Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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48

Der vom Schicksal so arg verfolgte Simonow raste, geladen mit unbändiger Wut, zurück nach Camberwell. Er hatte das scheußliche Gefühl, als ob er im nächsten Augenblick all seine schönen gelben Vorderzähne ausspucken würde, und verfluchte die beiden heimtückischen Weiber, die des Teufels Großmutter aus ihren Röcken verloren haben mußte. Ein kleiner Trost war es für ihn, daß auch sein Kamerad hatte daran glauben müssen. Der elegante Gentleman war so jämmerlich zugerichtet, daß er sich eiligst davon gemacht hatte, um vor allem ins Bett zu kriechen. Auch Simonow hätte sich gern wenigstens ein Ruhestündchen und einen stärkenden Trunk gegönnt, aber vorläufig durfte er sich solche Annehmlichkeiten nicht leisten. Der Chef, dem er so triumphierend gemeldet hatte, daß die Sache in Ordnung sei, erwartete wohl bereits ungeduldig weitere Nachrichten und durfte nicht wissen, daß es wiederum eine Schweinerei gegeben hatte. Schließlich konnte man ja von der Frau selbst mehr erfahren, als wenn man ihre Wohnung umgekehrt hätte. Seine wüste Phantasie ersann alle möglichen netten Foltern, und in der Aussicht darauf begann er fast vergnügt zu werden.

Das Haus in Camberwell war ein alter, einstöckiger Bau in einem völlig verwilderten Garten am Grand Surrey Canal. Bewohnt wurde es von einem Mann, der mit seinem ernsten glatten Gesicht so salbungsvoll aussah, als ob er eben von einer Kanzel gestiegen wäre. Er ließ sich aber wenig in der Öffentlichkeit blicken, sondern besorgte nur von Zeit zu Zeit seine Einkäufe, zu denen immer einige Flaschen Weinbrand gehörten. Dann war er wieder tagelang nicht zu sehen, oder lustwandelte höchstens hinter der verfallenen Gartenmauer, wobei er mit großen Gesten erbauliche Selbstgespräche führte.

Simonow gab das verabredete Zeichen, und als ihm aufgetan wurde, fragte er sofort: »Hat sie Lärm geschlagen?«

Der salbungsvolle Mann legte bedeutsam einen Finger an die Lippen und wies einladend auf eine halb offene Tür zur Linken, aus der ein matter Lichtschein kam. Der Raum war ebenso verwahrlost wie jener, in den man die arme Mrs. Machennan gestoßen hatte, nur war sein Mobiliar etwas reichlicher. Außer einem zerwühlten Bett und einem verschlissenen Sofa gab es hier auch ein Telefon.

»Sie hat gesungen«, flüsterte der Hüter des unfreundlichen Hauses mit schwerer Zunge und verglasten Augen. »Verruchte weltliche Lieder. Aber ich habe mir die Ohren zugehalten.«

»Du hättest dir besser das Maul zustopfen und nicht so viel trinken sollen«, fauchte ihn Simonow erbost an. »Jetzt heißt es Augen und Ohren offen halten, damit uns niemand auf den Hals kommt. Dazu hat man dich ja hergesetzt, du alter Zuchthäusler.«

»Oh, ich kenne meine Pflicht«, versicherte der andere unter heftigem Schlucken. »Und ich halte die Ohren offen. Eben hat es dort« – er deutete mit geheimnisvoller Miene auf das Telefon – »geklingelt, und ich habe mit einer fernen Stimme gesprochen. Sehr klar und deutlich gesprochen . . .«

»Was war los?« forschte Simonow.

»Man hat mir aufgetragen, rasch noch ein Zimmer herzurichten«, erklärte der Mann. »Und ich habe es bereits getan. Es ist alles in Ordnung. Man kann sich auf mich verlassen. In allem.«

»Hol dich der Teufel mit deinem albernen Gewäsch«, schnitt ihm Simonow ungeduldig das Wort ab. »Jetzt kannst du dir meinetwegen für eine Weile die Ohren zuhalten«, tuschelte er ihm zu. Dann wandte er sich wieder in den Flur und schlich nach hinten. Dort drehte er den Schlüssel in einer Tür, riß diese mit einem Ruck auf und sprang behende zur Seite.

Aber der Angriff, den er offenbar befürchtet hatte, blieb aus, und als Simonow vorsichtig den Kopf in den Raum steckte, bot sich ihm ein beruhigender Anblick.

Mrs. Machennan saß auf dem so peinlich gesäuberten Sessel, hatte die zarten Hände im Schoß gefaltet und begrüßte ihren Entführer mit einem geradezu rührenden Augenaufschlag.

»Haben Sie sich also überzeugt, daß ich Sie nicht angelogen habe?« fragte sie unbefangen. »Haben Sie das Haus gefunden?«

Das war zuviel für Simonow. Er betrat blitzschnell die Kammer, hieb die Tür kräftig hinter sich zu und machte einen Buckel wie ein sprungbereites Raubtier.

Mrs. Machennan war von der wilden Wut wie gelähmt.

»Was haben Sie denn?« stammelte sie. »Sie werden mir doch nichts tun wollen? Ich bin ja eine schwache Frau. Und wenn Pheny unhöflich gewesen sein sollte, so kann ja ich nichts dafür. Ich habe Sie doch darauf aufmerksam gemacht, daß sie ein sehr einfältiges Mädchen ist . . .«

»Ich werde es euch niederträchtigen Weibsbildern schon geben!« zischte Simonow und schlich mit griffbereiten Händen Schritt für Schritt näher. »Wenn du jetzt deine verdammten Pfoten nicht sofort brav hoch hebst, breche ich dir jeden Knochen einzeln . . .«

»Sie sind ein schrecklich roher Patron«, hauchte Mrs. Machennan schauernd, und Simonow war von ihrer Angst sehr befriedigt.

»Jawohl«, bekräftigte er. »Sei aber hübsch vernünftig. Ich werde dir nur die süßen Patschhändchen ein bißchen zusammenbinden, denn ich habe keine Lust, mir von dir das Gesicht zerkratzen zu lassen. Ich könnte dir sonst am Ende nicht gefallen.« Er war jetzt ganz nahe heran gekommen und starrte sie drohend an. »Nun, wird's?« gebot er. »Hände hoch hab' ich gesagt . . .«

Die arme Mrs. Machennan stieß einen verzweifelten Seufzer aus und gehorchte.

Aber während sie langsam die Arme hob, gab es plötzlich einen schwachen Knall, als ob ein Pfropfen aus einer Kinderpistole flöge, und in der gleichen Sekunde taumelte Simonow zurück, rang unter krampfhaften Zuckungen nach Atem und sackte dann wie vom Blitz gefällt zu Boden.

Mrs. Machennan stand bereits an der Tür und lauschte in den Flur. Als sich nichts rührte, huschte sie zurück zu dem erledigten Mann und begann, ihm mit großer Übung und Gründlichkeit seine Habseligkeiten abzunehmen. Sie stopfte alles, was sie fand, wahllos in ihre Handtasche, nur den schweren Browning steckte sie in ihren Pelz. Schließlich sah sie sich als ordentliche Frau noch einmal genau um, ob sie nicht irgendeine Kleinigkeit vergessen hatte, dann öffnete sie geräuschlos die Tür und lugte in den Gang. Sie gewahrte den Lichtschein, der aus dem noch immer halb offenen vorderen Zimmer kam, und umklammerte mit sicheren Fingern die wuchtige Pistole. Ihre Schritte waren jedoch so leise, daß sie völlig unbemerkt bis an die Haustür kam; als sie diese aber aufklinken wollte, fand sie sie versperrt. Es steckte auch kein Schlüssel im Schloß.

Die sanfte Frau machte also wieder kehrt und guckte über die Schwelle des erleuchteten Zimmers.

»Wollen Sie, bitte, die Freundlichkeit haben, mir zu öffnen«, sagte sie zu dem Mann, der sie aus blinzelnden Augen wie ein Gespenst anstarrte. »Dazu sind Sie wohl da . . .«

So umnebelt die Sinne des salbungsvollen Hauswarts auch waren, witterte er doch sofort Unrat. Man ließ die Frau sicher nicht so ohne weiteres wieder davongehen, nachdem man sich solche Mühe gegeben hatte, sie herzuschaffen! Oh, er hatte Augen und Ohren offen und kannte seine Pflicht.

Er faßte mit einem sicheren Griff nach dem Gummiknüppel, den er neben der Weinbrandflasche bereit hielt. Aber Mrs. Machennan kam ihm zuvor.

»Ich habe mir diese Pistole Ihres Kameraden ausgeborgt«, sagte sie, indem sie ihm die Mündung entgegenhielt. »Wenn Sie sich gemein benehmen, schieße ich. Dann werden Sie zuerst mit großen Schmerzen im Hospital liegen, und wenn Sie mit dem Leben davonkommen, wird man Sie einige Jahre einsperren oder gar aufhängen. Wollen Sie also nicht lieber den Schlüssel nehmen und mir aufmachen?«

Das klang so vernünftig, daß der bestürzte Mann den Knüppel hastig unter den Arm klemmte und sich wie ein wohlgeschulter Diener mit großer Höflichkeit verbeugte. »Sehr wohl, Madam, sofort«, stammelte er und langte nach dem mächtigen Schlüssel, der am Türpfosten hing. Dann riß er diensteifrig die Tür auf.

»Danke«, sagte Mrs. Machennan mit ihrer bestrickenden Liebenswürdigkeit, indem sie den Schlüssel rasch an sich nahm. »Mit dem Zusperren brauchen Sie sich nicht aufzuhalten. Das besorge ich selbst von draußen.«

Sie besorgte es auch wirklich, aber kaum war sie einige Schritte getrippelt, als sie mit einem Ruck Halt machte und gespannt in die Finsternis lauschte. Dann holte sie die gewaltige Waffe wieder aus der Tasche ihres Pelzmantels, huschte noch ein Stückchen weiter zur Gartenmauer und ließ auf einmal mit ihrer sanften Stimme in den dichten Nebel die freundliche Aufforderung ergehen: »Hände hoch, bitte. Die Balgerei hat keinen Zweck. Wer auszureißen versucht, den knalle ich nieder . . .«


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