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Der Paß war in der Mitte, wo der Kamm der Bergkette zurücktrat, ziemlich breit, aber seine Zugangspfade waren so schmal, daß kaum ein einzelnes Pferd sie passieren konnte. Ein gut bewaffneter, entschlossener Mann konnte den Paßeingang selbst gegen so tollkühne und verschlagene Burschen wie die Leute Grenachos mit Leichtigkeit verteidigen. Auf ihren halbwilden. nicht allzu schnellen, aber unermüdlichen Mustangs konnten diese einen ganzen Tag lang einherreiten, ohne sich eine Rast zu gönnen. Sie würden mittlerweile die Männer aus San Triste weit hinter sich gelassen haben.
Die vier kamen schnell zu einem Entschluß. Das Los sollte entscheiden, wer den Ansturm des Feindes aufzuhalten hatte. So warfen sie denn ihre Münzen. Halsey und Denny schieden nach dem ersten Wurf aus; nach dem zweiten deutete der Kid auf die Münze Marmonts. Der Franzose bückte sich langsam, nahm das Silberstück auf und richtete sich allmählich empor, denn er wollte sich sein Entsetzen nicht anmerken lassen.
Ernst und in sich gekehrt, verabschiedete sich einer nach dem anderen von ihm. Es war kein erheucheltes Mitgefühl, das sich auf ihren Gesichtern widerspiegelte, obgleich sie sehr wohl wußten, daß, wenn einen anderen das Los getroffen hätte, Marmont schon nach zehn Sekunden vergnügt vor sich hingepfiffen und seinen todgeweihten Kameraden vergessen haben würde. Der Franzose fügte sich indes mutig in sein Geschick.
»Sie werden mir mit ihren Kugeln nichts anhaben können«, sagte er zuversichtlich. »Ich werde sie bis zum Einbruch der Dunkelheit aufhalten. Dann werde ich mich davonschleichen und nach Ulloa eilen. Vielleicht könnt ihr mir aus der Stadt Leute zu Hilfe entgegensenden. Adieu!«
Schweigend und gedankenvoll verließen sie ihn, ließen sie ihre Pferde ausgreifen und setzten hinter der Karawane her.
Inzwischen legte sich der Franzose am Eingang des Passes zwischen zwei Felsblöcken in Deckung. Von diesem Punkte konnte er den ganzen Abhang mit seinem Gewehr bestreichen. Kaum lag er am Boden, als die Feinde auch schon in Sicht kamen. Die Vermutung erwies sich als zutreffend. Die Männer von San Triste hatten mit diesen wilden Reitern nicht Schritt halten können. Selbst der um das Schicksal seiner Tochter besorgte Alvarado war hinter ihnen zurückgeblieben.
Ihre Mustangs liefen in gestrecktem Galopp dahin. Einige strauchelten zuweilen, aber die ganze Abteilung rückte mit einer staunenswerten Beständigkeit näher. Marmont bemerkte all diese Einzelheiten. Er selbst war Soldat gewesen, und als er sie in geschlossener Formation heranreiten sah, erkannte er, daß sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Diese Männer würden wie blindwütige Raubtiere kämpfen, bis sie entweder ihre Beute zur Strecke brachten oder starben. Die meisten von ihnen waren reinrassige Indianer. Es befanden sich auch einige verkommene Amerikaner darunter – der Auswurf der Menschheit – schlimmer als die wildesten Barbaren. Im ganzen waren es einige dreißig Reiter.
Da Marmont jede Hoffnung auf ein Entkommen aufgegeben hatte, bereitete er sich allmählich auf sein Ende vor. Er hatte in seinem Leben schon mancher Gefahr ins Auge geblickt, aber nie war seine Lage so hoffnungslos gewesen, und nie hatte er so lange Zeit zum Nachdenken gehabt. Was er seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte, das tat er jetzt: Er kniete nieder und bekreuzigte sich. Dann legte er sich wieder auf die Lauer.
Es war auch höchste Zeit, denn der Trupp hatte mittlerweile eine beträchtliche Strecke zurückgelegt. Marmont konnte sogar schon ihre Gesichter erkennen. Eine gedrungene, breitschultrige Gestalt sprengte im Zentrum der ersten Reihe dahin. Sein Gesicht wurde von dem breiten Rand eines kostbaren Sombreros beschattet, während seine übrige Kleidung genau so schäbig war wie die der anderen Reiter. Marmont erriet, daß dies Grenacho war. Wenn es ihm gelang, diesen Mann mit der ersten Kugel niederzustrecken, würde die andern vielleicht ein panischer Schrecken befallen.
Auf Grenacho richtete er also sein Hauptaugenmerk. Als nächstes Ziel wählte er die beiden ihm zur Seite reitenden Banditen, denn er beabsichtigte, mehrere Schüsse so schnell wie möglich hintereinander abzufeuern, um den Eindruck zu erwecken, als hätten mehrere Männer fast gleichzeitig geschossen.
Er schlug sein Gewehr an, nahm sorgfältig Ziel und drückte ab. Laut hallte der Schuß in den Bergen wider, und er sah, wie Grenacho zusammenzuckte und sich seitwärts neigte, aber die gedrungene Gestalt fiel nicht aus dem Sattel.
›Ein glatter Fehlschuß. Der Teufel hat heute seine Hand gegen mich im Spiel‹, dachte Marmont, wobei er den Drücker so schnell wie möglich mehrmals niederpreßte und dem herannahenden Trupp vier weitere Kugeln entgegensandte. Ein Mann fiel zu Böden; ein anderer schrie auf und drehte sich halbwegs im Sattel herum; die übrigen verteilten sich nach beiden Seiten und suchten nach einer Deckung, während ihr ohrenbetäubendes Gebrüll zu Marmont hinaufdrang. Noch bevor er eine weitere Kugel abfeuern konnte, hatten sie sich hinter den auf dem Abhang liegenden Felsblöcken in Sicherheit gebracht.
Marmont bewahrte jedoch seine Ruhe. Er nahm sich vor, das nächstemal ein besseres Resultat zu erzielen. Dann kroch er hinter den Felsblock zurück und füllte sein Magazin auf.
Er kehrte gerade noch zur rechten Zeit auf seinen Posten zurück, um auf zwei Gestalten feuern zu können, die auf einen etwas höher hinaufliegenden Felsblock zustürzten. Ihr Triumphgeheul verkündete ihm, daß er gefehlt hätte. Gleichzeitig schlug ein halbes Dutzend Kugeln gegen die Felsblöcke, hinter denen er verborgen lag, und eine summte bösartig durch eine Lücke hindurch.
Diese Burschen schössen nicht wild darauflos. Es waren zweifellos geübte Schützen.
Er biß sich auf die Lippen und rückte etwas nach rechts. Ein Hut wurde über einem Felsblock sichtbar. Er durchbohrte ihn mit einer Kugel, und sofort drang ein Hohngelächter an sein Ohr, während der auf einem Zweig steckende Hut höher geschoben wurde. Er hatte eine Kugel verschwendet. Das war an und für sich nicht schlimm, aber er hatte auch seine neue Stellung für nichts und wieder nichts verraten, und bald sollte er Grund haben, dies zu bedauern.
Denn die vor ihm befindlichen Steine waren weit kleiner als diejenigen, die ihm vorhin als Deckung gedient hatten. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück.
Die Gegner konnten indes nicht näher heranrücken, denn vor ihnen lagen keine Felsblöcke, die ihnen Schutz geboten hätten. So beschränkte er sich denn darauf, still liegenzubleiben und nur von Zeit zu Zeit aufzublicken, um sich zu vergewissern, daß sie keinen Sturmangriff auf seine Stellung unternahmen.
Auf diese Weise verstrichen einige Minuten, und der Franzose sah die Karawane immer wieder vor seinem geistigen Auge auftauchen. Sie bewegte sich langsam voran. Die Maulesel ließen vor Ermüdung die Köpfe hängen; die Reiter wandten sich oft besorgt um und hielten nach dem Feinde Ausschau. Betrübt und verwundert dachte er daran, daß er seinen Mitmenschen zum erstenmal in seinem Leben einen Dienst erwies. Und doch könnte sich sein guter Vorsatz als sinnlos erweisen.
Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, als der Sand neben ihm aufspritzte. Dann ließ sich das Zischen einer Kugel und der laute Knall eines Gewehres vernehmen. Er blickte aufwärts, denn der Schall war von der hoch über ihm befindlichen Paßseite ausgegangen. Gleichzeitig stießen die unten auf der Lauer liegenden Leute Grenachos ein Triumphgeschrei aus.
Da wurde er sich über seine Situation klar, und er ergrimmte über sich selbst. Sie hatten ihn übertölpelt, und zwar auf eine höchst einfache Weise. Während er die vor ihm liegenden Felsblöcke von seinem Versteck aus beobachtete, hatten sich zwei von den Banditen nach links davongeschlichen und den Kamm der Bergkette erstiegen. Von diesem erhöhten Standpunkte konnten sie ihn in aller Gemütsruhe niederschießen, ohne sich der geringsten Gefahr auszusetzen.
Während er seinen Blick nach oben gerichtet hielt, sah er einen Gewehrlauf in der Sonne aufblitzen. Er schlug seine Winchesterbüchse an und feuerte. Eine kurze Weile blieb alles still, dann traf ihn ein heftiger Schlag, der ihn auf das Gesicht warf. Eine Kugel hatte seine linke Schulter durchschlagen.
Fast schwanden ihm die Sinne. Als er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, erkannte er, daß es keine Rettung für ihn gab. Das gellende Geschrei der beiden Banditen über ihm verkündete den Leuten Grenachos, daß der Feind niedergestreckt worden war. Da stürzten sie aus ihren Deckungen hervor, und er hörte sie heranstürmen. Sein Gewehr war jetzt nur noch eine Last in seiner Hand; er konnte keinen Schuß mehr abfeuern. Aber wenn er auch nicht mehr schießen konnte, so wollte er sich dennoch nicht wehrlos abschlachten lassen, sondern kämpfend sterben.
Mit seiner kräftigen rechten Hand erfaßte er sein Gewehr in der Mitte des Laufes. Dann stürzte er, die Waffe wie eine Keule schwingend, aus seiner Deckung hervor und warf sich den anstürmenden Banditen entgegen.
Es schien Marmont, als ob die Heranstürmenden stutzig wurden, als sie den blindwütigen Angreifer gewahrten. Aber ein stämmiger Bursche stürzte auf ihn zu, indem er beständig mit seinem Revolver schoß. Eine Kugel streifte Marmonts Wange; eine andere traf seinen kraftlosen linken Arm. Dann schlug er den Burschen mit dem Kolben nieder. Im nächsten Moment wurde ihm ein Messer durch den Hals gestoßen, und eine Kugel durchschlug seinen Kopf. Lautlos brach er zusammen.