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18. Eine glückliche Familie.

Am andern Morgen, da der Feldherr Eustachius aus seinem Schlafzimmer trat, standen seine zwei Söhne schon im Vorzimmer und begrüßten ihn mit hoher Freude und kindlicher Ehrfurcht. Er ging mit ihnen, seine Gemahlin Theopista zu besuchen. Als er in das Haus trat, sagte man ihm, Theopista und Lydia können jetzt noch nicht sogleich einen Besuch annehmen; der Kaufmann aber sei schon mit Anbruch des Tages in das Lager gegangen, um von den Soldaten erbeutete Kostbarkeiten einzuhandeln. Eustachius begab sich daher mit seinen Söhnen einstweilen in den Garten, der vom Tau tröpfelnd in der Morgensonne herrlich glänzte und schimmerte. Sie gingen unter vertraulichen Gesprächen in dem Garten auf und ab; über eine kleine Weile kamen zwei Frauen in den Garten. Die eine, von hoher, edler Gestalt, war in blendendweißen Byssus gekleidet, der in seinen Falten bis zur Erde herabfloß. Ein purpurroter Frauenmantel mit goldgesticktem Saume umgab ihre Schulter. Sie schlug den Schleier von Flor, der ihr blühendes Angesicht verhüllte, zurück; in ihren goldenen Locken glänzten edle Perlen mit sanftem Silberschimmer. Es war Theopista. Eustachius erstaunte über den Glanz ihrer Schönheit. Gestern abend, als er sie das erste Mal wiedersah, war sie blaß gewesen, wie eine Leiche. Ihre Schönheit war verdunkelt und ihr Angesicht fast entstellt. Allein dies kam nicht von der Macht der Zeit her, die ihr wenig geschadet hatte, sondern von den anstrengenden Arbeiten, die ihr am gestrigen Tage wegen der festlichen Bewirtung so vieler Gäste aufgetragen wurden, von den vielen Tränen, die sie während des Einzugs des Feldherrn vergossen hatte, von der Ohnmacht, in die sie bei dem Wiederfinden ihrer zwei Söhne gefallen war, und von der Aufregung, die sie bei dem unerwarteten Anblick ihres Gemahls einer zweiten Ohnmacht nahegebracht hatte. Jetzt am Morgen hatte sie sich von der Unruhe und den angreifenden Empfindungen des gestrigen Tages erholt. Ihre Augen glänzten von himmlischem Entzücken; das sanfte Rot ihrer Wangen war von der Freude erhöht. Wie ihr Gemahl bei dem ersten Wiedersehen gestern abend ihr so blühend, wie einst als Bräutigam, erschienen war, so erschien auch sie jetzt ihm wie verjüngt, und ihr Anblick erinnerte ihn an jenen Tag, da sie im Brautkranze vor ihm stand.

Die andere Frau, die nur sehr einfach gekleidet war, als wäre sie Theopistas Dienerin, war Lydia. Lydia hatte es für geziemend gehalten, ihre Freundin standesgemäß zu kleiden. Es war eben eine vollständige Kleidung fertig geworden, die eine Fürstin bestellt hatte. Theopista hatte wohl nicht daran gedacht, als sie, vom Kaufherrn oft ziemlich rauh zur Eile getrieben, mit unermüdetem Fleiße an dem Purpurmantel stickte und manche Träne auf den goldenen Faden fiel, daß sie diese Kleidung für sich verfertige. Lydia schenkte sie ihr, ja nötigte sie ihr, als der Gemahlin eines römischen Feldherrn ganz geziemend, gleichsam auf. Die Kleidung paßte ihr genau. Der Kaufmann aber, den sein Gewissen sehr beunruhigte, daß er die Gemahlin des mächtigen Feldherrn so strenge zur Arbeit angehalten, hatte ihr nicht nur die Freiheit geschenkt, sondern noch obendrein den Perlenschmuck.

Nachdem Eustachius und seine zwei Söhne Theopista begrüßt und der gütigen Lydia den innigsten Dank bezeigt hatten, wandelten alle zusammen in dem Garten umher, redeten von den wunderbaren Fügungen Gottes und priesen mit anbetendem Herzen Gottes heilige Vorsehung. Lydia lud hierauf den Feldherrn und die zwei Hauptleute ein, mit Theopista und ihr in dem Garten ein kleines Frühstück zu nehmen. Sie setzten sich an einen Marmortisch, auf dem verschiedene Speisen, Körbchen voll frischgepflückter Früchte und schöngeformte Gefäße mit Wein und Milch zierlich geordnet waren. Ein Rebengeländer voll großer, purpurner Trauben beschattete den Tisch; duftende Blumenbeete, blühende Gesträuche und Bäume voll goldener Früchte umgaben ihn.

Eustachius lobte während des Speisens den Garten. »Der schöne Garten,« sprach er, indem er Theopista anblickte, »macht nicht nur der fleißigen Gärtnerin Ehre, er ist noch viel mehr ein Schauplatz der Herrlichkeit Gottes. Diese Früchte dort, bestimmt, uns mit ihren kühlenden Säften zu laben, wie sind sie auch für das Auge so schön geformt und gefärbt! Diese duftenden Blumen hier bieten uns ihre erquickenden Wohlgerüche in zarten, schöngebildeten Kelchen dar. Welche wunderbare Kraft der Schöpfer in das rauh aussehende Holz und in die unansehnlichen Wurzeln gelegt, so liebliche Gebilde und Düfte hervorzutreiben! Ein Garten ist in der Tat ein heller Spiegel der Weisheit und Güte Gottes.«

»O ganz gewiß,« sprach Theopista; »der Garten hier, den ich zu besorgen hatte, war mir auch immer ein Buch, das der Schöpfer vor meinen Blicken aufgeschlagen und Jesus Christus erklärt hat. Wenn ich die Lilien betrachtete, war es mir immer, als zeige unser göttlicher Lehrer mit dem Finger darauf, mich ermahnend, dem Vater im Himmel zu vertrauen, der sie schön kleidete und also noch viel mehr für die Menschen, seine Kinder, freundlich und liebreich besorgt ist. Der Baum dort voll guter Früchte lehrte mich, daß ich meine Stelle auf Erden nicht vergebens einnehmen, sondern reich sein soll an guten Werken. Der Weinstock hier, der in alle Reben, die an ihm festgewachsen sind, Kraft und Leben ausströmt, daß sie viele und köstliche Trauben hervorbringen, war mir ein liebliches Bild, daß ich nur dann, wenn ich mit Christus innigst vereinigt bleibe, reiche Früchte hervorbringen könnte.«

Eustachius hatte ihr mit Beifall zugehört. »Ja, es ist wahr,« sagte er, »die Lehre Jesu ist in jeder Hinsicht unübertrefflich, im großen wie im kleinen. Seine Gleichnisse sind ebenso göttlich erhaben, als menschlich schön. Er macht die ganze Natur zu uns sprechen; den kleinsten Dingen öffnet er gleichsam die Lippen, daß sie uns heilsame Lehren verkünden. Ein Kind kann, so viel für sein zartes Alter nötig ist, davon verstehen, und ein Mann findet sein ganzes Leben lang genug, darüber zu denken. Möchten wir die Natur mit dem Blicke Jesu anschauen lernen; möchten wir, seinen Fingerzeigen zufolge, ihre Lehren vernehmen und sie an uns Früchte bringen lassen fürs ewige Leben!«

Jetzt, da Eustachius schwieg, näherten die zwei tapfern Krieger, Akazius und Antiochus, die schon einige Zeit unbemerkt in einer kleinen Entfernung standen, sich der Gesellschaft. Sie hatten erst diesen Morgen mit unbeschreiblicher Freude vernommen, daß die Gemahlin und die Söhne ihres Feldherrn, die als tot betrauert wurden, noch am Leben und wiedergefunden worden seien; die treuen Diener waren deshalb gekommen, ihre Freude zu bezeigen. Allein die ehrlichen, gutherzigen Männer konnten vor Freude kaum reden, und die hellen Tränen tröpfelten über ihre rauhen Bärte. Theopista bot ihnen freundlich die Hand, und Agapius und Theopistus umarmten sie.

Akazius sprach: »So schmerzlich ich über den vermeinten Tod unserer edlen Frau und ihrer geliebten Söhne weinen mußte, so süße Tränen weine ich jetzt, da ich alle drei wieder lebend vor mir stehen sehe.«

Antiochus sagte: »Mir ist es nicht anders, als wären sie wirklich vom Tode auferstanden. Ja, ich denke, die Seligkeit, die an diesem glücklichen Morgen und in diesem freundlichen Garten mein Herz erfüllt, reiche beinahe an die Seligkeit, die Magdalena am Auferstehungsmorgen in jenem Garten empfinden mußte, als der Auferstandene lebend vor ihr stand. Wahrhaftig, die Freude an dem allgemeinen Auferstehungstag wird unaussprechlich groß sein!«

Eustachius sprach hierauf: »Es ist jetzt Zeit, daß ich mich in dem Lager zeige. Ihr, meine Söhne, begleitet mich. Du, meine Gemahlin, bleibe bei deiner geliebten Freundin, bis wir wiederkommen.« Als er sich, inmitten seiner zwei Söhne und von den beiden alten Kriegern begleitet, dem Kriegslager näherte, kam alles darin in Bewegung. Es entstand ein freudiges Getümmel und eine anscheinend große Verwirrung; allein in einigen Augenblicken stand das ganze Heer in Reih und Glied da. Die Soldaten begrüßten ihren Feldherrn und seine zwei Söhne mit lautem Freudenruf, der den Jubel der Trompeten überstimmte. Alle wünschten dem trefflichen Vater und den edlen Söhnen Glück, und mancher ehrliche Krieger sprach: »Wenn unser Feldherr seine Söhne, die er vor allen jungen Kriegern auszeichnete, schon früher gekannt hätte, so könnte man denken, die väterliche Zärtlichkeit hätte doch immer einigen Anteil an ihrer Erhebung gehabt. Allein jetzt müssen Offiziere und Soldaten einstimmig bekennen, daß er die Person nicht ansah, sondern bloß der Tapferkeit und dem Edelmute der jungen Helden Gerechtigkeit widerfahren ließ. O welche Freude für den Vater, in den unbekannten Jünglingen, die er für die vortrefflichsten im ganzen Heere erklärte, nun seine Söhne zu erkennen!«

Eustachius gab dem Kriegsheere auf den Abend ein Freudenfest; am folgenden Morgen aber brach er mit dem Heere auf. Er ritt an der Spitze seiner Legion; seine Gemahlin aber, in einem prächtigen Reisewagen sitzend und von ihren zwei Söhnen zu Pferde begleitet, folgte dem Zuge.


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