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22

Sie stiegen sogleich in den Keller des Hauses hinab, wo Joseph Simon die Führung übernahm. Mit einer elektrischen Taschenlampe geleitete er sie zu einer Ecktür. Er öffnete sie, und die Männer gewahrten eine lange, in den Felsen eingehauene Treppe. Sie führte zu einem zweiten Keller, der in beträchtlicher Tiefe unter dem Fundament des Hauses lag. Wahrscheinlich war dieses unterirdische Labyrinth in grauen Vorzeiten von den Vereals angelegt worden, als Arbeitskräfte so gut wie nichts kosteten. Unter mächtigen Gewölben, die von hohen, viereckigen, aus dem Naturgestein roh ausgehauenen Säulen getragen wurden, schritten sie durch enge Gänge und durch geräumige, leere Kammern, bis sie wiederum zu einer Ecke kamen und sich Joseph Simon mit voller Wucht gegen den Felsen stemmte. Zur Verwunderung der anderen gab das scheinbar massive Gestein seinem Druck nach.

Ein großer Block war aus der Gesteinwand mit solchem Geschick ausgehauen worden, daß seine Umrisse für das bloße Auge nicht sichtbar waren. Er ruhte auf einem mächtigen Bronzeknopf und wurde oben durch einen gleichen, etwas kleineren Vorsprung festgehalten. Auf diesen Zapfen drehte sich der Block, und sie erblickten einen niedrigen Gang, der noch tiefer in die Erde hinabführte. Die muffige Luft benahm ihnen fast den Atem. Der Gang machte zwei- oder dreimal eine scharfe Biegung – vielleicht hatte man härteren Gesteinschichten ausweichen wollen –, bis er in einen kleinen Raum einmündete, an dessen Seiten starke Kisten aus Eichenholz standen, die mit eisernen Bändern beschlagen waren.

Bei diesem Anblick stieß Simon einen Freudenschrei aus. Er stürzte auf die nächste Kiste zu und hob den Deckel auf. Sie war bis zum Rande mit schwarzen Barren angefüllt. Da warf sich Joseph Simon auf die Knie und reckte seine zitternden Hände empor, als ob er ein Dankgebet sprechen wollte.

Dann blitzte eine Messerschneide in der Hand Silas Dennys auf, als er vortrat und über einen der schwarzen Barren kratzte. Die Messerspitze hinterließ einen leuchtenden Strich. Die Kiste enthielt Silberbarren. Sie machten sich nun daran, den Inhalt der anderen zu prüfen. Der weitaus größte Teil bestand aus Silber.

Schließlich kamen sie zu zwei Kisten, die gediegenes Gold enthielten. Es schimmerte und funkelte noch genau so prächtig wie an dem Tage, als es in dieses Verlies transportiert worden war.

In der am weitesten zurückliegenden Ecke befand sich eine kleine Kassette. Simon öffnete sie und brach in ein halbersticktes, närrisches Gelächter aus, indem er in die Kassette griff und eine Flut leuchtender, funkelnder Edelsteine in diese herabfallen ließ – ein blendendes Geriesel roten, grünen und weißen Lichtes.

Plötzlich hielt er inne; er setzte die Kassette wieder auf den Boden und lauschte gespannt.

»Schließt die Kisten!« befahl er heiser. »Dann schnell nach dem Hause zurück, bevor man uns hier nachspürt!«

Als sie wieder in der Bibliothek standen, machte Joseph Simon einen so veränderten Eindruck, als wenn ihm der Anblick des Schatzes neue Kräfte verliehen hätte. Seine Augen blitzten vor Unternehmungslust. Er wurde wieder zu dem geistigen Lenker, als den ihn die anderen früher kennengelernt hatten.

»Gentlemen«, sagte Joseph Simon, »Sie haben soeben drei Millionen gesehen, die ich barem Gelde vorziehe. Wir müssen jetzt beratschlagen, wie wir den Schatz aus San Triste sicher fortbringen können.«

Sie rieten ihm, am nächsten Tage die Maulesel und Treiber kommen zu lassen und unverweilt nach der Grenze aufzubrechen.

»Angenommen, wir hätten noch genügend Zeit dazu«, sagte Simon, »so wird doch José Vereal gleich nach unserem Abmarsch in San Triste eintreffen, seine Identität beweisen, und sogleich werden sich fünfhundert Reiter hinter uns hermachen, um uns den vermeintlichen Raub zu entreißen – denn das ist der Fluch, der auf diesem Schatze ruht: daß er mir zwar gehört, ich aber keine rechtsgültigen Beweise für meine Ansprüche beibringen kann! Man wird uns einholen. Wir werden zurückgeschleppt werden. Der Schatz wird verlorengehen. Wir selbst werden so lange in mexikanischen Gefängnissen schmachten müssen, bis wir elendiglich zugrunde gehen!«

Er hielt inne. Aber als niemand einen anderen Rat wußte und er nur düstere, nachdenkliche Gesichter gewahrte, fuhr er fort: »Es gibt einen Ausweg: José Vereal muß abgefangen werden.«

»Wenn wir wüßten, wo er hin will – ja!« sagte Halsey. »Aber gesetzt auch den Fall, wir träfen ihn; wie könnten wir wissen, daß er es ist?«

»Ein junger Mann, der in Gesellschaft eines Achtzigjährigen reist: das genügt«, sagte Simon ruhig. »Das ist ein sicheres Erkennungszeichen. Das Ziel ihrer Reise dürfte auch nicht schwer zu erraten sein. Cabrillo hat ihnen einen Ort genannt, den er genau kennt. Mit welchen Orten ist Cabrillo am meisten vertraut? Mit San Triste und seiner eigenen Besitzung. In der Nähe von San Triste würde ihm ein Stelldichein nicht genehm sein; das ist zu gefährlich. Er hat bereits herausgefunden, daß sich mit John Jones nicht gut Kirschen essen läßt. Ich bin überzeugt, daß er Louis Gaspard angewiesen hat, ihn an einer bestimmten Stelle in der Nähe seiner Ranch zu treffen. Doch wir müssen Vereal und Gaspard zuerst treffen, meine Freunde!«

Er zog ein Stück Papier aus seiner Tasche und machte eine flüchtige Skizze.

»Geben Sie acht!« fuhr er fort. »Hier liegt die Ranch inmitten der Berge. Von Norden aus kann man sie auf vierzig verschiedenen Wegen erreichen. Wenn Vereal und Gaspard aus dieser Richtung kommen, sind wir verloren. Aber wenn sie von Süden kommen – sehen Sie? Hier führt ein einziger Paß über die Berge. Nach diesem Paß müssen wir reiten und dort auf sie warten.

Wenn die beiden auftauchen, müssen sie angehalten werden. Sie können sich darauf verlassen, daß sie allein reiten. Ich kenne Gaspard genau. Er ist zu geizig, um Geld für Bedeckungsmannschaften oder Diener auszugeben. Nun treten Sie in Aktion – vier erprobte und berühmte Kämpfer. Sagen Sie mir, meine Freunde, müßte es nicht mit dem Teufel zugehen, wenn Vereal Sie alle vier unterkriegte?«

»Es besteht nur eine Schwierigkeit«, sagte der Kid, der während der ganzen Zeit zu Boden gestarrt hatte. »Wir können nicht alle vier über ihn herfallen.«

»Und warum nicht?«

»Es darf kein Mord begangen werden. Wenn es sich um einen ehrlichen Kampf handelt – das läßt sich hören. Wenn drei über einen herfallen, das ist offensichtlicher Mord.«

»Der Teufel spricht von einem ehrlichen Kampfe!« schrie Simon. »Haben Sie schon so was gehört, meine Freunde?«

»An seinen Worten ist schon etwas Wahres dran«, ließ sich Halsey vernehmen. »Gegen einen ehrlichen Kampf läßt sich nichts sagen. Ich würde mich freuen, wenn mir das Vorrecht zuteil würde, ihn zuerst zu treffen. Wenn er mich erledigen sollte, will ich es euch andern gern überlassen, mit ihm fertig zu werden.«

Er griff mit der rechten Hand unter seine linke Armhöhlung. Dort hing in einem Halfter ein nettes kleines, aber höchst wirksames Mordinstrument. Es spie sieben Kugeln in ununterbrochener Reihenfolge aus, wenn der Finger auf den Drücker gepreßt wurde. Es war nur eine sichere Hand vonnöten, um mit seiner Feuergarbe einen Feind zu vernichten; und Halseys Hand war so fest und sicher wie ein Schraubstock.

Schließlich kam man überein, daß alle vier sofort nach den Bergen aufbrechen sollten, in denen die Ranch Cabrillos lag, um den Reisenden aufzulauern. Joseph Simon wollte in der Casa Vereal zurückbleiben, wo er auf Anweisung des Kid als Gast bewirtet werden sollte. Da man dafür sorgen mußte, daß jeder getrennt seines Weges zog, um auf dem Streifzuge nicht aufeinander zu stoßen, gab ihnen Simon genaue Anweisungen. Es gab viele Wege, die sie einschlagen konnten. Vor einem Dutzend Jahren waren Gaspard und der junge José anderthalb Tage lang planlos durch die Berge geritten, bevor sie ihr Ziel erreichten. Aber man konnte in acht Reitstunden zu derselben Stelle kommen, wenn man den Weg genau kannte.

Nachdem sich die drei verabschiedet hatten, begab sich der Kid zu Vasco Corteño.

»Ein alter Diener meines Vaters weilt jetzt in diesem Hause«, sagte er. »Laß ihn so bewirten, wie es mein Vater für gut befunden haben würde, wenn er noch am Leben gewesen wäre. Ich spreche von Joseph Simon.«

Vasco Corteño verneigte sich. »Señor«, sagte er, »ich habe ihn gesehen. Es ist wieder ein trauriger Tag über San Triste hereingebrochen.«

Darauf verkündete der Kid, daß er zwei oder vielleicht drei Tage abwesend sein würde, und verließ das Haus, um sein Pferd satteln zu lassen. Seine Anordnungen in den Ställen wurden nicht mehr länger einer Kritik unterzogen. Seit dem Ritt auf dem braunen Wallach schien selbst Tom Leven gemerkt zu haben, daß endlich ein Herr ans Ruder gekommen war, der etwas von Pferden verstand. Deshalb wurde der schwarze Hengst sofort gesattelt, und bald ritt John Jones in schlankem Galopp über die Hügel in der Richtung nach den bläulich schimmernden Bergen davon.


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