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(Einige Personalien der Vorlesung.)
Die jährliche Vorrückung der Messen ist so gut als die der Äquinoktien bekannt; daher ists kein Wunder, daß der Verfasser dieses und der Leipziger Vorlesungen schon am Sonnabende vor der Böttiger-Woche sich in Leipzig befand samt so vielen nachherigen Zuhörern. Dies und manches andere setzte ihn in den Stand, noch vor dem Böttiger-Sonntag im Beygangschen Museum zu sein und im Auf- und Abgehen vielleicht manches über die Kunst fallen zu lassen, was aufzulesen war von Meß- und andern Fremden. Ein Meß-Fremder lädt und saugt sich überall so gern elektrisch, magnetisch, galvanisch voll von Meß-Ausflüssen, er stehe, wo er will, in Auerbachs Hof oder in Hendels Kuchengarten oder im place de répos; – es sei ein Handelmann, so will er nichts umsonst gehört haben, sondern alles zu einigen Zinsen und will auch Gelehrte unter seinen Flügel nehmen, weil er sie für unschädlich ansieht, obwohl für unnütz; sei's ein Weltmann, so gefällt ihm alles, was zu erzählen und zu belachen ist; – sei's ein Musensohn und Musen-Stiefsohn und –Enkel, so ist er unglaublich ersessen auf Schriftsteller und hegt (er gehöre nun zur Spinnschule der Stilistiker oder zur Prophetenschule der Poetiker) die schöne Hoffnung, von einem mündlichen Autor mehr zu ziehen für oder wider jetzige Tulipomanie (Tulpensucht) als von einem schriftlichen. –
Dies allein müßte jeden Meßfremden rechtfertigen, der an den Verfasser die Bitte getan hätte, die gesprächweise entfallnen Eier weiter auszubrüten auf einem Lehrstuhl; in der Tat reizte aber etwas anders den Hunger und Durst nach Vorlesungen über die Kunst – es ließ nämlich der bekannte vorjährige Dezember-Artikel in der Zeitung für die elegante Welt, welcher der Michaelis-Messe 1804 Vorlesungen, in der Oster-Messe 1804 zu Leipzig gehalten, versprach, Vernünftige wünschen, daß sie wirklich nachher und zwar vorher (vor dem Druck) möchten gehalten werden, obgleich dieser Widerspruch nur ein leichter Scherz auf dem Titelblatte sein sollte; denn die »Programmen« waren schon vorher im Leipziger Jahrbuche von meinem Freunde Fr. v. Oertel ganz richtig angekündiget worden.
Kurz, Personen von Gewicht hielten durch einen feinen Mann an ihrer Spitze – er sah wie die leibhaftige Persiflage aus – bei mir um außerordentliche Vorlesungen auf so lange an, als die ordentlichen geschlossen wären. Das schöne Gesuch wurde, es kürzer zu erzählen (denn die weitläuftigeren Verhandlungen gehören in Ecks Tagebücher der Leipziger Akademie), bejaht; – Lese-Anstalten sogleich gemacht; – unter Hörsälen gewählt; – Hör- und Lesetage, nämlich die drei Sonntage der drei Meßwochen, festgesetzt; – und darauf an Straßen-Ecken und schwarzen Brettern die Zettel angeklebt, welche einluden.
Auf Malta wurde gelesen, nämlich im Gartensaale der Insel. Ausländern ist vielleicht weniger bekannt als den meisten Leipzigern, daß in Reichels Garten die Inseln Korsika, Sizilien und Sardinien und auch Malta in den dazu gehörigen Wassern liegen, jede genau abgesondert von der andern und auf ihrer Gartentüre mit ihrem Namen bezeichnet. – Eine alte Sage, daß Gottsched früher auf Malta gelesen, will ich zwar nicht gern für erlogen ausgeben, aber auch nicht für erwiesen, besonders wenn darzutun wäre, daß das kleine Eiland erst aus der Erde gestiegen, als der Professor schon unter derselben gelegen. Den ersten Lese-Sonntag Miserikordias vor der Böttiger-Woche, den 15. April (nämlich den 25. Germinal) abends gegen 5 Uhr trat gegenwärtiger Verfasser als Vorleser in den Reichelschen Garten. Die ganze Malteser-Brücke oder –Treppe besetzten schon Zuhörer. Es fehlte weder an vornehmen Großhändlern, welche in der Vor- oder Bötticher-Woche das Meiste abtun – noch an lesenden Magistern, welche hospitierten – noch an deren Verlegern in Leipzig – die neue allgemeine deutsche Bibliothek hatte einen ästhetischen und philosophischen Ausschuß geschickt, desgleichen das dasige Taubstummeninstitut – korrespondierende Mitglieder der Leipziger deutschen Gesellschaften und historischer Klassen – Domscholaster, Präsenzpfleger, Wassergeschworne und Heiligenrevisoren aus Reichsstädten und ein auswärtiger Ordinarius waren in bedeutender Anzahl da – Sogar auf den benachbarten Sizilien und Korsika standen Kunstfärber und Kunstpfeifer und ein KunstknechtOffenbar erwarteten die Leute aus Vorlesungen über die Kunst etwas für ihre eigene. Ein Kunstknecht heißet in Leipzig nicht ein Rezensent, sondern ein angestellter Diener, der auf die Wasser-Kunst zu sehen hat. , um etwas von mir zu fischen, falls ich schriee und Gedanken an ihre Küsten schwämmen – Und einen ähnlichen Prisen-Zweck mag ein Naumburger Schweinborstenhändler verfolgt haben, der in einiger Ferne spazieren ging.
(So weit die erste Auflage. Die zweite hat noch dieses nachzuschalten. Der Vorleser, welcher glaubt, es bringe einigen Nutzen – sowohl den Zuhörern als ihm selber –, wenn er die gedruckten Vorlesungen jährlich in Leipzig wieder vorläse, wie jeder Professor seine, hat es denn von Jahr zu Jahr um ein halbes Nichts von Lesesold in diesem geldpapiernen Zeitalter getan. Über die so geringe Einnahme tröstete ihn der Vorteil, daß er die Vorlesung beinahe nur aus der bei Perthes abgedruckten Auflage abzulesen hatte, so wie die Zuhörer wieder zu ihrem Vorteil die nämliche Auflage in Händen hielten und dem Ableser nachlasen, wie etwan im Opernbüchlein dem Singen.
Es ist wohl hier der Ort, das Lob der Leipziger Kaufmann- und Zuhörerschaft abzulehnen, welche mich auf Kosten der gewöhnlichen Louisdor-Vorleser und Ausleser großer Städte erhoben. Der Billige vergesse jedoch nicht, daß sich Männer schon bezahlen lassen dürfen, welche aus Handschriften vorlesen, die erst halbe Jahre später im Drucke erscheinen, deren Abdrücke noch dazu um einen fünfmal kleinern Preis für die Zuhörer selber, zur Wiederholung des Gehörten, zu kaufen stehen.
Für Leser, welche nicht in Universität-Städten wohnen, vielleicht anzumerken, daß ich mich in meinen wiedergehaltenen Vorlesungen des alten Professor-Rechts in seiner Ausdehnung bedient, dieselben Scherze, welche ich Anno 1804 (in der ersten Auflage) vorgebracht, sämtlich Anno 1813 wieder zu machen. Leser auf Universitäten wissen ohne mein Erinnern, daß jeder Professor seine Scherze hat, die er jährlich oder halbjährlich, nach der mystischen Lehre der Wiederbringung aller Dinge, wiederbringt, und deren Wiederkehr viel gewisser vorauszusehen ist als die eines Schwanzsterns. (Hier in diesem Worte hör' ich, wie in der gelehrten Republik, 10 Mitlauter gegen 2 Selbstlauter.) Solcher unbeweglicher Feste des Witzes beziehen Professoren denn viele, weil sie für alte Späße neue Ohren finden und ihnen der Wechsel der Hörer den Wechsel der Späße ersetzt. – Dennoch wurden die kommenden Vorlesungen mit ganzen neuen Einfall-Seiten durchschossen und bereichert, weil man gern über das Gewöhnliche hinaus sich angreifen wollte; ein einziger Fall, welcher keinem Professor zur Vorschrift aufzudringen ist... Jetzo fährt die erste Auflage wieder fort:)
Nicht ohne Wirrwarr bestieg der Vorleser die volle Treppen-Brücke und darauf den leeren Stuhl und fing so an:
Cicero, gelehrtes und zu ehrendes Auditorium, behauptet, er könne einen Redner nicht wohl leiden, der nicht anfangs viel Verwirrung verrate. Es gehört unter meine Wünsche, einige durch diesen Anfang an den Tag zu legen. Aller Anfang ist dermaßen schwer, daß die ganze Philosophie bisher weiter nichts suchte als eben einen. Für manches lässet sich viel sagen und so umgekehrt, so wie für vieles. Sollten einige Herren Zuhörer drüben unter Kunst das verstehen, was die Bäcker und die Hüttenmeister so nennen, nämlich eine Maschine, um Wasser wegzuschaffen, oder gar, wie die wohllöblichen Kunstknechte, eine, um welches anzuschaffen: so drücken sie sich in beiden Fällen metaphorisch aus, und ich bin dann sehr ihrer Meinung, d. h. einer Meinung, welche ja noch dazu ganz die meinige ist. Diese Vorlesung ist eine Uferpredigt, welche also auch auf Leute auf andern Eilanden und folglich deren Ufer Rücksicht nehmen will.
Vorlesers Absicht ist, heute die Böttiger-Woche mit einer Vorlesung über die Stilistiker der Kunst und dabei über die Kunst der Stilistiker so zu lesen, daß es entweder Feinden oder Freunden nicht mißfällt. Die Gründlichkeit wird nichts einbüßen, hofft er, obwohl gewinnen, wenn er alles in Kapitel zerspällt, welche er – da man ihm so oft vorrückt, daß in allen seinen Werken kein Kapitel stehe, sondern ähnliche Abteilungen – selber wieder gar in dreierlei Kapitel spielend zerlegt, in gemeine, die die halbe Welt macht, in Kapitel, die man hält, z. B. Klöster mit ihren Kapitularen, und in das Kapitel, das man jedem lieset, ders braucht. Ich mache das
was und wer ist ein Stilistiker
ohne Bedenken so: Ein jeder ists, weil die wenigen Ausnahmen, die von Jahrhundert zu Jahrhunderte geboren werden, um die Jahrhunderte selber wieder zu gebären, aus Mangel an Zahl nicht in Rechnung kommen, wenn auch in Betrachtung. Der Stilistiker ist das Publikum, er allein stellet das gemeine Wesen vor, das er ebensowohl in sich hat als außer sich; was sich anderswohin rechnet, ist ein wahres privatisierendes Publikum im Publikum. Lasset uns aber nie vergessen, daß in der Juristenfakultät nur der älteste und vornehmste Professor den Ehren-Namen Ordinarius führt, und wie sehr auf allen hohen Schulen vor und hinter Malta jeder außerordentliche Professor eben dahin arbeitet, ein ordentlicher zu werden! Auf ähnliche Weise fanden in den neuern Zeiten die vier Fakultäten als vier einander gerade entgegenstehende Radien endlich die fünfte, die wirtschaftliche, als den gemeinschaftlichen Schwer- und Mittelpunkt, um welchen vier Strahlen-Radien schöne vier rechte Winkel (sowohl der Schule als der Lust und des Schmollens) bilden. Auf gleiche Weise wird, ungleich sonst, wo man den Kalender hinten dem Mönchs-Psalterium anhing, jetzo das Psalterium der Musen dem jährlichen Kalender angehangen.
Ich komme auf den Stilistiker zurück. Man nenn' ihn den Malteser Hund – und sind wir nicht auf Malta? –, welcher bekanntlich die Schönheit der Kleinheit (statt der Größe der Schönheit) hat und dem man noch die Nase durch einen Druck einstumpft: so hat man etwas gesagt; aber noch so wenig Bestimmtes. Und die ganze Vorlesung würde überhaupt geordneter und stiller, wäre der Gartensaal nur um etwas größer als das Eiland, so daß ich nicht so viele Menschen im übrigen Reichels-Garten lustwandeln sehen müßte, welche die Insel stören und hören; ob ihnen gleich heute das sogenannte Gewandhaus mit seinem Sonntags-Konzert dazu noch offner stände.
Ich tue denn noch strenger die erste Frage: was ist der Stilistiker überhaupt? Und die zweite: was ist er in der Poesie? – Ich antworte: durch die zweite wird die erste beantwortet. Denn da bloß die Dichtkunst alle Kräfte aller Menschen zu spielen reizt, so bereitet sie eben jeder regierenden eines Einzelwesens den freiesten Spielraum, und sie spricht den Menschen nicht stärker aus, als sich jeder selber durch seinen Geschmack an ihr.
Jeder will von ihr nicht die Menschheit, sondern seine, aber glänzend widergespiegelt erhalten, und das Kunstwerk soll nach Kunz ein verklärter Kunz sein, nach Hans ein verklärter Hans; dasselbe gilt von Peter. Der Geschmack ist also nicht bloß der Hahn oder der Judas, der dort einen Petrus verrät, hier einen Christus, sondern er ist auch selber der Petrus dort, der Gekreuzigte hier; er reißt den Vorhang des Allerheiligsten und des Allerunheiligsten an jeder Menschenbrust entzwei. Folglich sobald man nicht Geschmack als philologisches Urteil über willkürliche Teile der Kunst, sondern als eines über die ganze Kunst betrachtet: so muß er sich in acht Geschmäcke absondern, welche ich lieber mit den Gliedern, woran sie wohnen, benenne, mit Zungen, deren bekanntlich Malta gleichfalls achte ausschickt; aber welches schöne Zusammentreffen der Erdkunde und Weltweisheit! Der Geschmack sucht entweder vorzüglich 1) Witz und Feinheit wie der französische, oder 2) Einbildkraft in Bildern wie der englische, oder 3) etwas für das empfindende weniger als empfundne Herz wie der weibliche, oder 4) dargestellte Sittlichkeit wie der altdeutsche, oder 5) Reflexion und Ideen wie der jetzige, oder 6) Sprache und Klang wie der philologische, oder 7) die rechte Form ohne Inhalt wie die Neuesten, oder wie der achte letzte und beste rechte Form mit rechtem Gehalt.
Indes lassen sich diese sieben Arten, die entweder der Form oder dem Stoffe überwiegend dienen, in zwei große Geschmack-Zungen einziehen, 1) in die formelle regelrechte, französische, weltmenschenhafte, vornehme, verfeinerte (aut delectare poetae), 2) in die reale, britische, reflektierende, derbe, räsonierende, kaufmännische, wirtschaftliche (aut prodesse volunt) – die achte Art bleibt übrig, um die dritte Klasse zu bilden, die geniale mit neuer Form und neuem Stoff. Ist es Zufall oder Absicht, daß unsere Abteilungen immer in äußere Erscheinungen einhaken, so daß z. B. diese dreifache teils die drei Komparationgrade der Kapitel, welche zu lesen, zu machen und zu halten sind, teils die der drei Malteser Grade, 1) der Kapellane, 2) der Serventi d'Arme, 3) der rechten Ritter, sehr gut in sich begreift und drittens teils wieder die dreifache Zahl der Komparationen dazu, des Positivus, Komparativus und Superlativus? – Himmel! wie ist doch das Universum voll Einfälle, man sage darin, was man nur will, und Blitze laden noch Blitze! –
Will man nun diese drei Ordenzungen topographisch verteilen: so dürfte die französische Zunge, hoff' ich, in Sachsen ihre Kommenden und Balleien haben – die Bibliothek der schönen Wissenschaften ist ihr Ordenbuch –; die britische oder wirtschaftliche Zunge hat ihre größern Besitzungen in der Mittelmark; die allgemeine deutsche Bibliothek ist ihr Flurbuch. Die poetische besaß anfangs zwar nur das kleine, Weimar, setzte aber ihre südlichen und nördlichen Eroberungen so auffallend fort, daß ich hier die beiden Nebenzungen aufmerksam zu machen wünsche.