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25

Das Telegraphenbüro in San Triste hatte am folgenden Morgen kaum geöffnet, als Silas Denny auch schon zur Tür hereingestürzt kam. Das Telegramm, das er an den Dampfer »Rachel« im Hafen von Ulloa aufgab, lautete: »Kapitän des Schiffes ›Rachel‹, Ulloa. Möchte ›Rachel‹ für einen Monat chartern. Drahtet Bedingungen. Silas Denny, Hotel Republica, San Triste.«

Da die Leitung nach der kleinen Stadt Ulloa an diesem Morgen nicht besetzt war, kam die Antwort prompt zurück:

»›Rachel‹ vergeben, Macpherson.«

Als Denny die Worte las, zuckte er die breiten Schultern. »Ein Schotte«, sagte er zu sich selbst. »Es wird verdammt schwer halten, zu einem Abschluß zu kommen!«

Er telegraphierte nochmals: »Brauche ›Rachel‹ notwendig. Kann bestehender Kontrakt annulliert und ein neuer eingegangen werden?«

Die Antwort war kurz und bündig: »Nein.«

Zähneknirschend setzte er ein neues Telegramm auf:

»Biete für einmonatige Charter tausend Dollar mehr als jetzige Kontraktsumme beträgt.«

Gespannt wartete er und bekam schließlich die vielsagende Antwort: »Nicht genug.«

Macpherson war also doch nicht so ganz abgeneigt, seinen Kontrakt zu brechen, aber er hatte einen Braten gerochen.

Denny drahtete wiederum: »Biete zweitausend.«

Die Antwort traf schnell ein.

»Meine Forderung zehntausend.«

»Fünftausend«, schrieb Denny auf das Telegrammformular, indem er bei dem Gedanken an solch eine Summe aufstöhnte.

»Leben Sie wohl«, war die Erwiderung Macphersons.

»Zehntausend in Ordnung«, drahtete Denny. »Geld bei Ankunft im voraus.«

»Abwarte Orders«, telegraphierte Macpherson zurück.

»Einnehmet Proviant. Haltet Schiff unter Dampf«, antwortete Denny.

Dann traf die endgültige Bestätigung Macphersons ein: »Das habe ich mir schon gedacht.«

»Der verdammte Kerl denkt zuviel!« murmelte Denny, als er auf die Straße hinaustrat und unverweilt den Weg nach der Casa Vereal einschlug.

Dort ging es an diesem Tage sehr lebhaft zu. Auf Anordnung des Kid wurden von den in der Nähe von San Triste liegenden Verealschen Farmen dreißig spanische Maulesel herbeigetrieben. Noch im letzten Moment war man nämlich zu der Ansicht gekommen, daß es nicht ratsam sei, das Silber fortzutransportieren, weil es wertmäßig nur den zehnten Teil, mengenmäßig aber zwei Drittel des Schatzes ausmachte. Für den Abtransport des ganzen Schatzes würden mehr als siebzig Maulesel erforderlich gewesen sein, während Simon und der Kid – als sie das Gold in dem unterirdischen Raum mittels einer Waage in einzelne Mauleselladungen zurechtpackten – zweiundzwanzig Tragtiere für ausreichend erachteten, das Gold und die Edelsteine fortzuschaffen.

Die überzähligen Maulesel sollten als Reserve dienen. Es konnte der Fall eintreten, daß die Traglasten einiger Tiere erleichtert werden mußten, um schneller voranzukommen. Man konnte auch die kostbare Last auf eins der Reservetiere umladen, wenn einem Tragtier etwas zustieß.

Die nächste Aufgabe bestand darin, ein Dutzend kräftiger Peons auszusuchen. Es mußten zuverlässige Männer sein, denen man zutrauen konnte, daß sie die Karawane sicher nach Ulloa bringen und bei der Ankunft auf der Landungsbrücke tatkräftig zupacken würden, um die Fracht schnell an Bord zu bringen. Das Dutzend war nicht leicht aufzutreiben.

Es gab zwar viele kräftige Burschen in der Umgebung von San Triste, aber Simon brauchte für seine Zwecke Leute, die bereit waren, ihr Leben gegen einen doppelten oder dreifachen Lohn aufs Spiel zu setzen. Nach Ablauf des ersten Tages hatte man erst vier Peons beisammen, die Simons Ansprüchen zu genügen schienen.

Obgleich die Maulesel mittlerweile vollzählig eingetroffen waren, mußte man noch bis zum nächsten Tage warten, um die fehlenden acht oder zehn Peons aufzutreiben, bevor man daran denken konnte, die Tiere zu beladen und aufzubrechen.

Am Nachmittag war man endlich soweit, daß der Aufbruch vor sich gehen konnte. Der Goldstaub war von Simon und dem Kid eigenhändig in Säckchen geschaufelt worden. Jedes Säckchen enthielt fünfzig Pfund. In dieser Verpackung konnte man das Gold nicht nur am bequemsten auf den Packsätteln transportieren, sondern auch mit möglichster Beschleunigung umladen, wenn man auf der Landungsbrücke angekommen war.

Es ließ sich nicht vermeiden, daß die Peons bald hinter den wahren Sachverhalt kamen. Kaum war ein Dutzend Säcke fortgetragen worden, als sich die Treiber verstohlen zuflüsterten: »Gold!«

Auf irgendeine geheimnisvolle Weise kam das Gerücht von dem Golde bald jedermann in der Casa Vereal zu Ohren. Es dauerte nicht lange, bis es sich auch in San Triste wie ein Lauffeuer verbreitete. Jedermann begann, von den geheimnisvollen Vorgängen in der Casa Vereal zu sprechen. Der Krämer hörte die Neuigkeit von seinen Kunden; die Frauen steckten schwatzend die Köpfe zusammen und vergaßen ihre Hausarbeiten: die Kinder unterbrachen ihr Spiel auf der Straße, um sich die seltsame Mär zu erzählen, nämlich: daß zwanzig Mauleselladungen Gold für Joseph Simon aus der Casa Vereal fortgeschafft werden sollten.

»Simon hat die Casa Vereal wieder in seinen Klauen!« erzählte man sich kopfschüttelnd. »Weit besser, ein Cabrillo sitzt in dem Haus auf dem Hügel als ein Joseph Simon. Nun werden wir wieder alle unter seine Knute kommen!«

Simon hätte die Karawane gern durch eine möglichst starke Bedeckungsmannschaft gesichert, aber Silas Denny versicherte, daß sie nur dazu beitragen würde, den Verdacht der Leute zu erregen und sie zu einem Angriff auf die Karawane zu verleiten. So hatte man denn von dieser Maßnahme Abstand genommen.

Die dreißig Meilen bis Ulloa konnten bequem in fünfzehn Stunden zurückgelegt werden, selbst wenn man den Maultieren hin und wieder eine ausreichende Rast gönnte. Da sie San Triste um vier Uhr nachmittags verließen, stand zu erwarten, daß sie spätestens um sieben Uhr am anderen Morgen in Ulloa eintreffen würden. Nach ihrer Ankunft gab es natürlich nichts Eiligeres zu tun, als den Schatz so schnell wie möglich an Bord zu bringen.

Daß die »Rachel« auf sie wartete, stand außer allem Zweifel, denn an diesem Tage hatte Denny noch eine Depesche von Macpherson erhalten: »Spezialbesatzung erforderlich?«

Denny hatte es für ratsam gehalten zu antworten: »Uebliche Besatzung genügt. Arbeit einfach.«

»Sonst«, hatte er Joseph Simon erklärt, »könnte dieser Macpherson, der ein habgieriger Schotte zu sein scheint, eine schöne Räuberbande um sich sammeln, um die günstige Gelegenheit zu einem Raubversuch wahrzunehmen.«

Wenn keine unvorhergesehenen Zwischenfälle eintraten, würden sie einen ganzen Tag früher in Ulloa eintreffen, als Halsey und Marmont mutmaßen konnten. Wahrscheinlich würden die beiden erst in der übernächsten Nacht nach Ulloa kommen. Wenn sie eintrafen, würde das Schiff schon lange unter Dampf liegen, so daß man augenblicklich in See stechen konnte.

Wenn es den verschlagenen Macpherson gelüsten sollte, auf offener See Hand an die Ladung zu legen, so würden vier geübte Revolverschützen ihn daran zu hindern wissen. Um keinen Verdacht zu erregen, sollte der Kid in San Triste zurückbleiben und erst kurz nach Mitternacht nach Ulloa aufbrechen.

Simon machte starke Bedenken gegen das ganze Unternehmen geltend. »Es sind zu viele Leute«, sagte er, »die alle auf eigene Faust vorgehen und sich an einem bestimmten Punkte treffen sollen. Bei der Geschichte wird nicht viel Gutes herauskommen, meine Freunde.«

»Uns hätte jede Mühe erspart bleiben können«, sprach Denny mit finsterer Miene. »Wir hätten alle in San Triste bleiben und wie die Fürsten leben können. Aber nein, der Kid muß ausgerechnet im letzten Moment Gewissensbisse bekommen. Er konnte es nicht über sich bringen, diese junge Ratte, den Vereal, aus dem Wege zu räumen!«

Denny und Simon starrten den Kid wütend an, aber er beachtete die beiden überhaupt nicht. Er hatte über die ganze Angelegenheit kaum ein Wort verloren, seit er mit Silas Denny in die Casa Vereal zurückgekehrt war. Er hatte zwar dafür gesorgt, daß die Maultiere herbeigeschafft wurden, und auch geholfen, die Säckchen mit Gold zu füllen, zeigte sich aber sonst zu nichts nutze.

Als Simon und Denny im Begriff standen, ihre Pferde zu besteigen und sich der Karawane anzuschließen, konnte es Simon daher nicht unterlassen, zu John Jones zu sagen: »Man könnte glauben, daß Sie das Ganze nichts anginge! Ich habe Sie engagiert, um mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, junger Mann!«

Die Antwort setzte ihn nicht wenig in Erstaunen. »Scheren Sie sich mitsamt Denny und allen anderen zum Teufel. Ich habe Ihnen nur geholfen, weil ich die ganze Geschichte in die Wege geleitet habe, aber ich wünschte bei Gott, daß mir der Anblick Ihrer Gesichter erspart geblieben wäre!«

Da wichen sie vor ihm zurück, als wenn er einen Revolver auf sie angeschlagen hätte. Erst als sie den Abhang ein gutes Stück hinuntergeritten waren, kam Denny wieder zu Worte.

»Marmont hat recht«, sagte er. »Wenn ein Mann plötzlich den Verstand verliert, dann steht zehn zu eins zu wetten, daß ein Weib dahintersteckt!«


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