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Wohlklang der Prose
Sogar der Prosaist verlangt und ringt in Begeisterung-Stellen nach dem höchsten Wohlklang, nach Silbenmaß, und er will, wie in dem Frühling, in der Jugend, in der Liebe, in dem warmen Lande, gleich allen diesen ordentlich singen; nicht reden. In der Kälte hustet der Stil sehr und knarrt.
Wie oft war es dem Verfasser in der hebenden Stunde so, als müßt' er sich durchaus ins Metrum stürzen, um nur fliegend fortzuschwimmen. Allein das Silbenmaß ist die Melodie des Wohlklangs; und diese entzieht sich der Prose; aber einige Harmonie desselben gehört ihr zu.
Freilich gibt es einen prosaischen Rhythmus; aber für jedes Buch und jeden Autor einen andern und ungesuchten; denn wie die Begeisterung des Dichters von selber melodisch wird, so wird die Begeisterung großer Menschen, von einem Luther an bis zu Lessing und Herder herüber, unwillkürlich rhythmisch. Ist nur einmal ein lebendiger und kein gefrorner Gedankenstrom da, so wird er schon rauschen; ist nur einmal Fülle und Sturm zugleich in einer Seele: so wird er schon brausen, wenn er durch den Wald zieht, oder säuseln, wenn er sich durch Blumen spielt. Vögel, welche hoch fliegen, haben nach Bechstein sogar befiederte oder beflügelte Füße.
Bemerkungwert ist es, daß vortönender Wohlklang nicht in der Poesie und doch in der Prose das Fassen stören kann, und zwar mehr als alle Bilder; weil nämlich diese die Ideen darstellen, jener aber sie nur begleitet. Doch kann dies nur geschehen, wenn die Ideen nicht mächtig und groß genug sind, um uns über dem Betasten und Prüfen ihrer Zeichen, d. h. der Töne, emporzuheben und zu halten. Je mehr Kraft ein Werk hat, desto mehr Klang verträgts; der Widerhall gehört in große weite Gebäude, nicht in Stuben. In Johannes von Müllers Geschichte verträgt, ja verlangt die Gewalt der Idee den halb starren, halb widerstoßenden Klang, das dumpfe Rauschen des lebendigen Stroms unter starrem Eis. In Meißners Epaminondas bedeckt mir die Instrumentalmusik des Klanges ganz die schwache Vokalmusik des Sinns.Z. B. »Einen Mann, durch edle Taten unsterblich, kann ja doch für die Nachwelt die niedrigste Geburt nicht um ein Haar breit tiefer senken, die vornehmste nicht um ein Sonnenstäubchen höher heben.« Unterstreichen ist wohl hier ausstreichen, und doch was bleibt? Kaum etwas Besseres als Engels Klingsatz: »Große Anstalten können scheitern, können fehlschlagen« (dessen Schriften 11. B. S. 426), worin die Wiederholung des können und die der Metapher, wovon die letzte die mattere ist, gut die Wiederholung eines alten Gedanken ausspricht. In Engels ästhetischer Psychologie oder psychologischer Ästhetik, so wie in seinen Erzählungen klingt der schöne Rhythmus nicht seinen witzigen, hellen Ideen vor; aber wohl in seiner chrienmäßigen, gedankenarmen Lobrede auf den König, welche nicht einmal eine auf den Lobredner ist. Der Stilist lobe den Stilisten, Engel einen bedeutenden Seelenlehrer – Müller den Tacitus – Goethe Herder – Reichard Gluck – Fontenelle die Akademisten und Klopstock sich – Allein wenn nur und kaum der Geistverwandte tadeln darf und kann: wie soll die Lobrede das Recht der Unwissenheit und Unähnlichkeit vor dem Tadel voraushaben? Nur in einer verwandten, ja höhern Seele widerscheine die fremde gekrönt und bekränzt. Daher ist es anmaßend, einen großen Mann zu loben. Daher ist es wegen der größern schönern Verwandt- und Bekanntschaft des Gegenstandes mit dem Lobredner weit leichter und erlaubter, wenigstens bescheidner, sich selber zu loben.
Um zurückzukommen: der Vogel singt nur, wenn er Frühlingkraft und Liebtriebe fühlt; Memnons Gestalt ertönt erst, wenn Sonnenstrahlen sie berühren und wecken; ebenso erschaffe das beseelte Wort den Klang, nicht der Klang das Wort; und man setze nie wie der leere La Harpe und tausend Franzosen und hundert Deutsche die Leiter mühsam an, um auf eine – Tonleiter zu steigen. Allerdings übe und prüfe man – aber außer der Begeisterung-Stunde – das Ohr, sogar an Klangwerken, an Engels Lobrede, zuweilen an Sturz, Zimmermann, Hirschfeld, Meißner etc.; aber mitten im rüstigen Treffen aller Kräfte muß man nicht Musik machen und darüber das Fechten und Siegen versäumen. Lessings Prose tönt uns mit eigentümlichen Reizen an, zumal in den Schluß-Fällen. Wieland befriedigt meistens durch schönen Schluß-Aushalt. Der große Haller entzückt in seinen Romanen (so viel ich mich aus meiner Jugend erinnere) durch den häufigen Gebrauch der Daktylen, welche LonginThem. 39. für erhabene Tongänge der Prose z. B. an einem Beispiele Demosthenes' erklärt. – Klinger in seinen Trauerspielen in Prose, welche (zumal die republikanischen), obwohl poetischer als seine Romane, kaum mit halber Dankbarkeit für ihre Erhabenheit jetzo gelesen oder vergessen werden, läßt schön, aber kühn wie Goethe im Egmont oder der Verfasser der Dya-na-sore immer mit langer und kurzer Silbe tönen. – Görres' Fortklingen wird durch sein Fortmalen und beides durch sein Fortdenken und Fortlehren gleich gewogen und meistens gerechtfertigt. – Nur Klopstock, dieser Tonsetzer und Klangwähler in der Poesie, untersagt absichtlich seiner Mann-Prose jede Schmeichelei des Ohrs.
Immer bleibt die Gesetzgebung des Wohlklangs für die ungebunden umherirrende Prose schwierig, und leichter eine bloß verbietende des Übelklangs läßt sich geben und befolgen. Höchstens vom Ende des Perioden mag das Ohr, wie überhaupt von Musik-Enden, einiges Trillern begehren. Bei den Alten wurde mehr gefodert, geleistet und gefühlt, und wie auch unsere Ohren sonst mit und an der Zeit gewachsen sind, so wuchsen sie doch nicht in Qualität und Intension, wenn man die einzige Anekdote bedenkt, daß die ganze römische Zuhörerschaft (nach Cic. in orat.) bei des Redners Carbo Stelle: »patris dictum sapiens temeritas filii comprobavit« in Jauchzen über den Klangsatz ausbrach, oder daß das nämliche ungebildete Volk über eine zu kurz oder zu lang gemeßne Silbe wild auftobte. Unserm Deutschvolk macht kein Qualwort mehr Gesichtschmerz oder Ohrszwang; jedes Wortgepolter säuselt und gleitet weich bewehend an Läppchen von Ohren vorüber, welche schon gewichtigere Sachen zu tragen und zu fassen gewohnt sind, z. B. Ohrringe von tonlosem Gold. – hören die Franzosen, an denen wir weniger ihre Sprache als ihre Liebe für ihre Sprache zu lieben haben, ihre Schriftsteller so sehr mit zarten strengen Richter-Ohren, daß Mad. NeckerMélanges de Mad. Necker T. II. p. 259. sogar behauptet, Rousseau habe den römischen Senat unrichtig bloß »cette assemblée de deux cents rois« genannt, anstatt des richtigen trois, um den Reimklang zu meiden; und so habe auch Buffon in seiner Lobrede auf Condamine, den Akademiker, diesen einen confrère de trente ans, anstatt vingt-sept ans, was weniger geklungen hätte, genannt. Daß aber Rousseau hundert wegnimmt und Buffon drei herschenkt, nur um wohlzulauten, will mir und der Wahrheit nicht gefallen; aussprechen wäre besser als ausklingeln. Nur durch Zufall fällt der Franzose zuweilen in einen bösen Ineinanderklang, z. B. in la vie de Voltaire par Condorcet: un fonds dont on est surpris; aber der Brite, an seine starre, wie Klippen einsilbig geschärfte Sprache gewohnt, fragt nach keiner Miß- und Eintönigkeit, sondern er schreibt geradezu sein had had, sein but in dreifacher Bedeutung hintereinander; oder bei Sterne: continued I. I know not.
Wie alle Tonkunst so sehr das junge Ohr ergreift, das noch keine Nebensinne und Beigedanken verschließen oder verwirren, so ist es auch mit dem Redeklang; daher das daktylische Springen so sehr junge Leute bezaubert, daß sie nichts öfter in Stammbücher einschreiben als: Tugend und Freude sind ewig verwandt. Auch der Verfasser erinnert sich noch aus seiner Jünglingzeit der melodischen Gewalt folgender Endworte in Schillers Kabale und Liebe: »Willst du – so brich auf, wenn die Glocke den zwölften Streich tut auf dem Karmeliterturm.« Man versetzte etwas, zumal das Endwort, so verklingt alles.
Wie in der Tonkunst oft ein dünner Augenblick zwischen der Melodie und der Harmonie absondernd steht und folglich vermählend: so verfließet auch der prosaische Rhythmus in den Klang des Einzelnen. – Indes die russische und die polnische Sprache schöner und freier anklingen, als ihre Schrift-Noten versprechen, hingegen die englische und gallische schöner notiert und geschrieben sind, als sie sich hören lassen: so steht die deutsche mit alter Treue so in der Mitte, daß sie weder diesseits noch jenseits lügt. Wenn nicht die wahren Selbstlauter des poetischen Klangs, Klopstock und Voß, zu sehr sich und uns mit Mitlautern belüden und schleppten und nicht so oft den schönsten Takt zu Mißtönen schlügen: so könnt' es dahin kommen, daß der Ausländer unsern Sprach-Gesang endlich über den Vogel-Gesang setzte, der bisher schön anzuhören, aber schwer nachzusprechen war. Wirklich opfern die gedachten Ton-Meister oft die Zunge dem Ohr, und ihre Trompeten-, Heerpauken-, Strohbaß- und Schnarrkorpus-Musik ist oft zu schwer nachzusingen und nachzusprechen für eine Kehle. Allein unsere literarische Umwälzung ahmet, wenn auch andere Dinge, z. B. Wildheit, doch nicht dies, der gallischen nach, daß die letzte etwas darin suchte, das r im Sprechen auszulassen.Nach Pigault le Brun. S. dess. Faschings-Kind B. II. –