Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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Zweite Abteilung

IX. Programm

Über den Witz

§ 42

Definitionen

Jeder von uns darf ohne Eitelkeit sagen, er sei verständig, vernünftig, er habe Phantasie, Gefühl, Geschmack; aber keiner darf sagen, er habe Witz; so wie man sich Stärke, Gesundheit, Gelenkigkeit des Körpers zuerkennen kann, aber nicht Schönheit. Beides aus denselben Gründen: nämlich Witz und Schönheit sind an sich Vorzüge, schon ohne den Grad; aber Vernunft, Phantasie, so wie körperliche Stärke etc. zeichnen nur einen Besitzer ungewöhnlicher Grade aus –; zweitens sind Witz und Schönheit gesellige Kräfte und Triumphe (denn was gewänne ein witziger Einsiedler oder eine schöne Einsiedlerin?); und Siege des Gefallens kann man nicht selber als sein eigner Eilbote überbringen, ohne unterwegs geschlagen zu werden.

Was ist nun Witz? Wenigstens keine Kraft, die ihre eigne Beschreibung zustande bringt. Einiges ist gegen die alte zu sagen, daß er nämlich ein Vermögen sei, entfernte Ähnlichkeiten zu finden. Hier ist weder »entfernte« bestimmt, noch »Ähnlichkeit« wahr. Denn ferne Ähnlichkeit ist, aus dem Bildlichen übersetzt, eine unähnliche, d. i. ein Widerspruch; soll es eine schwache oder scheinbare bedeuten, so ist es falsch, da Ähnlichkeit, als solche, ewig wahre Gleichheit, obwohl nur eine von wenigeren Teilen ist, Gleichheit aber, als solche, keinen Grad und Schein zulässet.Palingenesien II. p. 297. Ebendasselbe gilt, nur umgekehrt angewandt, von der Unähnlichkeit.

Soll aber die schwache oder ferne Ähnlichkeit nichts bedeuten als teilweise Gleichheit: so hat dies der Witz mit allen andern Kräften und deren Resultaten gemein; denn auch jedes andere Vergleichen gibt nur teilweise; – gänzliche wäre Identität. Auch gibt es eine Gattung Witz – noch außer dem Wortspiele –, die ich nachher, nach Analogie des logischen Zirkels, den witzigen Zirkel nennen werde, welcher sich in sich verläuft und worin die Gleichheit sich selber gleich ist. Der logische und der witzige Zirkel werden von neuern Identität-Philosophen – selber der vorige Ausdruck bringt mich unter sie – oft konzentrisch gestellt und gebraucht.Siehe Flegeljahre I. S. 141. Wenn die Anthologie – Ob-Subjekt differenzierend – sagt: die Salbe salben; oder Lessing: das Gewürz würzen: so steht hier Witz, aber ohne alle ferne Ähnlichkeiten, ja mehr bloß das Gleiche wird unähnlich gemacht. So ist auch z. B. der gewöhnliche französische rückwärtsschlagende Witz: »das Vergnügen, eines zu nehmen oder zu geben – die Freundin der seinigen etc.« Ebenso fehlet den Wortspielen die Ferne, z. B. »ein Brief-Wechsel mit Wechsel-Briefen«. –

Der zweite Teil der Definition will den Witz durch das Finden der Ähnlichkeiten ganz von dem Scharfsinne, als dem Finder der Unähnlichkeiten, wegstellen. Allein nicht nur geben die Vergleichungen des Witzes oft Unähnlichkeiten – z. B. wenn ich sagte: »Agesilaus wohnte in Tempeln, um sein Leben zu offenbaren; der Heuchler aber, um es zu verdecken« – oder wenn ich sagte: »zu den redenden Künsten gehört die schweigende« – oder überhaupt die Antithese; sondern auch die Vergleichungen des Scharfsinnes bringen eben oft Ähnlichkeiten; wohin z. B. ein guter Beweis seiner Ähnlichkeit mit dem Witze gehören würde. Beide sind nur eine vergleichende Kraft, mehr durch die Richtung und die Gegenstände als die Wirkungen verschieden. Der Scharfsinn wie der eines Seneka, Bayle, Lessing, Bako schlägt, weil er kurz dargestellt wird, mit dem ganzen Blitze des Witzes; so ist es z. B. schwer zu sagen, ob die fortgehende Antithese, welche in Reinholds und Schillers philosophischer Prose oft einen Psalmen-Parallelismus bildet, Witz oder Scharfsinn oder nicht vielmehr beides ist.

§ 43

Witz, Scharfsinn, Tiefsinn

Ehe wir den ästhetischen Witz, den in engerem Sinne, näher bestimmen, müssen wir den Witz im weitesten, nämlich das Vergleichen überhaupt betrachten.

Auf der untersten Stufe, wo der Mensch sich anfängt, ist das erste leichteste Vergleichen zweier Vorstellungen – deren Gegenstände seien nun Empfindungen, oder wieder Vorstellungen, oder gemischt aus Empfindung und Vorstellung – schon Witz, wiewohl im weitesten Sinn; denn die dritte Vorstellung, als der Exponent ihres Verhältnisses, ist nicht ein Schluß-Kind aus beiden Vorstellungen (sonst wäre sie deren Teil und Glied, nicht deren Kind), sondern die Wundergeburt unsers Schöpfer-Ich, zugleich sowohl frei erschaffen – denn wir wollten und strebten – als mit Notwendigkeit – denn sonst hätte der Schöpfer das Geschöpf früher gesehen als gemacht oder, was hier dasselbe ist, als gesehen. Vom Feuer zum Brennholze daneben zu gelangen, ist derselbe Sprung vonnöten – wozu die Füße des Affen nicht hinreichen – der von den Funken des Katzenfells zu den Funken der Wetterwolke auffliegt. Der Witz allein daher erfindet, und zwar unvermittelt; daher nennt ihn Schlegel mit Recht fragmentarische Genialität; daher kommt das Wort Witz, als die Kraft zu wissen, daher »witzigen«, daher bedeutete er sonst das ganze Genie; daher kommen in mehren Sprachen dessen Ich-Mitnamen Geist, esprit, spirit, ingeniosus. Allein ebensosehr als der Witz – nur mit höherer Anspannung – vergleicht der Scharfsinn, um die Unähnlichkeit zu finden, und der Tiefsinn, um Gleichheit zu setzen; und hier ist der heilige Geist, die dritte Vorstellung, die als die dritte Person aus dem Verhältnisse zweier Vorstellungen ausgeht, überall auf gleiche Weise ein Wunderkind.

Hingegen in Rücksicht der Objekte tritt ein dreifacher Unterschied ein. Der Witz, aber nur im engern Sinn, findet das Verhältnis der Ähnlichkeit, d. h. teilweise Gleichheit, unter größere Ungleichheit versteckt; der Scharfsinn findet das Verhältnis der Unähnlichkeit, d. h. teilweise Ungleichheit, unter größere Gleichheit verborgen; der Tiefsinn findet trotz allem Scheine gänzliche Gleichheit. (Gänzliche Ungleichheit ist ein Widerspruch und also undenkbar.) Überraschung, welche man sonst noch als Zeichen und Geschenk des Witzes vorrechnet, unterscheidet dessen Schaffen wenig von dem Schaffen anderer Kräfte, des Scharf-, des Tiefsinns, der Phantasie etc. etc.; jede überrascht durch das ihrige, der Witz noch mehr durch seines, weil seine bunten Flügelzwerge leichter und schneller vor das Auge springen. Verliert aber zweimal gelesener Witz zugleich mit der Überraschung seinen Wert?

Aber hiemit ist noch zu wenig bestimmt. Der Witz im engern Sinne findet mehr die ähnlichen Verhältnisse inkommensurabler (unanmeßbarer) Größen, d. h. die Ähnlichkeiten zwischen Körper- und Geisterwelt (z. B. Sonne und Wahrheit), mit andern Worten, die Gleichung zwischen sich und außen, mithin zwischen zwei Anschauungen. Diese Ähnlichkeit erzwingt ein Instinkt der NaturDie nähern Bestimmungen folgen in den nächsten §. , und darum liegt sie offner und stets auf einmal da. Das witzige Verhältnis wird angeschauet; hingegen der Scharfsinn, welcher zwischen den gefundenen Verhältnissen kommensurabler und ähnlicher Größen wieder Verhältnisse findet und unterscheidet, dieser lässet uns durch eine lange Reihe von Begriffen das Licht tragen, das bei dem Witze aus der Wolke selber fährt; und der Leser muß dort dem Erfinder die ganze Mühe des Erfindens nachmachen, welche der Witz ihm hier erlässet.

Der Scharfsinn, als der Witz der zweiten Potenz, muß daher seinem Namen gemäß (denn Schärfe trennt) die gegebenen Ähnlichkeiten von neuem sondern und sichten.

Jetzo entwickelt sich die dritte Kraft, oder vielmehr eine und dieselbe tritt ganz am Horizont hervor, der Tiefsinn. Dieser – ebenso im Bunde mit der Vernunft, wie der Witz mit der Phantasie – trachtet nach Gleichheit und Einheit alles dessen, was der Witz anschaulich verbunden hat und der Scharfsinn verständig geschieden. Doch ist der Tiefsinn mehr der Sinn des ganzen Menschen als einer abgeteilten Kraft, er ist die ganze gegen die Unsichtbarkeit und gegen das Höchste gekehrte Seite. Denn er kann nie aufhören, gleichzumachen, sondern er muß, wenn er eine Verschiedenheit nach der andern aufgehoben, endlich – so wie der Witz Gegenstände foderte und verglich, aber der Scharfsinn nur Vergleichungen – als ein höherer göttlicher Witz bei dem letzten Wesen der Wesen ankommen und, wie ins höchste Wissen der Scharfsinn, sich ins höchste Sein verlieren.


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