Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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8

Obwohl Gardner eine halbe Stunde lang Sekunde für Sekunde auf das leise Klappen gewartet hatte, fuhr er nun, da es sich endlich hören ließ, doch schreckhaft zusammen und schielte scheu nach der fensterartigen Öffnung, die sich schräg gegenüber in der Wandtäfelung aufgetan hatte. Der stumme Diener war lautlos irgendwohin verschwunden, aber der Anwalt wagte nicht, sich aus seinem Sessel zu rühren. Auf die Gefährlichkeit des engmaschigen Drahtnetzes vor der Öffnung hatte man ihn schon bei seinem ersten Besuch ausdrücklich aufmerksam gemacht; es war nicht ausgeschlossen, daß es noch andere derartige Teufeleien in diesem unheimlichen Bau gab. Er zog es daher vor, sich krampfhaft in die Lederpolsterung zu drücken, und dann räusperte er sich, um den trockenen Hals etwas freizubekommen.

»Nun«, erklang es auch schon von jenseits der Wand, »wie haben Sie Ihren Schützling gefunden? Hat er verstanden? Hat die Ankündigung gewirkt? Hat er sich Ihnen anvertraut?«

Gardner bemühte sich, diese überstürzten und ungeduldigen Fragen gewissenhaft zu beantworten.

»Ich bin überzeugt«, sprudelte er lebhaft los, »daß sie sie gelesen und vollkommen verstanden hat. Übrigens habe ich sie in ganz unauffälliger Weise auch noch selbst auf die Anzeige aufmerksam gemacht. Aber vorläufig scheint dadurch leider gerade die gegenteilige Wirkung erzielt worden zu sein. Ich habe sie schroffer und unzugänglicher denn je gefunden, und sie hat sich sogar zu einer ernsten Drohung verstiegen.«

»Zu welcher Drohung?«

»Zu der Drohung, das nächste Mal wirklich das zu tun, dessen sie im Falle Foster beschuldigt war«, berichtete er mit all der Beklemmung, die er darüber empfand. »Es scheint also ganz so, daß sie zum Äußersten entschlossen ist. Und wie ich sie kenne . . .«

»Ach so . . .«, sagte die Stimme nebenan nach sekundenlanger Pause. »Das sind natürlich bloße Redensarten. Setzen Sie Ihre Bemühungen unbeirrt fort. Vielleicht geschehen schon in den allernächsten Tagen Dinge, die die eigensinnige junge Dame doch veranlassen, Ihren Rat einzuholen. Wie dieser zu lauten hat, wissen Sie ja. Sobald Sie das Buch in Händen haben, bringen Sie es persönlich hierher. Es hat gar keinen Zweck, daß Sie sich selbst irgendwie damit beschäftigen. Die englische Übertragung der alten rührsamen Geschichte von der Chinesischen Nelke würde Sie wahrscheinlich sehr langweilen, und mit den handschriftlichen Notizen wüßten Sie nichts anzufangen. Geben Sie sich also damit erst gar keine Mühe. Sollte eine besonders günstige Wendung eintreten, erhalten Sie einen Wink und weitere Befehle. Ich erwarte aber, daß Sie es dann geschickter anstellen als der Mann, der den ersten Versuch unternommen hat.«

Noch in das letzte Wort klang bereits wieder das leise Knacken, und die Wand gegenüber lag glatt und stumm wie vordem; und neben der Tür stand plötzlich auch wieder der Verhüllte und machte eine auffordernde Handbewegung.

Aber der Anwalt war so erregt, daß er sie zunächst übersah. Der Schlußsatz von »dem Mann, der den ersten Versuch unternommen hat«, hatte ihm einen lähmenden Schrecken eingejagt, denn er mußte unwillkürlich an die geheimnisvollen Vorgänge um den Tod des Majors Foster denken.

Und den gleichen Weg gingen in dem gleichen Augenblicke auch die Gedanken des Herrn mit dem buschigen Schnurrbart und der verletzten Hand . . .


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