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2

Eingedenk der Worte Joseph Simons, trennten sich die drei, und jeder zog auf eigene Faust von dannen. Sie hatten sich das Bildnis genau eingeprägt. Außerdem besaßen sie noch einige Fotografien, um ihrem Gedächtnis nachzuhelfen.

Pierre Marmont eilte nach San Franzisko, um dort einen früheren Bekannten ausfindig zu machen, der ihm mit dem Bilde Aehnlichkeit zu haben schien. Hubert Halsey fuhr im Expreßzug Hals über Kopf nach St. Louis. Aber Silas Denny mietete sich nur einen leichten Einspänner und fuhr gemächlich an den Ufern des Rio Grande entlang. Wenn er in ein Dorf oder in eine Stadt kam, machte er halt; er schlenderte durch die Straßen, aß in den verschiedensten Speiserestaurants und verfehlte nicht, die Fotografie aus der Tasche zu holen und sie auf den Tisch zu legen.

Jeder, der das Bild sah, blieb stehen und betrachtete es geraume Zeit, denn die aristokratischen Züge, der feine Mund und der gebieterische Blick übten eine wunderbare Anziehungskraft aus. Zuweilen kamen die Leute mit Si Denny ins Gespräch. Er erzählte ihnen jedesmal eine andere Geschichte. Denny konnte sich nicht entschließen, eine große Stadt aufzusuchen, wo er täglich hundertmal mehr Gesichter sehen konnte als auf diesen planlosen Fahrten durch kleine Städte. Denn er sagte sich, daß er nur durch Zufall sein Ziel erreichen könne, und daß deshalb seine Chancen in einem Dorf genau so groß seien wie in einer Großstadt.

Eines Nachmittags war er unterwegs von einem Sandsturm überrascht worden, und als er zu dem nächsten Hotel kam, ging er auf sein Zimmer, zog sich aus, schüttelte den Sand aus seinen Kleidern, wusch seinen Körper mit einem Schwamm ab und ging dann zum Essen hinunter. Er hatte sich ziemlich verspätet, so daß das vorherbestellte Mahl bereits kalt war. Es bestand aus halb durchgebratenem Speck, gekochten Kartoffeln und bitterem Kaffee.

Solch ein erbärmliches Essen war natürlich nicht dazu angetan, die Stimmung des Reisenden zu heben; und als er die Fotografie betrachtete, die er wie gewöhnlich neben seinen Teller gelegt hatte, fühlte er sich versucht, sie in Stücke zu zerreißen und Joseph Simon mitzuteilen, daß er sich mitsamt seinem Auftrage zum Teufel scheren solle.

Ein rotbackiger Weidereiter, der Denny gegenübersaß und gerade sein Mahl beendigt hatte, erhob sich hastig, um den Raum zu verlassen. Aber als er an Denny vorbeischritt, machte er plötzlich halt und betrachtete die Fotografie. Er stützte eine große, sonnenverbrannte Hand auf die Tischkante und fragte mit polternder Stimme: »Sind Sie vielleicht ein Freund des Kids?«

Denny blickte zu einem drohenden Gesicht auf.

»Schon möglich«, sagte er gleichgültig. »Sie etwa?«

»Nein!« erklärte der andere mit Nachdruck. »Falls Sie beabsichtigen sollten, ihn aufzusuchen, könnten Sie ihm eine Botschaft von mir überbringen!«

Eine derartige Begrüßung kam Silas Denny im Moment so ungelegen, daß sie ihn gar nicht mehr hätte in Harnisch bringen können. Die Muskeln seiner Arme spannten sich, und er sagte mit irritierender Freundlichkeit: »Ich verstehe mich zwar auf Vermittlungsdienste, mein Sohn, aber ich habe dieses Geschäft aufgegeben.«

Des Weidereiters Gesicht lief rot an. Auch er war von dem Sandsturm überrascht worden, und gerade in diesem Moment verspürte er das Jucken und Reiben der kleinen Sandkörnchen am ganzen Leibe.

»Fremder«, sagte er hitzig, »ich möchte Ihnen etwas für den Kid mit auf den Weg geben, worüber Sie gar nicht zu sprechen brauchen; es dürfte für sich selbst sprechen!«

Damit ballte er die Faust.

Si Denny war so bleich geworden wie der andere rot. »Wie wäre es, wenn wir hinausgingen, wo wir genügend Bewegungsfreiheit haben«, sagte er. »In so einem kleinen Raum fühle ich mich etwas beengt.«

Der Weidereiter gab mit finsterem Blick seine Zustimmung, und sie schritten beide auf die breite Straße hinaus, wo ein Schwarm lärmender Kinder umherspielte.

»Sind Sie bereit?« fragte der Weidereiter.

»Ich warte!« entgegnete Denny.

Er wich einem kräftigen Schlag aus, indem er unter dem Arm des Weidereiters hinwegtauchte und diesem gleichzeitig einen kräftigen Stoß in die Rippen versetzte. Der also Getroffene setzte sich plötzlich in den Straßenstaub, wobei er beide Arme um seinen Körper schlang. Denny schritt kopfschüttelnd zum Hotel zurück.

Sein Gefühl sagte ihm, daß er die einzig gute Chance, die sich ihm bisher geboten hatte, verdorben habe. Jener Bursche, der immer noch im Straßenstaub saß und hin und her schwankend nach Atem rang, glaubte offenbar, daß er, Denny, das lebende Original der Fotografie kenne. Er hatte sogar einen Namen genannt.

Der gute Denny war ein praktisch veranlagter Mann. Gefühlsduseleien waren ihm im höchsten Grade zuwider. Und weil er selbst keiner tieferen Regungen fähig war, hielt er auch das Gerede von Freundschaft und Liebe für Heuchelei. Daß er sich auf niemand verließ, war das Geheimnis seines Erfolgs. Er nahm nichts in Angriff, was er nicht allein durchführen konnte. Wenn er ein Safe sprengte, so wußte höchstens der Wächter, den er bestochen hatte, davon Bescheid. So hatte er das vierzigste Lebensjahr erreicht, ohne jemals im Gefängnis gesessen zu haben, obgleich sich seine Verbrechen über eine Periode von zweiundzwanzig Jahren erstreckten. Man hegte wohl einen unbestimmten Verdacht gegen ihn, aber keinem von den vielen Detektiven, die ihm bisher nachgespürt hatten, war es jemals gelungen, hinter seine Schliche zu kommen.

Als solch ein Mann verabscheute er äußerliche Erregungen, und vor allem haßte er jede Zornesaufwallung. Deshalb ärgerte er sich auch über die Unbesonnenheit, zu der er sich hatte verleiten lassen, mehr, als er sich über das Mißgeschick des von ihm zu Boden Geschlagenen freute. Ueberdies hätte ihn jener Mann vielleicht an sein Ziel führen können, so daß er in den Besitz eines netten Sümmchens gekommen wäre.

Als er wieder in das Hotel zurückkam, setzte er sich in der schäbigen, kleinen Eingangshalle neben einen ältlichen Mann, dessen Aufmachung den Herdenbesitzer verriet.

»Wer ist der Kid?« fragte er.

Der andere sah ihn eine Weile mit zusammengekniffenen Augenbrauen an; dann fragte er: »Sind Sie hier in der Gegend fremd?«

»Ja«, sagte Denny.

»Well, mein Freund, dann lassen Sie sich von mir raten: bleiben Sie fremd. Wenn Sie von dem Kid gehört haben, stellen Sie keine weiteren Fragen.«

Damit erhob er sich und zog sich in eine andere Ecke des Raumes zurück. Offenbar wollte er ein Gespräch vermeiden, das nicht nach seinem Geschmack war.

Si Denny kam immer mehr zu der Ueberzeugung, daß ihm eine große Entdeckung bevorstände, wenn er nur auf den richtigen Weg gebracht würde.

Er trat zu dem Hotelbesitzer. Dieser fette, liebenswürdige Gentleman hockte auf einem Stuhl. Er hatte die Hemdärmel bis zu den plumpen Ellenbogen aufgerollt, triefte aus allen Poren und lächelte.

»Kennen Sie den Kid?« fragte Si Denny.

Das Lächeln des Wirtes erstarb plötzlich. Er blickte verstohlen um sich und schien erleichtert aufzuatmen, weil sich niemand in der Nähe befand.

»Ich dachte, Sie wären hier fremd in der Gegend«, sagte er schroff. »Ich will verdammt sein, wenn ich Ihnen zugetraut hätte, daß Sie etwas über den Kid wüßten!«

»Ich bitte Sie um Auskunft über ihn«, sagte Si Denny.

»Heute bin ich nicht zum Sprechen aufgelegt«, antwortete der andere abweisend. »Der Kid ist der Kid. Ich habe nichts mit ihm zu tun, und er hat nichts mit mir zu tun. Damit gebe ich mich zufrieden, und ich rate Ihnen, daß Sie sich das gleichfalls genügen lassen. – Hallo, Charlie, ich habe dir etwas mitzuteilen!«

Er winkte einem Manne zu, der eben den Raum betreten hatte. Denny konnte es nicht über sich bringen, noch länger zu verweilen, da er den »Wink mit dem Zaunpfahl« wohl verstand. Tief in Gedanken versunken trat er auf die Straße hinaus.

»Gibt es hier einen Sheriff in der Stadt?« fragte er einen Passanten.

Er mußte seine Frage in spanischer Sprache wiederholen, worauf der andere auf ein Lehmgebäude deutete, das etwas größer war als die übrigen Häuser.

Langsam und nachdenklich schritt Si Denny auf das Amtsgebäude zu. Der Wind hatte sich inzwischen gelegt, aber immer schwebte noch eine dichte Schicht des feinen Wüstenstaubes in der Luft, und durch den Staub konnte man den fahlen Glanz der Sterne gewahren. Er klopfte an die Tür, und augenblicklich erschien der würdige Sheriff. Es war ein großer, hagerer, gutgewachsener Mann, dessen Haltung und Gebaren auf große Tatkraft schließen ließ. Er sah den Fremden so fest an, als wolle er ihn mit den Blicken durchdringen. Si Denny betrachtete ihn abwägend und kam zu dem Schluß, daß er ein ganzer Kerl sei.

»Etwas vorgefallen?« fragte der Sheriff.

»Es handelt sich nur um eine Auskunft.«

»Schießen Sie los!«

»Was ich zu wissen wünsche«, sagte Denny, »ist nicht viel. Ich möchte nur etwas Näheres über den Kid in Erfahrung bringen!«

Der Sheriff starrte ihn stirnrunzelnd an. »Wer hat Sie an mich verwiesen?« fragte er heiser.

»Wie meinen Sie?«

Eine Flut von Flüchen brach von den Lippen des Sheriffs. »Ich werde einige hinter Schloß und Riegel bringen – einige von diesen Gents, die einen so merkwürdigen Sinn für Humor haben. Ich werde ihnen zeigen, daß sie bei mir an den verkehrten Mann gekommen sind«, brüllte der Diener des Gesetzes. »Der Spaß muß endlich ein Ende haben. Im übrigen werde ich auch Sie einsperren!«

»Was habe ich denn verbrochen?« fragte Si Denny ziemlich erstaunt.

»Sie machen sich des Landfriedensbruches schuldig, indem Sie versuchen, hier in der Stadt Unruhe zu stiften. Das gibt es nicht. Beim Himmel, ich werde Ihnen zeigen, wer hier der Herr ist!«

Si Denny zog sich eilig zurück.

»Wer hat Sie geschickt?« brüllte der Sheriff hinter ihm her.

»Der Bursche, dem das Hotel gehört«, antwortete Denny voll heimlicher Bosheit.

»Verflucht sei seine fette Seele! Dafür werde ich ihn mir knusprig braten!« schrie der Sheriff.


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