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Die beiden Hauptleute näherten sich dem Palaste, in dem der Feldherr sein Hauptquartier hatte. Die hohen Marmorsäulen des Eingangs prangten noch mit den Gewinden von grünen Lorbeerzweigen und farbenreichen Blumen. Die Wachen traten hervor und begrüßten die zwei Hauptleute mit den geziemenden Ehrenbezeigungen. Theopista bemerkte dieses mit mütterlichem Wohlgefallen und folgte ihren Söhnen die marmorne Treppe hinauf in den hochgewölbten Vorsaal. Hier hieß sie Agapius ein wenig warten, ging mit ehrerbietigem Anstande in den Saal, in dem sich der Feldherr befand, kam aber sogleich wieder heraus und winkte ihr, hineinzugehen.
Theopista trat in den Saal, der mit kaiserlicher Pracht ausgeschmückt war. Die Wände glänzten von Gold und Marmor, und der Fußboden war mit farbigen Teppichen belegt. Eustachius stand in dem prächtigen Anzuge eines römischen Feldherrn nahe an einem der hohen Fenster, durch das die Abendsonne hereinstrahlte und seine edle Gestalt beleuchtete; neben ihm auf einem Tische, der mit Purpur bedeckt war, befand sich sein von Gold glänzender Helm mit dem prangenden Federbusche, der Befehlshaberstab von Elfenbein und mit Gold verziert und das Schwert mit dem goldenen Griffe.
Theopista blieb in demütiger Stellung, wie es einer Sklavin geziemt, nicht weit von der Türe stehen, wollte eben den Mund öffnen, um ihre Bitte vorzubringen – da erkannte sie in dem Feldherrn plötzlich ihren Gemahl Eustachius. Er kam ihr so jugendlich blühend vor, wie er einst an ihrem Brauttage als Bräutigam vor ihr gestanden. Sie erblaßte vor Überraschung und starrte ihn voll Erstaunens einige Augenblicke an. Dann eilte sie mit offenen Armen auf ihn zu – rief mit lauter Stimme: »O mein Gemahl!« – stand aber auf halbem Wege erschrocken still und ließ fast ohnmächtig die Arme sinken. Denn sie bemerkte, daß ihr Gemahl sie nicht mehr kenne. Wirklich blickte er sie auch höchst befremdet an, und sein ernstes Auge schien zu sagen: »Was soll das sein? Ist diese Sklavin, die man zu mir hereingewiesen hat, nicht bei Sinnen?« Denn da er seine Gemahlin schon seit vielen Jahren für tot hielt, so kam ihm auch nicht der leiseste Gedanke zu Sinn, diese Sklavin könnte seine geliebte Theopista sein. Indes ging er voll Mitleids zu ihr hin, um von dem traurigen Gemütszustand, in dem sie ihm zu sein schien, sich näher zu überzeugen.
Sie aber sprach: »Ach du edler, vortrefflicher Mann, so erkennst du mich denn nicht mehr! Zwar wundere ich mich nicht darüber; denn Zeit, Kummer und Leiden mögen meine Gestalt immerhin verändert haben. Allein höre mich, ehe du mich als eine Fremde zurückweisest, doch erst an! Ich kann dir, als Zeichen, wer ich sei, solche Geheimnisse angeben, die nur dir und mir bekannt sind und aus denen du zuverlässig erkennen wirst, wer ich sei. Das römische Kriegsheer nennt dich zwar Plazidus, allein der Name, mit dem die Christen dich nennen, und den du annahmst, als du dich zum Glauben der Christen bekehrtest, heißt Eustachius. Erinnere dich jenes hellglänzenden Kreuzes, das du im Walde über dem Geweihe eines Hirsches erblicktest – jenes Traumes, in dem Christus sich auch mir zu erkennen gab – jenes frommen Bischofes Johannes, von dem wir und unsere zwei kleinen Söhne in der Stille der Nacht getauft wurden. Ach, du mußt es wohl noch wissen, wie mir in der Taufe der Name Theopista, dem ältern unserer zwei holden Knaben der Name Agapius, dem jüngeren aber der Name Theopistus erteilt ward. Gedenke der vielen Trübsale, die nach der Weissagung des frommen Bischofes über uns gekommen, und die wir im Vertrauen auf Gott mutig und standhaft ertrugen; gedenke, wie unsere Herden umkamen, unsere Felder verödeten, unser Landhaus in ein Krankenhaus verwandelt und bald darauf von Räubern ausgeplündert wurde; gedenke unserer traurigen Flucht und jenes schrecklichen, herzzerreißenden Augenblickes, in dem ich auf dem Schiffe von dir und unsern lieben Kindern getrennt wurde! Ach, frage mich über die kleinsten Umstände dieser Begebenheiten, und ich will sie dir alle nennen! Frage mich sogar über die Worte, die du bei diesem oder jenem wichtigen Anlasse zu mir sagtest, die niemand hörte als ich, und ich will sie dir alle wiederholen; denn sie sind alle noch getreulich in meinem Gedächtnisse eingeschrieben. O gewiß, ich bin jene Theopista, deine Gemahlin, die weinend und jammernd, ja fast entseelt von jenem unmenschlichen Mohren dir aus den Armen gerissen worden; seit dieser langen Zeit, von fast sechzehn Jahren bis zu dieser Stunde, habe ich mich immer nach dir gesehnt und meine Liebe und Treue dir unversehrt bewahrt, so wie ich sie dir bis in mein Grab bewahren werde! So gewiß du derjenige bist, dem nach Gottes weisesten Absichten alle jene widrigen Schicksale begegneten, so gewiß bin ich diejenige, die alle diese Schicksale mit dir teilte! Erkenne daher in mir deine getreue, liebevolle Gemahlin, mit der du, wiewohl nur wenige Jahre, in der glücklichsten Ehe gelebt, und ihr unzählige Beweise der zärtlichsten Liebe gegeben hast. Denn das würde ich ewig nicht glauben, daß du, den Gott jetzt mehr als je erhöhte und mit Glanz und Ruhm verherrlichte, mich, die er zu dem dunklen, verachteten Stande einer Sklavin erniedrigte, deshalb verschmähen und verstoßen könntest! Nein, nein, das kannst du nicht, liebster Gemahl, bester Eustachius! Ach, mein Herz war immer bei dir, solange wir auch getrennt waren. Ich kann die Freude, dich nach so langer Trennung wieder von Angesicht zu sehen, nicht aussprechen! Und gewiß muß dieser selige Augenblick, da Gott uns nach so vielen Prüfungen wunderbar wieder zusammenführt, auch für dich ein Augenblick des Himmels sein!«
Eustachius hatte seine Gemahlin, während sie sprach, aufmerksam betrachtet. Wiewohl sie in diesen erschütternden Augenblicken einer Ohnmacht nahe und ihr Angesicht blaß war wie eine Leiche, und ihre Sklaventracht sie noch mehr entstellte, so wurden dennoch ihre wohlbekannten Züge ihm nach und nach immer deutlicher und der gewohnte Klang ihrer lieblichen Stimme drang an sein Herz. Er erkannte sie. Eine eigene, wunderbare Empfindung durchschauerte ihn, als er seine geliebte Theopista, die er seit bald sechzehn Jahren für tot gehalten, jetzt lebend vor sich stehen sah. Das höchste Erstaunen, unnennbares Entzücken und das innigste Mitleiden erfüllten zugleich seine ganze Seele.
»Theopista,« rief er fast außer sich, »ja du bist es – du bist meine teure, meine innigst geliebte Gemahlin, deren Verlust mir bis diese Stunde unvergeßlich und unersetzlich geblieben! Ach, in was für bedauernswerte Umstände bist du geraten! Doch, Gott, der Allmächtige, sei gelobt und gepriesen, daß er dich mir wieder geschenkt hat! Aller Glanz und Ruhm, um den mich viele Tausende beneiden, ist nichts, gar nichts gegen die Seligkeit, dich wieder in meine Arme zu schließen.«
Er schloß sie in seine Arme und benetzte ihr Angesicht mit heißen Tränen. Auch sie weinte die seligsten Tränen. Beide vergaßen aller ihrer bisherigen Leiden. Nichts übertraf die Seligkeit, als der Dank und die Anbetung, womit sie, während sie sich umarmten, von Zeit zu Zeit zu dem Himmel aufblickten.