Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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Lasset uns jetzo aus Hendels Kuchengarten ins Rosental gehen d. h. aus dem 7ten Kapitel über die wirtschaftliche Zunge zu

dem achten

über die poetische

kommen. Ich werde kurz sein, teils weil ich am Jubilate-Sonntag lang darüber sein werde, teils weil die TorsperreWelche in Leipzig ein zweimaliges Läuten verkündigt, damit jeder laufen kann, der seinen Groschen ersparen will. Die Nachricht einer zweiten Vorlesung schien besonders oder fast allein einen schön und edel gebaueten Unbekannten, dessen Leben noch üppig blühte, zu erfreuen, und er hatte einige Male leise den nach Hause gehenden Stilistikern nachgerufen: hear him! – näher kommt. Die jetzigen Stilistiker sind nämlich umgekehrte Don-Quixote, sie halten die Riesen für Windmühlen; denn noch nie wurde in der Geschichte ein junger Geist der Zeit durch einen sterbenden überwunden, kein Sohn durch den Vater. Zwar moralisch, aber nie intellektuell gibt es – das Ersäufen durch Völkerwanderung ausgenommen – etwas anders als steten Fortzug zum Licht; in der Geschichte des Kopfs gibt es keine Abenddämmerung, welche einer Nacht, sondern nur eine Morgendämmerung, die dem Tage vorzieht; nur fodert jeder gern die optische Unmöglichkeit, daß eine Kugel auf einmal (sie sei aus Erde oder Gehirn) ganz umleuchtet werde. Stehende oder rückläufige Welten in der Wissenschaft sind scheinbare Erscheinungen bloß auf einer Welt, die aber eben selber läuft. Jede teilweise Ausbildung scheint die Zeit, wie eine Leidenschaft die Seele, zu verdunkeln durch das Mißverhältnis zwischen In- und Extension.

Das Streben der jetzigen Zeit dringt und schifft nach der poetischen neuen Welt, deren Himmel romantisch ist durch Wolken und Farben und Sterne und deren Erdboden plastisch durch grüne Fülle und Gestalten aller Art. Die Dichtkunst soll, will man, nicht etwa eine Hof-Dichtkunst oder eine Volk-, eine Kirchen-, Katheder-, Weiber- oder sonstige Dichtkunst sein, sondern eine Menschen- und womöglich eine Geister-Poesie; sie soll ohne zufällige, einengende, Geister-trennende Zwecke, wie ein Gesetz der Natur und die moralische Freiheit, alle beherrschen, befreien, beschirmen, binden und höher leiten. – Nur erscheint dieses rechte Streben an den Jünglingen mit einem häßlichen Janus-Gesicht. Sie halten erstlich Streben schon für Zweck und Palmenpreis, statt für Mittel und Weg; zweitens werden negative Bedingungen der Poesie (z. B. Weltkenntnis, Geschmack, Sprach-Schonung, Gefälligkeit für Ohr und Phantasie, kurz die falsch- positiven der französischen Poesie) von einer Schwäche, die gern für Willen gölte, versäumt, ja positiv verletzt. Insofern hat die Dichtkunst jetzo ihre Tölpeljahre. Aber so gut aus dem wilden britischen Jüngling ein milder fester Mann erwächst, und so gut der deutsche Musensohn den närrischen polnischen Rock der hohen Schule auszieht, ebenso werfen die schreibenden Jünglinge einmal ihre jetzigen Flügel-Kleider ab, die sie noch für Flügel halten. Noch sind die poetischen Freiheiten des Jetzo mit zu vielen akademischen befleckt – aber der oszillierende Jüngling schwanke einmal in der Ruhe des Mannes aus: so wird er nach dem rechten Pole zeigen.Beispiele dieser erfüllten Hoffnungen werden eben darum, aus Achtung hier nicht genannt, um nicht an abgelegte und abgebüßte Fehler der Kraft zu erinnern.

Ließ man sich bisher den Schmerz der falschen Bestrebung am wahren Talente gefallen: so sollte man der wahren den Mangel von einem oder mehren Beinen mehr nachsehen, womit sie zum Ziele fliegen will. Novalis' Werke – Schroffenstein – die Söhne des Tals – Meyers dramatische Spiele – Arndts Storch – Sophie B.'s Träume – Marias Satiren – Ludwig Wielands RomaneUnter den schon im ersten Bändchen gelobten launigen Schriftstellern hätt' ich am wenigsten den trefflichen Hebel mit seinem Schatzkästlein naiver Laune vergessen sollen. – u. s. w. – sind teils Sternchen, teils rote Wolken, teils Tautropfen eines schönen poetischen Morgens.

Freilich lebt man jetzo mehr im Vernichten als im Erschaffen; doch bloß in der Dichtkunst. Denn was die Philosophie anlangt, so hat sie ihren zweiten Tag; ihr erster stand am Himmel, als Griechenland in wenigen Olympiaden alle Lehrgebäude des Geistes wie Zauberschlösser vorrief zu einer großen Gottes-Stadt. Der zweite Tag strahlt mit verzehrender Schärfe; und große Lichter voriger Zeit fangen zu fließen an und brennen sehr liniendünn. Man gebe den Stoff preis: so wird man bekennen, daß wenigstens der Aufwand von Scharf- und Tiefsinn, den sogar der philosophische Schüler jetzo dem Leser zumutet, uns in einer geistigen Gymnastik übt und stärkt, wogegen das Lesen eines Sulzer und Garve nur Ruhen scheint.

Gleicherweise zieht die heiße Sonne des Phöbus manchen vergoldeten Einband berühmter Gedichte auf immer krumm. Leider ist der Deutsche nur zu sehr geneigt, Lieblinge zu vergessen und folglich gern Verurteilungen zu unterschreiben, die sein Gedächtnis lossprechen. Gleichwohl hat die unerbittlich richtende Nachwelt recht, welche von den hohen festen Dichter-Sonnen im Himmel der Ewigkeit die kurzen Nebensonnen im nahen Dunstkreise der Zeit so scharf abtrennt. Der Stilistiker, selber unwissend angesteckt, erhebt daher seine vermoosten Schoßschreiber nur im ganzen, um nicht den Vorteil, daß diese niemand lieset, durch Mitteilen einzelner Aktenstücke zu schwächen; er selber lieset und schmeckt sie wenig mehr und spricht ihr Lob zwar nicht andern, aber sich selber nach, weil er einmal eine Jugendzeit der Bewunderung gehabt. Welcher gebildete Mensch ertrüge jetzo Rabeners platte Briefe, Gellerts Schlüsse und Flüge u. s. w.!

Bedeutend ist die Erscheinung des jetzigen wissenschaftlichen Geistes, der hartnäckiger fortkämpfen muß als irgendein moralischer; denn diesen verändert die Stunde, jenen kein Jahrhundert. Ein Streben nach Einheit, d. h. nach Geist (denn er allein ist eine) ist jetziger Geist. Freilich gebiert diese Einheit, welche nur durch philosophisches Trennen und Versenken auf der einen Seite und durch poetisches Zusammenfassen auf der andern zu ergreifen ist, neben einer Duldung gegen alle vergangenen Zeiten eine Unduldsamkeit gegen die lebende. Zum Unglück trifft diese Wiedergeburt des schärfsten Bewußtseins gerade in eine sinnliche Außenzeit voll selbstsüchtigen Realismus und Unglauben; ja oft ist in derselben Person die idealistische Einkehr in sich und die realistische Außenzeit vereinigt. Daraus kommen nun die uneinigen Zeichen der Zeit. Da fast alle Formen des Heiligsten zerbrochen, und da durch die Säkular-Verderbnis sogar die schönste und ewige ziemlich durchlöchert geworden, das Handeln; und da doch ohne Form kein Geist sich lebendig bezeugen kann: so machte man sich aus allen Formen eine Form und aus allen Religionen und Zeiten eine und suchte (aber freilich untätig, außer zur Streitkunst) das formlose Heilige des Innern in den scharfen Formen fremder Zeiten anzuschauen. Allein braucht es etwas anderes als eine Insel oder als einen Friedenschluß mit der Polemik, um dieses fromme Schauen in ein frommes Handeln umzuformen? Ist denn nicht schon die bloße Anerkennung von etwas Göttlichen, jedoch mit scharfem Gegensatze des Menschlichen selber, etwas Göttliches, welche dem Geist, wenn nicht Flügel, doch Äther dafür verleiht; indes das durch den geistigen Erdfall der Enzyklopädisten eingesunkene Frankreich, nachdem es den Blick in den Äther verloren, sich immer dunkler in die schwarze Erde graben mußte, deren Dasein allein es glaubte und tastete?

Jede Revolution äußert sich früher, leichter, stärker polemisch als thetisch. Folglich muß es auch der neue philosophische und poetische Idealismus tun, aber dies um so mehr, als die selbstsüchtige verdorbene Zeit, welche ihn färbt, das Heilige viel leichter wörtlich verficht als tätlich erzeugt. Denn da dem schlaffen Zeitalter gerade Kraft am meisten abgeht: so will man sie am meisten zeigen, und zwar, weil es leichter ist, mehr umwerfend als aufbauend (mehr polemisch als thetisch). Wenn die rechte Kraft, wie man an den großen Römern und an unsern kräftigen Vorfahren und an Luther sieht, ihrer Überfülle sich zu gewaltig bewußt, gerade statt des Brausens und Liebe-Hasses mehr Bezähmen und Gott-Ergebenheit predigte (denn ein Maximum sucht seine Begrenzung, aber ein Minus sucht erst jenes): so fallen hingegen die Neuern, als Renegaten der Zeit-Schwäche, Liebe und Empfindung an, als springe die laue Quelle der Entkräftung nicht eben in der Selbstliebe; und sie vergeben und verlangen die alltägliche tierische Gewalt der Leidenschaften, durch deren Beherrschung eben die großen Alten sich über Barbaren zu erheben strebten. Offenbar muß diese von der Zeit selber befleckte Streitkunst der Kraft gegen das vorige häßliche Gehen-Lassen, gegen den Sklavenhandel, den jeder mit sich trieb, gegen das breite weite Loben aller, das oben auf dem Lorbeerbaum selber thronen wollte, und gegen die heimliche Kopf-, Brust- und Achselträgerei der Gelehrten, gegen die empfindsame Wollust in fremder Unlust, gegen das Feilbieten der Ehre um 3 Tränen noch viel bessere Früchte tragen, als die ersten sind, aus deren Kernen sie erwachsen ist. Ging man denn vorher nicht mit der Literatur um, als sei sie nur da, damit ein paar Leute sich hin und her lobten, als sei sie Familiengut einiger Schreiber, nicht Freigut der Menschheit? – Hatte man nicht ordentliche philosophische Autoritäten wie in der Sprach- und Recht-Lehre? – Hingegen jetzo wendet sich dieselbe Freiheit, welche die alten umstürzte, langsam auch gegen neue; und obgleich die Philosophie seit ihrer Umwälzung Bergmänner, rote Mützen, Direktorium und drei Konsule fortgebar: so beweiset doch eben die Schnelle des Wechsels für die Freiheit desselben. Sonderbar, daß das gelehrte Deutschland sich immer reichmäßiger und freier zergliedert, immer mehre verhaßte privilegia de non appellando abdankt und mehr aus einem Staate zu einer Welt wird, zu einer Zeit und Stunde, da gerade das politische mehr zusammen- und ineinanderwächset, z. B. der Herzbeutel mit dem Brustknochen, Reichdörfer zu Reichmarktflecken, dann zu Reichstädten, endlich zu ordentlichen Landstädten in irgendeinem Herrschafttum.


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