Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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§ 50

Doppelzweig des bildlichen Witzes

Der bildliche Witz kann entweder den Körper beseelen oder den Geist verkörpern.

Ursprünglich, wo der Mensch noch mit der Welt auf einem Stamme geimpfet blühte, war dieser Doppel-Tropus noch keiner; jener verglich nicht Unähnlichkeiten, sondern verkündigte Gleichheit; die Metaphern waren, wie bei Kindern, nur abgedrungene Synonymen des Leibes und Geistes. Wie im Schreiben Bilderschrift früher war als Buchstabenschrift, so war im Sprechen die Metapher, insofern sie Verhältnisse und nicht Gegenstände bezeichnet, das frühere Wort, welches sich erst allmählich zum eigentlichen Ausdruck entfärben mußte.Es ist ordentlich bildlich, daß der Handel – dieser Gegner der Dichtkunst – die Bilderschrift in Zeichenschrift zu verwandeln veranlaßte (s. Buhle, Geschichte der Philosophie, I. Bd.), weil der Handelsmann gern kurz schreibt. Das tropische Beseelen und Beleihen fiel noch in eins zusammen, weil noch Ich und Welt verschmolz. Daher ist jede Sprache in Rücksicht geistiger Beziehungen ein Wörterbuch erblasseter Metaphern.

So wie sich der Mensch absondert von der Welt, die Unsichtbarkeit von der Sichtbarkeit. so muß sein Witz beseelen, obwohl noch nicht verkörpern; sein Ich leiht er dem All, sein Leben der Materie um ihn her; nur aber, daß er – da ihm sein Ich selber nur in Gestalt eines sich regenden Leibes erscheint – folglich auch an die fremde Welt nichts anders oder Geistigeres auszuteilen hat als Glieder, Augen, Arme, Füße, doch aber lebendige, beseelte. Personifikation ist die erste poetische Figur, die der Wilde macht, worauf die Metapher als die verkürzte Personifikation erscheint, indes mit den beiden Tropen will er so wenig den Schein haben, als ob er hier besonders nach Adelung und Batteux stilisiere, so wenig als ein Zorniger seinen Fluch als Ausrufzeichen und ein Liebender seinen Kuß als Gedankenstrich anbringt. Jedes Bild ist hier ein wundertätiges Heiligenbild voll Gottheit; seine Worte sind Bilder-Statuen, seine Statuen sind Menschen, und Menschen sind er. Der Nordamerikaner glaubt, daß der Seele des Verstorbenen die Seele seines Pfeils nachziehe.

Wenn ich das Beseelen des Körperlichen als das Frühere der bildlichen Vergleichung setze: so gründ' ich mich darauf, daß das Geistige als das Allgemeinste leichter in dem Körperlichen (als dem Besondern) zu finden ist als umgekehrt, so wie die Moral aus der Fabel leichter zu ziehen als die Fabel aus der Moral. Ich würde daher (auch aus andern Gründen) die Moral vor die Fabel stellen. So konnte Bako leicht der Mythologie die allegorische Bedeutung anerfinden; aber umgekehrt zum Sinne eine mythologische Ähnlichkeit aufzutreiben, wäre zehnmal schwerer gewesen. Dies führt mich auf die spätere Tätigkeit des bildlichen Witzes, das Verkörpern des Geistigen. Überall sind für die Phantasie Körper schwerer zu schaffen als Geister. Körper begehren schärfere Individuation; Gestalten sind bestimmter als Kräfte, folglich verschiedener. Wir kennen nur ein Ich, aber Millionen Körper. Mithin ist es schwieriger, in dem eigensinnigen und spielenden Wechsel der bestimmten Gestalten doch eine auszufinden, welche mit ihrer Bestimmtheit einen Geist und die seinige ausspräche. Es war viel leichter, das Körperliche zu beseelen und zu sagen: der Sturm zürnet, als das Geistige so zu verkörpern: der Zorn ist ein Sturmwind.

Geht ein Dichter durch ein reifes Kornfeld spazieren: so werden ihn die aufrechten und körner-armen Ähren leicht zu dem Gleichnis heben, daß sich der leere Kopf ebenso aufrichte – welches Montaigne wie mehre Gleichnisse aus dem Plutarch genommen, so wie die Sentenzen aus dem Seneka –; aber er wird einige Mühe haben, für denselben Gedanken eines zugleich unbedeutenden und doch stolzen Menschen in den unabsehlichen Körper-Reihen auf den Schieferabdruck jener Blume zu treffen. Denn da meistens durch eine Metapher der Weg zum Gleichnis gefunden wird – hier z. B. wird statt unbedeutend leer und statt stolz aufgerichtet gewählt –: so ständen, weil ja statt leer ebensogut enge, krank, flach, krüppelhaft, schwarz, krumm, giftig, zwergig, hohl, welk u. s. w. genommen werden könnte, zahllose auseinanderlaufende Wege offen; und ein langer Umherflug ginge doch wohl vor dem Ziele vorbei, an welches man, wie gesagt, im Lustwandeln durchs Kornfeld anstreifte.

Daher muß man im Gleichnis das Geistige vor- und das Körperliche nachstellen, und wär' es auch, um den versteckten Pleonasmus zu vermeiden, daß man schon im Körperlichen das Geistige halb vorausdenkt, was man umgekehrt nicht vermochte. Daher macht die gute C. Pichler mit ihren Gleichnissen, bloß dieser pleonastischen Stellung wegen, fast einige Langweile. Nur in einem Falle kann das Bild früher als die Sache auftreten, wenn dasselbe nämlich so unbekannt und fremd hergeholt ist, daß der Leser früher in unbildliche Bekanntschaft mit demselben kommen muß, um leichter die bildliche zu machen und nachher spielend zu verwenden. Klopstocks Gleichnisse, von Seelenzuständen hergenommen, sind leichter zu machen als die homerischen körperlichen, weil man den geistigen Zustand leicht so zuschneiden kann, als man ihn braucht. Eine besondere, von Hippel genial gesteigerte Art von Witz ist die, welche mehre allgemeine Sätze zu Gleichnissen oder Allegorien eines Satzes aneinanderlötet. So drückt HippellDessen bürgerliche Verbesserung der Weiber, S. 342. z. B. den Gedanken, er wolle nur Winke geben, und nicht weit ausmalen, dadurch aus, daß er fast anderthalb Seiten lang das Fehlerhafte eines langen und das Vorteilhafte eines kurzen Ausmalens in folgenden Gleichnissen ausmalt: »Die Damen erkälten sich lieber, als daß sie dem Putze etwas entziehen. Große Esser entfernen alles Fremdartige, sogar weite Aussicht, Tafelmusik, unterhaltende Gespräche. Alles Kolossale ist schwächlich. Wer Menschen vergöttert, macht sie zu noch weniger, als sie von Gottes und Natur wegen sein können« und so noch lange fort. Die Auslassung des Wie oder des Gleichsam, das Springen nicht zwischen Bildern, sondern zwischen Ideen und der selbstständige Gehalt der einzelnen neuen Bemerkungen machen es schwer, sich nicht in einzelne genießend zu vertiefen, sondern sie nur als bloße zum leidenden Bilderdienste verdammte Farben für das Hauptgemälde zu verbrauchen. – Den Weg des Geschmacks aber auf diesem flüssigen Boden, ja auf diesen Wellen immer zu treffen, ist für den Autor fast zu schwierig. Kann sonach ein von den Alten Gebildeter eine solche Schwelgsünde in Gleichnissen gutheißen? Schwerlich, ausgenommen etwan an Pindaros, welcher als ein Vor-Hippel ebenso eine Reihe allgemeiner Sätze ohne alle Niet-Worte zu einer Vergleichung zusammenschmelzte und dadurch seinen Herausgebern sich wenig verständigte.

Von der bildlichen Phantasie schlägt der Weg des bildlichen Witzes sich weit ab. Jene will malen, dieser nur färben. Jene will episch durch alle Ähnlichkeiten nur die Gestalt beleben und verzieren; dieser, kalt gegen das Verglichene und gegen das Gleichende, löset beide in den geistigen Extrakt ihres Verhältnisses auf. Sogar das Gleichnis macht Homer nicht zum bloßen Mittel, sondern schenkt auch dem dienstbaren Gliede ein eigentümliches Leben. Daher taugt das witzige Gleichnis als selbstständiger und weniger lyrisch mehr für das Epos der Ironie – zumal an Swifts Kunst-Hand eingeführt –; hingegen die Metapher und Allegorie mehr für die Lyra der Laune. Daher hatten die Alten wenig bildlichen Witz, weil sie, mehr objektiv, lieber gestalten wollten als geistreich zersetzen konnten. Daher beseelet lieber die Poesie das Tote, wenn der Witz lieber das Leben entkörpert. Daher ist die bildliche Phantasie strenge an Einheit ihrer Bilder gebunden – weil sie leben sollen, ein Wesen aber aus kämpfenden Gliedern es nicht vermag –; der bildliche Witz hingegen kann, da er nur eine leblose Musaik geben will, in jedem Komma den Leser zu springen nötigen, er kann unter dem Vorwande einer Selbstvergleichung ohne Bedenken seine Leuchtkugeln, Glockenspiele, Schönheitwasser, Schnitzwerke, Putztische nach Belieben wechseln in einer Periode. Das bedenken aber Kunstrichter oft wenig, welche über Programmen zur Ästhetik samt den Leipziger Vorlesungen Urteile fällen.

Die Engländer und die Deutschen haben ungleich mehr Bilder-Witz, die Franzosen mehr Reflexion-Witz; denn dieser ist geselliger; zu jenem muß die Phantasie erst breite Segel spannen, was in einer Gaststube teils zu lang wird, teils zu schwer. Welche einander spiegelnde Reihe von Ähnlichkeiten umschließet oft ein Gleichnis von Young oder Musäus! Was sind die französischen bleichen Perlen vom dritten Wasser gegen die englischen Juwelen vom ersten Feuer! – Madame de Necker führt es unter den Beispielen glücklicher Kühnheit auf, daß der feurige Buffon keinen Anstand genommen, zu volonté das metaphorische heftige Beiwort vive zu setzen. Wenn das ganze korrekte Frankreich dieses dichterische Bild, das den Willen verkörpert, mit Beifall aufnahm: so sieht das philosophierende Deutschland darin nur einen eigentlichen Ausdruck, ja einen Pleonasmus; denn der einzige Wille ist recht lebendig.

Da im französischen Bilder-Schatz außer dem mythologischen Hausgeräte nicht viel mehr liegt als das gemeine tragische Heergeräte und Dichter-Service, Thron, Zepter, Dolch, Blume, Tempel, Schlachtopfer und einige Flammen und Gold, kein Silber und ein Blutgerüste und ihre eignen vorzüglichsten Glieder: so bedienen sie der letzten, weil sie dieses Dichter-Besteck immer bei der Hand haben, besonders der Hände, der Füße, der Lippen und des Hauptes, sich so häufig und so kühn wie Morgenländer und Wilde, die (gleich ihren Materialisten jetzo) das Ich aus Gliedern zusammenbauen. Le sommeil caressé des mains de la nature, sagte Voltaire. Ses mains cueillent des fleurs et ses pas les font naître, sagte ein anderer weniger übel. So geben und schienen sie morgenländisch-keck der Hoffnung, der Zeit, der Liebe Hände an, sobald die Antithese wieder den Händen etwas entgegen- und ansetzen kann, Füße oder Lippen oder Schoß oder das Herz.

Das arme Herz! Bei den tapfern Deutschen ist es doch wenigstens der Mitname des Mutes, aber in der französischen Poesie ist es – wie in der Zergliederkunst – der stärkste Muskel, obwohl auch mit den kleinsten Nerven. Ein komischer Dichter würde vielleicht keine Scheu tragen, das gedruckte Herz den Globe de compression – oder Globulus hystericus der gallischen Muse zu nennen – oder ihre Windkugel am Windrohr – oder das Feuerrad ihrer Werke oder deren Spiel- und Sprachwalze – oder deren Surpluskasse – oder das Schmelzwerk oder alles übrige; man braucht aber wenig oder keinen Geschmack, um so etwas mit dem Tone unverträglich zu finden, welchen ästhetische Programmen fodern.


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