Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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15

»Donnerwetter!« murmelte Admiral Sheridan in der nächsten Minute ehrlich verblüfft, denn das erste, was ihm in die Augen fiel, war eine schneeweiße Möve, die ihre starren Schwingen als Verbrämung um den Brustausschnitt einer Abendrobe aus tiefschwarzem Samt breitete.

Lady Falconer durfte es sich gestatten, derartige umstürzlerische Neuheiten der Modeschöpfung einzuführen, denn sie war die geeignete Frau, um derartiges zu tragen. An ihrer schlanken und doch ein klein bißchen üppigen Figur wirkte alles kleidsam und geschmackvoll.

Dabei war Lady Falconer nicht mehr ganz jung und auch nicht das, was man eine schöne Frau nennt. Ihre Jahre konnte ihr London zwar nicht nachrechnen, aber sie hatte unbedingt die Dreißig überschritten. Vielleicht schien sie auch älter, als sie in Wirklichkeit war, weil ihrem Gesicht jede Zartheit fehlte. Die etwas zu starke Nase, der breite Mund und das ausgeprägte Kinn gaben ihm einen Ausdruck von Härte und Strenge, den Lady Falconer allerdings durch ihr ganzes Wesen Lügen strafte. Sie konnte, wenn sie wollte, von bestrickender Liebenswürdigkeit sein, und wenn sie nicht wollte, wußte sie ihre kleinen Bosheiten in eine sehr amüsante Form zu kleiden.

Mit diesen Eigenschaften hatte sie sich innerhalb der letzten zwei Jahre die Gesellschaft erobert, obwohl man ihr dies nicht allzu leichtgemacht hatte. Der letzte Marquis Falconer war nicht in der Lage gewesen, seiner Gattin zu dem alten klangvollen Namen auch die entsprechende Stellung zu bieten, denn er hatte bis dahin seine kümmerlichen Tage schlecht und recht ziemlich weit abseits seines Standeskreises verbracht. Man erfuhr überhaupt erst von seinem Dasein, als plötzlich eine Lady Helen Falconer nicht nur mit diesem hochtönenden Titel, sondern auch mit dem entsprechenden Prunk auf den Plan trat. Sie sprach das Englische mit einem merklichen amerikanischen Akzent, und sie wirkte bereits sehr frauenhaft – also war sie für die überraschte Welt eine reiche amerikanische Witwe, die ein glücklicher Zufall dem bereits alternden Lord in den Weg geführt hatte.

Falconers Freude über diese geradezu märchenhafte Wendung der Dinge war so unbändig, daß er sich in seinem neuen fürstlichen Heim in Bayswater Tag für Tag gründlich, aber ohne jedes Ärgernis betrank, während die weit ehrgeizigere Lady daran ging, seinem alten Namen neuen Glanz zu verleihen. Sie unterzog sich dieser schwierigen Aufgabe mit großer Geduld, gewiegter Menschenkenntnis und bewundernswertem Takt. Es geschah nie, daß sie auch nur den geringsten Annäherungsversuch an die zu frostiger Abwehr bereite Adelsclique unternommen hätte, zu der sie sich unbedingt zählen durfte, und sie gewann sich dadurch die mit Bitterkeit erfüllten Herzen jener Gesellschaftsschicht, die ihr Los teilte: jener Leute, die sich infolge ihres so und so erworbenen Reichtums für unten bereits zu vornehm dünkten, oben aber einer sehr kühlen Schulter begegneten. Diesen erschien die vereinsamte Lady Falconer als ein neues, verheißungsvolles Gestirn, und binnen kurzer Zeit war sie von einem förmlichen Hofstaat umgeben, der es in seiner ganzen Lebensführung mit dem andern Lager sehr wohl aufnehmen konnte.

Darüber wurde man drüben allmählich etwas unruhig, und man wurde noch unruhiger, als verschiedenes aus dem andern Kreis durchsickerte. Lady Falconer ließ dort ihr Licht leuchten, und ihr Gefolge pries sie als entzückend geistreiche und ungemein schlagfertige Frau. Man hatte auch allen Grund dazu, denn die Lady bereitete ihren Getreuen eine ungeheure Genugtuung und ein außerordentliches Vergnügen. Sie stürzte allmählich die Götter, vor allem aber die Göttinnen, um deren Gunst man sich vergeblich bemüht hatte, daß es nur so rumpelte. Sie hatte die Gabe, an jedem eine kleine Schwäche oder Lächerlichkeit zu entdecken, und die zierlichen, aber spitzen Pfeile, die sie versandte, saßen so gut, daß die Betroffenen sie sehr bald höchst unangenehm empfanden.

Eine derartige Gegnerin war doppelt gefährlich, da sie theoretisch ja immerhin zu dem eigenen bevorzugten Kreis gehörte. Hatte doch irgendein König einem Marquis Falconer für sich und seine Nachkommen das Recht verliehen, zu jeder Tages- und Nachtzeit im bloßen Hemd bei Hof zu erscheinen, und es gab selbst unter dem höchsten Adel nur wenige Geschlechter, die sich eines so ehrenvollen Privilegs hätten rühmen können.

Man war also geneigt, mit Lady Helen ehestens Frieden zu schließen und wartete nur auf eine Gelegenheit, die diese Kapitulation nicht allzu schmählich erscheinen ließ. Diese günstige Gelegenheit schuf der gefällige Lord Falconer, indem er nach kaum halbjähriger Ehe in besonders glückseliger Stimmung eine oder die andere Flasche seines geliebten französischen Kognaks zu viel trank und für immer einschlief.


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