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4. Der Mohr.

Eustachius wanderte mit seiner Gemahlin und seinen Kindern in kurzen Tagreisen, auf wenig besuchten Wegen zwischen Wald und Gebirge hin und vermied Städte und größere Ortschaften. Endlich gelangten sie an das Ufer des Meeres. Ein großes, wohlgebautes Schiff lag vor Anker, das eben nach Ägypten absegeln wollte. Eine Menge Lastträger und Schiffsknechte waren emsig beschäftigt, Fässer hineinzuwälzen und Kisten hineinzutragen. Der Schiffsherr, ein reichgekleideter Mohr, dessen Hals und Ohren mit großen glänzenden Perlen geschmückt waren, ging gebieterisch unter ihnen umher und wußte alles sehr gut anzuordnen. Eustachius sprach zu ihm: »Wärest du wohl geneigt, für Bezahlung mich, meine Frau und meine Kinder nach Ägypten überzuführen?«

»Warum nicht?« sagte der Schiffsherr mit großer Freundlichkeit, indem er den Eustachius, dessen Frau und Kinder aufmerksam betrachtete; »recht gern.«

»Wie viel,« fragte Eustachius weiter, »verlangst du Fährlohn, und wie viel wird die Kost unterwegs betragen?«

»Nicht viel,« sagte der Schiffsherr, »eine Kleinigkeit. Doch laßt es indessen gut sein; wir wollen, wenn es je der Rede wert ist, davon reden, wann ihr wieder ans Land steigt.« Sie begaben sich auf das Schiff. Die Anker wurden gelichtet, der Wind schwellte die Segel, und das Schiff schwebte über die wogende See leicht dahin. Die Kinder freuten sich über den wunderbaren Anblick, daß Land und Bäume, wie es ihnen schien, zurückwichen und das Schiff stillstand; ihre Mutter sah aber nicht ohne Tränen das geliebte Land aus ihren Blicken verschwinden.

Eustachius tröstete sie und sprach: »Gott, der das Meer und das Trockene geschaffen hat, wird für uns sorgen! Er, dessen die ganze Erde ist, wird uns ein neues Vaterland geben, bis er uns in das rechte Vaterland aufnimmt.« Sie beruhigte sich und freute sich der Wunder der göttlichen Allmacht zur See, die sie bisher noch nie gesehen hatte. Morgens betrachtete sie mit ihrem Gemahl und ihren Kindern voll Andacht und Freude den glühenden Morgenhimmel und die aufgehende Sonne, die aus dem unermeßlichen Wasserspiegel mit einer Klarheit widerglänzte, daß die Kinder in der Tat zwei Sonnen zu sehen glaubten. Den Tag über sahen sie manche emporragende Insel, die mit ihren braunen Felsen und grünen Baummassen an ihnen vorbeizuschwimmen schien. Große Meerfische begleiteten, zur besonderen Freude der Kinder, lange Strecken weit das Schiff, und dichte Scharen von Seevögeln flogen mit frohem Geschrei über das Meer hin. Der Wind wehte bald sanfter, bald stärker, schien bald nur mit den grünen Wellen zu scherzen, bald regte er sie mächtiger auf, und der Anblick der unzähligen, hochausschlagenden Wogen gewährte eine schauerliche Lust. Mancher schöne Abend mit goldenen und purpurnen Wolken, die sich im Meere abmalten, erfüllte sie mit sanfter Freude. Auch zu Nacht blieben sie noch lange auf und betrachteten den Mond und die funkelnden Sterne hoch am Himmel, und widerscheinend an dem zweiten Himmel, an der ruhigen Flut. Ihr Fahrt hätte nicht glücklicher sein können. Nach wenigen Tagen zeigte sich Land, und sie hofften nun, da eine Hütte und so viel Erde zu finden, als zu ihrer Ernährung und einst zu ihrem Grabe nötig wäre.

Allein ein furchtbarer Sturm anderer Art drohte ihnen. Der ruchlose Schiffsherr hatte den teuflischen Plan gefaßt, die Gemahlin des edlen Eustachius, deren edler Anstand und Schönheit ihm gewiß eine hübsche Summe einbringen mußte, in die Sklaverei zu verkaufen. Er segelte deshalb nicht dem bestimmten Seehafen, sondern einer öden, unbewohnten Meeresküste zu, wo man nichts erblickte als kahle Felsen und dürren Sandboden. Er ließ das Schiff anlegen. »Das ist das Land, wohin ihr wollt,« sprach er fälschlich, – »hier könnet ihr aussteigen, sobald ihr mich bezahlt habt.«

Eustachius sprach entrüstet: »Was soll das sein? Das ist nicht das Land, wohin du uns zu führen versprachst.«

»Das werde ich wohl besser wissen als du,« sagte der Schiffsherr. »Bezahle und mache, daß du weiter kommst!« Er forderte eine so ungeheure Summe, daß sie das herkömmliche Fahrgeld wohl zehnmal überstieg. Eustachius entsetzte sich über die abscheuliche Ungerechtigkeit und gestand, daß all seine Barschaft nicht die Hälfte von dieser übertriebenen Forderung betrage. Der Schiffsherr, den dieses innerlich freute und dem es nur darum zu tun war, Streit anzufangen, stellte sich höchst aufgebracht.

»Was,« schrie er, wie außer sich vor Wut, »nicht einmal halb so viel Geld! Da seh ich mich schändlich angeführt. Eurer Kleidung nach hielt ich euch für Leute von Stand; nun sehe ich betrogener Mann zu spät, daß ich elendes Bettelvolk in mein Schiff aufgenommen habe. Es war höchst vermessen von euch, ohne hinreichendes Reisegeld eine solche Fahrt mitzumachen und auf fremde Kosten zu leben. Ihr sollt mich aber um meine Auslagen und meinen wohlverdienten Lohn nicht betrügen. Eines von euch muß den Frevel mit seiner Freiheit büßen; ich erkläre hiemit das Weib da für meine Sklavin. Sie bleibt hier auf dem Schiffe zurück – ihr übrigen möget ans Land steigen. Das Geld, das ich auf dem Sklavenmarkte für das Weib lösen werde, soll mir eure Reisekosten bezahlen.«

Als Theopista diese Worte hörte, erblaßte sie vor Schrecken und Entsetzen. Eustachius mußte sich alle Gewalt antun, seinen aufflammenden Zorn über eine so unerhörte Betrügerei und Gewalttätigkeit zu mäßigen. Die beiden Knaben fielen dem Schiffsherrn zu Füßen und baten und flehten weinend, ihnen ihre liebe Mutter nicht zu nehmen. Allein der Schiffsherr stand mit ausgestrecktem Arme und befahl Eustachius: »Du mit deinen zwei Knaben räume mein Schiff; du aber,« sprach er zu Theopista, »bleibst hier!«

Theopista eilte mit weitausgebreiteten Armen und fliegenden Haaren auf ihren Gemahl zu, umfaßte ihn und schrie laut: »O Eustachius, ich lasse dich nicht – rette mich – Gott helfe uns!«

Eustachius zog sein Schwert, umschlang seine Gemahlin mit der Linken, schwang mit der Rechten das Schwert und rief: »Treibe deine Bosheit nicht zu weit, verwegener Mohr; sonst werde ich mein Weib und meine Kinder gegen dich und all dein Volk blutig zu verteidigen wissen.«

Allein plötzlich packten mehrere starke Schiffsknechte, auf den Wink des Schiffsherrn, wie er es heimlich mit ihnen verabredet hatte, den Eustachius rückwärts, hielten ihn mit großer Gewalt fest und nahmen ihm sein Schwert ab. Der Schiffsherr ergriff Theopista und riß sie von ihrem Gemahl, den sie mit beiden Armen umschlungen hielt, gewaltsam los. Sie sank gleich einer Lilie, die der Sturm gebrochen, ohnmächtig mit gebeugtem Haupte und herabhängenden Armen zurück und wäre zu Boden gefallen, wenn der grausame Mohr sie nicht gehalten hätte. Die zwei Knaben, die ihren Vater von einer ganzen Schar Schiffsknechte überwältigt sahen, und, da sie noch keine Ohnmächtige gesehen hatten, ihre Mutter für tot hielten, erhoben ein Jammergeschrei, daß sich Steine darüber hätten erbarmen können. Allein das rohe Heidenvolk war ohne alles Gefühl. Die Schiffsknechte schleppten auf den Befehl ihres Herrn den bedauernswürdigen Vater an das Land, schleuderten ihm seine zwei Kinder zu, wendeten das Schiff und fuhren frohlockend weiter.

Eustachius, der arglose, redliche Mann, dem dieses alles so höchst unerwartet gekommen war, wie ein Donnerschlag bei klarem Himmel, stand wie versteinert am Ufer des Meeres, hörte kaum das Jammergeschrei seiner Kinder, die seine Knie umfaßten, streckte die Arme gegen das Meer aus und richtete seine starren Blicke unverwandt auf das Schiff, das im Glanze der untergehenden Sonne leicht dahinsegelte und endlich in Nacht und Nebel verschwand.


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