Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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§ 46

Der witzige Zirkel

Dieser Teil des unbildlichen oder Reflexion-Witzes besteht darin, daß eine Idee sich selber sich entgegensetzt und nachher doch mit ihrem Nicht-Ich den Frieden der Ähnlichkeit stiftet, nicht der Gleichheit. Ich meine hier keine Philosophie, sondern den Witz-Zirkel, diese wahre causa sui. Er ist so leicht, daß man nichts dazu braucht als einigen – Willen dazu: z. B. »die kritische Feile feilen – sich vom Erholen erholen – die Bastille einkerkern – der Dieb an Dieben.« – Außer der Kürze erfreuet daran noch, daß der Geist, der ewig fortschreiten muß, dieselbe Idee, z. B. »das Erholen«, zum zweiten Male, aber als ihre eigne Widersacherin vor sich stehen und sich durch die Gleichheit genötigt sieht, einige Ähnlichkeit zwischen ihr selber auszukundschaften. Der Scheinkrieg erzwingt einen Scheinfrieden. Zusammengesetzter und mehr ein buntes Vieleck ist jener Zirkel der Mad. du Deffant, als sie den Maschinenmeister Vaucanson sehr langweilig und hölzern gefunden: »Ich eine habe große Idee von ihm gefasset; ich wollte wetten, er hat sich selber gemacht«, sagte die Dame.

§ 47

Die Antithese

Zum Reflexion-Witze gehört die Antithese, aber die rein unbildliche; denn bei den Franzosen ist sie meistens halb unbildlich, halb aber – denn die Einbildungkraft reißet sie dahin – in einem oder dem andern Worte bildlich: z. B. que ces arbres réunis soient de nos feux purs et l'asyle et l' image. – Die Antithese setzt Sätze, meistens die Ursache der Wirkung und diese jener, entgegen. Ein Subjekt erhält widersprechende Prädikate, so wie oben ein Prädikat widersprechenden Subjekten zufiel. Auch dieser ästhetische Schein entspringt durch das Volteschlagen der Sprache. Wenn Youngs Witz von einem, der den Zerstreueten spielen will, sagt: »Er macht sich einen Denkzettel, um etwas zu vergessene, so würde die Wahrheit sagen: er macht sich einen, um sich zu erinnern, daß er den Schein annehmen wolle, etwas zu vergessen. Fein versteckt sich oft die Unwahrheit der Entgegensetzung in die Sprache: z. B. »Die Franzosen müssen entweder Robespierres Richter oder seine Untertanen werden.« Denn den Richtern wird nur die gerichtete Partei, den Untertanen nur der Herrscher entgegengesetzt; aber nicht Richter den Untertanen.

Um einem antithetischen Satz Dasein, Licht und Kraft zu geben, wird oft französischerseits ein ganz gemeiner thetischer vorangetrieben. »Ich weiß nichtWenn uns Franzosen diese antithetische Wendung bis zum Ekel vorgemacht haben: so kommen noch die deutschen Affen und machen uns dieses Vormachen wieder nach.«, sagte ein Franzose mit uralter Wendung, »was die Griechen von Eleonoren gesagt hätten; aber von Helenen hätten sie geschwiegen.« – Am weitesten, nämlich bis zur Sinn- und Ruchlosigkeit, trieb Voltaire diese matte Wendung, wenn er von Fenelon bei Gelegenheit des Jansenisten-Streites sagte: »Ich weiß nicht, ob Fenelon ein Ketzer durch die Behauptung ist, daß die Gottheit um ihrer selber willen zu lieben sei; aber ich weiß, daß Fenelon verdiente, um seiner selber willen geliebt zu werden.« Dies führt wieder d'Alembert in seiner Lobrede auf Fenelon als eine schöne von Voltaire an. – »Ich will lieber«, sagte der zweite Kato, »daß man mich frage, warum ich keine Statue bekommen, als warum ich eine.« Kato würde hier, wie ich oben, ohne das Rochieren der Sätze weniger glänzen und siegen; ich meine, er würde mit seinem Einfalle weniger auf die Nachwelt und deren Nachwelt eingeschlagen haben, hätt' er den Blitz nach dem Donner gebracht und die Phrasis so gekehrt. »Es ist mir unangenehmer, wenn jemand fragt: warum ich eine Statue bekommen« – »Natürlich,« (würden die Nachwelten ihn unterbrochen haben) »allein wir sehen nur nicht ein, warum du dergleichen erst sagst.« – Worauf er denn fortfahre und mit dem zweiten bessern Satze abgemattet nachkäme. So sehr siegt überall bloße Stellung, es sei der Krieger oder ihrer Sätze.

Am schönsten ist die Antithese und steigt am höchsten, wenn sie beinahe unsichtbar wird. »Es braucht viel Zeit«, sagt Gibbon, »bis eine Welt untergeht – weiter aber auch nichts.« Im ersten thetischen, nicht unfruchtbaren Satze wurde Zeit als bloße Begleiterin einer unbekannten Welten-Parze aufgeführet; – auf einmal steht sie als die Parze selber da. Dieser Sprung der Ansichten beweiset eine Freiheit, welche als die schönste Gabe des Witzes künftig uns nähertreten soll.

§ 48

Die Feinheit

Zum unbildlichen Witze rechn' ich auch die Feinheit. Man könnte sie zwar das Inkognito der Schmeichelei, die poetische reservatio mentalis des Lobes oder auch das Enthymema des Tadels nennen und mit Recht; der Paragraph aber nennt sie das Zeichen des Zeichens. – »Quand on est assez puissant pour la grace de son ami, il ne faut demander que son jugement.« Unter jugement ist aber ebensowohl damnation als grace begriffen und möglich; hier wird nur die Phantasie gezwungen, jugement und grace für eins zu nehmen, die Art für die Unterart. So wenn de la Motte bei einer großen Wahl zwischen Tugend und Laster sagt: hésiter ce seroit choisir. Daß hier die Wahl überhaupt die schlimme bedeutet, hésiter wieder die Wahl – das Zeichen des Zeichens –, gewährt durch Kürze und durch den Schein einseitiger Notwendigkeit den Genuß. Als ein Gascogner einer ihm unglaublichen Erzählung höflich beigefallen war, fügt' er bloß bei: mais je ne répéterai votre histoire à cause de mon accent. Der Dialekt bedeutet den Gascogner, dieser die Unwahrheit, diese den einzelnen Fall – hier sind fast Zeichen der Zeichen von Zeichen.

Damit nun ein Mensch fein reden könne, gehört außer seinem Talente noch ein Gegenstand dazu, der zum Verstehen zwingt. Daher sind die Feinheiten, welche auf Geschlecht-Zweideutigkeiten beruhen, so leicht; denn jeder weiß, daß er, sobald er aus einem zweideutigen Satze nicht klug werden kann, Eindeutigkeit darunter zu suchen habe, das Bestimmteste unter dem Allgemeinsten. Die europäische Phantasie verdirbt in jedem Jahrhunderte dermaßen mehr, daß es am Ende unmöglich wird, hierin nicht unendlich fein zu sein, sobald man nicht weiß, was man sagt.

Ebenso kann man nur Personen ein feines Lob erteilen, welche schon ein entschiedenes besitzen; das entschiedene ist das Zeichen, das feine das Zeichen des Zeichens; und man kann alsdann statt des lobenden Zeichens nur das nackte Zeichen desselben geben. Daher wird – wo nicht die Voraussetzung voraussetzt, es sei aus Selbstbewußtsein oder Zartheit – die höchste Feinheit am leichtesten ihr Gegenteil. Unter allen europäischen Zueignungen sind (wie die französischen die besten) die deutschen die schlechtesten, d. h. die unfeinsten, d. h. die deutlichsten. Denn der Deutsche setzt alles gern ein wenig ins Licht, auch das Licht; und zur Feinheit – dieser Kürze der Höflichkeit – fehlt ihm der Mut.

Der Verfasser dieses darf ohne Unbescheidenheit hoffen, immer so zugeeignet zu haben, daß er so fein war wie wenige Franzosen, – was allerdings ein wahres Verdienst beweiset, wenn auch nicht seines.

§ 49

Der bildliche Witz, dessen Quelle

Wie an dem unbildlichen Witze der Verstand, so hat am bildlichen die Phantasie den überwiegenden Anteil; der Trug der Geschwindigkeit und Sprache stehet jenem bei, eine Zauberei von ganz anderer Art diesem. Dieselbe unbekannte Gewalt, welche mit Flammen zwei so spröde Wesen, wie Leib und Geist, in ein Leben verschmelzte, wiederholt in und außer uns dieses Veredeln und Vermischen; indem sie uns nötigt, ohne Schluß und Übergang aus der schweren Materie das leichte Feuer des Geistes zu entbinden, aus dem Laut den Gedanken, aus Teilen und Zügen des Gesichts Kräfte und Bewegungen eines Geistes und so überall aus äußerer Bewegung innere.

Wie das Innere unseres Leibes das Innerste unsers geistigen Innern, Zorn und Liebe, nachbildet, und die Leidenschaften Krankheiten werden, so spiegelt das körperliche Äußere das geistige. Kein Volk schüttelt den Kopf zum ja. Die Metaphern aller Völker (diese Sprachmenschwerdungen der Natur) gleichen sich, und keines nennt den Irrtum Licht und die Wahrheit Finsternis. So wie es kein absolutes Zeichen gibt – denn jedes ist auch eine Sache –, so gibt es im Endlichen keine absolute Sache, sondern jede bedeutet und bezeichnet; wie im Menschen das göttliche Ebenbild, so in der Natur das menschliche.Fixlein, 2te Auflage, S. 363. Der Mensch wohnt hier auf einer Geisterinsel, nichts ist leblos und unbedeutend, Stimmen ohne Gestalten, Gestalten, welche schweigen, gehören vielleicht zusammen, und wir sollen ahnen; denn alles zeigt über die Geisterinsel hinüber, in ein fremdes Meer hinaus.

Diesem Gürtel der Venus und diesem Arme der Liebe, welcher Geist an Natur wie ein ungebornes Kind an die Mutter heftet, verdanken wir nicht allein Gott, sondern auch die kleine poetische Blume, die Metapher. – Dieser Name der Metapher ist selber eine verkleinerte Wiederholung eines Beweises. Sonderbar! – (man erlaube mir diesen Nebengang) auch der materielle Geschmack und der geistige Geruch liegen sich – wie verbundene Bilder der Materie und Geistigkeit – einander gleichfalls ebenso nahe und ebenso ferne. Kant nennt den Geruch einen entfernten Geschmack; aber, wie mich dünkt, betrogen vom immerwährenden Wirkung-Simultaneum beider Sinne. Die gekäuete Blume duftet eben noch unter der Auflösung. Man entziehe aber der Zunge vermittelst des Einatmens durch den bloßen Mund die Mitwirkung der Nase: so wird die Zunge (wie z. B. eben im Flußfieber) ganz zu verarmen und abzusterben scheinen in dem einsamen Genusse, indes der Geruch ihrer nicht bedarf. (Wieder ein Vorbild, nämlich von dem Gegenverhältnisse eines reinen Realisten und eines reinen Idealisten!) Der Geruch mit seiner phantastischen Weite gleicht mehr der Musik, wie der Geschmack mit seiner prosaischen Schärfe dem Gesicht; und tritt mit jener oft zu dieser, wie im Tasten die Temperatur der Körper zu ihrer Form. – Wie wenig poetisch und musikalisch wir z. B. gegen Indier sind, beweiset unsere Herabsetzung der Nase selber, welche über ihren Namen sich selber rümpft, als sei sie der Pranger des Gesichts; und besonders unsere Armut an Geruchswörtern bei unserem Reichtum der Zunge. Denn wir haben nur den abstoßenden Pol (Gestank), nicht einmal den anziehenden; denn Duft ist zu optisch, Geruch zu zweideutig, und Wohlgeruch erst eindeutig. Ja ganze deutsche Kreise riechen gar nicht an Blumen, sondern »schmecken an sie« und nennen, z. B. in Nürnberg und Wien, einen Blumenstrauß eine »Schmecke«. – Nun zurück zum schönen – dem Verhältnis zwischen Körper und Geiste ähnlichen – Unterschiede zwischen Geschmack und Geruch, der jenen in WasserOhne Auflösung durch Wasser gibt es keinen Geschmack. , diesen im Äther lebend setzt, für jenen die Frucht, für diesen die Blume. Daher der Sprachwechsel gerade entweder die unsichtbaren Gegenstände dieses Sinnes, oder deren nahes unsichtbares Element, verschieden wie Duft und Luft, zu Wappenbildern des Geistes macht, oder umgekehrt, z. B. Pneuma, Animus, Spiritus, Riechspiritus, sauere Geister, Spiritus rector, Salz-, Salmiak- etc. Geist. Wie schön, daß man nun Metaphern, diese Brotverwandlungen des Geistes, eben den Blumen gleich findet, welche so lieblich den Körper malen und so lieblich den Geist, gleichsam geistige Farben, blühende Geister!


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