Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2

»Der Mann . . .«, meldete Mrs. Machennan und griff hinter sich, um eine schwerfällige Gestalt mit sanfter Gewalt ins Zimmer zu schieben. Hierauf verschwand sie lautlos, und der Besucher ließ einen tiefen Schnaufer der Erleichterung vernehmen. Er trug die wetterfeste verschossene Kleidung der Leute vom Hafen, aber seine derben Stiefel glänzten äußerst feiertäglich. Auch sonst hatte er offenbar für seinen äußeren Menschen ein übriges getan, und dabei waren einige Hautstreifen von den lederartigen Wangen und dem Bulldoggenkinn am Rasiermesser hängengeblieben.

Peter Owen sah weder nett noch sonderlich vertrauenerweckend aus, aber Ramsay nickte befriedigt und schob sogar einladend einen der behaglichen Klubsessel zurecht.

»Setzen Sie sich und zünden Sie sich eine Zigarre an«, sagte er freundlich und dämpfte dann seine Stimme, so daß sie eben nur bis zum Ohr des Besuchers reichte. »Ich habe gehört, daß Sie sehr zuverlässig sind und allerlei Winkel Londons kennen, die man nicht so leicht zu sehen bekommt. Vielleicht läßt es sich machen, daß Sie mich in der nächsten Zeit ein bißchen herumführen und mir auch sonst in Verschiedenem an die Hand gehen?«

Er sah den vierschrötigen Mann erwartungsvoll an, aber dieser vermochte noch immer nicht, ins Gleichgewicht zu kommen. Er drehte den dicken Glimmstengel unschlüssig zwischen den noch dickeren Fingern, schielte scheu nach der Tür, durch die Mrs. Machennan davongeschlüpft war, und ließ die Zigarre schließlich mit einem bösartigen Knurren in der Tasche verschwinden. Dann tastete er mit der Zungenspitze verzweifelt im Munde herum, begann mit den gewaltigen Kiefern zu mahlen, und erst, als die saftige Verwünschung, die ihn würgte, hinuntergeschluckt war, kam Peter Owen endlich zur Sache.

»Natürlich läßt es sich machen, Sir«, erklärte er bereitwillig. »Sie müssen mir nur so beiläufig sagen, was Sie sehen wollen.« In seinen Augen lag eine gespannte Frage, und um den breiten zerschundenen Mund spielte ein verschlagenes Lächeln.

Der junge Gentleman betrachtete sehr angelegentlich das Lichterspiel in dem kristallenen Kronleuchter. »Ich möchte zunächst einmal unter recht viele Leute kommen«, bemerkte er ausweichend. »Besonders auch unter ausländisches Volk. Das weitere wird sich dann vielleicht ergeben.«

Peter kraulte sich nachdenklich das rostbraune struppige Kalbfell auf dem wuchtigen Schädel. »Recht viele Leute und ausländisches Volk . . . Das wäre also einmal Tims feine Bude draußen im Dockwinkel«, überlegte er halblaut. »Da gibt es alles, was in der Welt auf zwei Beinen herumläuft. Aber mancher der Jungens sieht aus, als ob sein Vater und seine Mutter noch auf den Bäumen spazieren geklettert wären. Vielleicht ist das wirklich das, was Sie suchen, Sir, nur . . .«

Er schnitt eine nachdenkliche Grimasse, und der Blick, mit dem er sein Gegenüber aus verkniffenen Augen musterte, verriet, was er sagen wollte. Er war für solche Führerdienste immer zu haben und nahm es selbst mit einer ganzen Hölle voll tückischer Teufel auf, aber wenigstens ein bißchen mußte sein Begleiter sich seiner Haut doch auch allein wehren können, wenn es not tat. Er hatte schon mit verschiedenen Leuten zusammengearbeitet, aber da hatte man auf den ersten Blick gesehen, daß sie für solche Möglichkeiten das nötige Handwerkszeug bei sich hatten. Dieser Gentleman hingegen schien blutjung, und mit den langen schmalen Händen, die er über dem aufgezogenen Knie gefaltet hatte, konnte man wohl kaum ein ordentliches Nasenbein kaputt schlagen oder einen Magen ins Schaukeln bringen. Das war schlimm, weil . . .

Weiter kam Peter in seinen Erwägungen nicht, denn der andere schnellte plötzlich mit einem federnden Sprung auf die Beine.

»Schön, abgemacht – beginnen wir also mit Tims feiner Bude«, sagte er unternehmend. »So bald wie möglich. Vielleicht schon am . . .«

Während Ramsay schlüssig zu werden suchte, erkannte Peter, daß die jugendlichen Züge ihn bisher getäuscht hatten. Der Gentleman mußte weit älter sein, als er bei der ersten flüchtigen Betrachtung erschien. Nun, da das volle Licht des Lüsters auf das gebräunte Gesicht fiel, traten um die Mundwinkel scharfe Linien hervor, und auf dem dichten dunkelblonden Haar schimmerte hier und dort bereits ein leichter Reif.

Mit einem Mal gab es dem Manne vom Hafen einen gewaltigen Ruck, und er polterte unter ziemlichem Lärm in die Höhe, um sich krampfhaft in Positur zu stellen.

»Ja«, schreckte Donald etwas verwundert auf – »also vielleicht am zweiten Weihnachtsfeiertag? Da wird es dort gewiß einen besonders großen Betrieb geben.«

»Zu Befehl, Sir«, brüllte Peter mit seiner heiseren Stimme und stand steif wie ein Stock. Dann schnappte er aufgeregt nach Luft und ging in ein gedämpftes Krächzen über. »Vor acht Jahren, Sir, wenn Sie sich zu erinnern belieben . . . Bootsmaat Peter Owen. Auf . . .«

Ramsay fuhr blitzschnell mit der Hand an Peters offenem Mund vorbei, als ob er nach einer Fliege haschte. »So«, sagte er freundlicher, aber mit Nachdruck, »damit wäre diese Sache ein für allemal abgetan. Und am zweiten Weihnachtstag können Sie mich so um die neunte Abendstunde hier abholen. Nehmen Sie in Zukunft immer den Weg durch den Hof. Mrs. Machennan wird ihn Ihnen zeigen.«

Er machte Miene, den Klingelknopf zu drücken, aber Peter Owen geriet so außer Rand und Band, daß er jeglichen Respekt vergaß und dem anderen in den Arm fiel.

»Tun Sie's nicht, Sir«, stieß er ängstlich hervor, »ich finde den Weg schon allein. Wo der Hof ist, weiß ich bereits. Sie hat mich ja dreimal mit der Bürste hinausgeschickt, weil ihr meine Stiefel nicht blank genug waren. Es wird vielleicht besser sein, wenn ich einfach immer vor dem hinteren Eingang auf Sie warte, Sir . . . Es ist nämlich wegen des Priems«, erklärte er auf den verwunderten Blick Ramsays etwas verlegen und gallig. »Ich muß so was im Mund haben, wenn ich auf dem Damm sein soll, aber die Lady hat gesagt, daß ein Teppich kein Themsewasser ist, und daß man es nachher im ganzen Haus riecht. Als ob unsereiner keine Manieren hätte und fortwährend nur so wild 'rumspuckte! Das hab' ich ihr auch gesagt, aber sie hat mich sehr freundlich angelächelt und hat gesagt: ›Geben Sie das Ding heraus.‹ Ich aber habe darauf ebenso freundlich gesagt: ›Nein‹, und da ist sie mir auf einmal mit einem Kochlöffel, den sie hinter dem Rücken versteckt hatte, blitzschnell zwischen die Zähne gefahren und hat mir den Priem einfach herausgefischt. Er war gut einen halben Finger lang und gerade frisch . . .«

»Die sanfte Mrs. Machennan?« fragte Ramsay mit einem ungläubigen Lächeln.

Peter verzog bedenklich den linken Mundwinkel, besann sich aber noch rechtzeitig auf den Teppich und auf seine guten Manieren.

»Sie ist eine Schottin, Sir, was ich sofort gehört habe. Das hat immer den lieben Gott auf der Zunge und den Teufel im Leib. Wie gesagt, ich werde nächstens lieber draußen warten. Von acht Uhr an bin ich zur Stelle. Und vielleicht wird es gut sein, wenn Sie sich so herrichten, daß Sie zu mir passen. Es kommen ja manchmal auch feiner angezogene Leute in den ›Durstigen Stockfisch‹ aber da gibt es dann immer ein albernes Hälserecken und Tuscheln. Besonders seitdem die Geschichte mit dem Mann passiert ist, der behauptet hatte, daß so eine lumpige chinesische Nelke fünfhundert Pfund wert sei . . .«

»Wie?« entfuhr es Ramsay, und Peter blickte ihn ganz verdutzt an, weil die kurze Frage gar so scharf geklungen hatte.

»Natürlich ist das Unsinn«, glaubte er sich rechtfertigen zu müssen, »aber der Mann hat es wahrhaftig gesagt. Vielleicht hatte er schon ein bißchen zuviel getrunken, obwohl man ihm davon nichts anmerkte. Er hat nur schrecklich protzig getan, und deshalb hat sich sofort eines der aufgetakelten Barmädchen zu ihm gesetzt. Und weil diese diebischen Weiber immer erst mit Kleinem anfangen, wollte sie ihm zunächst einmal die Blume ziehen, die er im Knopfloch stecken hatte. Aber da hat ihr der Mann auf die Finger geklopft, daß es nur so klatschte, und hat ganz laut geschrien: ›Davon laß deine Pfötchen, mein Kind, das ist nichts für dich. Das ist eine chinesische Nelke, die gut ihre fünfhundert Pfund wert ist.‹ – Tja, dabei wäre natürlich weiter nichts gewesen, aber zwei Stunden später hat eine Polizeipatrouille den Mann in der nächsten Gasse mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden. – Und wenn wir schon davon reden«, schloß der vorsichtige Peter Owen, indem er sich wieder einmal geräuschvoll das Kalbfell kratzte, »möchte ich sagen, daß es auch gut wäre, wenn Sie etwas Sicheres zu sich steckten, Sir . . .«

»Soll geschehen«, erwiderte Donald Ramsay etwas zerstreut, denn seine Gedanken waren bei der chinesischen Nelke, von der er in der letzten Stunde von drei Seiten so verschiedene Dinge vernommen hatte.


 << zurück weiter >>