Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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45

Als es bereits gegen drei Uhr ging, ohne daß seine Hauswirtin zurückgekehrt war, überkam Donald Ramsay eine beklemmende Unruhe, aber er konnte nun nicht länger warten.

Schließlich war ja die ›Turteltaube‹ wirklich eine Frau von Geschick und Erfahrung, und man mußte nicht gleich an das Schlimmste denken.

Pheny, das Mädchen, beeilte sich, dem vornehmen Mieter artig bis zur Hofpforte voranzustapfen, wo sie sich in ehrerbietiger Hockstellung und mit ihrem liebenswürdigsten Grinsen verabschiedete. Dann ging sie zurück in die Küche, und da gerade eine so günstige Gelegenheit war, legte sie wieder einmal das Fünfunzengewicht auf die widerspenstige Zunge.

Ramsay fand sich mit großer Sicherheit durch den dicken Nebel, dennoch bereitete ihn dieses unvorhergesehene Wetter Sorge.

Auf dem nächsten Parkplatz nahm der junge Mann ein Taxi, das ihn nach einer der kleiner Querstraßen der Old Bond Street brachte. Er stieg an der Ecke aus, ging aber dann noch ein Stück weiter und setzte an der Pforte eines schmalen, etwas zurückspringenden Gebäudes den Klopfer in Bewegung.

Der stämmige Diener, der öffnete, trat respektvoll beiseite. »Sir Frederick wartet bereits«, sagte er und geleitete den Besucher in das erste Stockwerk.

In einem recht altmodisch und nüchtern ausgestatteten Raum saß Sir Frederick Legett an einem mit Büchern und Papierstößen bedeckten Tisch. Es war vor ihm nicht mehr als ein dunkler Schatten zu sehen, denn die Deckenbeleuchtung war ausgeschaltet, und das Licht der kleinen Stehlampe zeichnete bloß einen scharf abgegrenzten Schein auf die Tischplatte.

»Nehmen Sie Platz, bitte«, jagte er mit seiner dünnen Stimme, indem er Ramsay die hagere Hand entgegenstreckte. »Sie dürfen sich auch eine Zigarette anzünden. Ich selbst rauche zwar nicht, aber es geniert mich nicht.« Er schob dem Besucher eine Kassette und einen Streichholzständer zu, und dann trommelte er mit den Fingern sekundenlang auf der harten Lehne seines Sessels.

»Ich wollte Sie einiges fragen«, begann er endlich. »Telefonisch sind Sie leider schwer zu erreichen.«

»Es gibt sehr viel zu tun«, entschuldigte sich Ramsay, indem er den Rauch rücksichtsvoll zur Decke blies.

»Wie stehen die Dinge?«

»Ich bin zufrieden.«

»Wie lange glauben Sie, daß es noch dauern kann? Sir John wird bereits sehr ungeduldig.«

Der junge Mann dachte einen Augenblick nach, dann zuckte er mit den Achseln. »Es kann vielleicht schon morgen soweit sein es können aber auch noch Tage vergehen.«

»Jedenfalls sind Sie aber Ihrer Sache sicher?«

»Vollkommen.«

»Was steckt dahinter?«

»Etwas so Böses, daß ich nicht darüber sprechen möchte, bevor ich nicht alle Beweise in Händen habe.«

Sir Frederick machte eine leichte Bewegung, aber erst nach einer kleinen Pause setzte er das so wenig ergiebige Frage- und Antwortspiel fort. »Haben Sie bereits gehört, was mir in der verflossenen Nacht passiert ist?«

»Was ist geschehen?« wich Ramsay aus.

»Ich bin angeschossen worden.« Legett deutete auf seinen linken Arm, den er in einer Binde trug. »Auf dem Heimweg. Es ist aber nur eine Fleischwunde.«

»Oh . . .« Es klang überrascht und bedauernd zugleich. »Wann war das und wo?«

Legett mußte einen Augenblick nachdenken. »Eben als ich vom Wobrun Square in die Tottenham Court Road einbog«, erklärte er dann. »Ich kam aus einem Klub, der dort in der Nähe ist, und es dürfte einige Minuten nach halb drei gewesen sein. Man muß einen Schalldämpfer benützt haben«, fügte er hinzu, »denn ich hörte den Schuß kaum.«

Er schien irgendeine weitere Frage zu erwarten, aber Ramsay erkundigte sich: »Werden Sie da heute nacht auf der Themse mitmachen können?«

»Gewiß. Die Kleinigkeit behindert mich nicht.« Sir Frederick beugte sich plötzlich etwas vor, so daß sein spitzer kahler Kopf in den Lichtkreis der Lampe geriet. »Ja – und dann möchte ich gern noch etwas wissen: Sie glauben, daß Sie dem Mann, auf den Oberst Wilkins aufmerksam gemacht hat, begegnet sind?«

Ramsay drückte mit großer Umständlichkeit seine Zigarette aus. »Ja«, erwiderte er, »sogar bereits zweimal. Ich bin fest überzeugt, daß es dieser Mann gewesen ist.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Aus seinem sonderbaren Aussehen, und weil er so unfreundliche Absichten gegen mich bekundete.« Er tippte auf das Pflaster an seiner Stirn. Aber so interessant diese Andeutung war, Sir Frederick verriet nicht den Wunsch, mehr darüber zu hören. Er hüstelte, und dann flüsterte er leise eine ganz gleichgültige Frage.

»Sie kennen Miss Hogarth!«

»Ja«, kam es unbefangen zurück.

»Schon seit längerer Zeit?«

»Noch nicht achtundvierzig Stunden.«

»Danke«, sagte der Herr mit dem kahlen Spitzkopf, und Donald Ramsay wurde mit einen flüchtigen Händedruck entlassen.

 

Es fehlten noch zehn Minuten an der vereinbarten Zeit, als er den Hydepark-Eingang in der Oxford Street erreichte, aber der Wagen und der Motorradfahrer waren bereits zur Stelle. Auf den Vordersitzen des Autos saßen zwei Männer, Ramsay wies jedoch den einen nach hinten, schwang sich neben den Lenker und schärfte diesem verschiedene Verhaltungsmaßregeln ein.

»Der verwünschte Nebel wird uns zwar sehr zu schaffen machen«, schloß er besorgt, »aber es muß gehen. Ich werde schon die Augen offen halten, und Sie müssen den Wagen so in der Hand haben, daß Sie auf mein Kommando sofort einschwenken können.«

Der Mann am Steuer gestattete sich ein verschmitztes Lächeln. »Wir haben neue Lichter, Sir«, sagte er. »Etwas ganz Besonderes. Wo die hineinstechen, wird der schwärzeste Nebel zu einer blitzblanken Fensterscheibe.«

Eine Stunde später erwies es sich draußen in Notting Hill, daß der Mann von seinen Scheinwerfern nicht zuviel berichtet hatte. Der Zweisitzer, dem sie folgten, lief gute zwanzig Schritte vor ihnen, schien aber in ihrem gelben Licht, das in die Nebelwand eine mächtige Bresche schlug, zum Greifen nahe. So nahe, daß Donald Ramsay versuchte, ob er nicht vielleicht auch die Gestalt am Lenkrad erspähen konnte.

Aber Maud Hogarth saß weit vornüber geneigt und hielt den Blick starr auf das ewig wechselnde Schattenspiel vor ihrem Wagen gerichtet. Es wäre ihr nicht eingefallen, diese beschwerliche Fahrt ohne Chauffeur zu unternehmen, der Mann war jedoch am Nachmittag plötzlich erkrankt, und sie wollte Lady Helen nicht im letzten Augenblick absagen. Auch hatten die seltsamen Bemerkungen ihres Verbündeten sie auf die Vermutung gebracht, daß diesem Besuch irgendwelche besondere Bedeutung zukäme, und sie sah ihm daher mit einem Gemisch von Neugier und leisem Bangen entgegen.


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