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14

Sie verließen jetzt die Stadt und zogen nach Norden den Hügel hinan. Fast die ganze männliche Bevölkerung von San Triste befand sich im Gefolge des Kids. Er brauchte nicht mehr länger zu befürchten, daß die Handvoll Verteidiger in der Casa Vereal noch einen wirkungsvollen Widerstand leisten würde.

Wohl an hundert Fackeln schwankten über den Köpfen der langen Zugkolonne hin und her, die an der Spitze in dichten Massen einherzog, während sie sich nach rückwärts immer mehr und mehr ausbreitete. Wohin John Jones auch blickte, überall sah er ergrimmte Gesichter, die nichts Gutes verhießen.

Die Aristokratie von San Triste hatte sich an der Spitze um ihren Führer gruppiert. Es war eine Schar gut berittener, mit Revolvern und Gewehren bewaffneter, tapferer Männer, denen die Kampfbegier aus den Augen leuchtete.

Sie suchten sich nach Möglichkeit in die Erinnerung des vermeintlichen Vereal zurückzurufen, da sie der Meinung waren, daß ihm ihre Namen in den verflossenen zwölf Jahren entfallen sein müßten. Der alte Antonio Mendoza ritt vor ihm und beteuerte immer wieder, daß man nur über seine Leiche zu seinem geliebten Vereal herankommen werde. Neben Antonio ritt sein hübscher Sohn Michael. Weiter zurück folgten die Cornejos, die Hinojosos, die Cepedas und noch eine ganze Reihe anderer Standespersonen, deren Namen der Kid seinem Gedächtnis zum Hausgebrauch einzuprägen suchte.

Auf halber Höhe des Hügels angelangt, machten sie halt, um Einzelheiten des Angriffs zu besprechen.

»Sie sind samt und sonders ein Schlangengezücht«, sagte Juan Cepeda. »Sorgen Sie dafür, Señor, daß niemand in der Casa Vereal am Leben bleibt, wenn Sie keine weiteren Nackenschläge haben wollen!«

»Das ist nur zu wahr«, pflichtete ihm Lope Cornejos bei. »Solange das Gesetz käuflich bleibt, wird Cabrillo sich dieses Umstandes auf Kosten Ihres Besitzes bedienen. Cabrillo darf nicht entkommen, weil vermieden werden muß, daß er sich an die Gerichte wendet. Kreisen Sie die Casa Vereal ein, und wir werden dafür sorgen, daß keiner mit dem Leben davonkommt!«

Der Kid blickte zu Halsey hinüber, und dieser Ehrenmann nickte eifrig; doch John Jones ließ sich nicht beirren. Er liebte zwar einen offenen, ehrlichen Kampf, aber ein Gemetzel wollte er nach Möglichkeit vermeiden. Er gestattete indes, daß man Vorkehrungen traf, das Haus zu umzingeln.

Während dieses Manövers verhielt sich in dem Hause alles ruhig, nur einige Gewehrschüsse wurden aufs Geratewohl abgefeuert. Als der Kreis der Belagerung geschlossen war, erteilte der Kid den Befehl, daß alle auf ihrem Posten bleiben sollten, bis er Anweisungen zum Vorrücken gäbe. Dann ritt er in Begleitung Antonio Mendozas und des jungen Hernandez Hinojoso, die sich beide weigerten, ihn auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen, auf das Eingangstor der Casa Vereal zu. Zwanzig Männer drängten unter lebhaften Protestrufen nach.

»Wenn sie Sie sehen, Señor«, schrie Cornejos, »wird eine Kugel zu ihren Gunsten den Ausschlag geben.«

»Sie irren sich«, entgegnete der Kid, äußerlich ruhig, obgleich er von seinen Worten innerlich nicht so recht überzeugt war. »Sie wissen genau, daß keiner mit dem Leben davonkommen wird, wenn sie mich töten. Sie sind keine Narren, wenngleich sie sich von Cabrillo haben beschwatzen lassen.«

Auf diese Argumente wußten sie nichts Rechtes zu erwidern. Der Kid zog also unbehindert weiter, kam zu dem großen, eisernen Gittertor und wurde von drinnen angerufen.

»Hole Señor Cabrillo herbei«, befahl er. »Laß ihn wissen, daß José Vereal eingetroffen ist, um seinen teuren Vetter zu begrüßen.«

Die Männer von San Triste kicherten verstohlen.

»Ich bin Cabrillo«, antwortete eine tiefe Stimme hinter dem Tor. »Sind Sie der Mann, der sich als der Vereal ausgibt?«

»Ich bin Don José«, war alles, was der Kid erwiderte.

»Sie sind der Teufel«, brüllte der andere. »Meine Freunde, tut eure Pflicht!«

Da öffnete sich eine kleine Seitentür. Sechs Gendarmen kamen nacheinander zum Vorschein und gingen auf den Kid zu. Ihre prächtigen Röcke waren mit goldenen Tressen und Epauletten verziert, während ihre Hosen nur aus minderwertigem weißem Baumwollstoff bestanden. Ihre Füße steckten in den gewöhnlichen Sandalen.

Es waren jedoch tapfere Burschen, die mit kurzen, schweren Säbeln und mit Revolvern bewaffnet waren und entschlossen zu sein schienen, ihres Amtes zu walten.

»Zurück!« schrie Mendoza, indem er sein Gewehr griffbereit faßte.

»Im Namen des Gesetzes!« riefen die Gendarmen. »Gebt den Weg frei.« Aber sie hielten es doch für ratsam, haltzumachen, denn im Hintergrunde gewahrten sie eine entschlossene Schar von Männern, die sich bereit hielten, ihren Anführer zu Hilfe zu eilen.

»Habt keine Angst«, sagte der Kid. »Tretet ruhig näher. Euch geschieht nichts.«

Mendoza sah ihn verwundert an, während ihn die Gendarmen sofort umringten.

»Was wollt ihr von mir, Kameraden?« fragte der Kid.

»Sie sind verrückt, Señor!« rief einer von seinen zurückgebliebenen Gefolgsleuten.

»Ich habe nichts zu befürchten«, versetzte der Kid mit würdiger Miene. »Das Gesetz ist mein bester Verbündeter – nicht mein Feind!«

Eine derartige Versicherung dämpfte den Eifer der Gendarmen. Nun wiederholte er seine Frage und verlangte zu wissen, was sie von ihm wollten. Da stammelte der eine verlegen, daß man ihnen berichtet habe, er sei nicht der echte Vereal, sondern ein Betrüger.

»Ihr seid sicher keine Neulinge!« entgegnete der Kid. »Ihr müßt doch noch die Vereals gekannt haben. Seht mich an, meine Freunde, und sagt mir, ob ihr mich für einen Betrüger haltet oder nicht!«

Sie starrten ihn mit ausdruckslosen Blicken an, als Cabrillo ihnen zubrüllte: »Tut eure Pflicht, ihr Narren!«

Vielleicht waren die Gendarmen schon von Anfang an nicht mit dem Herzen bei der Sache gewesen; jedenfalls schienen sie im Augenblick nicht zu wissen, wie sie sich verhalten sollten. Bald war ihr Entschluß jedoch gefaßt, und sie entschieden sich für Vereal.

»Nun, Señor Cabrillo«, sagte der Kid, indem er näher auf das Tor zu rückte, »möchte ich mit Ihnen ins reine kommen. Sie sind zwölf Jahre lang der Nutznießer meines Eigentums gewesen. Sie und Ihre Freunde haben von meinem Geld gelebt. Aber ich stelle trotzdem keinerlei Ansprüche auf Schadenersatz. Was Sie an sich genommen und ausgegeben haben, soll Ihnen geschenkt sein. Ich stelle nur die eine Bedingung: daß Sie mir meinen Besitz sofort übergeben.«

Die kleine Seitentür öffnete sich wieder, und die massige Gestalt Cabrillos trat hervor. Er blickte ergrimmt zu seinem Gegner hinüber und zeigte sich sehr aufgebracht, wenngleich er bestrebt war, sich dies nicht anmerken zu lassen. Trotzdem überschlug sich seine Stimme fast vor Wut und Erregung, als er rief: »Meine Freunde! Edelleute von San Triste! Haben Sie den Verstand verloren? Wollen Sie den Lügengeschichten eines Betrügers Glauben schenken?«

»Mit welchem Recht halten Sie uns für Toren, Señor?« fragte Antonio de Mendoza. »Beweisen Sie uns, daß er nicht der Vereal ist. Weiter verlangen wir nichts von Ihnen!«

»Wohlan, ich werde es beweisen!« brüllte Cabrillo.

Dem Kid rann ein kalter Schauer über den Rücken. Er sah zur Seite und begegnete dem kalten Blick Halseys; etwas weiter stand Marmont, der ziemlich blaß aussah, aber entschlossen dreinblickte. Sie hatten alle die drohende Gefahr erkannt. Wenn der Kid wirklich entlarvt werden sollte, würde sein Leben diesen entschlossenen Burschen keinen Pfifferling wert sein.

Doch John Jones riß sich zusammen und sagte: »Lassen Sie uns Ihre Beweisgründe hören, Señor Cabrillo!«

Cabrillos dickes, verzerrtes Gesicht sah wie der Inbegriff teuflischer Bosheit aus. Eine Flut von Schimpfworten brach über seine Lippen. Dann schrie er in höchster Erregung: »Sie Schurke! Ich werde Sie an den Galgen bringen.«

Der Kid wandte sich zu seinen Gefährten um. »Der Señor ist ein sehr umgänglicher Mensch, wie ich sehe«, sagte er. Sich wieder seinem Gegner zukehrend, fuhr er fort: »Auf solche Worte kann ich nur in einer Weise reagieren, Señor Cabrillo, und das ist genau die gleiche Art, wie man sie bei Pferden anwendet – so!«

Während er sprach, hatte er den schwarzen Hengst geschickt einen Schritt näher an den großen Mann herangebracht und schlug ihm nun mit seiner Reitpeitsche quer über das Gesicht. Cabrillo schrie mehr vor Scham und Wut als vor Schmerz auf und riß seinen schweren Revolver aus dem Halfter. Doch wie langsam waren seine Handbewegungen im Vergleich zu der blitzartigen Schnelligkeit des Kids. Der hatte die Peitsche im Nu umgedreht und schlug Cabrillo mit dem schweren Griff über den Oberarm. Der Hieb lähmte den Arm des Getroffenen, so daß ihm die Waffe aus der Hand glitt und zu Boden fiel. Da lockerten die zwanzig treffsicheren Schützen, die ihre Gewehre angeschlagen hatten, den Druck der an den Abzugsbügeln liegenden Finger. Cabrillo rieb sich verwundert den mißhandelten Arm, starrte auf den am Boden liegenden Colt und blickte dann zu dem lächelnden Gesicht des Kids auf.

Die unentwegte Gemütsruhe des Gegners verwirrte ihn mehr als die auf ihn gerichteten Gewehrmündungen.

»Ich denke, wir sind uns jetzt einig«, sagte der Kid nachsichtig. »Nun hören Sie zu: Ich gebe Ihnen zehn Minuten Zeit, Ihre Papiere zu ordnen und das vorhandene Geld an sich zu nehmen. Nach Ablauf dieser Frist werden meine Freunde aus San Triste das Haus besetzen, und ich kann mich für niemandes Sicherheit verbürgen, der dort angetroffen wird.«

»Welche Gewähr haben wir, daß wir nicht ermordet werden, wenn wir das Haus verlassen?« fragte Cabrillo mit düsterer Miene.

»Die Ehre eines Edelmannes«, entgegnete der Kid sogleich, »und das Wort eines Vereal!«

Bei diesen Worten lächelte er Cabrillo wieder zu. Er sah, wie das Gesicht des anderen vor Zorn rot anlief, doch es blieb selbst Cabrillo nichts anderes übrig, als sich in das Unvermeidliche zu fügen. Er machte kurz auf den Hacken kehrt und schritt auf das Haus zu, während sich der Kid umwandte, um den Entrüstungssturm seiner Gefolgsleute von sich abzuwenden.

»Wenn Cabrillo am Leben bleibt«, sagte Hinojoso, »werden Sie täglich in Gefahr schweben. Bezüglich der anderen Männer in der Casa Vereal – –«

Der Kid erhob eine Hand. Er erinnerte sich an jene Erzählungen Joseph Simons, die ihm einige Charakterzüge der Vereals offenbart hatten.

»Beruhigen Sie sich, Señor«, sagte er. »Es befinden sich zweifellos sehr viele Schurken und Verbrecher unter den Anhängern Cabrillos, aber es ist immerhin möglich, daß ein oder zwei gute Männer aus San Triste darunter sind. Und ich würde es nicht über mich bringen, das Leben eines einzigen meiner Schutzbefohlenen zu gefährden, selbst wenn wir uns dadurch hundert Feinde vom Halse schaffen könnten.«


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