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Chane Doby geht mit zwei vollen Körben Birnen über die Straße. Sie geht nach der linken Seite geneigt, denn der Kord in der reckten Hand ist groß und schwer. Mit derben Schritten bewegt sie sich vorwärts, von frohen Gedanken bewegt. Ein Lächeln spielt um ihre Lippen. – Sie ist zufrieden mit Gott, mit sich selbst, ja, mit der ganzen Welt, und die Sonne lackt so hell und warm, weil ihr – Chane Doby – so fröhlich zumute ist ...
Am liebsten hätte sie laut aufgelacht, und sie sieht sich nach allen Seiten um, ob keine Bekannte zu sehen ist, der sie von ihrem großen Glücke erzählen könnte.
Und was für ein Glück! Wie kam ihr nur der Einfall, heute zu Swiderski, dem Gärtner, zu gehen! Sie glaubt, daß sie durch einen Traum darauf gekommen war. Hatte sie doch in der letzten Nacht soviel geträumt ... Doch nein! Ihr träumte ja nur, daß sie mit Beile, der Krämerin, wegen eines Pfundes Salz in Streit geraten war. Und Beile ist ja schon seit zwei Monaten tot. – »Ja, streiten, das konnte sie. Sie soll es mir nur verzeihen«, denkt Chane Doby. – Und am Morgen, als sie kaum die Augen öffnete, kam ihr plötzlich der Gedanke, daß sie einmal zu Swiderski gehen könnte ...
Gestern war Chane Doby noch voll Sorgen, und sie hatte zu Gott gefleht: »O Gott, allmächtiger Vater, gib, daß ich etwas verdiene!« Sie hatte Gott aufgezählt, wieviel Geld sie braucht und wozu sie es braucht, und er hat eingesehen, daß sie im Rechte war ...
»Ja, wenn Gott will, kann er helfen!«
All das möchte sie den Händlerinnen erzählen. Sie sollen wissen, was für einen barmherzigen Gott wir haben, und wie gut Chane Doby bei ihm angeschrieben steht ...
Neben dem Trottoir steht Riwy Jente. »Sie gönnt niemand einen Groschen Verdienst und mit ihr darf man nicht viele Worte machen«, denkt Chane Doby, aber sie will ihr wenigstens das Obst zeigen. Erzählen wird sie ihr nichts. Und sie geht auf die Händlerin zu.
Riwy Jente erkennt schon an Chane Dobys Gesicht, daß etwas Besonderes vorgegangen sein muß.
»Was trägst du Gutes?« fragt sie und sieht Chane Doby forschend an.
Diese steht stolz und vergnügt vor Riwy Jente, die Körbe in der Hand und lächelt, ohne zu antworten.
Riwy Jente nimmt die Birnen in Augenschein und Chane Doby fühlt sich jetzt als die glücklichste auf der Welt.
»Feines Obst! Wo hast du es gekauft?« fragt Riwy Jente.
»Feines Obst«, wiederholt Chane Doby verdrossen – nur Riwy Jente kann sich so schmucklos ausdrücken. »Zuckerbirnen sind es und sie zerfließen auf der Zunge«, setzt sie stolz hinzu.
»Wo hast du sie gekauft?« fragt Riwy Jente noch einmal. Chane Doby merkt, daß der Neid aus ihr spricht, und sie antwortet lakonisch:
»Ich hab' sie halt gekauft.«
Riwy Jente wird jetzt ernstlich böse und möchte Chane Doby beleidigen, aber sie hält sich zurück und fragt:
»Wieviel hast du gezahlt?«
»Oh, eine Kleinigkeit«, antwortet Chane Doby.
»Vielleicht etwas teuer?«
»Hahaha! Sie sind doppelt so viel wert, wie ich gezahlt habe. Verlaß dich darauf«, antwortete Chane Doby.
Riwy Jente nennt nun einen Preis, aber Chane Doby ruft lachend: »Die Hälfte davon. Ich soll so leben mit dir, die Hälfte davon.«
»Das ist halb umsonst«, stößt Riwy Jente hervor.
»Da hast du recht«, sage Chane Doby. Ihr Gesicht strahlt vor Glück und Stolz, und sie will sich entfernen, aber Riwy Jentes Zorn reizt sie noch, ein wenig zu bleiben und ihr von Gott und von ihrem Traum in der vergangenen Nacht zu erzählen. So plaudert sie denn eine Weile und blickt vergnügt auf die Händlerin.
»Nun erzähl' mir endlich, wo du die Birnen gekauft hast«, drängt Riwy Jente.
»Wo? Ich habe sie nicht gestohlen! Mit gutem Geld habe ich sie bezahlt.«
Riwy Jentes Augen sprühen Feuer und ihre Lippen beben. Chane Doby will sich nun entfernen, aber da kommen zwei andere Marktweiber mit vollen Körben daher.
»Guten Tag«, ruft ihnen Chane Doby zu und kehrt Riwy Jente den Rücken.
»Guten Tag«, antworten die Marktfrauen.
»Was sagt ihr zu ihren Birnen?« fragt Riwy Jente voll Zorn. Stolz blickt Chane Doby auf die Händlerinnen, die die Birnen nicht genug loben können.
»Schöne Birnen«, rufen sie. »Wie teuer hast du sie bezahlt?«
Riwy Jente nennt den Preis, während Chane Doby lächelnd die erstaunten Gesichter der Marktfrauen mustert.
»So wohlfeil«, rufen die Händlerinnen und können sich vor Überraschung nicht fassen. »Wo hast du sie gekauft?«
Drei paar Augen sind erwartungsvoll auf Chane Doby gerichtet, aber sie fühlt, daß sie mit diesen Frauen von ihren Angelegenheiten nicht sprechen darf ... Und doch – wie gern hätte sie alles, alles erzählt. Wie ihr gleich beim Erwachen der Gedanke an den Gärtner gekommen war und wie zuvorkommend Swiderski sie behandelt hat. Sagte er doch, daß er nur ihr diesen billigen Preis gewähre. Die anderen werden viel mehr bezahlen müssen ...
Die zwei Händlerinnen werden ungeduldig und sehen Riwy Jente fragend an.
»Sie macht ein Geheimnis daraus«, sagt die und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse.
»Ein Geheimnis«, protestiert Chane Doby. »oh, nein! Es ist ganz und gar kein Geheimnis.«
»Also, dann gestehe es endlich. Wenn du die Birnen nicht gestohlen hast, kannst du es ja offen heraussagen ...«
Chane Doby sagt sich, daß sie hier nichts mehr zu suchen hat. Sie will fortgehen, aber die Weiber stellen sich ihr in den Weg.
»Seht nur, wie sie es nicht gestehen will«, ruft Riwy Jente verdrossen. »Du hast wohl Angst, was!«
»Warum sollte ich Angst haben! Ich habe wahrhaftig keine Angst«, entgegnet Chane Doby und will sich entfernen.
»Wie gut sie ist! In jener Welt soll ihr so gut sein«, ruft Riwy Jente stichelnd. Am liebsten hätte sie Chane Doby einen Stoß versetzt, damit sie die Birnen verschütte.
»Was du mir wünschst, soll dir allein begegnen«, gibt Chane Doby zurück, »Warum schimpfst du? Bin ich dir etwas schuldig? Habe ich bei dir etwas genommen?«
»Mehr würde dir nicht fehlen«, ruft Riwy Jente wutentbrannt. »Mit dir würde ich schon fertig werden ... Die Augen würde ich dir auskratzen ...« Und Riwy Jente beschließt, wenn Chane Doby ihr näher kommt, ihr doch den Stoß zu versetzen.
Es entsteht ein Streit. Chane Doby sagt sich, daß sie gut getan hat, diesen Weibern keine Geschichten zu erzählen, und sie freut sich, daß es ihr gelungen ist, sie zu ärgern. Sie hat schon einigemal vor ihnen ausgespuckt und den Versuch gemacht, davonzugehen, doch kehrte sie immer wieder zurück, um auf einen Fluch oder auf ein Schimpfwort zu antworten.
Einige Müßiggänger bleiben stehen, und es bildet sich ein Kreis um die streitenden Frauen. Plötzlich schreit einer: »Ein Polizeimann!« Sofort kommen die Weiber zu sich und eilen nach verschiedenen Richtungen davon.
»Heda, Jüdinnen!« schreit der Polizeimann und sucht die Weiber einzuholen. Er merkt gleich, daß Chane Doby mit den vollen Körben nicht so rasch laufen kann, und auf diese hat er es abgesehen.
»Oh, Mütterchen, Mütterchen«, seufzt Chane Doby angsterfüllt, als sie sich vom Polizisten verfolgt sieht. »O Gott! O Gott! O Gott!« Inzwischen fällt eine Birne zu Boden. Dieser folgt eine zweite und eine dritte und bald fallen viele zugleich.
»Gott im Himmel! Herr der Welt!« stöhnt Chane Doby und fühlt, daß die Füße sie nicht mehr tragen können. Sie hätte sich so gern umgesehen, um zu erfahren, wohin die Birnen gekollert sind, aber von allen Seiten wird sie ermuntert, weiterzulaufen:
»Schneller! Schneller! Schneller!«
Die Juden wollten nicht, daß sie in die Hände des Polizisten fällt. Sie dürfen ihn nicht zurückhalten, und so stehen sie gespannt und warten, während sie unausgesetzt schreien:
»Schneller! Schneller! Schneller!«
Chane Doby rennt in einen Hof und versteckt sich in einem Geschäft. Als der Polizeimann zum Tor kommt, ist sie verschwunden.
Er bleibt stehen, wischt sich den Schweiß von der Stirn und blickt auf die Juden, die ihm gefolgt sind, mit bösen Blicken. Die Juden sind erfreut, daß ihm die Frau entschlüpft ist, doch hüten sie sich, ihn zu reizen. Sie sind schlau und verhalten sich ruhig. Dock er erkennt an ihren strahlenden Gesichtern, daß sie über ihn triumphieren. So treibt er sie mit Flüchen und Schlägen auseinander und beschließt, vor dem Tore stehen zu bleiben und zu warten. Einige Juden laufen in den Hof, um Chane Doby im Notfalle beizustehen.
Chane Doby wagt in ihrem Versteck kaum zu atmen. Mt Schmerz denkt sie an die verlorenen Birnen. Das Obst ist ihr ganzes Vermögen ... Und sie war so glücklich gewesen, vielleicht straft sie Gott dafür, daß sie den Händlerinnen nicht die volle Wahrheit erzählt hat? ... Und sie verflucht die Marktweiber, die an dem ganzen Unglück schuld sind.
Von den Birnen, die Chane Doby auf ihrer Flucht verloren hat, wird ein Teil von den Fuhrwerken zerquetscht, die übrigen werden von Lastträgern aufgehoben.
Verlegen lächelnd blicken sie umher, als schämten sie sich des Gedankens, der in ihnen aufsteigt. Eine Weile betasten sie die Birnen und überlegen, ob sie dieselben der Händlerin nicht zurückgeben sollten. Doch als einer in eine Birne hineinbeißt, folgen die anderen seinem Beispiele.
»Es sind ausgezeichnete Birnen«, ruft einer aus.
Ein anderer hebt einige Birnen vom Boden auf, betrachtet sie von allen Seiten und steckt sie in die Tasche – für die Kinder. Dann geht er in den Hof, öffnet die Tür zum Geschäft, wo Chane Doby versteckt ist, steckt den Kopf hinein und sagt freundlich:
»Bleibt noch drinnen, Frau. Der Polizeimann steht noch vor dem Tor ...«