Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

27

Wenn Admiral Sheridan sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann führte er es auch aus.

Er erschien tatsächlich in großer Gala, und auch sonst war Sir John die Feierlichkeit selbst. Lady Falconer stellte fest, daß er den Damen des Hauses gegenüber eine fast übertriebene Ehrerbietung und Ritterlichkeit an den Tag legte, sie selbst aber tat er mit einem kurzen, steifen Kopfnicken ab, und sie war gezwungen, rasch für eine anderweitige Beschäftigung ihrer bereits halb ausgestreckten Hand zu sorgen.

Sheridan war endlich mit der Begrüßung fertig und betrachtete mißtrauisch den zierlichen Sessel, den man ihm anbot.

Lady Helen beobachtete ihn belustigt und wippte prüfend auf ihrem Sitz. »Wenn Sie das Möbel nicht allzu unsanft behandeln, wird es Sie wohl tragen, Sir John«, neckte sie ihn. »Im übrigen was haben Sie denn wieder einmal gegen mich? Sie haben mich gestern abend völlig übersehen, obwohl ich in der heftigsten Weise mit ihnen liebäugelte, und auch heute finde ich keine Gnade vor Ihren Augen. Dabei war ich bereits im Begriff zu gehen und bin nur noch geblieben, um Ihnen eine kleine Freude zu bereiten.«

Sir John wandte sich ihr mit einem wuchtigen Ruck zu und blinzelte mit schiefem Kopf auf sie hinunter. Dann verzog sich sein viereckiges gesundes Gesicht zu einem starren Nußknackerlächeln. »Wahrhaftig – Lady Falconer . . .«, äußerte er verwundert. »Verzeihen Sie, aber auf diese Möglichkeit wäre ich selbst im Traum nie verfallen. Ich habe Sie für irgendeine andere Dame gehalten. Aber es ist mir natürlich eine große Freude, Sie hier zu sehen – eine sehr große Freude«, versicherte er nochmals und grinste dabei. »Ja, und wegen gestern«, fuhr er fort, »muß ich auch um Entschuldigung bitten. Ich habe Sie schon bemerkt, aber der Sturmvogel, den Sie an Ihrem . . ., an Ihrer . . . na, eben vorne mitschleppten, hat mir angst und bange gemacht.«

»Es war eine Silbermöwe«, erklärte Lady Helen heiter, doch Sheridan tat diese Bemerkung mit einer Handbewegung ab.

»Diese Vögel sind alle gleich. Wenn sich so etwas auf einen Flaggenmast, einen Kamin oder die Reling setzt, sieht es darunter nach ein paar Minuten schrecklich aus. Und ich habe gestern immer nur darauf gewartet . . . «

»Aber – Sir John . . .«, mahnte Lady Falconer mit komischem Entsetzen, worauf der Admiral betroffen den Mund zuklappte. Und um seine kleine Entgleisung schleunigst vergessen zu machen, begann er von seinem armen Freunde Bexter zu sprechen.

»Es tut mir herzlich leid«, sagte er – und es stand auch in seinem Gesicht geschrieben – »daß ich die letzte Gelegenheit, noch einige Worte mit ihm wechseln zu können, versäumt habe. Er hat mich nämlich noch an seinem Todestag angerufen, ich war aber nicht da.«

Maud horchte überrascht auf. »Es ist kurz nach acht Uhr morgens geschehen . . .«, wandte sie zweifelnd ein.

Sheridan nickte. »Er hat das erste Mal sogar schon um sechs Uhr morgens angerufen, dann um sieben und schließlich noch einmal einige Minuten vor acht. Ich bin unlängst zufällig darauf gekommen, als ich mir das Telefonjournal wegen einer anderen Sache vorlegen ließ. Alle Anrufe und Gespräche werden nämlich bei mir aufgezeichnet.«

Er bemerkte das lebhafte Interesse Mauds und fühlte sich verpflichtet, noch etwas mehr darüber zu sagen. »Das war also so: Ich hatte am Abend vorher eine Meldung erhalten, die mich veranlaßte, noch in der Nacht mit einem schnellen Kreuzer auszulaufen. Meine eilige Dienstreise sollte aber nicht an die große Glocke kommen, und deshalb antworteten die untergeordneten Organe, die sich das erste und das zweite Mal meldeten, einfach, ich sei nicht anwesend. Erst beim dritten Anruf war ein Offizier meines Stabes am Apparat, der natürlich Sir Herbert kannte und ihn aufklärte. Er sagte ihm auch, daß meine Abwesenheit wahrscheinlich mehrere Wochen dauern würde . . .«

Es trat eine kleine Pause ein, die niemand unterbrechen wollte.

»Wir haben den Hörer abgehängt gefunden . . .«, sagte endlich Maud leise, und es klang so, als ob ihr dieser Umstand bereits viel Kopfzerbrechen verursacht hätte.

Auch den Admiral hatte die Auffrischung dieser Erinnerung nachdenklich gestimmt. »Weiß der . . .«, platzte er plötzlich heraus, erwischte aber das verfängliche Wort doch noch im letzten Augenblick und würgte es mit hochrotem Kopf hinunter. Dann begann er von neuem. »Jawohl. Ich werde den Gedanken nicht los, daß es dabei um eine wichtige Sache ging, denn ohne Grund hätte mich mein Freund Bexter gewiß nicht zu so ungewöhnlicher Stunde und mit solcher Ungeduld zu sprechen verlangt. Aber was er mir sagen wollte, wird nun wohl für immer ein Geheimnis bleiben . . .«

Das Gespräch hatte damit eine Wendung genommen, die selbst auf Lady Falconer nicht ohne Eindruck blieb. Die sonst so lebhafte und ewig spöttelnde Frau verhielt sich schweigsam und ernst, und sogar ihr Aufbruch, zu dem sie sich wenige Minuten später doch entschloß, ging nicht so laut vor sich wie sonst.

Dann empfahl sich auch Admiral Sheridan, und während Tante Ady die anregenden Ergebnisse der letzten Stunde mit großem Behagen verarbeitete, kehrten die Gedanken ihrer Nichte wieder zu den Abenteuern der verflossenen Nacht zurück, von denen sie nicht loskommen konnte. Und wenn sie sich nebenbei auch die Dinge, die dieser Vormittag gebracht hatte, durch den Kopf gehen ließ, so erwog sie, ob es nicht doch irgend etwas gegeben habe, das sie verpflichtete, die Verbindung mit den fünf Einsern bereits aufzunehmen . . .

Sie fand dieses Etwas zwar nicht, drehte aber eine Viertelstunde später hinter verschlossener Tür dennoch die Scheibe des Telefons.

Die Verbindung erfolgte so rasch und glatt, wie man es ihr verheißen hatte, und sogar viel zu schnell für ihre Befangenheit, die sie nur stockende Worte finden ließ, als die bekannte Männerstimme sich meldete. Aber Maud brauchte sich um eine Erklärung nicht zu bemühen.

»Ich habe Ihren Anruf erwartet«, vernahm sie zu ihrer größten Überraschung, und was weiter kam, ließ sie noch betroffener werden. »Es ist heute bei Ihnen sehr lebhaft zugegangen. Admiral Sheridan verließ vor zweiundzwanzig Minuten Ihr Haus, und Lady Falconer genau acht Minuten früher. Sie werden mir also eine Menge interessanter Dinge mitzuteilen haben.«

»Oh, es war gar nichts Besonderes los«, versicherte Maud hastig, um dieser übertriebenen Erwartung zu begegnen, erzielte jedoch damit keinen Eindruck.

»Das wird sich ja zeigen. Sie müssen mir nur recht eingehend berichten. Natürlich läßt sich das telefonisch nicht machen, aber vielleicht ist es möglich, daß wir uns im Lauf des Nachmittags irgendwo treffen?«

Maud fand den Vorschlag ungewöhnlich und zwecklos. Aber gleichzeitig suchte sie nach Gründen, die sie bestimmen könnten, darauf einzugehen. »Vielleicht werde ich ausfahren«, sagte sie endlich leichthin und unverbindlich.

»Sehr gut«, kam es zurück. »Also dann fahren Sie um drei Uhr über Hammersmith gegen Richmond. Ich werde Sie irgendwo unterwegs erwarten oder einholen.«

Bevor sie noch eine Erwiderung hervorbringen konnte, war die Verbindung bereits unterbrochen, und Maud Hogarth sagte sich mit einer gewissen Erleichterung, daß sie nun die Verabredung wohl oder übel einhalten müsse.


 << zurück weiter >>