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Diese Tage drohten, die nette Mrs. Adelina Derham wieder einmal aus ihrem wohlbehüteten seelischen Gleichgewicht zu bringen. Das waren ja schrecklich aufregende Dinge, die man zu hören bekam: Oberst Wilkins tödlich verunglückt – und Lady Falconer plötzlich gestorben. – Beide fast zu gleicher Zeit. Da mußte man sich doch seine Gedanken darüber machen. – Und die Zeitungen, die sonst über die langweiligsten Geschehnisse nicht genug erzählen konnten, kamen einem gerade diesmal gar nicht zu Hilfe. Zwei kurze Zeilen ohne jede Einzelheit über jeden Todesfall waren das einzige, was sie darüber brachten.
Glücklicherweise ging aber in diesen Tagen das Telefon vom Morgen bis zum Abend, und es gab keinen der ehemaligen Bekannten, der sich nicht mit teilnehmenden Nachfragen und vielen Entschuldigungen wieder gemeldet hätte. Man konnte sich also über die Sensation wenigstens ein bißchen ausplauschen, und Tante Ady nahm begierig und dankbar alles auf, was man ihr über die näheren Umstände und Zusammenhänge anvertraute. Es lautete zwar aus jeder Quelle anders, aber es war immer riesig interessant, und man wußte nicht, was man lieber glauben sollte.
An diesem Morgen aber hatte Mrs. Derham einen lähmenden Schrecken bekommen, weil sie in den Blättern plötzlich auf den Namen Maud Hogarth gestoßen war. Um Gottes willen, hatte das Kind vielleicht schon wieder etwas angestellt? Hing das am Ende mit jenen vierundzwanzig Stunden zusammen, die Maud weg gewesen war und über die man trotz aller Bemühungen von ihr nichts erfahren konnte?
Tante Ady hatte sich mit flimmernden Augen über die Notiz gestürzt, aber schon nach den ersten Worten war ihr der schwere Stein vom Herzen gefallen.
Man erinnere sich wohl noch an den aufsehenerregenden Prozeß gegen Maud Hogarth, eine sehr schöne junge Dame aus vornehmer und verdienter Familie – hieß es nämlich darin –, der zur allgemeinen Befriedigung mit dem Freispruch der sympathischen Angeklagten endete. Nun hätten sich plötzlich verschiedene Umstände ergeben, die alle Rätsel des geheimnisvollen Falles völlig lösten. Es stehe jetzt fest, daß durch den wohlerwogenen Spruch des Gerichts tatsächlich ein verhängnisvoller Justizirrtum verhindert wurde. Miss Hogarth dürfte daher darauf Anspruch haben, daß ihr vor aller Öffentlichkeit eine volle Rehabilitierung zuteil werde . . .
Mehr verrieten die Blätter leider nicht, und Mrs. Derham hatte also noch eine Sache, über die sie sich den Kopf zerbrechen konnte. Mit Maud war ja leider über all diese Dinge nicht zu sprechen. Sie saß verträumt herum und war so zerstreut, daß sie alle Fragen überhörte, und es schien fast, als ob sie wieder in die alte Gereiztheit verfallen wollte, denn hier und da zeigte sich bereits wieder die böse Falte zwischen ihren Brauen.
Maud Hogarth war wirklich zwar nicht in gereizter, aber in sehr bedrückter Stimmung. Die eine schwere Sorge war ja endgültig von ihr genommen, denn sie hatte die Papiere der »Chinesischen Nelke« geöffnet und wirklich einen Brief des Oheims an Admiral Sheridan darin gefunden. Aber dafür war eine andere Sorge über sie gekommen, die sie mit neuem beklemmenden Bangen erfüllte. Was würde nun werden? Sie liebte den Mann, der sie so fürsorglich durch alle Fährlichkeiten geführt hatte, mit leidenschaftlicher Hingabe, und sie war bereit, ihm zu folgen, wer und was immer er auch sein mochte – aber . . .
Das war heute bereits der dritte Tag, daß sie nichts mehr von ihrem Verbündeten gehört hatte. Und beim Abschied in dem Haus bei der Westminster-Brücke hatte er ihr doch so glühende Beteuerungen zugeflüstert. Warum kam er nun nicht – und warum meldete er sich nicht einmal? Und warum hatte sie, als sie in ihrer wachsenden Unruhe gestern die bewußte Nummer anrief, nur ein höfliches, aber kurzes ›Verreist‹ zur Antwort bekommen? Verreist – ohne sie auch nur zu verständigen?
Es war genau zwölf Uhr mittags, als der alte Diener in der Tür erschien und mit geziemender Feierlichkeit meldete:
»Lady Trenton.«
Mrs. Derham war nach dem kleinen Aufschrei höchster und angenehmster Überraschung noch nicht wieder so ganz bei Atem, als die Besucherin bereits auf der Bildfläche erschien. Eine schlanke Frau mit silberweißem Haar und einem frischen, jungen Gesicht.
»Welch eine Freude!« stammelte Tante Ady. »Und welch ein Zufall. Vor einigen Tagen erst habe ich von Ihnen erzählt . . .«
»Ja, nun erinnere ich mich Ihrer auch«, lachte Lady Trenton. »Sie waren damals ein süßer, kleiner pausbackiger Engel.«
»Oh . . .«, hauchte Mrs. Derham geschmeichelt und ließ einen etwas wehmütigen Blick an ihrer stattlichen Fülle niedergehen.
Die lebhafte Lady Trenton aber wandte sich bereits an Maud und umfaßte diese mit einen Blick voll Neugier und Wärme. »Und das ist wohl Maud Hogarth?« fragte sie. »Ich habe bereits schrecklich viel von Ihnen gehört, liebes Kind . . .«
»Und wahrscheinlich viel Schreckliches«, erwiderte Maud wenig freundlich. Sie fand die Bemerkung der völlig Fremden einfach taktlos, denn wenn man von ihr sprach, konnte sich das ja immer nur auf die eine Sache beziehen.
Aber Lady Trenton nahm den spitzen Ton gar nicht übel. »Ich konnte mir wirklich nicht alles merken, Liebste«, erklärte sie mit einem schalkhaften Lächeln, das ihr feines Gesicht geradezu mädchenhaft erscheinen ließ. »Es war so unendlich viel, und außerdem war es ziemlich konfus. Deshalb bin ich selbst gekommen, um Sie mir anzusehen. Ich habe Ihnen auch etwas mitgebracht. Da es aber ziemlich umfangreich ist, habe ich es in der Diele zurückgelassen. Sind Sie gar nicht neugierig?«
Maud Hogarth war nicht neugierig, aber sie verstand den Wink und verschwand mit einem eisigen Nicken.
Tante Ady war dies sehr recht, denn nun konnte man sich gründlich ausplaudern. Es drängte sich ihr auch bereits eine Fülle begieriger Fragen auf die Lippen, aber bevor sie sich noch entscheiden konnte, welche sie zuerst stellen sollte, begann Lady Trenton von sich zu sprechen. Auch das war Mrs. Derham recht, und sie sammelte sich zu gespannter Aufmerksamkeit.
»Lord Trenton ist leider unabkömmlich, sonst hätte er mich begleitet. Er ist sehr seßhaft und hat zu jeder Jahreszeit irgendeine wichtige Beschäftigung, die ihn auf dem Lande zurückhält. Augenblicklich jagt er noch. Dafür habe ich aber einen einzigen Sohn, der gar nicht seßhaft ist und dem das Leben nicht bewegt und aufregend genug sein kann. Nicht einmal als Seeoffizier hat es ihm behagt, und er ist auf etwas noch Abenteuerlicheres verfallen. Ich war seinetwegen oft in großer Sorge – aber nun dürfte das, Gott sei Dank, vorüber sein . . .«
»Ja . . .«, sagte Tante Ady erwartungsvoll, da Lady Trenton eine Pause machte, wo doch die Geschichte gerade erst richtig interessant zu werden versprach.
Von den wirbelnden Ereignissen, die die nächsten Minuten brachten, vermochte die nette Mrs. Derham zunächst nur das eine festzuhalten, daß sie mehrmals stürmisch umarmt und sogar richtig abgeküßt wurde und daß in der zärtlichen Runde, die sie umgab, plötzlich auch ein höchst sympathischer junger Mann war. Aber endlich faßte sie sich doch und wußte nun auch sofort, was sich für diese Stunde geziemte.
»Vielleicht«, schlug sie ein bißchen zaghaft vor, »könnten wir jetzt das Radio einschalten. Es ist eben das tägliche Schallplattenkonzert drin, und man hört da so hübsche und – und – so stimmungsvolle Schlager . . .«
»Gut«, sagte die verständige Lady Trenton mit ihrem schalkhaften Lächeln, »setzen wir beide uns also ans Radio. Die Jugend, vermute ich, wird sich unterdessen auch ohne Schallplatten zurechtfinden.«
Ende