Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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Die Vermutung Maud Hogarths, daß ihr Besuch bei Lady Falconer vielleicht etwas Besondres bringen werde, bestätigte sich nicht. Die Lady plauderte nach der stürmischen Begrüßung zunächst von allerlei gleichgültigen Dingen und kam dann wirklich sehr eingehend auf die Einladungen zu sprechen, die sie für ihren Abend in der nächsten Woche ergehen lassen wollte. Maud hatte daran nicht das geringste Interesse, aber Lady Falconer ging Namen für Namen durch, knüpfte an jeden eine kleine boshafte Bemerkung, und mancher fand bei dieser nochmaligen gründlichen Prüfung so wenig Gnade vor ihren Augen, daß sie ihn mit einem energischen Strich wieder auslöschte.

Endlich war aber auch dieses Thema erschöpft, und Maud traf Anstalten zu gehen. Dagegen erhob jedoch Lady Helen lebhaften Einspruch, und sie ließ auch die Entschuldigung Mauds, daß sie noch einen Besuch bei ihrem Anwalt vorhabe, nicht gelten.

»Die Sache wird gewiß nicht so wichtig sein, daß sie nicht noch einen oder den anderen Tag warten könnte«, meinte sie. »Nun, da ich Sie einmal bei mir habe, Liebste, lasse ich Sie nicht sobald wieder fort. Wenigstens noch ein Viertelstündchen müssen Sie bleiben.«

Also blieb Maud wirklich noch einige Minuten, und dann geleitete Lady Falconer den lieben Besuch sogar bis in die Diele hinunter. Hier gab es neuerlich einen längeren Aufenthalt, als sich herausstellte, daß Maud allein gekommen war. Lady Helen war geradezu entsetzt.

»Um Gottes willen, Kind, bei diesem Wetter! Das kann ich nicht verantworten. Ich werde Sie in meinem Wagen heimbringen lassen, und einer meiner Leute folgt mit dem Ihren.«

Sie gab auch sofort den Auftrag, Maud lehnte jedoch entschieden ab. Solche Nebelfahrten hatte sie bereits viele gemacht, und sie würde schon gehörig aufpassen.

Lady Falconer war aber dadurch gar nicht beruhigt. »Sie sind schrecklich eigensinnig, Maud«, sagte sie vorwurfsvoll. »Ich werde keine ruhige Minute haben, bevor ich Sie nicht wohlbehalten zu Hause weiß. Bitte, telefonieren Sie mir also sofort, wenn Sie glücklich in Notting Hill gelandet sind.« Ihre Besorgtheit war so groß, daß sie sich einen Mantel bringen ließ und mit Maud bis an deren Wagen ging. »Fahren Sie nur ja recht langsam, liebes Kind. Sind Ihre Lampen in Ordnung? Und haben Sie die Fenster auch gut geschlossen?« Sie überzeugte sich selbst von all diesen Dingen, dann winkte sie mit großer Herzlichkeit, und Maud Hogarths Zweisitzer glitt vorsichtig aus dem wappengeschmückten Gittertor.

Seine Lenkerin war unentschlossen, welchen Weg sie nun einschlagen sollte, denn die Antwort ihres Verbündeten auf ihre Frage wegen des Besuches bei Gardner hatte recht unklar gelautet. »Ob es dazu kommt, wird sich ja zeigen . . .«, hatte Ramsay gesagt. – Was sollte das heißen, und was sollte sie nun wirklich tun? Wieder einmal wollte die alte Gereiztheit in ihr aufsteigen, weil er ständig in solchen Rätseln zu ihr sprach, aber dann fiel ihr ein, um was er sie so eindringlich gebeten hatte. »Wenn du mich wirklich lieb hast, mußt du an mich auch glauben . . .« Und sie hatte es ihm versprochen.

Maud steuerte also ihren Wagen entschlossen hinüber zur Edgware Road. Wenn sie jenseits derselben einige der kleinen Querstraßen nahm, konnte sie in etwa zwanzig Minuten bei Gardners Kanzlei in Hoxton sein. Sie war ja schließlich auch neugierig zu hören, was er ihr mitzuteilen hatte. Vielleicht war es so dringend und wichtig, daß sie heute nochmals die bewußte Nummer anrufen mußte . . .

Die Edgware Road kam mit ihrem verschwommenen Lichterschein bereits in Sicht, als Maud plötzlich eine seltsame Müdigkeit und Benommenheit verspürte. Sie schrieb dies den geschlossenen Fenstern zu, wollte aber doch nicht öffnen, denn der triefende Nebel hätte sich sofort hereingeschlagen. Glücklicherweise konnte sie ihren Wagen gerade noch über die belebte Verkehrskreuzung bringen, dann fühlte sie, wie ihr allmählich die Sinne schwanden. Mit dem Aufgebot ihrer letzten Kräfte bog sie die erste Seitenstraße ein, ließ der Zweisitzer noch eine kurze Strecke hart am Gehsteig auslaufen und hielt dann an. Sie vermochte jedoch nur mehr die Wagentür aufzuklinken . . .

Dicht hinter ihr folgten noch ein Auto und ein Motorrad, gegen den nächsten Wagen aber, der mit einer gewaltigen Lichtgarbe lautlos heranschoß, schwang der Verkehrsschutzmann bereits die rote Scheibe.

Noch in derselben Sekunde wechselte er jedoch blitzschnell das Licht, und auch dieser Wagen flitzte noch über die Sperre . . .

Jenseits erloschen plötzlich die stechenden Scheinwerfer, und Ramsay beugte sich zu dem Radfahrer, der neben dem halb herabgelassenen Fenster auftauchte.

»Der Zweisitzer hält in der nächsten Seitenstraße«, meldete der Mann. »Es scheint irgend etwas nicht in Ordnung zu sein, er fuhr das letzte Stück sehr unsicher. Der andere Wagen ist soeben auch dort eingebogen.«

»Gut«, sagte Ramsay hastig. »Halten Sie sich von nun an hinter dem Zweisitzer, und wir folgen dem andern.«


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