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Das Ghettobuch
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Von David Pinski

Doch einmal geweint.

Ein lustiger armer Teufel ist Berl, der Lastträger.

Seine Wohnung besteht aus einer Kellerstube mit Fensterchen, durch die man kaum die Füße der vorübergehenden sehen kann. Die Scheiben sind schmutziggrau, die Wände feucht und verraucht, und in den Winkeln glänzen große Schimmelflecke, aber wenn der Abend kommt, sucht Berl voll Freude sein Heim auf ...

Bei der Wand – zwischen den Fenstern – steht ein Tischchen, von den Beinen sind nur zwei seine eigenen; die andern zwei sind durch Holzscheite ersetzt, die aber im Winter manchmal spurlos verschwinden ... Berl meint dann, daß das Tischchen; wenn man es an die Wand lehnt – mit Gottes Hilfe –, auch auf zwei Beinen stehen kann – und es steht!

Drei Stühle befinden sich in der Stube, doch alle ohne Lehnen; diese mußten im vergangenen strengen Winter der Kälte zum Opfer gebracht werden.

Zwei Betten stehen noch in der Stube. Auf den Betten liegen einige Lumpen, die Berl »Polster und Decke« nennt. In einer Kiste liegen noch andere Lumpen, die Berl als »Wäschestücke« bezeichnet.

Berl ist immer guter Laune. »Was brauche ich mehr,« sagt er lächelnd, »wenn man nur lebt!«

Vier Kinder hat er. Zwei schlafen mit ihm in demselben Bette, und zwei mit der Mutter zusammen. »Kinder«, sagt er, »sind eine Freude. Sie kosten viel. Das ist wahr, aber wenn ich am Abend nach Hause komme, kann ich nach Herzenslust mit ihnen umhertollen.« Von sieben Kindern sind ihm diese vier am Leben geblieben, und wenn er an die drei, die nun unter der Erde liegen, denkt, hat er Tränen in den Augen – aber sonst: was fehlt Berl, dem Lastträger!

Mit seinem Weib ist er nicht ganz zufrieden, denn sie weint und klagt beständig. »Was will sie?« fragt er sich. »Hat sie einen Kontrakt mit Gott? Ist er ihr verpflichtet?«

»Mein Weibel taugt aber schon zu gar nichts«, äußert er oft. »Ein Klageweib ist sie geworden!« Kaum bemerkt er Tränen in ihren Augen, so stellt er sich vor sie hin, ringt in Spaßmacherweise die Hände und macht ein weinerliches Gesicht.

»Du möchtest immerfort nur lachen«, ruft Bassia erzürnt.

»Ich zerfließe ja in Tränen«, antwortet er mit trauriger Stimme.

»Um dich soll man schon weinen«, ruft sie und wendet sich von ihm ab. Doch Berl ist nicht beleidigt, was tut ihm ihr Fluchen? Ihm scheint es, daß er ohne dieses die Welt nicht mehr so lustig finden würde. Zornig wird er nur, wenn sie über sich selbst zu fluchen beginnt. Dann fängt auch er an zu schimpfen, besonders wenn sie den Tod herbeisehnt. Da gibt es ihm einen Stich durchs Herz. »Die Zunge soll dir verdorren«, schreit er und spuckt aus ...

Bassia wird still und fängt zu weinen an, während er ihr wütende Blicke zuwirft. »Was nützt dir das Weinen!« ruft er. »Der Mensch soll nur am Versöhnungstage über seine Sünden weinen – sonst niemals ...«

Eines Tages hat sich aber folgendes ereignet.

Berl tollte mit den Kindern so lange in der Stube herum, bis er plötzlich rücklings auf sein Bett fiel und dieses unter ihm zusammenbrach.

»Gelobt sei der Herr des Himmels«, stieß er lachend hervor. »Kommt, Kinder, wir wollen dem Bett eine Grabrede halten.« Er versuchte, sich die Figur des höckerigen Gemeindepredigers zu geben, und wollte seine Rede beginnen, aber Bassia griff sich an den Kopf und schrie auf: »Ich ertrage das nicht länger! – nun haben wir nicht mehr, wo den Kopf hinzulegen. Großer Gott, mache meinen Leiden ein Ende ...!«

Berl wird zornig. »Was lamentierst du so wegen des Bettes?« schreit er. Bassia schimpft weiter, doch Berl ist wieder guter Laune. »Welch ein Lärm!« ruft er. »Das Bett ist zerbrochen! Wahrhaftig, die Welt geht unter ...! Das Böse, das uns widerfahren sollte, ist eben dem Bett geschehen! Wozu also das Jammern!«

Die Erklärung leuchtet Bassia ein. Sie beruhigt sich langsam und denkt nach, wie der Schaden wieder gutgemacht werden kann. »Man wird den Kindern keine neuen Schuhe machen«, denkt sie. Für das erste Geld muß ein neues Bett angeschafft werden ... oder könnte man das Bett doch noch reparieren? Sie wird einstweilen mit zwei Kindern auf dem Fußboden schlafen. Ein anderer Ausweg fällt ihr nicht ein. Aber warum lacht Berl noch immer!

»Wenn du dich erst einige Nächte auf der feuchten Erde herumgewälzt hast, wird dir das Lachen schon vergehen«, murmelt sie unwillig.

»Nein, so was! Berl, der Träger, wird auf dem Fußboden schlafen«, ruft er laut lachend. »Kinder, bringt den Strohsack!«

Bassia zeigt auf ihr eigenes Bett und sagt: »Dort leg' dich hin!«

»Ich schlaf in keinem Weiberbett«, witzelt Berl. Er ergreift den Strohsack, doch Bassia stellt sich vor ihn hin und schreit: »Ich habe gesagt: nein, und dabei bleibt es.«

»Gut, so lege ich mich auf den bloßen Fußboden«, ruft Berl lachend und zieht den Pelz aus.

»Das wirst du nicht tun«, schreit Bassia außer sich und stürzt auf ihn mit drohender Gebärde zu. Ihre Wangen sind gerötet, und Funken sprühen aus ihren Augen.

Berl blickt erstaunt auf sein Weib. Der Zorn hat sie verjüngt. »So hat sie vor zehn Jahren ausgesehen«, denkt er und lächelt. »Mein schönes Weibel«, ruft er und will sie umarmen. Sie aber denkt, daß er wieder seinen Spaß mit ihr treiben will, stößt ihn zurück und macht sich daran, für ihn ihr Bett herzurichten. Er benutzt den Moment und wirft sich rasch auf den Strohsack.

»Hallo! Kinder, schlafen! Her mit euch!« ruft er.

»Ins Bett legst du dich!« schreit Bassia.

»Ja, morgen«, ruft er lachend.

»Ich sage: ins Bett mit dir!« kreischt Bassia.

»Fällt mir nicht ein«, sagt er gelassen.

»Na wart!« schreit Bassia auf und beginnt im wilden Zorn mit den Füßen gegen ihr Bett zu schlagen, bis auch dieses zusammenbricht.

Berl und die Kinder eilen erschrocken hinzu. Bassia ist außer sich. Sie stampft auf den Brettern herum, um das Bett ganz in Trümmer zu schlagen.

Berl will sie zurückhalten, beruhigen, doch sie reißt sich von ihm los. Er hält sie fest. Sie versucht ihn zu beißen. »Bassia«, ruft er im höchsten Schrecken, »was ist dir, Bassia«.«

Sie kommt langsam zu sich. Erschöpft setzt sie sich auf den Strohsack. Aus ihren Augen stürzen Tränen. Auch die Kinder beginnen nun vor Schreck und Bestürzung zu weinen.

Berl blickt sie besorgt an. »Bassia, hör' auf zu weinen«, bittet er. Seine Stimme zittert.

»Bassia«, sagt er noch zärtlicher. Eine Rührung überkommt ihn, und er spürt ein Würgen im Halse, und plötzlich – fühlt er, wie seine Augen feucht werden. Große Tropfen rinnen ihm über seine Wangen ...

Da war es, daß Berl weinen mußte.


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