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14. Nochmals die Brüder.

Eustachius fühlte sich unaussprechlich glücklich, seine innigst geliebte Gemahlin wieder gefunden zu haben. Allein bald trübte der Gedanke an seine Söhne dieses sein Glück. Es fiel ihm wie ein Felsenstück auf das Herz, Theopista werde jetzt nach ihren Söhnen fragen und er könne ihr die Wahrheit nicht verhehlen, daß beide ihm von wilden Tieren geraubt worden. »Ach, die gute Mutter!« dachte er; »wie bald wird ihr die Freude, den Vater wieder gefunden zu haben, in Jammer über den Tod ihrer Kinder verwandelt werden!«

Indes er dieses dachte, sprach Theopista: »Nun, liebster Gemahl, laß uns die Freude des Wiedersehens auch mit unsern geliebten Söhnen teilen! O wie verlangt mein mütterliches Herz, sie nach so langer Trennung in meine Arme zu schließen.«

Eustachius sprach tiefbetrübt: »Liebste Theopista, holde Mutter liebenswürdiger Kinder, laß uns die unerforschlichen, aber immer weisen und liebevollen Ratschlüsse Gottes im Staube anbeten! Unsere Söhne wurden als zarte Knaben der Raub wilder Tiere. Sie sehen das Licht dieser Sonne nicht mehr, sie wandeln nicht mehr unter den Lebenden!«

Allein Theopista rief hocherfreut: »Nein, nein, liebster Gemahl, du irrest! Deine beiden Söhne leben! Gott hat sie unverletzt aus dem Rachen der wilden Tiere errettet! In diesem Augenblicke will ich sie dir lebend vor Augen stellen! Sie sind deine würdigen Streitgenossen! Ja, ohne ihren Mut, ihre Liebe zu dir hättest du vielleicht nicht gesiegt, und dieses Land wäre vielleicht eine Beute feindlicher Völker geworden!«

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»Theopista, was kommt dich an?« sprach Eustachius. »Du erscheinst mir in diesem Augenblicke als eine begeisterte Prophetin.«

Sie aber eilte hinaus auf den Vorsaal, sagte den zwei jungen Kriegern: »Kommt mit mir, der Feldherr begehret eurer!« – nahm mit ihrer Rechten den einen, mit ihrer Linken den andern bei der Hand, führte sie in den Saal und sprach mit hoher Freude: »Feldherr! Sieh da in diesen jungen Helden deine beiden Söhne! Dieser da mit den dunkeln Locken ist dein Agapius, den dir der Löwe – und dieser hier mit den gelben Haaren dein Theopistus, den dir der Wolf geraubt hat. Allein was vermögen reißende Tiere gegen diejenigen, die Gott schützt? Gott hat sie errettet; Gott hat sie dir wieder zugeführt; unter Gottes Leitung halfen sie dir streiten. Ohne dich, ohne sich einander zu erkennen, halfen sie dir mit vereinten Kräften deinen ruhmvollen Sieg erkämpfen. Erst in dieser Stunde erkannten sie sich vor meinen Augen als Brüder; erkenne nun auch du, glücklicher Vater, in ihnen, die du, ohne sie zu kennen, vor Tausenden ausgezeichnet hast, deine würdigen Söhne!«

Eustachius rief voll des höchsten Erstaunens: »Wie, diese heldenmütigen Jünglinge, unter die ich heute meinen Lorbeerkranz verteilte, sollten meine Söhne sein? Jene zarten Knaben, die ich mit Entsetzen in dem Rachen wilder Tiere erblickte, sollten mir gleichsam von dem Tode wieder zurückgegeben sein? O du guter, barmherziger Gott, diese Seligkeit wäre zu groß; noch kann ich es nicht glauben.«

Allein Theopista sprach: »Glaube mir, edler Vater, sie sind deine Söhne, ich bin meiner Sache gewiß; es ist mir so klar wie die Sonne. Doch wozu bedürfte es vieler Worte? Sieh diese Jünglinge nur einmal recht an! Sieh da deinen Agapius, blicke ihm in die Augen, betrachte seine Stirne, seinen Mund und sag selbst, ist er nicht dein getreues Ebenbild und wie von dir abgezeichnet? Sieh da deinen Theopistus, diese blauen Augen, diese blonden Locken – gleicht er nicht seiner Mutter, da sie noch in der Blüte ihrer Jugend prangte? Zweifle also nicht mehr und umarme sie als deine Söhne!«

Der hocherfreute Vater hatte keinen Zweifel mehr – schloß bald Agapius, bald Theopistus in seine Arme, und reichliche Tränen flossen über seine Wangen. Er genoß der größten Seligkeit edler Eltern – der Seligkeit, zu sehen, daß ihre Kinder sich ihrer würdig betragen. Aber auch die Söhne waren vor Freude außer sich, in dem hochverehrten Feldherrn, dem geliebten, aber auch gefürchteten Gebieter, dessen Blick Ehrfurcht erforderte und Gehorsam gebot, einen liebenden Vater zu finden, dessen Vaterherz sich in reichlichen Tränen ergoß.

Theopista, die edle Gattin und Mutter, stand seitwärts und erfreute sich der Seligkeit ihres Gatten und ihrer Söhne. So sehr ihr Herz brannte, ihre Kinder zu umarmen, so wollte sie die entzückten Söhne den väterlichen Umarmungen noch nicht entziehen. Sie konnte sich an dem himmlischen Anblicke nicht satt sehen. Freudentränen flossen über ihre blassen Wangen; sie fühlte sich die seligste Gattin und Mutter.

Ihre beiden Söhne ahnten aber gar nicht, daß ihre geliebte Mutter, über deren Verlust sie einst als Kinder so heiße Tränen vergossen und je älter sie wurden, sich immer mehr nach ihr gesehnt hatten, ihnen so nahe sei. Am allerwenigsten dachten sie daran, die bleiche Sklavin mit rotgeweinten Augen, der sie aus Mitleid bei dem Feldherrn Gehör verschafft hatten, sei ihre Mutter. Sie hatten in ihrer gegenwärtigen Freude dieser Sklavin ganz vergessen und achteten so wenig auf sie, als wäre sie gar nicht zugegen.

Allein dem edlen Vater war dies höchst auffallend; denn er zweifelte nicht im geringsten, die Mutter habe sich ihren zwei Söhnen schon zuvor, ehe sie ihm dieselben vorführte, zu erkennen gegeben. Er sprach daher mit sichtbarer Betrübnis und großem Ernste: »Nun, meine Söhne! Habt ihr nur Tränen und Umarmungen für euren Vater? Sagt euer Herz euch nicht, daß ihr noch eine andere süße Pflicht zu erfüllen habt? – Wie? Ihr nennt eure Mutter nicht einmal? Habt ihr kein Gefühl mehr für sie und soll sie von aller Teilnahme an unserer Freude ausgeschlossen bleiben? – Ihr seht mich befremdet und verlegen an! – Nun, ihr werdet euch doch noch eurer Mutter erinnern, wie hold und anmutsvoll sie war und wie sie in den Tagen eurer glücklichen Kindheit euch so lieb hatte! Du, Theopistus, weißt du nicht mehr, wie sie dich damals, als du auf unserer Auswanderung erlegen warst, so zärtlich auf ihren Armen trug? Und du, Agapius, hast auch du es vergessen, wie ihr beide auf dem Schiffe krank geworden und wie sie euch da so liebreich verpflegte und Nächte hindurch bei euch wachte? Wenigstens muß euch unser Jammer, als sie uns von jenem Mohren genommen wurde, noch im frischen Andenken sein! – Ach, es ging ihr indessen sehr hart! Sie wurde in die Sklaverei fortgeschleppt, in der sie noch schmachtet! Sie ist nun wohl sehr arm, unglücklich und verachtet! Allein sagt, wäre es möglich, daß ihr deshalb euch ihrer schämen könntet? – O dann wäre es mir lieber, ich hätte euch mit keinem Auge mehr gesehen?«

»Liebster Vater!« rief jetzt Agapius und griff an sein Schwert, »sage uns doch nur, wo ist der Bösewicht, jener abscheuliche Mohr, der meiner geliebten Mutter so vieles Leid zufügen konnte? An diesem Schwerte will ich sein Blut herabträufeln sehen! Seine ganze Rotte will ich in Stücke zerhauen, um die Mutter zu befreien!«

Theopistus sprach: »Lieber Vater, da du weißt, daß die Mutter eine Sklavin ist, warum hast du sie denn nicht schon längst befreit? O sag uns doch geschwind, wo wir sie auffinden können? Wo, wo ist sie? Den letzten Tropfen meines Herzblutes will ich daransetzen, die Mutter von Elend und Unterdrückung zu erretten!«

Eustachius sagte: »Wie, ihr kennet sie nicht einmal? Das begreife ich nicht, wie das möglich ist. Doch – ohne sie zu kennen, habt ihr sie schon gesehen. Seht da, diese ist es! Sie, die euch als meine Söhne mir vorführte, stelle ich nun euch als eure Mutter vor.«

Beide Söhne empfanden das innigste Mitleid, ihre Mutter als Sklavin zu erblicken. Wie es vorhin die Freude der entzückten Söhne sehr erhöhte, gerade in dem bewunderten Feldherrn, den sie unter allen Menschen auf Erden am Höchsten verehrten, ihren Vater zu erkennen, so ward jetzt die Freude, ihre Mutter wiederzufinden, durch den Anblick ihrer Armut und Niedrigkeit ganz unaussprechlich rührend. Freude, Schmerz und Wehmut durchdrangen ihre Herzen so mächtig, daß beide Jünglinge in heiße Tränen ausbrachen. Die entzückte Mutter aber stand da, wie verklärt von Freude. Der unbeschreibliche Ausdruck von mütterlicher Zärtlichkeit in ihrem milden Angesicht und in ihren tränenvollen Augen hatte etwas Himmlisches.

»Mutter! Liebste Mutter!« riefen beide mit einem Munde und fielen ihr beide um den Hals. Mutter und Söhne konnten ihre Freude nicht mit Worten, sondern nur mit Tränen und frommen Blicken zum Himmel ausdrücken. Der Vater aber sprach im Übermaß seiner Freude:

»Ich möchte laut ausrufen, daß es die ganze Welt vernähme: O ihr alle, die ihr Gott fürchtet, kommet, sehet und höret, was für große Dinge er an mir, meinem lieben Weibe und meinen lieben Kindern getan hat.«


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