier nicht … Dort nicht … Die Buchstaben schwammen durcheinander. Man mußte sie zu greifen suchen wie die Schleierfische im Becken.

Aha! Das war's. Das war's! … L. v. M. Und die Freiherrnkrone darüber …. Denn damals hatte man noch manchmal gewagt, sich mit dem verbotenen Adelsnamen zu schmücken.

»Siehst du nun ein, daß ich recht gehabt habe, Konni? Jetzt wirst du mich wohl trinken lassen. Prost, du süßer, kleiner Flickschuster du.«

Und so erschlagen war er von diesem Beweismittel, daß er, ohne noch »Piep« zu sagen, in seinen Stuhl zurücksank.

Aber beide, der Onkel und sie, tranken und lachten ihn aus.

Als sie um diese Zeit einen Blick in den Spiegel warf, sah sie wie durch einen wogenden Nebel ein rotgedunsenes Gesicht mit wirrem Haarbusch unter dem zurückgeglittenen Hute und zwei tiefgekerbten Mundfalten, die schlaff bis zum Kinn hinunterliefen.

Das bereitete ihr eine kleine, fragende Unruhe. Aber sie fand keine Zeit, diesem Gefühle Raum zu geben, denn der unaussprechliche alte Onkel war bereits mit einer neuen Schnurre auf dem Plan.

»Weißt du, Lillychen, wie die Chinesen die Lorelei singen?«

Sie juchzte schon, noch ehe sie ein Wort davon gehört hatte.

Er legte eines seiner O-Beine als Saiteninstrument über das andere, präludierte auf der Fußsohle: »Ping – pang – ping« und begann dann mit näselnder, krähender, gurgelnder Stimme, die L's als Schnalzer endlos schleifend:

» O my belong too much sorry,
And can me no savy, what kind;
Have got one olo piccy story
No won't she go outside my mind.
«

Als die zweite Strophe an die Reihe kam:

» Dat night belang dark and colo,«

da riß er zur Erhöhung der Wirkung sogar die Perücke vom Kopf und sah nun mit den schiefen, blanken Augenritzen und der spiegelnden Glatzenstirn wirklich einem alten, nickenden Chinesen zum Verwechseln ähnlich.

Es war ein berückender, ein ganz überwältigender Anblick.

Noch nie im Leben hatte man eine so zwerchfellerschütternde Clownerie zu hören bekommen.

Man hätte sterben können vor Neid, wäre man nicht Lilly Czepanek gewesen, die berühmte Imitationskünstlerin, die, wenn der Geist über sie kam, durch bloßes Mundauftun schon Jubelstürme zu entfesseln pflegte.

Das unvergleichliche Repertoire hatte schon ohnehin allzulange brach gelegen. Die schöne Otero war noch immer nicht veraltet, die Tortajada tanzte immer noch ihre sinnumwirbelnden Tänze, und der Matchiche war eben erst in die Mode gekommen.

Man hatte nur nötig, den Hut noch etwas weiter ins Genick zu schieben, das schwarze Kleid in die Höhe zu heben, – der Dessous, der gestern mitgebrachten, brauchte sich selbst eine Saharet nicht zu schämen – und dann konnte es losgehen.

Und es ging los.

Wie ein Kreiselsturm über den von Eigelb glitschenden Teppich.

»He – hop – olé – olé!«

»Olé müßt ihr schreien und dabei in die Hände klatschen.«

»Olé–é–é!«

Der Onkel gröhlte … Der Boden wiegte sich in langen Wellen … Lampen und Spiegel tanzten mit … Die ganze Hölle schien losgelassen.

»Nun schrei doch, Konni! – Olé! … Sei nicht so tranig – – Olé!«

»Onkel, das hast du auf dem Gewissen!«

Was heißt das?

Warum schluchzt er so auf? …

Warum steht er dort, weiß wie der Kalk an der Wand?

»Olé! … Olé–é–é–é ….«


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