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16

John Jones, alias der Kid, alias José Vereal, vernahm diese Nachricht mit sehr gemischten Gefühlen. Die heimliche Rückkehr Cabrillos gab ihm zu allerlei Vermutungen Anlaß, die nicht gerade angenehmer Natur waren. Wenn es der Mann trotz der ihm angetanen gröblichen Beleidigung über sich brachte, sich wie ein Dieb in das feindliche Lager zu schleichen, um seinen verhaßten Gegner zu sprechen, so konnte das nichts Gutes bedeuten. Aber wenngleich er Cabrillo nur zu gern gesehen hätte, um den Grund seines Kommens in Erfahrung zu bringen, so mußte er zunächst doch erst eine wichtige Angelegenheit in Ordnung bringen, die keinen Aufschub duldete.

»Laß Señor Cabrillo wissen«, sagte er, »daß ich ihm leider erst zur Verfügung stehen kann, wenn ich von San Triste zurückgekehrt bin. Wie du weißt, Vasco, muß ich heute morgen Señor de Alvarado einen Besuch abstatten.«

Vasco Corteña war sicher nicht ein rachsüchtiger Mensch, aber der angenehme Gedanke, dem früheren Besitzer des Hauses einen Hieb versetzen zu können, ließ seine Augen boshaft aufleuchten. Er verneigte sich daher doppelt tief und verließ das Zimmer.

Nachdem das Morgenprogramm soweit erledigt war, mußte der Kid wieder in das Reich Fleuriots hinüber. Bald kam er in einem Reitanzug zum Vorschein und schritt auf die Pferdeställe zu. Sie standen an Größe und repräsentativer Wirkung der Casa Vereal kaum nach, denn das Verealsche Gestüt war einst von dem klugen und verschwenderischen Don Diego in seinen Jünglingsjahren gegründet worden, als er gerade von den Rennplätzen Frankreichs und Englands zurückkehrte.

Die Auslese der Verealschen Vollblüter hatte seit jener Zeit manchen Sieg auf den verschiedensten Rennbahnen davongetragen, und selbst Cabrillo hatte es nicht gewagt, die kostspieligen Rennställe aufzugeben. Dieses Gestüt war wohl mit der größte Stolz von San Triste, und die Städter würden entrüstet gegen alle diesbezüglichen Neuerungen eingeschritten sein. Selbst den Leiter der Ställe hatte Cabrillo nicht abgesetzt. Dieser, ein kleiner, vertrockneter Engländer, war in seiner Jugend Jockei gewesen und hatte sich dann als Trainer auf Rennplätzen betätigt. Jetzt war er ein musterhafter Stallmeister.

In seinen Jockeitagen war er als »Der rote Tom« bekannt gewesen; jetzt trug er den würdigen Namen Señor Thomas Leven. Die einstmals knallrote Farbe seines Haares hatte sich in ein mattes Grau verwandelt. Er war ein kleines, knüppeldürres Männchen, dessen scharfe, mürrische Stimme nur dann freundlich klingen konnte, wenn er auf Pferde zu sprechen kam.

»Ich will das schwarze Pferd reiten«, sagte der Kid, als Thomas Leven zu ihm herantrat.

»Señor«, entgegnete der mürrische Leven, »Sie haben dieses Pferd bereits vor fünf Tagen geritten.«

»Das war nur ein kurzer Spazierritt«, beharrte der Kid. »Pierre könnte an einem Tage fünfzig Meilen zurücklegen, ohne eine Spur von Müdigkeit zu zeigen.«

»Es weht zu viel Staub«, widersprach Leven in einem Tone, der fast wie eine entschiedene Ablehnung klang. »Sie würden innerhalb von zehn Minuten auf einem weißen, statt auf einem schwarzen Pferde sitzen.«

»Dann will ich den Braunen nehmen.«

»Welchen Braunen, Señor?«

»Den großen Hengst, El Rojo«, versetzte sein Herr.

»Rojo leidet an Magenverstimmungen.«

»Also dann die rotbraune Stute.«

»Sie taugt nichts. Als Sie sie das letztemal ritten, Señor«, fuhr Thomas Leven mit finsterer Miene fort, »war sie fast gänzlich erschöpft.«

»Dann gib mir, was du willst«, sagte der Kid ärgerlich. »Meine Auswahl ist erschöpft.«

So erteilte denn Leven seine Befehle, und sogleich wurde ein prächtiger, brauner Wallach herbeigeführt und gesattelt. Das feingliedrige, aber kräftig gebaute Tier stand mit flatternder Mähne und stolz erhobenem Kopfe da und schnupperte aufgeregt in der Luft umher. Es sah beinahe so aus, als wäre es sich seiner Schönheit bewußt.

»Ich will sogleich losreiten«, sagte der Kid und schwang sich ohne weiteres in den Sattel.

»Ruhig!« brüllte Thomas Leven, als hätte er einen Stallburschen vor sich und nicht seinen Herrn. »Das ist kein vernünftiges Tier, das sich alles gefallen läßt! Es hat zuweilen eine teuflische Laune, und – lassen Sie es mit den Sporen in Ruhe. Es gehorcht so viel besser!«

Damit legte er seine Hand auf den Hals der braunen Schönheit, und der Wallach beruhigte sich augenblicklich.

»Tritt zurück!« sagte der Kid, dessen Reiterblut in Wallung geriet, als er die zitternden Flanken des Pferdes fühlte. »Dies Pferd muß mich kennenlernen. Und meine Methode, mich bekannt zu machen, besteht im Gebrauch der Sporen!«

Noch während er sprach, gab er dem Braunen die Sporen, und dieser schoß wie eine Rakete in die Luft. Er sprang wie eine große Katze umher, erging sich in allen möglichen Verrenkungen und bockte wie der denkbar wildeste Mustang.

Ein halbes Dutzend Stallburschen würde sofort herbeigeeilt sein, um sich dem wild gewordenen Pferde in die Zügel zu werfen, aber Thomas Leven hielt sie mit gebieterischer Stimme zurück: »Das ist so die Art der Vereals«, sagte er. »Sie müssen sich erst die Knochen brechen, um zur Vernunft zu kommen. Dieser ist genau wie alle anderen – hallo!«

Der letzte Ausruf drang ihm über die Lippen, als der Braune nach einem kühnen Luftsprung ruhig stehen blieb, sich wie ein aus dem Wasser kommender Hund schüttelte und dann stracks auf ein niedriges Tor zu galoppierte. Der Kid wartete nicht, bis es geöffnet wurde, sondern gab dem Braunen die Sporen, setzte in kühnem Schwunge über das Hindernis hinweg und verschwand unter dem Echo des zu den Ställen herüberdringenden Hufgeklappers auf der nach San Triste hinabführenden Straße.

»Das«, rief einer der Stallburschen, »sieht mir nicht nach gebrochenen Knochen aus!«

Thomas Leven stand immer noch unbeweglich da und riß vor Staunen den Mund auf, obgleich er sich so leicht keine Ueberraschung anmerken ließ. Er vergaß sogar sein Spanisch und verfiel in seine heimatliche Mundart.

»Das ist doch gar nicht möglich«, sagte er. »Der Braune ist ein unverbesserliches Ungetüm, und es will mir nicht in den Kopf, daß dieser Jüngling es fertigbringen konnte – aber er hat es fertiggebracht! Er ist der erste gute Reiter in der Familie Vereal!«

Der Kid machte sich wenig Gedanken darüber, wie sehr sich seine Leute über sein Ungestüm verwundern mochten. Er trieb das Pferd immer noch zu größerer Eile an, so daß es bereits zu schwitzen anfing, als es in die erste Straße von San Triste hineinstürmte. Die Leute blieben auf der Straße stehen, ließen die prächtige Reitergestalt an sich vorübersprengen und lächelten vergnügt vor sich hin.

Inzwischen war der braune Wallach mit donnerndem Hufgeklapper in den breiten Torweg gestürzt, der zu dem Patio des Hauses Alvarados führte. Der Reiter warf sich aus dem Sattel und schleuderte die Zügel einem Diener zu.

Er wurde sofort von Alvarado vorgelassen, der in dem Bibliothekzimmer saß und eine Zigarre rauchte. Frederico de Alvarado war eine Art Gelehrtennatur. Sein ernstes Gesicht sah nur dann etwas freundlicher aus, wenn er über seinen Büchern saß.

»Señor Alvarado«, sagte der Kid, »Sie sind zum Diner in die Casa Vereal gebeten worden. Sie sind nicht gekommen. Sagen Sie mir bitte, warum Sie meine Einladung nicht beachteten!«

Auf solch eine unvermittelte Frage hatte sich Alvarado nicht gefaßt gemacht, wenngleich er wohl erraten haben mochte, weshalb Vereal zu ihm gekommen war. Er war so verwirrt, daß er vorübergehend ganz aus seiner gewohnten Fassung kam.

»Ich befürchtete, daß ich nicht recht willkommen gewesen wäre«, versetzte er schließlich.

»Weil Sie glaubten, daß ich Ihnen noch wegen der nächtlichen Vorfälle zur Zeit meiner Ankunft etwas nachtrüge? Ach, mein lieber Freund, das hat nichts zu besagen. Ich respektiere einen Mann, der sich alle seine Schritte reiflich überlegt. In Ihren Augen hätte ich ein – was sein können? Ein Abenteurer. Ich habe indes nach anderen Gründen Ihrer Zurückhaltung gesucht. Geld, sagt der alte Weise, ist die Wurzel allen Uebels. Es sind mir einige Schriftstücke in die Hände gefallen, aus denen hervorgeht, daß Cabrillo Ihnen einen gewissen Geldbetrag aus der Schatulle der Vereals vorgestreckt hat.«

Er zog einen länglichen Papierstreifen aus seiner Tasche; Alvarado blickte hilflos um sich. In dem Hause wurde irgendwo eine Tür geöffnet; die helle Stimme eines singenden Mädchens ließ sich vernehmen. Dann wandte sich Alvarado seinem Gast zu. »Es stimmt, Señor«, sagte er. »Es besteht eine Schuld.«

»Sie irren sich«, versetzte der Kid. »Sie besteht nicht mehr. Das Feuer hat sie getilgt!«

Damit riß er das Papier in der Mitte durch und warf es in die im Kamin flackernde Flamme.

Alvarado biß sich auf die Lippen. »Das Vorhandensein oder Verschwinden eines Stücks Papier macht die Schuld nicht um einen Peso kleiner oder größer.«

»Falsch! Falsch!« sagte der Kid rasch. »Für einen Vereal ist nur ein Dokument maßgebend. So, Señor Alvarado – die Sache wäre aus der Welt geschafft! Ich bin froh darüber. Doch Sie haben noch mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ferdinand Moya hat mir berichtet, daß Sie noch mehr Schulden haben! Das ist nicht länger zutreffend. Es gibt einen Vereal in San Triste, und sein Vermögen ist auch das Vermögen seiner Freunde!«

Don Frederico hatte sich so fest auf die Lippen gebissen, daß sie bluteten. Sein Gesicht wurde vor Stolz, Kummer, Zweifel und Scham abwechselnd blaß und rot. Schließlich fragte er seinen Gast mit niedergeschlagenen Augen: »Warum wollen Sie das alles für mich tun?«

»Wenn noch jemand anwesend wäre«, sagte der Kid, »würde ich kein Wort über diese ganze Angelegenheit fallen lassen. Aber nun kann ich Ihnen rückhaltlos bekennen: Sie sind meines Vaters bester und treuester Freund gewesen, Señor Alvarado, und Sie sollen auch der meine sein!«

Er sah, wie die auf dem Tisch liegende schmale Hand Alvarados zitterte. Schließlich blickte der Aristokrat auf und sah den Kid an.

»Señor«, sagte er, »ich will Ihnen bekennen, daß ich bisher Ihre Identität bezweifelt habe! Aber nun komme ich endlich zur Erkenntnis der Wahrheit: der Vereal ist in der Tat nach San Triste zurückgekehrt!«

Sie schüttelten sich herzhaft die Hand.

»Wenn der Geist meines Vaters auf uns herabsieht, so wird er frohlocken!« sprach der Kid mit der Inbrunst eines Heuchlers.

»Junger Mann«, versetzte Alvarado mit vor Rührung zitternder Stimme, »ich sehe den Geist Ihres gütigen Vaters, meines treuen Freundes, vor mir; er wohnt in der Gestalt seines Sohnes!«

Er entschuldigte sich und verließ das Zimmer, kam aber gleich wieder mit der Dame des Hauses zurück. Das war so schnell gegangen, daß der scharfsinnige John Jones argwöhnte, die Señora könnte im Nebenzimmer gelauscht haben.

»Meine Liebe«, sagte Alvarado, »all meine Zweifel sind behoben. Der Geist ist zu ähnlich! Gott weiß, wie ich mich freue, dir Don José Vereal vorstellen zu können!«

Was die Dame sagte, vernahm John Jones kaum, denn er war so beglückt, daß er nur auf seine innere Stimme lauschte, die ihm zuraunte: »Du hast sie beide in der Hand. Jetzt gewinne die andere.«


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