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Über das Genie
Vielkräftigkeit desselben
Der Glaube von instinkmäßiger Einkräftigkeit des Genies konnte nur durch die Verwechslung des philosophischen und poetischen mit dem Kunsttriebe der Virtuosen kommen und bleiben. Den Malern, Tonkünstlern, ja dem Mechaniker muß allerdings ein Organ angeboren sein, das ihnen die Wirklichkeit zugleich zum Gegenstande und zum Werkzeuge der Darstellung zuführt; die Oberherrschaft eines Organs und einer Kraft, z. B. in Mozart, wirkt alsdann mit der Blindheit und Sicherheit des Instinktes.
Wer das Genie, das Beste, was die Erde hat, den Wecker der schlafenden Jahrhunderte, in »merkliche Stärke der untern Seelenkräfte« setzt, wie Adelung, und wer, wie dieser in seinem Buche über den Stil, sich ein Genie auch ohne Verstand denken kann: der denkt sich es eben – ohne Verstand. Unsere Zeit schenkt mir jeden Krieg mit dieser Sünde gegen den Heiligen Geist. Wie verteilen nicht Shakespeare, Schiller u. a. alle einzelne Kräfte an einzelne Charaktere, und wie müssen sie nicht oft auf einer Seite witzig, scharfsinnig, verständig, vernunftend, feurig, gelehrt und alles sein, noch dazu bloß, damit der Glanz dieser Kräfte nur wie Juwelen spiele, nicht wie Licht-Endchen der Notdurft erhelle! – Nur das einseitige Talent gibt wie eine Klaviersaite unter dem Hammerschlage einen Ton; aber das Genie gleicht einer Windharfen-Saite; eine und dieselbe spielet sich selber zu mannigfachem Tönen vor dem mannigfachen Anwehen. Im GeniusDies gilt vom philosophischen ebenfalls, den ich (gegen Kant) vom poetischen nicht spezifisch unterscheiden kann; man sehe die noch nicht widerlegten Gründe davon im Kampaner Tal S. 51 etc. Die erfindenden Philosophen waren alle dichterisch, d. h. die echt-systematischen. Etwas anderes sind die sichtenden, welche aber nie ein organisches System erschaffen, sondern höchstens bekleiden, ernähren, amputieren u. s. w. Der Unterschied der Anwendung verwandter Genialität aber bedarf einer eignen schweren Erforschung. stehen alle Kräfte auf einmal in Blüte; und die Phantasie ist darin nicht die Blume, sondern die Blumengöttin, welche die zusammenstäubenden Blumenkelche für neue Mischungen ordnet, gleichsam die Kraft voll Kräfte. Das Dasein dieser Harmonie und dieser Harmonistin begehren und verbürgen zwei große Erscheinungen des Genius.
Besonnenheit
Die erste ist die Besonnenheit. Sie setzt in jedem Grade ein Gleichgewicht und einen Wechselstreit zwischen Tun und Leiden, zwischen Sub- und Objekt voraus. In ihrem gemeinsten Grade, der den Menschen vom Tier, und den Wachen vom Schläfer absondert, fodert sie das Äquilibrieren zwischen äußerer und innerer Welt; im Tiere verschlingt die äußere die innere, im bewegten Menschen diese oft jene. Nun gibt es eine Höhere Besonnenheit, die, welche die innere Welt selber entzweit und entzweiteilt in ein Ich und in dessen Reich, in einen Schöpfer und dessen Welt. Diese göttliche Besonnenheit ist so weit von der gemeinen unterschieden wie Vernunft von Verstand, eben die Eltern von beiden. Die gemeine geschäftige Besonnenheit ist nur nach außen gekehrt und ist im höhern Sinne immer außer sich, nie bei sich, ihre Menschen haben mehr Bewußtsein als Selbstbewußtsein, welches letzte ein ganzes Sichselbersehen des zu- und des abgewandten Menschen in zwei Spiegeln zugleich ist. So sehr sondert die Besonnenheit des Genies sich von der andern ab, daß sie sogar als ihr Gegenteil öfters erscheint, und daß diese ewige fortbrennende Lampe im Innern, gleich Begräbnis-Lampen, auslöscht, wenn sie äußere Luft und Welt berührt.Denn Unbesonnenheit im Handeln, d. i. das Vergessen der persönlichen Verhältnisse, verträgt sich so gut mit dichtender und denkender Besonnenheit, daß ja im Traume und Wahnsinne, wo jenes Vergessen am stärksten waltet, Reflektieren und Dichten häufig eintreten. Das Genie ist in mehr als einem Sinne ein Nachtwandler: in seinem hellen Traume vermag es mehr als der Wache und besteigt jede Höhe der Wirklichkeit im Dunkeln; aber raubt ihm die träumerische Welt, so stürzt es in der wirklichen. – Aber was vermittelt sie? Gleichheit setzet stärker Freiheit voraus als Freiheit Gleichheit. Die innere Freiheit der Besonnenheit wird für das Ich durch das Wechseln und Bewegen großer Kräfte vermittelt und gelassen, wovon keine sich durch Übermacht zu einem After-Ich konstituiert, und die es gleichwohl so bewegen und beruhigen kann, daß sich nie der Schöpfer ins Geschöpf verliert.
Daher ist der Dichter, wie der Philosoph, ein Auge; alle Pfeiler in ihm sind Spiegelpfeiler; sein Flug ist der freie einer Flamme, nicht der Wurf durch eine leidenschaftlich-springende Mine. Daher kann der wildeste Dichter ein sanfter Mensch sein – man schaue nur in Shakespeares himmelklares Angesicht oder noch lieber in dessen großes Dramen-Epos –; ja der Mensch kann umgekehrt auf dem Sklavenmarkte des Augenblicks jede Minute verkauft werden und doch dichtend sich sanft und frei erheben, wie Guido im Sturme seiner Persönlichkeit seine milden Kinder- und Engelsköpfe ründete und auflockte, gleich dem Meere voll Ströme und Wellen, das dennoch ein ruhendes reines Morgen- und Abendrot gen Himmel haucht. Nur der unverständigte Jüngling kann glauben, geniales Feuer brenne als leidenschaftliches, so wie etwan für die Büste des nüchtern-dichterischen Platons die Büste des Bacchus ausgegeben wird. Der ewig zum Schwindel bewegte Alfieri fand auf Kosten seiner Schöpfungen weniger Ruhe in als außer sich. Der rechte Genius beruhigt sich von innen; nicht das hochauffahrende Wogen, sondern die glatte Tiefe spiegelt die Welt.
Diese Besonnenheit des Dichters, welche man bei den Philosophen am liebsten voraussetzt, bekräftiget die Verwandtschaft beider. In wenigen Dichtern und Philosophen leuchtete sie aber so hell als in Platon, der eben beides war; von seinen scharfen Charakteren an bis zu seinen Hymnen und Ideen hinauf, diesen Sternbildern eines unterirdischen Himmels. Man begreift die Möglichkeit, wie man zwanzig Anfänge seiner Republik nach seinem Tode finden konnte, wenn man im Phädrus, der alle unsere Rhetoriken verurteilt, die besonnene spielende Kritik erwägt, womit Sokrates den Hymnus auf die Liebe zergliedert. Die geniale Ruhe gleicht der sogenannten Unruhe, welche in der Uhr bloß für das Mäßigen und dadurch für das Unterhalten der Bewegung arbeitet. Was fehlte unserem großen Herder bei einem solchen Scharf-, Tief- und Viel- und Weitsinne zum höhern Dichter? Nur die letzte Ähnlichkeit mit Platon; daß nämlich seine Lenkfedern (pennae rectrices) im abgemessenen Verhältnis gegen seine gewaltigen Schwungfedern (remiges) gestanden hätten.
Mißverstand und Vorurteil ists, aus dieser Besonnenheit gegen den Enthusiasmus des Dichters etwas zu schließen; denn er muß ja im Kleinsten zugleich Flammen werfen und an die Flammen den Wärmemesser legen; er muß mitten im Kriegfeuer aller Kräfte die zarte Waage einzelner Silben festhalten und muß (in einer andern Metapher) den Strom seiner Empfindungen gegen die Mündung eines Rheins zu leiten. Nur das Ganze wird von der Begeisterung erzeugt, aber die Teile werden von der Ruhe erzogen. Beleidigt übrigens z. B. der Philosoph den Gott in sich, weil er, so gut er kann, einen Standpunkt nach dem andern zu ersteigen sucht, um in dessen Licht zu blicken, und ist Philosophieren über das Gewissen gegen das Gewissen? – Wenn Besonnenheit als solche könnte zu groß werden: so stände ja der besonnene Mensch hinter dem sinnlosen Tiere und dem unbesonnenen Kinde, und der Unendliche, der obwohl uns unfaßbar, nichts sein kann, was er nicht weiß, hinter dem Endlichen!
Gleichwohl muß jenem Mißverstand und Vorurteil ein Verstand und Urteil vor- und unterliegen. Denn der Mensch achtet (nach Jacobi) nur das, was nicht mechanisch nachzumachen ist; die Besonnenheit aber scheint eben immer nachzumachen und mit Willkür und Heucheln göttliche Eingebung und Empfindung nachzuspielen und folglich – aufzuheben. Und hier braucht man die Beispiele ruchloser Geistes-Gegenwart nicht aus dem Denken, Dichten und Tun der ausgeleerten Selbstlinge jetziger Zeit zu holen, sondern die alte gelehrte Welt reicht uns besonders aus der rhetorischen und humanistischen in ihren frechen kalten Anleitungen, wie die schönsten Empfindungen darzustellen sind, besonnene Gliedermänner wie aus Gräbern zu Exempeln. Mit vergnügter ruhmliebender Kälte wählt und bewegt z. B. der alte Schulmann seine nötigen Muskeln und Tränendrüsen (nach Peucer oder Morhof), um mit einem leidenden Gesicht voll Zähren in einer Threnodie auf das Grab eines Vorfahrers öffentlich herabzusehen aus dem Schul-Fenster, und zählt mit dem Regenmesser vergnügt jeden Tropfen.
Wie unterscheidet sich nun die göttliche Besonnenheit von der sündigen? – Durch den Instinkt des Unbewußten und die Liebe dafür.
Der Instinkt des Menschen
Das Mächtigste im Dichter, welches seinen Werken die gute und die böse Seele einbläset, ist gerade das Unbewußte. Daher wird ein großer wie Shakespeare Schätze öffnen und geben, welche er so wenig wie sein Körperherz selber sehen konnte, da die göttliche Weisheit immer ihr All in der schlafenden Pflanze und im Tierinstinkt ausprägt und in der beweglichen Seele ausspricht. Überhaupt sieht die Besonnenheit nicht das Sehen, sondern nur das abgespiegelte oder zergliederte Auge; und das Spiegeln spiegelt sich nicht. Wären wir uns unserer ganz bewußt, so wären wir unsre Schöpfer und schrankenlos. Ein unauslöschliches Gefühl stellet in uns etwas Dunkles, was nicht unser Geschöpf, sondern unser Schöpfer ist, über alle unsre Geschöpfe. So treten wir, wie es Gott auf Sinai befahl, vor ihn mit einer Decke über den Augen.
Wenn man die Kühnheit hat, über das Unbewußte und Unergründliche zu sprechen: so kann man nur dessen Dasein, nicht dessen Tiefe bestimmen wollen. Zum Glück kann ich im folgenden mit Platons und Jacobis Musenpferden pflügen, obwohl für eignen Samen.
Der Instinkt oder Trieb ist der Sinn der Zukunft, er ist blind, aber nur, wie das Ohr blind ist gegen Licht und das Auge taub gegen Schall. Er bedeutet und enthält seinen Gegenstand ebenso wie die Wirkung der Ursache; und wär' uns das Geheimnis aufgetan, wie die mit der gegebenen Ursache notwendig ganz und zugleich gegebene Wirkung doch in der Zeit erst der Ursache nachfolget: so verständen wir auch, wie der Instinkt zugleich seinen Gegenstand fodert, bestimmt, kennt und doch entbehrt. Jedes Gefühl der Entbehrung setzt die Verwandtschaft mit dem Entbehrten, also schon dessen teilweisen Besitz vorausDenn reine Negation oder Leerheit schlösse jedes entgegengesetzte Bestreben aus, und die negative Größe wirkte wie eine positive.; aber doch nur wahre Entbehrung macht den Trieb, eine Ferne die Richtung möglich. Es gibt, wie körperlich-organische, so geistig-organische Zirkel; wie z. B. Freiheit und Notwendigkeit oder Wollen und Denken sich wechselseitig voraussetzen.
Nun gibt es im reinen Ich so gut einen Sinn der Zukunft oder Instinkt wie im unreinen Ich und am Tiere, und sein Gegenstand ist zugleich so entlegen als gewiß; es müßte denn gerade im Menschen-Herzen die allgemeine Wahrhaftigkeit der Natur die erste Lüge sagen. Dieser Instinkt des Geistes – welcher seine Gegenstände ewig ahnet und fodert ohne Rücksicht auf Zeit, weil sie über jede hinauswohnen – macht es möglich, daß der Mensch nur die Worte Irdisch, Weltlich, Zeitlich u. s. w. aussprechen und verstehen kann; denn nur jener Instinkt gibt ihnen durch die Gegensätze davon den Sinn. Wenn sogar der gewöhnlichste Mensch das Leben und alles Irdische nur für ein Stück, für einen Teil ansieht: so kann nur eine Anschauung und Voraussetzung eines Ganzen in ihm diese Zerstückung setzen und messen. Sogar dem gemeinsten Realisten, dessen Ideen und Tage sich auf Raupenfüßen und Raupenringen fortwälzen, macht ein unnennbares Etwas das breite Leben zu enge; er muß dieses Leben entweder für ein verworren-tierisches, oder für ein peinlich-lügendes, oder für ein leeres zeit-vertreibendes Spiel ausrufen, oder, wie die ältern Theologen, für ein gemein-lustiges Vorspiel zu einem Himmel-Ernst, für die kindische Schule eines künftigen Throns, folglich für das Widerspiel der Zukunft. So wohnt schon in irdischen, ja erdigen Herzen etwas ihnen Fremdes, wie auf dem Harze die Korallen-Insel, welche vielleicht die frühsten Schöpfung-Wasser absetzten.
Es ist einerlei, wie man diesen überirdischen Engel des innern Lebens, diesen Todesengel des Weltlichen im Menschen nennt oder seine Zeichen aufzählt: genug, wenn man ihn nur nicht in seinen Verkleidungen verkennt. Bald zeigt er sich den in Schuld und Leib tief eingehüllten Menschen als ein Wesen, vor dessen Gegenwart, nicht vor dessen Wirkung wir uns entsetzenUnsichtbare Loge, I. 278.; wir nennen das Gefühl Geisterfurcht, und das Volk sagt bloß: »Die Gestalt, das Ding lässet sich hören«, ja oft, um das Unendliche auszudrücken, bloß: es. Bald zeigt sich der Geist als den Unendlichen, und der Mensch betet. Wär' er nicht, wir wären mit den Gärten der Erde zufrieden; aber er zeigt uns in tiefen Himmeln die rechten Paradiese. – Er zieht die Abendröte vom romantischen Reiche weg, und wir blicken in die schimmernden Mond-Länder voll Nachtblumen, Nachtigallen, Funken, Feen und Spiele hinein.
Es gab zuerst Religion – Todesfurcht – griechisches Schicksal – Aberglauben – und ProphezeiungProphezeiung, oder deren Ganzes, Allwissenheit, ist nach unserm Gefühl etwas Höheres als bloßes vollständiges Erkennen der Ursache, mit welchem ja der Schluß oder vielmehr die Ansicht der Wirkung sofort gegeben wäre; denn alsdann wäre sie nicht ein Antizipieren oder Vernichten der Zeit, sondern ein bloßes Anschauen, d. h. Erleben derselben. – und den Durst der Liebe – den Glauben an einen Teufel – die Romantik, diese verkörperte Geisterwelt, so wie die griechische Mythologie, diese vergötterte Körperwelt.
Was wird nun der göttliche Instinkt in gemeiner Seele vollends werden und tun in der genialen?