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Nachdem das Schiff, auf dem sich Theopista, das Liebste und Teuerste befand, das Eustachius und seine Kinder in dieser Welt hatten, verschwunden war, setzte Eustachius sich unter einen überhängenden Felsen, um da zu übernachten. Seine zwei Söhnchen lagerten sich zu beiden Seiten und schlummerten, nachdem sie sich ausgeweint hatten, endlich ein. Die Augen des tiefbetrübten Vaters aber konnten keinen Schlaf finden. Den Verlust seiner zeitlichen Güter hatte er mit Gleichmut ertragen; er achtete ihrer kaum. Allein der Jammer, daß seine Theopista, mit der er durch die heiligsten Bande verbunden, mit der er ein Herz und eine Seele war, ihm entrissen worden; daß sie, die liebenswürdigste der Frauen, sich in der Gewalt eines rohen Heiden ohne Gottesfurcht und menschliche Sitten befand, das zerriß ihm das Herz.
Doch faßte er sich, blickte zu den Sternen empor, die jetzt nach und nach sichtbar wurden, und sein starrer Schmerz taute zu Tränen auf. »Gott,« sprach er, »du liebevoller Vater der Menschen! Alles, was du tust, ist gut, so schrecklich es uns auch vorkommen mag. Ohne dein Wissen und gegen deinen Willen hätte mir auch mein liebes Weib, meine Theopista, nicht können geraubt werden. Obwohl sie in der Gewalt eines Räubers ist, so ist sie doch in deiner Hand. Du wirst sie beschützen und bewahren. Ja diese Prüfung wird ihre Tugend erhöhen, wie jetzt die finstere Nacht den Glanz der Sterne. Und so weit sie jetzt von mir und ihren lieben Kindern entfernt ist, und so lange diese Trennung auch dauern mag – ein Tag muß doch kommen, der uns hier auf Erden oder dort über den Sternen wieder vereinigt.«
Es wurde nunmehr vollkommen Nacht. Ein heftiger Wind erhob sich und von Zeit zu Zeit schlugen die brausenden Meereswogen am Ufer hoch empor. Auf den Felsen umher erschallte das Gekreische nächtlicher Raubvögel. Aus der Ferne vernahm Eustachius das donnernde Gebrüll der Löwen, allein Eustachius entsetzte sich nicht. »Wer dir vertraut, o Herr,« sprach er, »fürchtet sich nicht vor dem offenen Rachen der Löwen und wandelt mutig über Schlangen und Nattern. Wie diese Kinder hier neben mir, ihrem Vater, ruhig schlafen und von allen Gefahren nichts merken, so will ich, wiewohl ich die Gefahr wohl einsehe, im Vertrauen auf dich ruhig sein!« Im Vertrauen auf Gott achtete er nicht der Schrecknisse dieser Nacht; unter Gottes Schutze ging sie ihm, obgleich schlaflos, doch ruhig vorüber.
Endlich brach der Tag an. Die Wärme der aufgegangenen Sonne erweckte die Kinder. Sie blickten ihren Vater an, schauten um sich, und ihre erste Frage war nach ihrer Mutter. Sie fingen aufs neue an schmerzlich zu weinen. Der Vater tröstete die holden Knaben. Aber indem er sie, die guten Kinder, die nun keine Mutter mehr hatten, anblickte, brach ihm selber das Herz. »Gute Kinder,« dachte er, »ach, wie vieles habt ihr verloren! Gott stärke mich, daß ich euch den unersetzlichen Verlust der besten Mutter so viel als möglich ersetze!«
Die Traurigkeit der Kinder war nicht von Dauer; über eine kleine Weile fragten sie nach dem Frühstück. Der Vater blickte in der Gegend umher; allein da war nirgends ein Fruchtbaum oder ein Strauch mit Beeren. Er stieg auf einen Felsen, um besser um sich schauen zu können. Allein alles weit und breit war wüst und leer; nirgends eine menschliche Wohnung, oder auch nur eine Spur von einem angebauten Felde. Indes glaubte er in sehr weiter Ferne eine Reihe Bäume und Gebüsche zu sehen, die ihm den Lauf eines Flusses zu bezeichnen und längs dessen Ufer hin emporzuwachsen schienen. »Dorthin wollen wir wandern, meine geliebten Kinder,« sagte er; »dort scheint sich eine fruchtbare Gegend auszubreiten! Dorthin liegt Ägypten; dort werden wir vielleicht eure Mutter wiederfinden!« Er nahm den Weg jener Gegend zu und führte, da es in dem Sande nicht gut zu gehen war, an jeder Hand einen der Knaben. Zu einer Seite hatten sie beständig hoch emporragende Felsen, zur andern Seite das Meer. Die Sonne stieg immer höher, die Hitze wurde immer größer. Der Sandboden und die nahen Felsen schienen zu glühen und warfen die Sonnenstrahlen mit einer Gewalt zurück, daß die Augen davon geblendet wurden. Die armen Kinder verschmachteten beinahe vor Durst.
»Vater,« sagte Agapius, »führ' uns doch an das Meer hin und laß uns trinken! Dort ist ja Wasser genug!«
»Liebe Kinder,« sprach der Vater, »dieses Wasser kann man nicht trinken; es würde euren Durst nur vermehren und euch krank machen!«
»Ach,« rief Theopist, »das ist doch hart, so viel Wasser vor Augen zu sehen und dabei verdursten zu müssen.«
Die armen Knaben vermochten das Gehen nicht mehr. Der Vater trug bald den einen, bald den andern, bald alle beide auf den Armen. Er selbst konnte sich kaum mehr aufrecht erhalten.
Endlich, nachdem Mittag vorüber und die Hitze ganz unerträglich war, erreichten sie einige schattige Bäume und vernahmen das Rauschen eines nahen Flusses. Beide Knaben sanken sogleich unter dem nächsten Baum in das Gras nieder; der Vater setzte sich zu ihnen und sagte: »Wie ist es hier so kühl und lieblich! Wie tut dieses sanfte Grün den Augen so wohl! Welche große Wohltat Gottes, die mancher Mensch so gering achtet, ist der Schatten! Vielleicht habt ihr Gott in eurem Leben noch nicht dafür gedankt! O dankt ihm doch, meine lieben Kinder!«
Nachdem die Kinder sich ein wenig erholt und abgekühlt hatten, klagten sie aufs neue über Durst und Hunger. Auch dem Vater klebte die Zunge vor Durst beinahe an dem Gaumen. Er hieß die Knaben bleiben, stand auf und ging an den Fluß, um ihnen in seinem Helme Wasser zu holen.
Als er an den Fluß kam, flog plötzlich ein großer Wasservogel vor ihm auf. Eustachius sah nach und entdeckte zwischen dem Schilf ein Nest voll Eier, die größer als Enteneier und vollkommen frisch und genießbar waren. Er band diesen für ihn so kostbaren Fund vorsichtig in ein Tuch, schöpfte dann mit seinem Helme von dem klaren Wasser des Flusses, trank sich erst selbst satt, nahm dann noch den Helm voll mit sich und kehrte zu seinen Kindern zurück. Er breitete das weiße Tuch mit den Eiern auf den grünen Rasen aus, stellte den Helm mit dem klaren Wasser daneben und sagte freudig: »Seht, meine liebsten Kinder, wie gütig Gott uns in dieser Wildnis einen Tisch bereitet hat. Ohne diese nahrhafte Speise, ohne diesen erquickenden Trank müßten wir hier verhungern und verdursten! O laßt uns, ehe wir diese seine Gaben genießen, Herz und Augen zu ihm erheben!« Beide Knaben standen auf, falteten die kleinen Hände und beteten so andächtig, wie vielleicht noch nie ein Mensch, der sich zur reichsten Tafel niedersetzen wollte. Der Vater ließ die Kinder zuerst aus dem Helme trinken, öffnete dann mit einer Muschelschale, die er am Flusse gefunden hatte, ein Ei nach dem andern, und gab sie ihnen. Erst nachdem die Kinder satt waren, verzehrte der Vater die übrigen Eier. Die Knaben hatten die rohen Eier so schmackhaft und das Wasser so erquickend gefunden, daß sie beide versicherten, in ihrem Leben habe ihnen Speise und Trank nicht so gut geschmeckt. Sie beteten aber auch nach der kleinen Mahlzeit mit einer solchen Andacht, daß sie in ihrem Leben noch nie so andächtig gebetet hatten.
»Nun,« sprach der Vater, »legt euch hier in den Schatten nieder und schlaft ein wenig. Ich will indessen sehen, wo wir am sichersten über den Fluß kommen können. Denn hinüber müssen wir einmal, wenn wir nicht hier in dieser Wildnis verschmachten, sondern nach Ägypten kommen wollen.« Er brach einen starken Ast von dem Baume, richtete ihn, soviel es ohne Messer ging, zu einem Reisestab zu, dessen er sich im Notfalle auch anstatt der Waffen bedienen könnte, und ging. Er nahm die Gegend in Augenschein. Der Fluß brach mit großer Gewalt zwischen Wald und Felsen hervor. Das Wasser war sehr reißend, gegen die Mitte hin sehr tief, und der Grund voll glatter, schlüpfriger Steine, auf denen man fast keinen sichern Tritt tun konnte. An dem Flusse weiter hinauf zu gehen, wo man vielleicht hätte leichter hinüber kommen können, verwehrten ihm der dichte Wald und die steilen Felsen. Er kehrte zu seinen Söhnen zurück, weckte sie und sagte: »Nun kommt, meine lieben Kinder! Ich will es mit Gottes Beistand versuchen, euch über den Fluß zu tragen; allein einen nach dem andern.« Denn er fand es zu gefährlich, mit beiden beladen sich hinüber zu wagen. Er führte sie an den Fluß und sprach: »Du, Agapius, setze dich indessen hier am Ufer in den Schatten dieser Weide in das Gras. Du, Theopist, komm!« Er nahm ihn auf den Arm; in der Hand des andern Armes führte er den abgerissenen Baumast, teils um sich darauf zu stützen, teils um die Tiefe des Flusses damit zu untersuchen. Mit großer Anstrengung watete er durch das Wasser, das ihm in der Mitte des Stromes bis an die Brust reichte und ihn fast bei jedem Tritte mit sich fort zu reißen drohte. Dennoch gelang es ihm, den Knaben glücklich hinüber zu bringen. Er dankte Gott, trocknete sich den Schweiß von der Stirne, ruhte einige Zeit aus und sagte dann: »Theopist, setze dich hier nieder; ich will nun deinen Bruder holen.« Er stieg wieder in das Wasser; allein als er sich mitten im Strome befand, hörte er den Agapius, den er abholen wollte, mit einemmal schrecklich schreien: »O Vater, hilf, hilf, ein wildes Tier! Ach es will mich zerreißen!« Eustachius schaute auf – und erblickte einen furchtbaren Löwen, der dem jammernden Kinde schon ganz nahe war. Der Vater drohte dem Tiere mit mächtiger Stimme und schwang den gewaltigen Baumast in der Rechten. Allein wie im Fluge ergriff der Löwe den schreienden und zappelnden Knaben und sprang, so schnell er konnte, mit ihm dem Walde zu. Welch ein Schreckensanblick war dies für den liebenden Vater! Er strengte alle Kräfte an, unverzüglich das Ufer zu erreichen. Er stieg ans Land, er verfolgte das Tier mit lautem Drohen und mit weit ausgeholten Schritten! Allein bald sah er nichts mehr von dem schrecklichen Raubtiere und dem geliebten Kinde; beide waren im Walde verschwunden. Wildverwachsene Gebüsche, Dornen und stachlichte Gewächse, die den Boden bedeckten, machten es ihm überall unmöglich, in den schauerlichen Wald tiefer einzudringen. Schwer aufatmend, mit klopfendem Herzen, vor Schrecken und Jammer fast außer sich, von Dornen und Stacheln verwundet, blieb er endlich stehen. Nur mit Hilfe des Baumastes hielt er sich noch aufrecht. »Ach,« seufzte er, »alle meine Mühe ist umsonst! Ich kann das Ungeheuer nicht mehr einholen; ich kann den holden Knaben dem Rachen des Löwen nicht mehr lebend entreißen! Ach, jetzt – jetzt wird er von dem grimmigen Tiere zerrissen, und vielleicht finde ich von meinem geliebten Agapius kaum mehr einige Gebeine! O du liebliches Kind, so mußtest du dein junges Leben, so früh und so schrecklich, unter den Zähnen eines Raubtieres enden, du holder Liebling meiner Seele!« – Er schaute lange mit starrenden Blicken sprachlos zum Himmel. Endlich sagte er: »Nun, Vater im Himmel, es war dein Wille, daß es so ging! Du weißt es, warum du es so geschehen ließest! Unergründlich und unerforschlich sind deine Ratschlüsse, aber immer weise und gut. Vielleicht wäre er – was noch viel entsetzlicher gewesen wäre, als einem wilden Tiere in den Rachen zu fallen – ein Raub der Verführung und des Lasters geworden! – O Gott! Wie Abraham seinen Isaak dir zu opfern bereit war, so will ich auch diesen meinen geliebten Sohn dir zum Opfer darbringen!«
Theopistus, der andere Knabe jenseits des Flusses, hatte es mit Entsetzen gesehen, wie das wilde Tier sein Brüderchen davontrug und hatte deshalb das kläglichste Jammergeschrei erhoben. Als er aber nun auch von seinem Vater, der sich weiter von dem Flusse entfernt hatte, vor den Gebüschen und Sträuchern nichts mehr sehen konnte, schrie er noch lauter: »O Vater, liebster Vater! Ach, wo bist du? O komm, komm doch und verlaß mich nicht!«
Der tiefbetrübte Vater kehrte mit matten Stritten zurück an den Fluß und rief dem Knaben von weitem zu: »Schweig, liebster Theopist! Sei ruhig! Sieh, da bin ich. Ich komme sogleich zu dir hinüber!« Allein welch neues Entsetzen! Kaum hatte der Vater den Fluß erreicht, so sah er, wie auf dem andern Ufer ein grimmiger Wolf, von dem Schreien des Knaben herbeigelockt, auf Theopistus zueilte. Der arme Kleine suchte zwar dem Untiere zu entrinnen. Er sprang aus allen Kräften längs dem Ufer hin. Der Vater drohte dem Wolfe mit lauter Stimme und geschwungenem Baumaste. Allein jetzt – jetzt erreichte der Wolf den Knaben, packte ihn mit den Zähnen, rannte mit ihm dem Walde zu und verschwand. Was das wunde Herz des guten Vaters bei diesem neuen Schlage empfand, läßt sich nicht aussprechen. Ihm, dem Helden, der in den furchtbarsten Schlachten, wo tausend Schwerter und Spiele ihm den Tod drohten, ohne Furcht dagestanden war, erstarrten beinahe Herz und Glieder! Er sprang zwar augenblicklich in den Strom, dem armen Kinde zu Hilfe zu kommen. Allein bis er, von der Hitze des Tages, von Schrecken und Kummer, von zweimaligem Übersetzen des Stromes bereits erschöpft, mit der letzten Anstrengung seiner Kräfte hinüber kam, hatte der Wolf längst den Wald erreicht, und es war nichts mehr von dem Kinde zu sehen!
Der bestürzte Vater sank, sobald er das Ufer erreicht hatte, kraftlos zu Boden. So viele und so schnell aufeinander folgende Unglücksfälle hatten ihn ganz darniedergedrückt. »Ach,« dachte er, als Schrecken und Jammer ihn wieder denken ließen, »so ist denn auch die letzte Hoffnung dahin, die letzte Stütze gebrochen, der künftige Trost meines Alters verschwunden! Ich bin meines geliebten Vaterlandes, aller meiner Freunde, meiner Gemahlin, meiner Kinder in wenigen Tagen beraubt! Ich gleiche einem Baume, dem alle seine Äste und Zweige abgehauen worden. Mein Schmerz ist noch größer als der Schmerz jenes frommen Patriarchen Jakob, der seine geliebte Rahel begraben hatte, und dem die Nachricht gebracht wurde, der Liebste seiner Söhne, Joseph, sei von einem wilden Tiere zerrissen worden. Jakob hatte noch mehrere Söhne; ihm blieb noch sein geliebter Benjamin! Allein mir ist auch noch mein geliebter Benjamin geraubt! Ich habe keinen Lohn, keine Tochter, keinen Freund, mich zu trösten! Ich kann wohl mit dem trauernden Jakob sagen: »Mir bleibt nichts übrig, als vor Jammer und Herzeleid zu meinen Söhnen hinabzusinken in das Grab!«
Er schwieg lange. »Ach,« sagte er über eine Weile, »wenn ich nicht so glücklich wäre, dich zu kennen, mein göttlicher Erlöser, und in dir ein so herrliches Vorbild der Geduld in den schrecklichsten Leiden zu erblicken, so würde ich es kurz machen – nach Art meiner Landsleute, der tapfern Römer; ich würde mich, wenn ich noch eins hätte, in mein Schwert stürzen, oder, was ich gar leicht könnte, in den nahen Fluß. Allein Christus lehrt uns anders. Wir dürfen den bittern Kelch, den uns der Vater im Himmel darreicht, nicht zurückweisen. Wir müssen im Leiden, wenn wir anders Christen sein wollen, mit Christus sprechen: »Vater, dein Wille, nicht der meine!« Es ist nun einmal so! Hier können wir dem bittern Reiche, dem Kreuz und Leiden nicht entgehen. Dort aber wartet, wenn wir anders standhaft im Leiden ausharren, auf uns die nie welkende Siegespalme und die nie vergängliche Krone!«
Eustachius ward etwas ruhiger; allein, indem er über die Begebenheiten dieser schrecklichen zwei Tage nachdachte, stiegen, gleich schwarzen Gewittern aus dem Meere, neue unermeßliche Qualen in seinem Innersten auf. Denn nicht nur durch äußerliche, sondern noch vielmehr durch innerliche Leiden sollte er geprüft und geläutert werden. »Wie,« rief er erschrocken und wie von einem plötzlichen Blitzstrahl getroffen, »bin ich an all dem Jammer nicht selbst schuld? Wo waren meine Sinne, daß ich mein liebes Weib einem ganz fremden Manne, jenem treulosen Mohren, anvertraute, aus dessen Gewalt ich sie nicht mehr erretten konnte? Habe ich sie ihm nicht gleichsam selbst ausgeliefert? O schrecklich, schrecklich! Und welche Unbesonnenheit, welche Gefühllosigkeit war es, daß ich meine lieben Kinder hier in dieser Wildnis, den guten Agapius an dem einen und den holden Theopistus an dem andern Ufer des Flusses, einsam und allein sitzen ließ? Ach, das Brüllen und das Geheul der wilden Tiere in der vergangenen Nacht hätten mir eine furchtbare Warnung sein sollen! habe ich die armen Kinder nicht gleichsam selbst den wilden Tieren vorgeworfen! Bin ich nicht ein liebloser Vater, ein Mörder, der Mörder meiner Kinder! Ach, wie blutrot die Sonne untergeht – als wollte sie, wiewohl sie stumm ist, mich anklagen – als riefe sie mir laut zu: Du selbst bist schuld an dem vergossenen Blute deiner Kinder!
»Doch, nein, nein,« sprach er jetzt ruhiger, »Lieblosigkeit, Grausamkeit war es nicht. Wiewohl ich es in meinem Leben nicht genug bereuen kann, das holde Weib dem größten Elende, die guten Kinder dem furchtbarsten Tode preisgegeben zu haben, so war es doch nur Unbedachtsamkeit. Über dennoch – welche bittere Empfindung ist die Reue! O wie muß es dem Menschen zumute sein, der vorsätzlich Böses getan und absichtlich andere unglücklich gemacht hat! Ach, was ist der Mensch, daß er bei dem besten willen solches Unheil anrichten kann? Wie nötig hat er, Gott täglich zu bitten, Gott wolle ihn erleuchten, leiten und regieren!
»Allein,« sprach er über eine Weile, »wenn es bei mir auch bloß Mangel an Überlegung war, ist es nicht schon strafbar, ohne Überlegung zu handeln? Ach, ich hätte es besser überlegen sollen! – Doch, es sei, wie es sei! Du, barmherziger Gott, bist meine einzige Zuflucht! Verzeih mir, was bei diesen schrecklichen Begebenheiten mein Versehen ist! Mache wieder gut, was ich verdorben habe! Leite du alles zum besten. Du nur kannst es und wirst es auch tun! Du sagtest ja durch deinen Apostel: »Denen, die Gott lieben, dient alles – also auch jedes versehen, jeder Fehler, den sie ernstlich bereuen – zu ihrem Besten!« Ach, wäre dies nicht, ich müßte verzweifeln!«
Er ward ruhiger – aber nur auf Augenblicke. Immer aufs neue quälten ihn die bittersten Vorwürfe. Er wußte nichts Besseres, als nicht mehr nachzusinnen – da es, wie er mit Recht dachte, doch nichts mehr nütze – sondern anstatt des Nachsinnens und Grübelns nur immer zu beten. Er tat es; er flehte zu Gott um Trost, um Linderung seiner schweren Leiden. »Vater,« sprach er, »der du deinem geliebten Lohne einen Engel vom Himmel gesandt hast, ihn zu trösten – ach, sieh, auch meine Seele ist betrübt bis zum Tod! Ach, laß mich nicht ohne Trost bleiben!« Es kam nun zwar kein Trostengel – allein Gott sandte ihm ein anderes Linderungsmittel, das schon oft die Unglücklichsten ihre Leiden vergessen machte, ja sie wohl gar auf einige Zeit in die glücklichsten Umstände versetzte. Gott sandte ihm einen sanften Schlaf, und wunderbare Traumbilder erheiterten seine trauernde Seele. Ihm träumte, er wandere durch einen dunkeln Wald; allein Plötzlich war das tiefe Dunkel von goldenen Sonnenstrahlen erleuchtet; der kleine Agapius saß unversehrt und ruhig zwischen Gras und Blumen, lächelte ihm heiter entgegen und der Löwe entfloh scheu und in wilder Eile; eine andere Gegend des Waldes erschien jetzt im Glanze der Sonne; Theopistus stand da, zeigte auf den Wolf, der tot auf den Boden hingestreckt lag, und blickte dankbar zum Himmel. Eustachius erwachte; allein bald schlief er zum zweiten Male ein und erblickte im Traume seine beiden Söhne als schöne, blühende Jünglinge von hoher, edler Gestalt; sie waren als römische Krieger gekleidet und ihre schimmernden Helme waren mit grünen Lorbeerzweigen geschmückt. Er machte abermals auf, entschlief zum dritten Male, und sieh, nun erblickte er auch seine Gemahlin! Sie führte voll himmlischen Entzückens ihm seine beiden Söhne entgegen – und die lebhafteste Freude erfüllte sein Herz.