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Über den Stil oder die Darstellung
Beschreibung des Stils
Der Stil ist der Mensch selber, sagt Buffon mit Recht. Wie jedes Volk sich in seiner Sprache, so malt jeder Autor sich in seinem Stile; die geheimste Eigentümlichkeit mit ihren feinen Erhebungen und Vertiefungen formt sich im Stile, diesem zweiten biegsamen Leibe des Geistes, lebend ab. Einen fremden Stil nachahmen, heißet daher mit einem Siegel siegeln, anstatt mit einem Petschaft. Allerdings gibt es einen weiten wissenschaftlichen, gleichsam den Wachtmantel, den ein Gedanke nach dem andern umschlägt – indes der geniale eine mit den grünen Kernen zugleich reifende und genossene Hülse und Schote ist –; aber selber jener gewinnt durch Individualität; und in der bloßen Gelehrsamkeit tut oft das leise Erscheinen des Menschen so viel höheres Vermögen kund als in der Dichtkunst das Verdecken desselben. Hat jemand etwas zu sagen, so gibt es keine angemessenere Weise als seine eigene; hat er nichts zu sagen, so ist seine noch passender. Wie wird man mit dem Widerspruche des Scheins gequält, wenn ein gewöhnlicher Mensch wie z. B. Meißner nach Lessings dialektischer und dialogischer Kettenregel sich mit seinem ineinander geschlungenen Ketten-Demosthenes behängt und damit klingend zieht, ohne etwas zu haben, was zu ziehen oder zu binden ist, als wieder Ketten zum Klingeln!
Wielands langatmige, gehalten sich entwickelnde Prose ist das rechte Sprachorgan der Sokratik, welche ihn eigentümlich auszeichnet bis zum Scheine der Veränderlichkeit. Nicht nur der sokratische Spott fodert die Langsamkeit der Länge, sondern auch die gehaltne Kraft, womit Wieland mehr als irgendein Autor, wie ein Astronom, die größte und die kleinste Entfernung für die mittlere zu berechnen und aus den gezeichneten Enden in die Mitte zurückzuführen weiß. Als ein solches Sternbild der geistigen Waage hebt er sich langsam Stern nach Stern empor, um uns die Gleichheit unsers innern Tags und unserer Nacht vorzuwägen. Da es aber eine Tag- und Nachtgleiche gibt, welche den poetischen Frühling, und eine zweite, welche den prosaischen Herbst mitbringt: so werden wir dem Griechen und dem Deutschen, jedem eine andere geben müssen; ein Unterschied, der sich auch in den beiden Schülern des Sokrates, in Platon und Aristipp ausdrückte. Philosophen haben überhaupt lange Perioden, gleichsam die Augenhalter dessen, dem sie den Star wegheilen; und Wieland ist ein großer Lebens-Philosoph. –
Besucht Herders Schöpfungen, wo griechische Lebens-Frische und indische Lebens-Müde sich sonderbar begegnen: so geht ihr gleichsam in einem Mondschein, in welchen schon Morgenröte fällt, aber eine verborgne Sonne malt ja beide.
Ähnlich, aber periodologischer ist Jacobis straffe, kerndeutsche Prose, musikalisch in jedem Sinne; denn sogar seine Bilder sind oft von Tönen hergenommen. Der seltene Bund zwischen schneidender Denkkraft und der Unendlichkeit des Herzens gibt die gespannte metallene Saite mit dem weichen Vertönen.
In Goethens Prose bildet – wenn in der vorigen die Töne poetische Gestalten legen – umgekehrt die feste Form den Memnons-Ton. Ein plastisches Ründen und zeichnendes Abschneiden, das sogar den körperlichen Künstler verrät, machen seine Werke zum festen stillen Bilder- und Abgußsaal.
Hamanns Stil ist ein Strom, den gegen die Quelle ein Sturm zurückdrängt, so daß die deutschen Marktschiffe darauf gar nicht anzukommen wissen.
Luthers Prose ist eine halbe Schlacht; wenige Taten gleichen seinen Worten.
Klopstocks Prose, dem Schlegel zu viel Grammatik nicht ganz unrichtig vorwarf, zeigt häufig eine fast stoff-arme Sprech-Schärfe, was eben Sprachlehrern wie Logikern eigen ist, welche am meisten gewiß, aber am wenigsten viel wissen; daher fast alle Sprachlehren kurz geschrieben sind, und Danzens hebräische am kürzesten. Überhaupt bei der Einschränkung auf einen engen Stoff will sich der denkende Kopf durch die Anstrengungen zur Sprechkürze Genüsse bereiten. Neue Welt-Ansichten wie die genannten vorigen Dichter gab er wenig. Daher kommen die nackten Winteräste in seiner Prose – die Menge der zirkumskriptiven Sätze – die Wiederkehr der nämlichen, nur scharf umschnittenen Bilder, z. B. der Auferstehung als eines Ährenfeldes. Gleichwohl wird dadurch nicht Klopstocks tonloser Prose, welche der scharfe, aber tonvolle Prosaiker Lessing lobte, der Ruhm der hellsten Bestimmtheit und Darstellung verkleinert.
Die vollendete Prunk- und Glanzprose schreibt Schiller; was die Pracht der Reflexion in Bildern, Fülle und Gegensätzen geben kann, gibt er; ja oft spielet er auf den poetischen Saiten mit einer so reichen, zu Juwelen versteinerten Hand, daß der schwere Glanz, wenn nicht das Spielen, doch das Hören stört.
Ich übergehe viele (denn kein Volk schrieb in einem und demselben Jahrfunfzig eine solche vielgestaltige Proteus-Prose als das deutsche); und nenne nur flüchtig noch den milden Stil des christlichen Xenophon, Spalding (so wie Herder ein christlicher Platon im Darstellen zu nennen wäre, wenn nicht der größte Mensch der Erde zu hoch über jede Vergleichung, selber mit einem Sokrates, hinausstände); ferner die bildliche Anschaulichkeit in Schleiermachers und die unbildliche in Thümmels Stil.
Sinnlichkeit des Stils
Wenn der Stil Werkzeug der Darstellung – nicht des bloßen Ausdrucks – sein soll: so vermag er es nur durch Sinnlichkeit, welche aber – da in Europa bloß der fünfte Sinn, das Auge, am Schreibepult zu gebrauchen ist – nur plastische d. h. durch Gestalt und Bewegung, entweder eigentlich oder in Bildern daran erscheinen kann.
Für Gefühl und Geschmack haben wir wenig Einbildungkraft; für Geruch, wir schon oben bewiesen worden, noch weniger Sprache.
Für das Ohr sammelte unsere Sprache einen Schatz fast in allen Tierkehlen; aber unsere poetische Phantasie wird schwer eine hörende, Auge und Ohr stehen in abgekehrten Winkel-Richtungen in die Welt. Daher muß man musikalische Metaphern, um mit ihnen etwas auszurichten, vorher in optische verkörpern, wie denn schon die eigentlichen Ausdrücke hoher, tiefer Ton das Auge ansprechen. Sagt man z. B.: die Erinnerung im Greise ist ein leises Tönen und Verklingen aus den vorigen Jahren: so stellet sich dies bei weitem nicht so freiwillig dem Einbilden dar, als wenn man sagt. diese Erinnerung ist ein entfernter Ton, der aus dunkeln tiefliegenden Tälern heraufzieht. Kurz, wir hören besser einen fernen als einen leisen Ton, einen nahen als einen starken, das Auge ist das Hörrohr der akustischen Phantasie. Noch dazu, da das innere Auge nach einem besondern Gesetze nicht hell erkennt, was plötzlich davortritt, sondern nur was allmählich wie nach einem Zuge von Ahnen erscheint: so können nicht die Töne, diese Götterkinder, die plötzlich ohne Mutter und gerüstet wie Minerva vor uns treten, sondern bloß die Gestalten, welche wachsend sich nähern, folglich erst an und in diesen die Töne sich lebendig vor die Seele stellen.
Unbildliche Sinnlichkeit
Sinnlichkeit durch Gestalt und Bewegung ist das Leben des Stils, entweder eigentliche oder uneigentliche.
Den Ruhm der schönsten, oft ganz homerisch verkörperten Prose teilt Thümmel vielleicht mit wenigen, unter welche Goethe und Sterne, aber nicht Wieland gehören, der die seinige durch Verkehr mit den französischen Allgemeinheiten entfärben lassen. Man könnte oft Thümmel ebensogut malen als drucken; z. B.: »Bald fuhr der Amorskopf eines rotwangigen Jungen zu seinem kleinen Fenster heraus, bald begleiteten uns die Rabenaugen eines blühenden Mädchens über die Gasse. Hier kam uns der Reif entgegengerollt, hinter dem ein Dutzend spielende Kinder hersprangen. Dort entblößte ein freundlicher Alter sein graues Haupt, um uns seinen patriarchalischen Segen zu geben.« Bloß an der letzten Zeile vergeht das Gemälde. Ebenso schön sinnlich ists, wenn er von den Empfindungen spricht, die man hat, »wenn die Deichsel des Reisewagens wieder gegen das Vaterland gekehrt ist«.
Da auch unsere abstrakte Sprache nur ein bloßer Abdruck der sinnlichen ist: so steht die Sinnlichkeit auch in der Gewalt der Philosophen, wie Schiller und Herder beweisen; und sie wäre ihnen noch mehr zu wünschen, damit sie enger und leichter reiheten. Ich hasse daher durchsichtige Luftwörter wie »bewirken, bewerkstelligen, werkstellig machen« – ferner die durch ein Nicht vernichteten Nebel-Wörter, als Nicht-Sohn, Nicht-Achtung; so malt »durchsichtig« mehr als »unsichtbar«. – Ebenso sind personifizierte Zeitwörter, zumal verneinende – z. B. bei Lessing: »Die Versäumung des Studiums des menschlichen Gerippes wird sich am Koloristen schon rächen« – wenigstens in der Poesie das Gift aller Gestalt. Klopstock hat oft wenig feste sinnliche Folie hinter seinem Spiegel. Vier Mittel – denn die Kürze ist bloß das fünfte – ergreift er, um seine Gestalten zu luftigen auf einer Ossians-Wolke zu verglasen: erstlich eben das abstrakte Personifizieren der Zeitwörter mit einigen Pluralen noch dazu, wie ihm denn Gestaltung lieber ist als Gestalt, – zweitens die Komparativen, welche den Sinnen so wenig bieten, z. B.
Die Erhebung der Sprache,
Ihr gewählterer Schall,Dessen Werke II. 50. Welcher Schall dazu! Aber er, Voß und Schlegel streicheln oft vorn das Ohr mit Selbstlautern, indes sie es hinten mit Mitlautern kratzen; auch wird die Melodie des Rhythmus oft mit Verlust der prosaischen Harmonie erkauft.
Bewegterer edlerer Gang,
Darstellung, die innerste Kraft der Dichtkunst -
ferner die verneinende Adverbia,. z. B. unanstoßendes Schrittes, weil hier das Sinnliche gerade das ist, was aufgehoben wird – und endlich seine zu oft umkehrende gestaltlose Figur, die die Schlacht schlägt, den Tanz tanzt, den Zauber zaubert etc. Daher ist die Messiade dieser großen Seele ein schimmernder durchsichtiger Eispalast.
Ich werde nachher bemerken, wie leicht gerade der Bau der deutschen Sprache alle Gestalten des Dichters aufnimmt. So ziehen z. B. die Präpositionen mit dem doppelten Kasus an, unter, vor, neben, auf, über, hinter so sehr den schönen Bogen der Bewegung, sobald sie den Akkusativ zu regieren haben: vor die Augen heben, hinter Berge stellen; oder auch ans Zeitwort geschmolzen: den Schleier versenken, Blumen unterlegen etc. Überhaupt weht der Akkusativ bei sinnlichen Zeitwörtern romantisch durch die Gefühle. z. B. scheint tief ins Leben oder in das Jahr, oder: wirft ihm lange Schatten nach.
Es gibt viele Hülfmittel der phantastischen Sinnlichkeit. Z. B. man verwandelt alle Eigenschaften in Glieder, das leidende Wesen in ein handelndes, das Passivum ins Aktivum. Wird z. B. statt: »durch bloße Ideen werden die Verhältnisse der ganzen Erde geändert« lieber gesagt: »das innere Auge oder dessen Blick bevölkert Weltteile, hebt Länder aus dem Sumpf etc.«: so ist es zum wenigsten sinnlicher. Je größer der sinnliche leidende oder tätige Kasus: desto besser; z. B. »einem Lande dringt sich die Krone als Sonne auf.«
Die sinnlichen intransitiven Zeitwörter zerfallen vorteilhaft in sinnliche Umschreibungen; z. B. statt: »das Leben blüht« ist es sinnlicher: »das Leben treibt Blüten, wirft sie ab, lässet sie fallen.« – Ja jedes Zeitwort ist weniger sinnlich als ein Geschlechtwort. Hingegen ein Partizipium ist handelnder, mithin sinnlicher als ein Adjektivum: z. B. das dürstende Herz ist sinnlicher als das durstige. – Ein ruhender Körper wird nicht so lebhaft durch ein intransitives Zeitwort dargestellt als durch ein tätiges; z. B. »die Straße läuft, steigt etc. über Berge, Sümpfe« ist nicht so lebendig als: »die Straße schwingt sich, windet sich über Berge.« – Das Zeitwort verwandelt sich kräftig in ein Hauptwort, z. B. statt: »der, den ihre Arme erziehen« bei Herder: Zögling ihrer Arme. – Das Partizipium, zumal das tätige, ist besser als das trockne Adverbium: z. B. sie haben sein Leben zögernd zerstört, anstatt langsam. Ganze kleine Sätze mischt und kleidet oft Herder in diese Wendung reizend ein. Die Neuern stehen in ihrer erbärmlichen Partizipien-Dürftigkeit gegen die Römer als Hausarme da, gegen die Griechen gar als Straßenbettler. Ein Beiwort wird vorteilhaft in ein Hauptwort durch Zusammensetzung verwandelt: z. B. goldene Wolke in Goldwolke, giftiger Tropfe in Gifttropfen, beschränktes Auge in Schranken des Auges. – Ferner: stelle den Gegenstand lieber entstehend als entstanden vor; z. B. anstatt: »die Nerven stammen aus dem Gehirn« lieber: »das Gehirn wird zu Nerven ausgesponnen.« – Schon die gemeine Sprache bemalt noch das Bezeichnen der Sinnen-Wörter; z. B. blutrot, feuerrot, käse- oder kreideweiß, kohl- oder rabenschwarz, oder gar kohlrabenschwarz, essigsauer, honig- oder zuckersüß, wozu noch die deutschen Einwort-Assonanzen kommen: Klingklang, Ripsraps, Holterpolter etc. So darf denn auch die höhere Sprache in ihre Schattenrisse Farben tropfen lassen; z. B. anstatt Flügel der Zeit habt ihr noch ( insofern nur Schnelle zu zeigen ist) Falken-, Schwalbenflügel der Zeit; bei Tatze und Klaue bietet sich euch die ganze Wappenkunde dar mit Tiger-, Löwen-, Leoparden- etc. Tatzen, dann mit Adler-, Falken-, Greifgeier-Klauen. – Und wirken denn nicht kleine Nebenfarbengebungen so weit hinein, daß der Dichter mehr gewinnt z. B. mit nirgend und nie als mit nicht, weil jene schon Raum und Zeit andeuten, nicht aber alles oder nichts? Ja geht nicht alles so ins Kleinste, daß z. B. wegstoßen, fortstoßen sinnlicher anklingt als verstoßen, oder sinnlicher entzweireißen als zerreißen, bloß weil ver und zer nicht an und für sich stehen und zeigen können, wohl aber weg und entzwei? – Indes werden hier nur kleine Mittel sinnlichster Darstellung, aber nicht deren Stellen angegeben, welche jede Dichtart anders wählt.
Sind einmal einige Gestalten mit großen Kosten auf der metaphorischen Fähre angekommen: so geselle man ihnen ja nur wieder Gestalten bei; nichts ist matter, als wenn Sinne auf Worten wachsen oder umgekehrt; man sollte nicht einmal mit Wieland sagen: »dem Zahn der Zeit trotzen«, das T-Z-Terzett nicht einmal gerechnet. – Hingegen im Komischen ist gerade das Widerspiel recht, z. B. Wielands: der Duns trägt seine Entschuldigung unter dem Hut.
Die Beiwörter, die rechten und sinnlichen, sind Gaben des Genius; nur in dessen Geisterstunde und Geistertage fället ihre Säe- und Blütenzeit. Wer ein solches Wort erst sucht, findet es schwerlich. Hier stehen Goethe und Herder voran, auch den Deutschen, nicht nur den Engländern, welche jede Sonne mit einem Umhange von beiwörtlichen Nebensonnen und Sonnenhöfen verstärken. Herder sagt: das dicke Theben – der gebückte Sklave – das dunkle Getümmel ziehender Barbaren etc. Goethe sagt: die Liebes-Augen der Blumen – der silberprangende Fluß – der Liebe stockende Schmerzen zu Tränen lösen – vom Morgenwind umflügelt etc. Besonders winden die Goethischen (auch seine unbildlichen) gleichsam die tiefste Welt der Gefühle aus dem Herzen empor; z. B. »wie greifts auf einmal durch diese Freuden, durch diese offne Wonne mit entsetzlichen Schmerzen, mit eisernen Händen der Hölle durch.« Wie wird man dadurch dem gemeinen Gepränge britischer Dicht-Vornlinge noch mehr gram! – So ergrauen auch Geßners verwässerte Farben gegen die festern hellern im Frühling von Kleist. – Manchem Kosegartischen Gemälde geht oft zu einem dichterischen nichts ab als ein langer – Strich durch alle Beiwörter.Man vergleiche sein Gedicht »Ich und das Schicksal«, welches Nataliens Neujahrwunsch an sich selber im Siebenkäs III. S. 255 in Verse setzt, mit dem Original; die ganze edle Einfachheit des letzten ging in der Nachbildung verloren.