Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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XV. Programm

Fragment über die deutsche Sprache

§ 22

Sprachautorität

Weder der Sprachforscher, noch der Genius, noch das Volk allein besitzen das Sprachregale und können aus eigner Machtvollkommenheit ein neues Wort oder gar eine Wortfügung einsetzen zur Regierung. Der erste nicht, weil dieser Sprachgesetzgeber beinahe nur andern Gesetzgebern befiehlt, die wieder ihm befehlen, und weil überhaupt ihre grammatischen Pandekten der Menge so verborgen und unzugänglich sind als die florentinischen; – der zweite, der Genius, nicht, weil es nur eine päpstliche und keine geniale Unfehlbarkeit und Wahrheit-Statthalterei gibt; – und das dritte nicht, das Volk, das ebensooft den beiden vorigen gehorcht als befiehlt und mehr pflanzt als säet. Aber worauf ruht denn endlich die Sprachherrschaft der neuen Wörter und Wortfolgen? Auf allen dreien auf einmal, wie jede Regier- und Staatgewalt, d. h. auf dem Dreifuße von Gesetz, Macht und leidendem oder tätigem Gehorsam. Auf diesem legitimen Dreifuße – woran freilich oft ein Bein länger ist als das andere – stehen die Reiche erträglich, wenn nur nicht der Fuß gerade einen gekrönten Zerberus-Dreikopf trägt; ein Teil Macht oder Eroberung, ein Teil Gesetz oder Herkommen, ein Teil Einwilligen oder Mitstimmen der Menge. So kommt denn wie ein Napoleon ein Wort auf den Thron durch die Macht eines erobernden Dichters und die Einstimmung der von ihm regierten Menge und durch den Beitritt der Sprachanalogie. Man muß aber nicht zu genau und in zu ähnliche Teile absondern wollen, weder bei regierenden Wörtern, noch regierenden Häuptern.

Zuweilen vereinigt ein Schriftsteller zwei Gewalten in sich, zugleich den Genius und den Sprachforscher, und nur in diesem Falle ist seine Autorität klassisch. Daher können Lessing, Klopstock, Voß gültiger und rechtkräftiger ein neues Wort mit der Herrschaft belehnen als ein Goethe oder Schiller.

§ 23

Ausrottung des Mißton-S in Doppelwörtern

Nichts gewährt so entgegengesetzte Gefühle und Ansichten als die beiden Reiche der Mathematiker und der Sprachforscher. Die stille, nach außen zugeschloßne Herrnhuter-Gemeinde der Mathematiker für Erde und Himmel geht als ein Friedenreich um die ganze Erde, und alle Bürger beschirmen, beerben und bereichern einander wechselseitig. Hingegen das Reich der Sprachforscher ist ein Archipel von Feindschaftinseln; jeder auf seinem Throne allein lebend und andern ungehorsamen als Untertanen befehlend, die nur zum Bekriegen landen, und vom Festlande nur in der Ferne gehört und notdürftig befolgt. Bloß Adelung errang eine kurze Reichsverweserschaft, und zwar durch den Beistand eines Wörterbuchs; welcher wieder Campen nichts half. Grimms altdeutsche Grammatik, deren Reichtum ihr einziger Herold ist, fand keinen einzigen Rezensenten; Wolkens »Anleit zur deutschen Gesamtsprache« nur einen, aber leider keinen Sprachforscher, sondern in der Jenaer Literaturzeitung einen andern Forscher, der die Gallenblase als Schwimmblase zum Fortkommen im fremden Elemente benutzte. Bloß der Verfasser dieses Paragraphen hatte, eben weil er so wenig ein Sprachforscher war als der Jenaer Rezensent, wenn nicht das Glück, doch das Schicksal, von andern Rezensenten, die gleichfalls keine Sprachforscher waren, sein Buch über die deutschen Doppelwörter betreffend, auf eine angenehme und zarte Weise behandelt und gefaßt zu werden, nämlich ganz auf der Oberfläche. Das Innere des Büchleins und der Sache rührte und tastete man nicht im geringsten an. So ließ man denn unangefochten die tausend Beispiele der Wörter ohne regelwidriges und Mißton-S – die daraus abgeleitete Sprachanalogie – und die neuen Zusätze, besonders die Postskripte mit ihren Widerlegungen fremder Einwürfe und mit der Analogie der englischen Sprache – die Erforschung der eigentlichen Natur der Doppelwörter – die Regel und die Regellosigkeit halb ausländischer Doppelwörter wie Doktorhut und ediktswidrig u. s. w. Der zweite sprachunkundige Splitterrichter – denn der Jenaer war der erste –, nämlich Müllner, prägte für mich mit mehr Schonung als Witz den an sich albernen Titel Anti-Essist und setzte sich dadurch selber zu einem Essisten herab, was man so wenig sein darf als ein Errist, Ennist, ließ sonst aber meine grammatischen Gründe und besonders die neuen Postskripte unangetastet, vielleicht weil er sie nicht gelesen. Der dritte, aber etwas verächtliche Sprachunkundige rezensierte mich in der Halleschen LiteraturzeitungIch will von dieser Rezension, die ungleich dem horazischen Ungeheuer nicht mit Mißgestalt endigt, sondern sogleich damit anfängt, soviel Anfang hier kopieren, als mein Ekel verträgt: »Der berühmte Verfasser hat bekanntlich viele wohlgedachte Bücher, aber alle in einem ziemlich übellautenden Stile geschrieben. Zu diesem Übellaute, der hauptsächlich im Mangel des (auch in der Prosa nicht wohl zu entbehrenden) Rhythmus besteht, hat nebenher auch der unmäßige Gebrauch willkürlich gebildeter Stammwörter beigetragen, wozu diesen Schriftsteller sein Überfluß an zuströmenden Vergleichungen der heterogensten Dinge und sein Hang zu bizarren Anspielungen auf entfernt liegende Ähnlichkeiten von jeher zu verleiten pflegte. Das mag er denn wohl endlich, wo nicht erkannt, doch gefühlt haben, und so ist er auf den Gedanken geraten, den Organismus unserer Stammwörter von zwei angeblichen Krankheiten zu heilen. Die eine nennt er in seiner wunderlichen, bisweilen in das Ekelhafte sich verirrende Manier »S-Krätz«, worunter er den unnötigen und unrichtigen Gebrauch des bindenden S bei der Zusammensetzung (z. B. in Liebesbrief) versteht. Die zweite ist der ihm fehlerhaft scheinende Gebrauch der Mehrzahl statt der Einzahl (z. B. Mäusefell, Gänsefuß, Schneckenhaus) und wieder umgekehrt (z. B. Nußbäume) u. s. w.« Allg. Lit. Zeitung, Oktober 1820. – Diese wenigen Zeilen bauen einen der seltensten Augias-Ställe, wo von Zeile zu Zeile sich Verdrehung, Lüge, Unwissenheit, Plattheit, Schiefheit des Ausdrucks und des Gedankens und Sprachfehler aufhäufen. und glaubte wie alles kritische Geflügel seine Flügel zu bewegen, wenn er stark seine Nasenflügel bewegte. Endlich aber rezensierte ein Sprachforscher, Herr Docen, ohne das, was man einen guten Stil nennt, in den Wiener Jahrbüchern das Büchelchen, und nachdem er mehr diesem, aber weniger dessen Gründen lange widersprochen, fällt er wieder ihm von weiten bei, indem er lieber sich selber widerspricht und aus ältern deutschen Werken folgende Beispiele der S-Weglassung als Sprachgebrauch mit Billigung anführt: Unglückstifter – Bundgenoß – Ratherr – Blutfreundschaft – Gottfurcht – Himmelschlüssel – Befehlhaber, Befehlschreiben – Gesichtdeuter – Freiheitbrief – Hülfvölker, Hülfmittel – Keuschheitspiegel, Keuschheitblume, Keuschheittempel – Andachtliebe – Wahrheitbote.In den Wiener Jahrbüchern der Literatur, July 1821. B. 15.
Was soll nun da ein Freund der Regel und des Wohllauts, zumal wenn Professor Köppen, als ähnlicher Freund und ausübender Schreiber, in seiner Rezension hoffend sagt: »wir wollen einmal in funfzig Jahren sehen, ob das S noch vorhanden ist« – was soll man, frag' ich selber, da machen? Wenigstens nicht von neuem schreiben nach dem Schreiben, sondern lachen und warten – dann hoffen und warten – und endlich warten.


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