Friedrich Theodor Fischer
Lyrische Gänge
Friedrich Theodor Fischer

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Gedenkfeier

am 2. September 1882.

                   

Abendnebel spinnet und webet
Der stille Gebirgssee.
Heimkehrender Heerden Glockengeläute
Tönt nah und fern.
Frauen begegnen und grüßen in alter
Guter Sitte den Fremdling.

    Einfalt wohnt noch in diesem grünen,
Heimlichen Thale,
Geborgen bin ich, geschützt vor der heißen
Hetze der Welt,
Fern ist der städtische Schwarm,
Nicht ertragen muß ich den Anblick
Bebrillten Dünkels,
Der sich nach Luft und Duft und Unschuld
Sehnet und sie verlacht und verderbt.

    Männer auch kommen geschritten,
Nervig die nackten Kniee bewegend,
Breitschultrige, hochgewachs'ne,
Kraftgefühl in den off'nen, hellen
Augen und Muth und Kampflust,
Riesen von altem, echtem
Gothischem Stamme.

    Horch, ein Windstoß!
Die Tannen rauschen,
der See wird laut,
Man hört ihn brausen, bewegter wallen
Ueber den Wogen die feuchten Nebel.
Wodan lebt noch und grüßet.

    Hell wird's auf einmal, aufgetaucht
Hinter dem schroffen Felsenkamm
Leuchtet der Mond.
Brütend schimmert im Dunstgewebe
Sein Geisterlicht.
Mir ist, als hört' ich ein Flüstern dort
Im silbergrauen schwebenden Flor,
Ein Flüstern von Wasserfrauen,
Raunende Stimmen, die sich erzählen
Von fernen Schwestern an breiten Strömen,
Durch Rebenhügel und Gartengelände
Prächtig ergoss'nen, wo sie am Ufer
Auf Felsen sitzen, die goldnen Haare
Kämmen und singen, und von dem Volke,
Von den heitern und rasch bewegten
Geschlechtern, die dort hausen, –
Raunende Stimmen, die sich erzählen
Von fernen Schwestern, Nixen der See,
Der deutschen See, die an weißes Gestad,
An sagenumwobenes waldiges Eiland
Stürmisch in wilden Brandungen anschlägt,
Und von den Männern, die dort wohnen,
Von Nordlandsrecken, von Kerngewächse
Der Friesen und alten Sachsen.

    Von Walküren auch raunen sie,
Helmgekrönten, ringelgepanzerten,
Beschwingten, auf blutdurchronnener Wahlstatt
Eilig befliss'nen.
Gethürmt sind Leichen, viel ist der Arbeit,
Siegreich gefallener Helden viel
Gilt es zu tragen hinauf nach Walhall.

    Du hast sie gespürt, die vereinte Kraft,
Die wohlgeführte der Enkel des hehren
Theodorich und seines ergrauten
Waffenmeisters Hildebrand,
Des jähen Wolfhart und des getreuen,
Tapferen Spielmanns Volker,
Des grimmen, schuldigen, seinem Schicksal
Klaglos stehenden Hagen
Und des redlichen, tugendreichen
Jugendstrahlenden Siegfried, –
Hast sie gespürt, die vereinte Kraft,
Als sie dich enger und enger umschnürte,
Die unwiderstehliche wilde Jagd,
In den erstickenden Todesring
Drängend dich eintrieb,
Als die erschreckende Werwolflarve
Dir vom erblaßten Antlitz fiel,
Gespenstisches, welsches Scheinbild!
Als du hervorkrochst und vor der wahren
Steigenden Größe
Die gefallene hohle sank in's Knie.

    Und in den Lüften über den Beiden
Schwebte ein Geist, unsichtbar sichtbar,
Sinnend, der Völker Schicksal wägend.

    Heut ist der Tag. Still, einsam träumend
Wollt' ich ihn feiern.

    Geistesriesen auch sind noch
Denkende Stirnen fehlen uns nicht,
Lichteste, feinste Gebilde der dunkeln
Urweltkraft in der Alpen Granitkorn,
In der Eichen und Föhren zähem Safte,
In des langsamen, derben, nicht schnell zürnenden,
Im Zorne furchtbaren Volkes
Eisenhaltigem Blute –
Geistesriesen, Staaten- und Schlachtenlenker,
Andere forschend in stiller Kammer,
Nach der Dinge geheimnisvollem Grund
Suchend und grabend mit Seherauge,
Andere zaubern Wundergestalten,
Unbekannte und doch bekannte,
Traumgewobene, von des Entzückens
Schauer umwehte Bilder des Lebens.

    Mild wird die Luft. Die Stöße des Sturmwinds
Ruhen, ein weicher, lauer Hauch
Streichelt die Wangen des Thals
Und heißt mich gedenken all der Güte
Und all des Mitleids, all der herzlichen
Menschlichkeit,
Die der Gemüther verborg'nen Kern
Hinter der rauhen Schaale durchwärmt
Und schmeidigt und süßet.
Bist du es, der aus der silbernen,
Goldgesäumten Wolke mit blonden
Locken mir zunickt,
Bist du es, Balder,
Freundlicher, friedlicher, sanfter Gott,
Der Götter und Menschen Liebling?
Du bist's und bejahest.

    Lustige Reigenweisen ertönen,
Hinter beleuchteten Fenstern dort
Huschen walzende Schatten vorüber,
Jauchzen erschallt und kräftiges Stampfen
Tritt zu dem Wirbel den messenden Takt.
Freuet euch! Heute bleib' ich fern,
Vom gestrigen Abend schwebt ein Bild
Mir vor den Augen jetzt und immer,
Als ich droben im ringsbeliebten
Stattlichen Hause des Wirths zum Steinbock
Dem Tanze zusah.
Und als die großgebaute, schlanke
Tochter des Bauern drüben am Bergjoch
Sterngleich unter den Dirnen glänzte,
Als sie am Arme des braunen Burschen
Mit leuchtenden Augen, lächelnden Lippen
So leicht und feurig und doch so züchtig
Sich drehte und wiegte und bog und neigte,
Als ihr die silbernen Kettchen am Halse
Schimmernd spielten und ich mich fragte:
Woher der Adel? Woher in der schlichten
Tochter des Volks die hohe Anmuth?
Da meint' ich blinken zu sehen
Der holden Freia Halsband,
Das ihr in unterirdischer Esse
Die klugen Zwerge geschmiedet,
Zaubersprüche zur Arbeit murmelnd,
Einzuverleiben dem Götterschmuck
Geheime Mitgift,
Allbesiegenden Liebesreiz. –

    Bald muß ich hinab in's graue Reich
Der Hel und willig geh' ich.
Aber erfahren möcht' ich noch dürfen,
Wissen dort unten, was ist und wird
Da oben im Lichtreich,
Ob der Drache noch lebt und wüthet, –
Ich kenn' ihn und läugne mir nicht sein Gift –
Der schnöde Lindwurm,
Der, geheckt im Pfuhle der Zeit,
Herzverdorrenden Schwefelgluthqualm
Aushaucht über die Völker und, wehe!
Auch in die deutschen Markungen einbrach,
Ob in der Lebenden Mitte nicht
Aus der Tiefe sich etwas bewegt
Und rührt und regt und steigend anschwillt
Und zur lichten Gestalt sich bildet
Und gewappnet hervorspringt,
In der Hand ein blitzendes Geisterschwert,
Und den scheußlichen Wurm durchbohrt,
Der Drachentödter aus Vorwelttagen,
Der Ahne Siegfried, –
Ob mein geliebtes Volk geneset,
Blühet und wächst und ob wir Alten
Nicht vergeblich gerungen.


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