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Theopista, die Mutter, blickte mit Augen voll Tränen zum Himmel und sprach: »Ja, dem treuen, barmherzigen Gott sei Ehre, Lob und Dank, daß er euch, meine liebsten Kinder, so wunderbar errettete und bis auf diese Stunde so gnädig für euch gesorgt hat. Doch höret nun auch meine Geschichte, in der Gottes zärtliche Vatergüte, mit der er auch mich errettete und für mich sorgte, sich ebensosehr verherrlicht. »Noch sind mir,« fing sie jetzt ihre Erzählung an, »die schrecklichen Augenblicke in frischem Andenken, da mich jener unmenschliche Mohr dir, liebster Gemahl, mit roher Gewalt aus den Armen riß und auf dem Schiffe zurückbehielt und dich und euch, meine geliebtesten Söhne, an ein ödes, unbewohntes Land auszusetzen befahl. Nachdem ich mich aus meiner Ohnmacht erholt hatte und wieder zu mir selbst gekommen war, suchte mich der gottlose Heide, dessen Abgott das Geld war, zu trösten, bat mir die gegen dich und meine Kinder begangene Gewalttat ab und versprach, mich in glänzendere Verhältnisse zu bringen, als in denen ich mich seither befunden. Er versprach mir eine Menge Gold, Perlen und Edelsteine; davon solle ich zu meinem Schmucke auswählen, so viel ich nur immer wolle. Er wolle mich in Purpur kleiden, und was es an köstlichen Speisen und Getränken nur immer gebe, das sollte ich alles im Überfluß haben. Ich würdigte ihn keiner Antwort, er aber quälte mich zwei Tage lang unausgesetzt, bald mit Schmeicheleien, bald mit Drohungen, um mich zur Annahme seiner Geschenke zu bewegen.
»Am Morgen des dritten Tages trat er wieder vor mich und erkundigte sich sehr freundlich, wie ich mich befinde und ob ich mich nicht eines Besseren besonnen habe. Da er aber sogleich aus meinen nassen Blicken und aus allen meinen Gesichtszügen erkannte, wie verhaßt mir seine Zumutungen seien, so sprach er trotzig: »Nun bin ich deines ewigen Weinens und Weigerns satt; auch habe ich gar nicht nötig, dir zu schmeicheln oder dich bloß mit eitelm Drohen zu schrecken. Der heutige Tag sei dir noch zur Bedenkzeit geschenkt; auch sollst du vor Abend mein Angesicht nicht mehr sehen. Sobald aber die Sonne untergehen wird, erwarte ich eine günstige Erklärung.« Er warf mir, schäumend vor Wut, noch einen zornigen Blick zu, verließ mich unter den furchtbarsten Drohungen, begab sich in seine Kajüte und schlug die Türe mächtig hinter sich zu.
»Es war mir immerhin ein kleiner Trost, wenigstens diesen Tag hindurch vor ihm Ruhe zu haben. Ich setzte mich in einen Winkel des Schiffes, hüllte mich in meinen Schleier und flehte mit heißen Tränen zu Gott, er wolle die drohende Gefahr von mir abwenden. So ging der Tag vorüber. Die Sonne ging unter, – ihre letzten Strahlen waren bereits in dem Meere erloschen, – allein der gefürchtete Mohr kam nicht zum Vorschein. Indes bemerkte ich an den Schiffsknechten Unruhe und Bestürzung. Es standen bald da, bald dort zwei oder drei mit bedenklichen Mienen beisammen, redeten heimlich miteinander, zuckten die Achseln und schüttelten die Köpfe. Ich wußte nicht, was dies zu bedeuten habe; doch fiel ein Strahl von Hoffnung in mein Herz. Endlich vernahm ich, der Schiffsherr sei plötzlich von einem heftigen Fieber ergriffen worden und es stehe mit ihm sehr schlimm. Wirklich sah er auch die Sonne nicht mehr aufgehen; nach einigen Stunden war er eine Leiche. Ich betrachtete diesen schnellen Tod als eine augenscheinliche Strafe seiner schlechten Gesinnungen und dankte Gott für meine Errettung.
»Die Schiffsknechte schienen über den Verlust ihres Herrn sehr bestürzt und höchst aufgebracht über mich. Sie nannten mich die Urheberin seiner Pein und seines Todes. Sie traten zusammen, hielten Rat und beschlossen, mich in die Sklaverei zu verkaufen. »So,« sagten sie, »können wir den Tod unseres armen Herrn am besten rächen; das erlöste Geld aber wird das sicherste Mittel sein, uns in unsrer großen Betrübnis zu trösten.« Sie hielten es indes nicht für ratsam, mich in die Seestadt hinein zu bringen, wohin ihr verstorbener Herr hatte segeln wollen und wo sie und ihr Herr zu Hause waren. Sie fuhren einer andern Seestadt zu, wo sie keine Nachfrage zu fürchten hatten, wie sie zu dem Rechte gelangten, mich auf ihre eigene Rechnung als Sklavin zu verkaufen. Wir kamen in dieser Seestadt an, und die Schiffsknechte boten mich auf dem Sklavenmarkte für eine ansehnliche Summe Geldes zum Verkaufe aus. Ein Sklavenhändler befragte mich, was ich alles gelernt habe, um hiernach, wie er sagte, zu beurteilen, ob die Ware auch des Kaufpreises wert sei. Ich war von meiner zarten Jugend an in allen jenen weiblichen Arbeiten unterrichtet worden, die von einer Römerin edler Abkunft gefordert werden. Ich nannte diese Künste; denn ich glaubte mit Recht, sie könnten dazu beitragen, mein hartes Schicksal zu mildern. Der Sklavenhändler hatte, wie ich nachher erfuhr, von einem reichen Handelshause Bestellung, eine Sklavin, die in diesen Arbeiten vorzüglich geschickt sei, ausfindig zu machen. Er sprach daher: »Wenn alles so ist, wie du sagst, so bist du den geforderten Preis wert; sollte es sich aber nicht so finden, so drehe ich dir den Hals um. Willst du es auf diese Gefahr hin wagen?« Ich blieb auf meiner Aussage. Er zahlte nun den geldgierigen Schiffern das verlangte Geld auf ein Brett hin; sie aber strichen es hocherfreut ein und kehrten damit auf das Schiff zurück. Der Sklavenhändler brachte mich auf ein kleines Zimmer, begegnete mir nicht ohne Achtung und ließ mir nichts abgehen, denn er schien mit seinem Handel sehr zufrieden. Nach wenigen Tagen ging ein Zug Kamele, alle schwer mit Waren beladen, ab; auch ich, die gleich anderm Kaufmannsgut auf der Liste stand, wurde auf ein Kamel gesetzt und hierhergebracht in diese Stadt. Der Kaufmann, für den die ganze Ladung bestimmt war, kam, sobald die Kamele vor seinem Hause hielten, eilig heraus, las den Brief des Sklavenhändlers, schüttelte den Kopf und machte ein sehr grämliches Gesicht. Er fand den Geldpreis, den man für mich forderte, zu hoch, wirklich hatte auch der Sklavenhändler, wie ich später hörte, dreimal mehr angesetzt, als er für mich ausgelegt hatte. Der Kaufmann rief indes einen Handlungsdiener und sprach zu ihm: »Sage meiner Frau, sie soll diese Sklavin wohl prüfen. wenn die angegebenen Geschicklichkeiten sich wirklich vorfinden sollten, so ließe sich das Geld mit einigen Prozenten Gewinn noch immer herausschlagen; widrigenfalls aber schicke ich diese teure Ware mit den Kamelen wieder zurück.«
»Er wandte sich verdrießlich von mir ab und ging, die übrige Ladung der Kamele zu mustern. Der Handlungsdiener aber führte mich in ein sehr prächtiges Zimmer. Die Ehegattin des Kaufmanns saß auf einem zierlichen Kanapee, und auf dem Tische vor ihr lag eine Menge kostbarer Perlen, aus denen sie die schönsten und größten sorgfältig auslas und an goldene Schnüre faßte. Sie war eine Frau von sanfter, einnehmender Gesichtsbildung; ungeachtet der Pracht um sie her war sie sehr einfach gekleidet und voll Demut und Bescheidenheit. Sie schien über meinen Anblick verwundert, betrachtete mich eine Weile mit wehmütigen Blicken und tat mit sanfter Stimme einige Fragen an mich. Ich gewann im ersten Augenblick Zutrauen zu ihr, beantwortete alle ihre Fragen ohne Bedenken und verhehlte ihr nicht das geringste von der Wahrheit. Allein, ehe ich ausgeredet hatte, stand sie schnell auf, eilte mit offenen Armen auf mich zu, fiel mir um den Hals, benetzte mein Angesicht mit Tränen und nannte mich ihre geliebte Schwester. Ich war anfangs darüber sehr erstaunt, aber mein Erstaunen verwandelte sich bald in eine große Freude. Sie war, wiewohl gegen den Willen ihres Mannes, eine Christin und hatte, da sie aus meinen Reden vernommen, daß auch ich eine Christin sei, mich deshalb Schwester genannt. »O schon lange,« sprach sie, »habe ich zum Herrn gefleht, mir eine christliche Freundin zu senden, deren ich in meiner Lage sehr nötig habe! Endlich hat er – ihm sei Lob, Preis und Ehre – mein Flehen erhört!«
»Sie hieß mich nun neben sich auf das Kanapee sitzen und bat mich, ihr meine Geschichte ausführlich zu erzählen. Ich tat es und sie hörte mir unter vielen Tränen aufmerksam zu. Eine unbeschreibliche Freude bezeigte sie über die wunderbare Weise, wie Gott dich, liebster Gemahl, und auch mich zum Christentume berufen hatte. »Meinen guten Eltern und mir,« sprach sie, »ward das Evangelium schon vor mehreren Jahren gepredigt, und mein Vater, meine Mutter und ich wurden an einem Tage getauft. Da meine Eltern mit Purpur handelten, so ließen sie mir, zum Andenken an jene Purpurhändlerin, die durch Paulus zum Glauben an Christus gekommen, den Namen Lydia geben. Ich war damals beinahe schon ein Jahr verheiratet, und meine Eltern hatten dieses Haus hier und einen großen Teil der Handlung mir und meinem Manne überlassen. Mein Mann befand sich aber damals, als wir getauft wurden, eben auf einer großen Geschäftsreise. Als er zurückkam und hörte, wir seien Christen geworden, erschrak er sehr. »Ach,« sagte er, »wißt ihr denn nicht, wie schrecklich die Christen überall verfolgt werden? Ich habe auf meiner Reise viele auf eine bedauernswürdige Art hinrichten sehen. Auch wir stehen nun in Gefahr, unser ganzes Vermögen zu verlieren und noch dazu das Leben.« Er machte uns indes Hoffnung, sich selbst taufen zu lassen – wenn es einmal ohne Gefahr geschehen könne.«
»Nicht lange nachher starb mein Vater. Mein Mann, der nun die ganze Handlung allein zu führen hatte, entschuldigte sich jetzt immer, daß seine überhäuften Geschäfte ihm keine Zeit übrig ließen, über die christliche Religion nachzudenken. Ach, er war nur darauf bedacht, sich Schätze für diese Erde zu sammeln; allein um einen Schatz im Himmel war er unbekümmert. Als nun auch hier in der Stadt die Verfolgung der Christen ausbrach und einige auf eine schauerliche Art zu Tode gefoltert wurden, war er vor Schrecken fast außer sich. Er zitterte, wenn meine Mutter oder ich den Namen Christus nur nannten. Er verbot es uns aufs strengste, dem Gottesdienste der Christen, den sie heimlich noch hie und da hielten, beizuwohnen; ja er gab es nicht einmal zu, daß wir die christlichen Frauen in der Stadt besuchten oder Besuche von ihnen annahmen. Meine Mutter und ich waren darüber sehr betrübt und weinten im stillen oft heiße Tränen. Vor drei Monaten ward nun diese meine Mutter von Christus dem Herrn auch heimgerufen in unser himmlisches Vaterland und ließ mich allein und von allen christlichen Freunden und Freundinnen getrennt, in tiefer Betrübnis zurück. Und du kannst dir nun,« sagte sie unter einem Strome von Tränen, »wohl denken, welch ein Trost es mir sein muß, in dir eine christliche Schwester zu finden. Zwar vor der Welt und vor meinem Manne muß ich deine gebietende Frau und du mußt meine Sklavin bleiben. Allein unter vier Augen sind wir Schwestern; ja ich gebe dir, als einer weiseren christlichen Freundin, willig den Vorzug.« Die Frau stellte mir nun ihre Kinder, zwei kleine, liebliche Mädchen, vor und zeigte mir auch ihr kleinstes, ein schönes Knäblein, das noch in der Wiege lag. »Diese meine Kinder mußt du mir dem Himmel erziehen helfen,« sprach sie. »Diese Perlen sind mir köstlicher, als jene Perlen dort auf dem Tische und als alle Schätze meines Mannes.«
»Sie redete hierauf mit mir von den Kunstarbeiten, wegen deren ihr Mann mich gekauft hatte. Ihr vorzüglichstes Geschäft, außer der Aufsicht über die Haushaltung, war, Purpur, Byssus und kostbaren Schmuck für Frauen zu prüfen, zu ordnen und zum Verkaufe herzurichten; auch mußte sie den Sklavinnen, die unausgesetzt bunte Zeuge woben oder in Gold und Seide stickten, die Muster und Zeichnungen vorlegen und fleißig nachsehen, ob die Arbeiten genau und richtig ausgeführt würden. Sie holte mehrere Zeichnungen zu Stickereien herbei und ließ mir die Wahl, was für eine ich in Arbeit nehmen wolle. Ich wählte diejenige, die mir am meisten gefiel, die aber auch die schwerste war. Sie sollte mit Gold und Purpur gestickt werden. Ach, ich hatte nie gedacht, mit einer Kunst, die ich nur zu meinem Vergnügen trieb, mir noch einst das tägliche Brot verdienen zu müssen. Indes fand ich, daß es sehr gut ist, wenn man in der Jugend etwas gelernt hat. Als der Kaufmann nach einigen Stunden kam, um zu sehen, wie meine Probearbeit ausfalle, war er mit meiner Geschicklichkeit und noch besonders mit meiner Schnelligkeit im Arbeiten höchst zufrieden und erteilte mir einen Lobspruch, der in seinem Munde nicht wenig sagen wollte. »Nun,« sprach er, »das viele Geld, das ich für dich auslegen muß, ist nicht weggeworfen.«
»Ich mußte aber nunmehr von morgens früh bis spät in die Nacht unaufhörlich arbeiten und fing an, von dem blendenden Glanze des Purpurs und Goldes an den Augen zu leiden. Lydia bat ihren Mann lange vergebens, mir des Tages einige Freistunden zu schenken. Indes nahm sie mich einmal in den Garten. Einige fremde Gewächse hatten ein sehr dürftiges Aussehen. Ich sagte ihr, wie man sie behandeln müsse und wie man überhaupt den ganzen Garten, der zu überladen war, sehr verschönern und dabei noch vieles ersparen könnte. Lydia erzählte dies sogleich ihrem Manne und wußte es dahin zu bringen, daß er mir die Aufsicht über den Garten übertrug. »Die Stunden,« sagte er, »die sie darauf verwendet, sind dann doch nicht ganz verloren und kommen uns wieder zugut.« Ich nahm mich des Gartens an, verpflegte die fremden Gewächse, und sie erholten sich bald und gediehen herrlich. Auch die vorgeschlagene Veränderung im Garten wurde vorgenommen und fand bei allen Fremden und Handelsfreunden, die den Garten besuchten, den vollkommensten Beifall. »Was gut ins Auge fällt,« sagte der Kaufmann, »und nicht viel kostet, ist immer das Beste. Die Sklavin Theopista mag den Garten ferner besorgen.« Die zwei oder drei Stunden, die ich nun mit Lydia täglich im Garten zubringen durfte, waren meine einzige Erholung.
»Der schlaue Kaufherr hatte bald entdeckt, daß ich eine Christin sei. Er ließ sich aber nichts davon merken. Nur sagte er zuzeiten: »Die Christensklaven sind die treuesten, die willigsten, die fleißigsten von allen; allein für den Kaufmann sind sie doch eine gefährliche Ware. Denn wenn sie nun den wilden Tieren vorgeworfen oder verbrannt werden, wer ersetzt ihm das Kapital, das er für sie auslegte?« Lydia hoffte indes immer, er werde sich noch zum Christentume bekehren. »Ach,« sagte sie öfter, »dann wäre unsere Ehe erst vollkommen glücklich; dann würde unser Haus eine Wohnung des Himmels werden.« Einst ward Lydia gefährlich krank; alle im Hause, sowie sie selbst glaubte, sie werde sterben. Da ließ sie ihren Mann bitten, an ihr Sterbebett zu kommen. Dies fiel ihm sehr schwer; denn er hat, wie alle bloß irdisch gesinnten Menschen, eine ganz entsetzliche Furcht vor dem Tode. Indes kam er und trat scheu und mit allen Zeichen des Schreckens an ihr Bett. Er war nicht wenig erstaunt, sie so heiter und fröhlich zu sehen. Er konnte gar nicht begreifen, daß sie den Tod für etwas Erfreuliches ansehen könne. Er bezeigte ihr seine Verwunderung. Sie aber sprach: »O liebster Mann! Meine Freudigkeit im Tode kommt daher, daß ich eine Christin bin. Ach, wie sehr wünschte ich, daß auch du ein Christ sein möchtest! Was wir von Gütern dieser Welt haben, muß ich jetzt verlassen, und du mußt es einst, vielleicht bald, auch verlassen. Ich weiß gewiß, daß in jener Welt bessere Schätze auf mich warten; möchtest du dir diese Überzeugung, zu der jeder Mensch durch Glauben an Christus, durch Sinnesänderung und wahre Buße gelangen kann, doch auch verschaffen! Ich bitte dich, tu es doch!«
»Und dann noch eine Bitte!« sprach sie, indem sie auf ihre drei Kinder blickte, die weinend und schluchzend an ihrem Bette standen. »Diese unsere Kinder habe ich bisher, während du in deinem Arbeitszimmer oder in deinen Warengewölben beschäftigt warst, im Glauben der Christen erzogen. Ich weiß es, dieser Glaube ist das kostbarste Kleinod, das ich ihnen hinterlassen kann. Ach, suche es ihnen nicht zu nehmen! Theopista, meine Freundin, ist eine Christin, wie ich. Sie war immer die zweite Mutter meiner Kinder und wird es auch ferner sein. Laß ihnen, da ich jetzt dahinscheide, diese ihre treue Erzieherin. O, versprich mir dieses, und ich sterbe freudig!« Ihre Heiterkeit, ihre Ruhe, ihre liebevolle Besorgnis für ihre Kinder machten großen Eindruck auf den Mann. Er versprach, ihre letzte Bitte zu erfüllen, und schied weinend von ihr. Der Eindruck aber, den ihr Anblick und ihre Reden auf den Mann gemacht hatten, erlosch nie mehr ganz in seinem Herzen. Er schien nun dem Christentume geneigter; er hörte öfter zu, wenn Lydia und ich davon redeten. Und als nun durch die Gnade des Kaisers die Verfolgungen der Christen in unserer Stadt aufhörten, gestattete er sogar, daß Lydia den christlichen Gottesdienst besuchen und daß ich sie begleiten durfte, was uns beiden große Freude machte.
»Von dieser Zeit an, da die Verfolgung der Christen eingestellt wurde, ging in unserer ganzen Stadt eine bedeutende Veränderung vor. Eine große Anzahl Männer und Frauen, worunter mehrere sehr angesehene waren, bekannten sich nun öffentlich zum Christentume; eine noch größere Zahl fing an, durch dieses Beispiel erweckt, die Lehrer der Christen zu hören und wurde auch gläubig. Ihre Bekehrung blieb auch nicht ohne Früchte und brachte großen Segen über unsere Stadt. Unter anderm wurden nun die armen, geplagten Sklaven, sie mochten Christen sein oder nicht, menschlicher behandelt. Ja, mehrere Kaufleute und vermögliche Gutsbesitzer schenkten ihren christlichen Sklaven die Freiheit. Allein dazu war unser Kaufherr, so sehr ihn auch Lydia darum bat, wenigstens mich freizulassen, noch nicht zu bewegen. Er versprach es zwar öfter, verschob es aber immer von einer Zeit auf die andere. Durch all ihr Bitten konnte sie ihn nicht einmal dahin bringen, daß ich die Sklavenkleidung ablegen und mich ihr ähnlich kleiden dürfe. Er scheint zu fürchten, wenn ich nicht durch mein Kleid als Sklavin bezeichnet wäre, könnte ich leicht entfliehen und ihm könnte so der Gewinn von meinen Arbeiten entgehen. Auch hat er sich noch nicht taufen lassen. Immer hat er zuvor noch ein wichtiges Handelsgeschäft zu beendigen, und ehe er dieses zu Ende gebracht hat, sieht er sich schon wieder in ein anderes, noch wichtigeres verwickelt. So schwer ist es, nach dem Ausspruche des Erlösers, für einen geldgierigen Reichen, in das Himmelreich einzugehen. Obwohl mir übrigens die Kargheit des Mannes manche trübe Stunde machte, so habe ich der Freundschaft der edlen Lydia doch unzählige frohe Stunden zu danken. Nur dem Anscheine nach war ich in ihrem Hause eine Sklavin, die das Los der Dienstbarkeit beschwert; in der Tat aber lebte ich zufrieden in dem Herrn und nicht ohne Segen für meine Mitmenschen!«
Als Theopista ihre Erzählung geendet hatte, erzählte nun auch Eustachius die merkwürdigsten Begebenheiten seines Lebens und sprach hierauf: »Unsere Geschichte, liebste Gemahlin, und die Geschichte unserer Söhne ist ganz ein Werk der göttlichen Vorsehung, der Erbarmungen Gottes!
»Wie klar erkenne ich jetzt die Führungen Gottes in unserem Leben, die mir vorhin so dunkel waren! Dort in der Wildnis tröstete ich mich zum Beispiel mit den Worten, daß derjenige, der auf Gott vertraut, den offenen Rachen des Löwen nicht zu fürchten habe, – und dennoch wurden meine beiden Söhne gleich darauf von einem Löwen und einem andern wilden Tiere geraubt! Das war mir unbegreiflich. Allein Gott hat mich selbst vor dem Löwenrachen geschützt, und hat er, was noch mehr ist, nicht meine Kinder doch noch aus dem Rachen der wilden Tiere wunderbar errettet? Und hatte Gott, indem er mir sie rauben ließ, nicht dabei, so wie bei allem, was uns begegnete, die weisesten und liebevollsten Absichten? Ach, wenn wir im ruhigen Besitze unserer Reichtümer und in unserer Verbindung mit der großen Welt geblieben wären, wenn in unserem Hause, wie das früherhin geschah, immer eine vornehme Gesellschaft die andere verdrängt hätte, wenn sogar unsere Erholungen, zum Beispiel meine Jagden, wieder neue Erholungen nötig gemacht hätten – wie bald hätten wir in das alte Wesen zurücksinken und von wahren Christen nichts übrig behalten können? Auch die Erziehung der Kinder ist in einem reichen Hause, in dem die große Welt sozusagen zu Hause ist, vielen Gefahren ausgesetzt, und wir hätten unsere Söhne wohl nicht so gut, als wir es wünschten, erziehen können! Allein Gott fügte es anders und besser. Er entzog uns unsere Güter, unsere vornehmen Freunde, die Gunst des Kaisers, trennte uns voneinander und von unsern Kindern und überhäufte uns mit Leiden. Ich lenkte nun als fleißiger Bauersmann den Pflug und lernte aus Erfahrung, wie hart die Landleute ihr Stückchen Brot erwerben müssen. Einsamkeit und Entfernung vom Geräusche der Welt lehrten mich Gott und mich selbst erst recht erkennen; die göttliche Lehre Jesu wurzelte in meinem Innersten immer tiefer. Du, liebste Gemahlin, die einst von der Welt so sehr bewundert wurde, mußtest als Sklavin dich demütigen; solche Demütigungen aber sind ein Reinigungsfeuer, das uns von den Flecken der geheimsten Eitelkeit läutert. Auch unsere zwei Söhne wurden in eine Schule geführt, wo Beten und Arbeiten ihr beständiges und in der Tat sehr lobenswertes Geschäft war und wo sie vor den Gefahren der großen Welt bewahrt blieben.
»Unsere Leiden gereichten aber nicht nur uns, sondern auch andern zum Heile. Mir gelang es unter Gottes Beistand, die Landleute in jenem Felsentale zu einem guten, Gott gefälligen Volke zu bilden. Du, Theopista, wurdest dem Hause, in dem du lebtest, zum Segen. Auch unsere Söhne konnten, indem sie freiwillig Soldat wurden, ihren Wohltätern sich dankbar erzeigen; sie konnten, gesund und kraftvoll durch ihre ländliche Erziehung, in den Zeiten der Gefahr zur Rettung ihres Vaterlandes beitragen. Und alle unsere Leiden, die uns und andern zum Segen gereichten, wurden uns überdies noch durch die Seligkeit unseres Wiederfindens vergütet, wiewohl wir den größeren Lohn noch in dem Himmel zu erwarten haben.
»Jenes hellglänzende Kreuz, das ich einst im Walde erblickte, gewinnt für uns eine neue, schöne Bedeutung. Es ward mir zwar dadurch zuerst angedeutet, wie das Kreuz, das vorher ein Zeichen der Schmach und des Fluches war, durch das Leiden und den Tod des Erlösers das Zeichen seiner Verherrlichung und unseres Heiles wurde. Allein jenes hellglänzende Kreuz deutete wohl auch darauf, daß auch unsere Leiden, die wir nach dem Worte des Erlösers als ein Kreuz auf uns nehmen sollen, zu unserem Heile und zu unserer Verherrlichung dienen müssen. Jedes Kreuz, das uns drückt, so schmachvoll und schmerzlich es uns auch drücken mag, wird uns dereinst zur Ehre gereichen und uns in einem so herrlichen Lichte erscheinen, wir mir jenes Kreuz im Walde, das von den Strahlen des Himmels umgeben war.«
Seine Gemahlin und seine Söhne gaben ihm recht, freuten sich der überstandenen Leiden und lobten Gott, der durch Nacht zum Licht, durch Leiden zur Freude und durch Kreuz zum Heile führt.
Indes war es Nacht geworden. Der Mond glänzte am Himmel und erleuchtete die nächtliche Gegend. Alles war still; nur der nahe Bach, auf dem das Mondlicht mit zitternden Funken spielte, rauschte leise. Der Duft der Blumen stieg aus den umliegenden Gärten wie Weihrauch empor. Die Gefühle des Dankes und der Anbetung aber, wovon diese vier edlen Herzen durchdrungen waren, erhoben sich noch lieblicher zum Himmel.
Jetzt stand Eustachius auf. »Es ist spät geworden,« sprach er; »mein Amt ruft mich, noch die Meldungen vom Heere zu vernehmen und Befehle auf morgen zu erteilen. Ihr, meine geliebten Söhne, begleitet nun eure Mutter zurück in ihre Wohnung; denn man möchte über ihre Abwesenheit unruhig werden. Morgen früh werde ich dich, liebste Gemahlin, in deiner Wohnung besuchen, dich von dem Kaufmanne aus der Sklaverei loskaufen und deiner gütigen Freundin Lydia meinen Dank bezeigen.«