Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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9

Es war bereits später dunkler Nachmittag, als Donald Ramsay am ersten Weihnachtstag das Taxi unweit der Westminster Brücke bezahlte und auf einem Umweg in sein Heim zurückkehrte.

»Oh«, empfing ihn Mrs. Machennan auf der Diele und setzte dabei ihr allersanftestes Lächeln auf, »wie schade; gerade vor einigen Minuten hat sich das kleine Telefon gemeldet.« Und dann deutete sie plötzlich zur Seite auf eine offene Tür, die von irgend etwas ausgefüllt wurde, und fügte hinzu: »Das ist Pheny, das Mädchen, Mr. Ramsay. Sie sieht zwar etwas unbeholfen aus, ist aber in allem sehr geschickt und unbedingt verläßlich.«

Pheny, das Mädchen, sah aus, als ob sie in aller Eile aus einigen wuchtigen Baumstämmen zusammengenagelt und dann rasch noch ein bißchen zurechtgeschnitzt worden wäre. Ihr derbes Gesicht war bis auf drei ausgedehnte gelbliche Sommersprossenfelder knallrot, und darüber hatte ihr der Schönheitssinn der sanften Mrs. Machennan eine blütenweiße Haube aufgestülpt. Für gewöhnlich gab sich Pheny nicht netter als ein phlegmatisches Flußpferd, aber nun hatte sie freundlich den großen Mund geöffnet und zeigte ihr ganzes starkes Gebiß. Gleichzeitig schwang sie abwechselnd einen der beiden Stämme, auf denen sie stand, und stierte mit verglasten Augen auf ihre Herrin.

»Also, Pheny – schön«, sagte der neue Hausgenosse in seiner liebenswürdigen Art, aber etwas zerstreut. »Und das kleine Telefon, jawohl. – Danke, liebe Mrs. Machennan.«

Damit schnellte er auch schon die Treppe hinauf, und Pheny wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

Gottlob war Mrs. Machennan zufrieden. »Für das erste Mal ist es mit dem Knicks ganz gut gegangen«, sagte sie, »aber wir müssen doch noch fleißig weiterüben. Immer mittags und abends, wenn Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind. Ich kann mir doch nicht nachsagen lassen, daß ich meine Hausmädchen aus dem Zoologischen Garten beziehe.«

»Kchchch . . .«, stimmte Pheny zu. Da sie das H nicht aussprechen konnte, und weil das C, das G und das K sich ihr immer am Gaumen spießten, kaprizierte sie sich auf diese Laute, auch wenn sie nicht am Platze waren. Aber Madame hatte ihr schon gesagt, daß das ebenfalls anders werden müsse. Es habe einmal ein Mann gelebt, der auch so eine schwere Zunge gehabt hätte, aber dann habe er eines Tages einen Stein darauf gelegt und plötzlich so schön und fließend gesprochen wie ein Prediger. So hoch hinaus wollte zwar Pheny gar nicht, weil sie auch so ganz gut auskam, aber probieren konnte man die Sache ja schließlich. Wenn also Mrs. Machennan auf Besorgungen aus war, steckte Pheny, das Mädchen, zuweilen ein Fünfunzengewicht von der Küchenwaage in den Mund und lief damit ein bis zwei Stunden herum. Bis jetzt konnte sie jedoch noch nicht feststellen, daß dies etwas genützt hätte.

»Ich gehe nun wieder nach vorne ans Fenster«, sagte Mrs. Machennan mit ihrer sanften Stimme, »und Sie schauen auf der Küchenseite hinaus. Und wenn Sie jemanden bemerken sollten, der sich unser Haus allzu neugierig anguckt, so rufen Sie mich. Sollte ich aber vielleicht gerade oben bei unserm Herrn sein, so passen Sie auf den nichtsnutzigen Herumstreicher scharf auf. Und wenn er gar klingeln sollte, um einen Blick hereinzutun, legen Sie ihm die Hand auf die Augen, wie ich es Ihnen zeigte.«

»Kchchch . . .«, machte Pheny wieder, und Mrs. Machennan glitt mit einem befriedigten Nicken davon.

Mittlerweile saß Ramsay oben vor einem kleinen Apparat, der auf seiner Scheibe rote Ziffern und seltsame Zeichen hatte, und gab auf einige kurze Fragen Bescheid.

»Heute? – Heute bin ich im Piccadilly. Es ist ja volle sechs Jahre her, daß ich so ein richtiges Weihnachtsessen mitgemacht habe. – Ob ich allein bin? Nun, ja und nein. Man sorgt besser immer vor, weil man ja nie weiß . . . All right Danke.«

Wenn der recht anspruchsvolle Mr. Donald Ramsay nicht bereits längst gewußt hätte, wie gut er bei der freundlichen Mrs. Machennan aufgehoben war, so hätte ihn die nächste Stunde unbedingt davon überzeugen müssen. Vom Bad bis zu den vielen Kleinigkeiten, die ein Herr benötigt, um zu einem Festessen wirklich gut angezogen zu sein, fand er alles so wohl vorbereitet, wie selbst der vertrauteste Kammerdiener es nicht geschickter besorgen konnte. Sogar die goldene Zigarettendose lag zum Füllen aufgeschlagen und darin ein kleiner in Papier gehüllter Gegenstand. Der eigenartige Siegelring darin war das einzige, was der äußerst vorteilhaft aussehende Gentleman verschmähte und rasch wieder in eine Schublade tat; dafür entnahm er aber nach kurzer Überlegung derselben Lade etwas, was seine fürsorgliche Hauswirtin doch nicht vorgesehen hatte, weil man es für gewöhnlich zu Festessen nicht zu sich zu stecken pflegt, und ließ es in die Hüfttasche gleiten. Ramsay war eben im Begriffe, Mrs. Machennan heraufzubitten, um ihr ein paar nette Worte zu sagen, als ihm ihr Klopfen zuvorkam.


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