Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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VII. Programm

Über die humoristische Poesie

§ 31

Begriff des Humors

Wir haben der romantischen Poesie im Gegensatz der plastischen die Unendlichkeit des Subjekts zum Spielraum gegeben, worin die Objekten-Welt wie in einem Mondlicht ihre Grenzen verliert. Wie soll aber das Komische romantisch werden, da es bloß im Kontrastieren des Endlichen mit dem Endlichen besteht und keine Unendlichkeit zulassen kann? Der Verstand und die Objekten-Welt kennen nur Endlichkeit. Hier finden wir nur jenen unendlichen Kontrast zwischen den Ideen (der Vernunft) und der ganzen Endlichkeit selber. Wie aber, wenn man eben diese Endlichkeit als subjektiven KonstrastMan erinnere sich, daß ich oben den objektiven Kontrast den Widerspruch des lächerlichen Bestrebens mit dem sinnlich-angeschaueten Verhältnis nannte, den subjektiven aber den zweiten Widerspruch, den wir dem lächerlichen Wesen leihen, indem wir unsere Kenntnis zu seiner Handlung leihen. jetzo der Idee (Unendlichkeit) als objektivem unterschöbe und liehe und statt des Erhabenen als eines angewandten Unendlichen jetzo ein auf das Unendliche angewandte Endliche, also bloß Unendlichkeit des Kontrastes gebäre, d. h. eine negative?

Dann hätten wir den humour oder das romantische Komische.

Und so ists in der Tat; und der Verstand, obwohl der Gottesleugner einer beschlossenen Unendlichkeit, muß hier einen ins Unendliche gehenden Kontrast antreffen. Um dies zu erweisen, leg' ich die vier Bestandteile des Humors weiter auseinander.

§ 32

Humoristische Totalität

Der Humor, als das umgekehrte Erhabene, vernichtet nicht das Einzelne, sondern das Endliche durch den Kontrast mit der Idee. Es gibt für ihn keine einzelne Torheit, keine Toren, sondern nur Torheit und eine tolle Welt; er hebt – ungleich dem gemeinen Spaßmacher mit seinen Seitenhieben – keine einzelne Narrheit heraus, sondern er erniedrigt das Große, aber – ungleich der Parodie – um ihm das Kleine, und erhöhet das Kleine, aber – ungleich der Ironie – um ihm das Große an die Seite zu setzen und so beide zu vernichten, weil vor der Unendlichkeit alles gleich ist und nichts. Vive la Bagatelle, ruft erhaben der halbwahnsinnige Swift, der zuletzt schlechte Sachen am liebsten las und machte, weil ihm in diesem Hohlspiegel die närrische Endlichkeit als die Feindin der Idee am meisten zerrissen erschien und er im schlechten Buche, das er las, ja schrieb, dasjenige genoß, welches er sich dachte. Der gemeine Satiriker mag auf seinen Reisen oder in seinen Rezensionen ein paar wahre Geschmacklosigkeiten und sonstige Verstöße aufgreifen und an seinen Pranger befestigen, um sie mit einigen gesalzenen Einfällen zu bewerfen statt mit faulen Eiern; aber der Humorist nimmt fast lieber die einzelne Torheit in Schutz, den Schergen des Prangers aber samt allen Zuschauern in Haft, weil nicht die bürgerliche Torheit, sondern die menschliche, d. h. das Allgemeine sein Inneres bewegt. Sein Thyrsus-Stab ist kein Taktstock und keine Geißel, und seine Schläge damit sind Zufälle. In Goethes Jahrmarkt zu Plundersweiler muß man den Zweck entweder in einzelnen Satiren auf Ochsenhändler, Schauspieler u. s. w. suchen, was ungereimt ist, oder im epischen Gruppieren und Verachten des Erdentreibens. Onkel Tobys Feldzüge machen nicht etwa den Onkel lächerlich oder Ludwig XIV. allein, – sondern sie sind die Allegorie aller menschlichen Liebhaberei und des in jedem Menschenkopfe wie in einem Hutfutteral aufbewahrten Kindkopfes, der, so vielgehäusig er auch sei, doch zuweilen sich nackt ins Freie erhebt und im Alter oft allein auf dem Menschen mit dem Haarsilber steht.

Diese Totalität kann sich daher ebensogut symbolisch in Teilen aussprechen – z. B. in Gozzi, Sterne, Voltaire, Rabelais, denen Welt-Humor nicht vermittelst, sondern ungeachtet seiner Zeit-Anspielungen besteht – als durch die große Antithese des Lebens selber. Shakespeare, der Einzige, tritt hier mit seinen Riesengliedern hervor; ja in Hamlet, so wie in einigen seiner melancholischen Narren, treibt er hinter einer wahnsinnigen Maske diese Welt-Verlachung am höchsten, Cervantes – dessen Genius zu groß war zu einem langen Spaße über eine zufällige Verrückung und eine gemeine Einfalt – führt, vielleicht mit weniger Bewußtsein als Shakespeare, die humoristische Parallele zwischen Realismus und Idealismus, zwischen Leib und Seele vor dem Angesichte der unendlichen Gleichung durch; und sein Zwillings-Gestirn der Torheit steht über dem ganzen Menschengeschlecht. Swifts Gulliver – im Stil weniger, im Geiste mehr humoristisch als sein Märchen – steht hoch auf dem tarpejischen Felsen, von welchem dieser Geist das Menschengeschlecht hinunterwirft. In bloßen lyrischen Ergießungen, worin der Geist sich selber beschauet, malet Leibgeber seinen Welt-Humor, der nie das Einzelne meint und tadeltZ. B. sein Brief über Adam als die Mutterloge des Menschengeschlechts; sein anderer über den Ruhm u. s. w., was sein Freund Siebenkäs viel mehr tut, welchem ich daher mehr Laune als Humor zuschreiben möchte. So steht Tiecks Humor, wenn auch mehr andern nachgebildet und mehr der witzigen Fülle bedürftig, rein und umherschauend da. Rabener hingegen geißelte einen und den andern Toren in Kursachsen, und die Rezensenten geißeln einen und den andern Humoristen in Deutschland.

Wenn Schlegel mit Recht behauptet, daß das Romantische nicht eine Gattung der Poesie, sondern diese selber immer jenes sein müsse: so gilt dasselbe noch mehr vom Komischen; nämlich alles muß romantisch, d. h. humoristisch werden. Die Schüler der neuen ästhetischen Erziehanstalt zeigen in ihren Burlesken, dramatischen Spielen, Parodien u. s. w. einen höhern komischen Weltgeist, der nicht der Denunziant und Galgenpater der einzelnen Toren ist; ob sich gleich dieser Weltgeist oft roh und rauh genug ausspricht, wenn gerade der Schüler noch in den untern Klassen mit seiner Imitation und seinem Dokimastikum sitzt. Aber die komischen Reize eines Bahrdts, Cranz, Wezels, Merkels und der meisten allgemein deutschen Bibliothekare erbittern als (meistens) falsche Tendenzen den rechten Geschmack weit mehr als die komischen Hitzblattern und Fett- und Sommerflecken (oft nur Übertriebe der rechten Tendenz) etwan an einem Tieck, Kerner, Kanne, Arnim, Görres, Brentano, Weisser, Bernhardi, Fr. Horn, St. Schütze, E. Wagner u. s. w. Der falsche Spötter – als eine Selbstparodie seiner Parodie – wird uns mit seinen Ansprüchen auf Überhebung viel widerlicher als der falsche Empfindler mit seinen bescheidenen auf Erweichung. – Als man Sterne in Deutschland zuerst ausschiffte, bildete und zog er hinter sich einen langen wässerigen Kometenschweif damals sogenannter (jetzo ungenannter) Humoristen, welche nichts waren als Ausplauderer lustiger Selbstbehaglichkeit; wiewohl ich ihnen im komischen Sinne so gern den Namen Humoristen lasse als im medizinischen den Galenisten, welche alle Krankheiten in Feuchtigkeiten (humores) setzten. Sogar Wieland hat, obwohl echter Komiker im Gedichte, sich in seinen prosaischen Romanen und besonders in der Noten-Prose zu seinem Danischmend und Amadis weit hinein in die galenische Akademie der Humoristen verlaufen.

An die humoristische Totalität knüpfen sich allerlei Erscheinungen. Z. B. sie äußert sich im sternischen Periodenbau, der durch Gedankenstriche nicht Teile, sondern Ganze verbindet; auch durch das Allgemeinmachen dessen, was nur in einem besondern Falle gilt; z. B. in Sterne: »Große Männer schreiben ihre Abhandlungen über lange Nasen nicht umsonst.« – Eine andere äußere Erscheinung ist ferner diese, daß der gemeine Kritiker den wahren humoristischen Weltgeist durch das Einziehen und Einsperren in partielle Satiren erstickt und verkörpert – ferner diese, daß gedachter unbedeutende Mensch, weil er die Widerlage des Komischen nicht mitbringt, nämlich die weltverachtende Idee, dann dasselbe ohne Haltung, ja kindisch und zwecklos und statt lachend lächerlich finden und im stillen des Itzehoer Müllers etc. After-Laune mit Überzeugung und in mehr als einem Betrachte über den Shandyschen Humor setzen muß. Lichtenberg, obwohl ein Lobredner Müllers, ders indes durch seinen Siegfried von Lindenberg, zumal in der ersten Auflage, verdiente, und zu sehr lobender Leichenredner der damaligen Berliner Spaß- und Leuchtvögel, und ein wenig von britischer und von mathematischer Einseitigkeit festgehalten, stand doch mit seinen humoristischen Kräften höher, als er wohl wußte, und hätte bei seiner astronomischen Ansicht des Welttreibens und bei seiner witzigen Überfülle vielleicht etwas Höheres der Welt zeigen können als zwei Flügel im Äther, welche sich zwar bewegen, aber mit zusammengeklebten Schwungfedern.

Ferner erklärt durch die Totalität sich die humoristische Milde und Duldung gegen einzelne Torheiten, weil diese alsdann in der Masse weniger bedeuten und beschädigen und weil der Humorist seine eigne Verwandtschaft mit der Menschheit sich nicht leugnen kann; indes der gemeine Spötter, der nur einzelne ihm fremde abderitische Streiche des gemeinen und gelehrten Wesens wahrnimmt und aufzählt, im engen selbstsüchtigen Bewußtsein seiner Verschiedenheit – als Hippozentaur durch Onozentauren zu reiten glaubend – desto wilder von seinem Pferde herab die Kapuzinerpredigt gegen die Torheit hält, als Früh- und Vesperprediger in hiesiger Irrenanstalt der Erde. O, wie bescheidet sich dagegen ein Mann, der bloß über alles lacht, ohne weder den Hippozentaur auszunehmen, noch sich!

Wie ist aber bei diesem allgemeinen Spotte der Humorist, welcher die Seele erwärmt, von dem Persifleur abgesondert, der sie erkältet, da doch beide alles verlachen? Soll der empfindungsvolle Humorist mit dem persiflierenden Kältling grenzen, der nur den umgekehrten Mangel des EmpfindseligenEmpfindselig (ein Hamannsches Wort) ist besser als empfindelnd, noch außer dem Wohlklang; jenes bedeutet bloß das übermäßige schwelgende Frequentativum des Empfindens (nach den Analogien redselig, saumselig, friedselig), dieses aber bezeichnet, indes ohne Wahrheit, zugleich ein kleinliches und ein erlognes Empfinden. zur Schau trägt? – Unmöglich, sondern beide unterscheiden sich voneinander wie Voltaire sich oft von sich oder von den Franzosen, nämlich durch die vernichtende Idee.


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