Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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38

Immerhin brauchten sie aber noch eine gute halbe Stunde, bevor sie aus dem dunklen Gäßchen heraus konnten, weil es auf einmal rings herum von neugierigen Polizisten nur so wimmelte und sie keine Lust hatten, mit Fragen aufgehalten zu werden. Und als sie dann endlich vorsichtig die Nase in die Commercial Road hinaussteckten, geschah ganz unvermutet noch etwas, was sogar Peter über den Spaß ging.

Es krachte nämlich plötzlich noch einmal, und Donald Ramsay fuhr mit der Hand nach dem Kopf. Aber dann hatte er auch schon den Browning herausgerissen und zielte auf ein sackartiges Etwas, das mit großen Sätzen im Schatten der Häuser davonraste. Es war eigentlich nicht viel mehr zu sehen als ein schimmernder Fleck, wo andere Leute den Schädel haben.

Ramsay setzte unschlüssig ab – dann schnellte er die Waffe wieder hoch – und gerade, als das Etwas um eine Ecke bog, drückte er ab . . .

»Sie haben sich's ein bißchen zu lange überlegt, Sir«, stieß Peter so aufgeregt hervor, daß er sich völlig vergaß. »Eine Sekunde früher, und Sie hätten dieses heimtückische Schwein sicher umgelegt.«

Ramsay antwortete nicht, sondern holte sein Taschentuch hervor, um das Blut abzuwischen, das ihm von der Stirn ins Gesicht rann. Peter zischte ergrimmt und sandte dem längst entschwundenen Schützen rasch noch ein paar seiner saftigen Verwünschungen nach, dann besah er sich sachverständig den Schaden. Der Streifschuß saß an der Stirn, fingerbreit neben der Schläfe.

»Um einen Zoll!« knurrte Peter Owen mit einem Ernst, der sonst nicht seine Sache war, und konnte nicht begreifen, daß der Gentleman diese Gemeinheit so lustig zu finden schien. Er ließ nämlich plötzlich ein leises Lachen hören, und dann sagte er:

»Wenn ich mit meinem Schuß Glück gehabt habe, dann wird diese tolle Komödie sehr bald noch ein bißchen interessanter werden.«

Peter verstand das nicht, aber auch Donald Ramsay, der genau wußte, was er meinte, sollte eine unangenehme Überraschung erleben.

 

Der kleine Dieb war von seinen Beschützern so begeistert, daß er sie noch zu einem Trunk in seine Stammkneipe einlud. Aber sogar Peter Owen lehnte dankend ab, denn der Gentleman mit dem blutigen Kopf mußte wohl heim, und allein wollte er sich mit solchem Geschmeiß nicht herumtreiben.

So suchte denn der Dieb mit dem gewaltigen Schreck, den ihm die Ereignisse in die Glieder gejagt hatten, allein fertig zu werden und merkte schon nach dem zweiten Glas, daß es auch so ging. Er fand, daß er sich riesig tapfer gehalten hatte, und die Leute der »Chinesischen Nelke« würden nun wissen, daß mit ihm nicht gut Kirschen essen war . . .

Das Auto, das nach etwa einer halben Stunde an einer Ecke unweit der Schenke hielt, war ziemlich groß, aber recht unansehnlich. Auch der Mann, der ausstieg, war unauffällig.

»Ich werde mir also jetzt den Burschen holen«, sagte er gedämpft zu den zwei handfesten Polizisten, die im Innern saßen. »Er wird wohl keine Geschichten machen, aber damit es kein Aufsehen gibt, fahrt hinter mir her bis vor das Lokal und laßt die Wagentür offen. Ich schiebe ihn dann flink herein. Je früher wir die Sache vom Halse haben, desto besser«, fügte er noch leiser und mit einem gewissen Unbehagen hinzu. »Mit den Dingen vom ›Haus im Schatten‹ mag ich nicht gern zu tun haben . . .«

Es ging alles genauso, wie der Mann es vorgesehen hatte, und damit war der kleine Dieb für eine Weile aus der Öffentlichkeit verschwunden . . .


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