Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

27

Sie ritten alle drei gemeinsam weiter: Cabrillo, der Lehrer und Vereal. Es mochte wohl seltsam erscheinen, daß sich Cabrillo dem Manne anschloß, dem er so bitteres Unrecht angetan hatte, aber es kam ihm vor allen Dingen darauf an, den Kid und seine Gefährten zur Strecke zu bringen. Deshalb trat er mit Herz und Seele für die Interessen des echten Vereal ein.

Im Dahinreiten unterhielten sie sich über die zu treffenden Maßnahmen! Sie wollten auf Cabrillos Ranch eine kleine Rast machen, dort ihre Pferde wechseln und dann im Eiltempo ihren Weg über die Hügel fortsetzen, um so schnell wie möglich nach San Triste zu kommen. Es sollten nur drei von Cabrillos Leuten mit ihnen reiten, drei auserwählte Männer, auf die man sich bei einem Kampf verlassen konnte.

In San Triste würden sich zweifellos mehr als genügend Männer um sie scharen, sobald Gaspard – wenn es auch noch so beschämend für ihn sein mochte – die Identität Josés nachgewiesen hatte. Eile, Eile und nochmals Eile! lautete ihre Losung. Denn inzwischen ritten Marmont und Halsey durch die Nacht, so schnell ihre Pferde sie tragen konnten, um ihre Freunde in San Triste zu warnen.

Eine anderer Plan kam für die drei nicht in Frage. Sie konnten ja nicht wissen, daß die beiden Flüchtlinge nach Ulloa unterwegs waren. Cabrillo glaubte also, daß er ihnen zuvorkommen könne, da er einige Richtwege zwischen seiner Ranch und San Triste kannte, die die Entfernung um viele Meilen abkürzten.

Auf Cabrillos Ranch machte man nur fünf Minuten halt, wechselte die Pferde, nahm einen Schluck Branntwein und galoppierte dann mit drei von Cabrillos Leuten davon. Der Rancher hinterließ indes Anweisung, daß alle verfügbaren Reiter sobald wie möglich folgen und unterwegs versuchen sollten, noch andere Männer für Geld und gute Worte zu diesem nächtlichen Abenteuer zu bewegen. Auf diese Weise konnte man leicht fünfzig bis hundert furchtlose, kampferprobte Leute ins Treffen führen, falls es in San Triste zu einem Kampfe kommen sollte.

Obgleich die sechs in scharfem Tempo über die Hügel ritten, war Louis Gaspard doch nicht der letzte der Gruppe. Er war sein halbes Leben lang ein guter Reiter gewesen, und in dieser Nacht ließ er sich nicht durch sein Alter anfechten. Ein seltsames Gemisch von Scham, Kummer, Freude schien seine schwachen Kräfte neu zu beleben. Er dachte nur daran, daß ihm Gott eine Gelegenheit gegeben hatte, für seinen jungen Herrn einzuspringen. Wenn er für ihn sterben könnte, wollte er sich glücklich preisen.

Vier Stunden lang ritten sie rastlos. Die Dunkelheit brach herein, und. sie sahen, wie sich das Blau der fernen Berge im Glanze der untergehenden Sonne allmählich in ein goldenes Rot verwandelte. Schließlich hoben sich die Berge nur noch als eine dunkle Masse am Horizont ab. Auf schmalen Pfaden und über weglose Strecken ging es unentwegt weiter. Getreu seinem Versprechen, schlug Cabrillo die verschiedensten Richtwege ein und ersparte ihnen manche unnötige Meile.

Sie ritten gerade über ein pfadloses Hügelgelände, als aus dem sie umgebenden Dorngebüsch einige Reiter hervorbrachen. Cabrillos Kavalkade schwenkte nach rechts ab. Auch hier sahen sie sechs Reiter vor sich auftauchen. Sie wandten sich um und wollten wieder zurückreiten, aber dieser Weg wurde ihnen ebenfalls versperrt. Da merkten sie, daß sie in eine Falle geraten waren. Bevor sie daran denken konnten, sich zur Wehr zu setzen, erscholl ein wildes Geheul aus zwanzig Banditenkehlen: »Grenacho!«

Cabrillos drei Leute waren vor Schreck wie gelähmt und ihm selbst erging es kaum besser. Nur zwei bewahrten ihre Ruhe: Gaspard und José Vereal.

»José!« sagte der alte Mann, indem er sein Pferd dicht an ihn herantrieb. »Du kannst dich aus deiner Kindheit doch noch an Grenacho erinnern?«

»Wie an ein Alpdrücken«, entgegnete José. »Er ist ein Räuber und ein Mörder.«

»Gewiß. Aber dein Vater hat ihm einst das Leben gerettet, und Grenacho ist kein undankbarer Hund. Er wird sich dessen entsinnen. Rufe ihn herbei, José, und gib dich ihm zu erkennen!«

Die Wegelagerer hatten sich inzwischen schnell in einem geschlossenen Kreis dicht an ihre Opfer herangedrängt. Ihre Revolver glänzten in dem fahlen Mondlicht. An Widerstand war nicht zu denken. Die Ueberfallenen hoben daher sofort die Hände hoch, als sie dazu aufgefordert wurden. Auch José hielt seine Hände erhoben, wobei er sein Pferd aber etwas vortrieb.

»Befindet sich Grenacho unter euch?«

»Hier«, antwortete eine tiefe Stimme. »Wer will etwas von Grenacho?«

Er sah einen Mann von solch hünenhaftem Körperbau auf sich zureiten, daß der kleine, sehnige Mustang, auf dem er saß, fast wie ein Pony aussah. Als er näher herangekommen war, konnte José im Schatten des breiten Hutrandes seine brutalen Gesichtszüge erkennen.

»Sind Sie Grenacho?« fragte er.

»Das bin ich. Und wer sind Sie, Señor?«

»Jemand, der in Ihnen einen Freund finden wird.«

Grenacho lachte. »Ich bin der Freund aller Reisenden, die gute Pferde reiten und eine gefüllte Geldtasche bei sich tragen. Ich pflege sie auf der Landstraße anzuhalten, um unterhaltsame Gespräche mit ihnen zu führen. Wie ist Ihr Name?«

»José Vereal,«

Ein Ausruf der Ueberraschung brach von den Lippen Grenachos. »Das ist eine Lüge. José Vereal schläft jetzt fest in der Casa Vereal, nachdem er Simon fortgeschickt hat. Sie sind ein kühner Mann, Señor, aber Sie sehen, daß ich im Bilde bin.«

»Der Mann, den Sie Vereal nennen«, sagte José, »ist ein Betrüger.«

»Dann ist er zum wenigsten ein Betrüger, für den ganz San Triste durchs Feuer gehen würde«, versetzte Grenacho. »Nun, Señor, ich habe zwar für eine gute Notlüge Verständnis, aber Sie haben bereits mehr als genug gesagt. Sie müssen wissen, daß derjenige, der den Vereal einen Betrüger nennt, mich ebenfalls so nennt!«

»Ich habe Beweise bei mir«, sagte José ruhig.

»Ich bin kein Schriftgelehrter, der sich aufs Lesen versteht.«

»Es handelt sich nicht um Schriftstücke, sondern um Zeugen.«

»Was für Zeugen?«

»Manuel Cabrillo.«

Grenacho lachte. »Das ist eine ausgezeichnete Empfehlung«, sagte er. »Cabrillo hat dem Vereal schon genug Böses zugefügt, so daß es ihm auf einmal mehr oder, weniger nicht ankommen wird! Was ist das Wort eines Cabrillo wert? Nichts!«

»Es ist noch jemand hier«, sagte José, »dessen Wort Sie nicht bezweifeln können.«

»Und wer?«

»Können Sie mir sagen, Grenacho, wer sich vor zwölf Jahren bei José befand, als die Casa Vereal gestürmt wurde?«

»Alle Welt weiß das. Es war der alte Franzose.«

»Haben Sie ihn von Ansehen gekannt?«

»Wie mich selbst.«

»Gaspard!« rief José.

Der Lehrer kam langsam herbeigeritten.

»Nehmen Sie den Hut ab, Meister, und lassen Sie das Mondlicht auf Ihr Gesicht fallen.«

Gaspard kam der Aufforderung seines Schülers nach und erhob sein abgezehrtes Gesicht zum Himmel. Grenacho stieß einen unterdrückten Schrei aus.

»Madre de Dios!« rief er. »Die Toten stehen wieder auf. Es ist Gaspard!«

»Werden Sie seinen Worten Glauben schenken, Grenacho?«

»Ich müßte ein Narr sein, wenn ich sie bezweifeln würde. Aber das ist alles ein Traum! Gaspard starb vor zwölf Jahren! Und dennoch ist er's!«

»Erzählen Sie ihm alles«, befahl José.

Der Lehrer erstattete nun mit einfachen Worten seinen Bericht. Als er zu Ende gesprochen hatte, bekreuzte sich Grenacho.

»Möge Gott meinen Geist erleuchten«, sagte er. »Sollte ich wieder getäuscht werden, so werden noch viele Männer ihr Leben lassen müssen, bevor der Morgen hereinbricht. Aber – lassen Sie mich Ihr Gesicht sehen, Señor!«

José nahm seinen Sombrero ab. Man konnte den blutgetränkten Kopfverband und sein schmales Gesicht sehen. Er lächelte ruhig wie jemand, der sich seiner gerechten Sache bewußt ist. Grenacho hatte sein Pferd näher herangetrieben und rief: »El Vereal!«

Leise wiederholten seine Leute diesen Ruf. Sie hatten sich immer noch nicht von der Stelle gerührt, da sie als gehorsame Kreaturen erst dann auf ihre Opfer losstürzen konnten, wenn ein entsprechender Befehl an sie erging.

»Glauben Sie mir?« fragte José.

»Ist es Ihr Bruder oder ein Geist, der sich in der Casa Vereal aufhält?«

»Ein Betrüger, Grenacho.«

»Er hat sich die Herzen der Städter erobert, Señor. Mir wird ganz wirr im Kopf!«

»Es ist ein tapferer und kluger Mann, Grenacho. Ich bin ihm bereits begegnet!« Er faßte mit der Hand an seinen Kopfverband.

»Ließ er Sie frei davonreiten?«

»Er ließ mich bewachen. Dank Gott und einem gütigen Geschick sind wir alle drei entkommen – Cabrillo, Gaspard und ich. Ich gebe zu, daß er tapfer ist. Ich gebe zu, daß es gefährlich ist, ihn anzugreifen. Deshalb freue ich mich, daß ich Sie getroffen habe, Grenacho. Um meines Vaters willen werden Sie heute nacht mit mir nach San Triste reiten!«

»Das ist mal sicher«, schrie Grenacho, dessen letzte Zweifel durch diesen freimütigen Appell an seine Hilfe offenbar gänzlich gewichen war. »Wir werden mitreiten, meine Leute und ich, und wenn es zu einem Kampfe kommt, werden Sie sehen, was Grenacho und seine Mannen zu leisten vermögen. Uebernehmen Sie die Führung, Señor. Ich will meine Leute über alles aufklären. Reiten Sie voran! Zuerst müssen wir den Mann in der Casa Vereal in die Hände bekommen. Dann müssen wir den Goldtransport einholen, den er heute unter Simons Führung abgesandt hat. Hölle und Teufel! Wenn ich nur gewußt hätte, daß das Geld nicht dem echten Vereal gehörte, so –«

»Wieviel es auch immer sein mag, es gehört Ihnen bis auf den letzten Peso, Grenacho, wenn Sie mir wieder zu meinem rechtmäßigen Besitz verhelfen!«

Der Verbrecher stieß einen heiseren Jubelruf aus, riß sein Pferd herum und rief nach seinen Leuten. Im Nu hatten sie sich um ihn geschart. Im Weiterreiten hörte José, wie Grenacho mit donnernder Stimme auf seine Bande einsprach.


 << zurück weiter >>