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9

Ein paar Minuten nur las das Obstfräulein Hilde Lüders. Dann fielen die Schatten von zwei Männern vom Eingang her auf die Blätter. Der eine, jung, untersetzt, lächelte angenehm überrascht. Sie sah es seinem bartlosen, humoristischen Gesichtsrund an, daß sie ihm auf den ersten Blick gefiel. Der andere, unauffällig, schnurrbärtig, mit ausdruckslosen Zügen, frug schnell und kurz:

»'Morgen, Fräulein! Eben war doch ein Chauffeur bei Ihnen im Laden?«

»Na wenn schon!« Hilde Luders strich sich unwirsch einen Wuschel aus der niederen Stirne.

»Was wollt' er denn?«

»Sonst geht's Ihrer Frau Großmutter gut?«

»Was heißt das?«

»Na – wenn Sie so neugierig sind, bin ich's auch!«

»Kriminalpolizei! Kommissar Dürisch!« Der Schnurrbärtige zog eine Blechmarke aus der Tasche und wies den preußischen Adler. »Keine Bange, Fräulein! Wir tun Ihnen nichts! Wir möchten bloß wissen, was der Chauffeur hier getan hat!«

»Quartier gemacht – für irgendein Mädel!«

»Aha! Schön!« Ein Blick des Einverständnisses von dem Kriminalkommissar zu seinem Begleiter, dem Stämmigen, Humoristischen. Der erwiderte ihn nicht, sondern schaute zerstreut und still befriedigt auf das schlanke, junge Obstfräulein. Der andere nickte.

»Danke, Fräulein! Erzählen Sie dem Chauffeur nicht, daß die Polizei nach ihm gefragt hat! Ich verlasse mich darauf! Verstanden! Adieu!«

Und draußen zu seinem Gefährten:

»Ich lasse die Fränze Häselich und ihren Freund, diesen merkwürdigen Chauffeur, heute nachmittag hier verhaften und inzwischen den Laden samt der Verkäuferin beobachten. Ob die die Hand mit im Spiel hat ...«

»Die da drinnen?« Der Schupo Peschke fuhr entrüstet und verklärt aus seinen Träumen auf. »Aber, Herr Kommissar! Für die leg' ich die Hand ins Feuer! Das ist doch ganz was Apartes! Was die für Augen hat! ... Ein ganz merkwürdiges Mädchen ...«

»Na – na – Peschke! Vergucken Sie sich nur nicht ...«

An der Bordschwelle gegenüber den gelbleuchtenden Obstkörben bremste eine Stunde später eine mächtige, himbeerrote Limousine. Der Lenker, die Sportkappe in der Stirne, in einem alten, ölfleckigen, bis zu den halben Waden reichenden Ledermantel, wollte aussteigen. Aber da trat das Obstfräulein schon schnell aus dem Laden an den Schlag, einen Hut auf dem jetzt manierlich frisierten, kurzen, braunen Haar, nett angezogen, eine Jacke über dem Arm.

»Die Tante hab' ich 'rumgekriegt!« meldete sie.

»Danke schön! Wenn ich Ihnen mal einen Gefallen erweisen kann ...«

»Das können Sie gleich!«

»Na bitte! Warum sind Sie denn so aufgeregt?«

»Ach – es ist nur: Ich möchte so rasend gern mal in so 'nem herrlichen Wagen fahren! Darf ich nicht ein Ende lang neben Ihnen sitzen? Die Tante ist jetzt im Geschäft!«

»Na – wenn ich Sie am Tiergarten absetzen kann ...« Der Chauffeur Werner nickte. »Da halt' ich Güntherstraße 3, ehe ich den Wagen draußen im Grunewald abliefere? Also in Gottes Namen 'rin in die Schatulle!«

Der himbeerfarbene Koloß wand sich brüllend durch Alt-Berlin, die Linden entlang, im Wagengewimmel dem Brandenburger Tor zu. Der junge Mann am Steuer lachte.

»Warum sitzen Sie denn so blaß und stumm da, Fräulein Hilde? Es passiert nischt!«

Lang – schnurgerade die Charlottenburger Chaussee. Ein lustiger Seitenblick aus sachlich aufmerksamen blauen Augen.

»Ich bin doch 'n abgebrühter Benzinonkel! Sie verderben sich ja mit der Angstmeierei das ganze Pläsier!«

»Ich bin doch nicht für's Pläsier mitgefahren!«

»... sondern?« Er beschrieb einen Bogen um die Elektrische.

»Nehmen Sie sich in acht!«

»Vor Ihnen?« Er nahm dem ratternden Riesen Gas.

»Hilde: mein Herz ist rein!«

»Ach – machen Sie keine Witze! ... Das ist ja so ernst ... Das ist ja gräulich ...«

»Was denn?«

Ein Schweigen nebenan. Nun näherten sie sich schon dem Großen Stern. Er bog links ein.

»Gleich sind wir da!« sagte er.

»Können Sie nicht mal halten?« Ihre Stimme zitterte. »Ich muß Sie was fragen!«

»Na – bitte!« Der Wagen stand auf dem einsamen Pflasterweg zur Lichtensteinbrücke. »Aber Hildchen – Kindchen – Sie machen ja ganz wildromantische Augen! Sie schlucksen ja vor Aufregung! 'raus damit!«

»Was – was haben Sie denn eigentlich ausgefressen?«

»Ich?« Der Schlosser Werner zeigte lachend die weißen Zähne.

»Mir können Sie's ja sagen!«

»Ja – was denn – Sie verdrehtes kleines Huhn?«

»Ich bin doch nicht so!« Hilde Lüders legte ihre fiebrigen Fingerspitzen auf den fleckigen rechten Lederärmel neben ihr. »Ich muck' doch selber auf – in mir – natürlich! ... Ich hab' furchtbar viel übrig für Leute, die sich nicht alles gefallen lassen ...«

»Vom Staatsanwalt?«

»Ja! Und von den Gerichten!«

»Kind – Sie sind klassisch!«

»Ich tat's auch nicht! Warum haben wir's schlecht und andere gut? Aber unsereiner ist zu schwach! Der muß sich ducken und auf sich 'rumtrampeln lassen! Um so mehr bewundere ich die, die's können ...«

»... und zu fremdem Eigentum sagen: Ei was!« Der Fahrer Werner entzündete sich belustigt eine Zigarette. »Fräulein Hilde: Sie erweisen mir zuviel Ehre! ... Ganz still begeistert guckt sie einen doch an ...«

»Da sind gewiß ganze Kerle darunter ...«

»Und was bin ich in Ihren Augen: Flatterfahrer? Leichenfledderer? Ringnepper?«

»Ach – auf so was kommt man doch bei Ihnen nicht!« sagte das Obstfräulein vorwurfsvoll.

»Also 'n ausgetragener schwerer Junge? Räuberromantik ...? Dabei wird dem Hildchen warm ums Herz – scheint's ...«

»Ach – ich darf ja nicht reden! Aber nehmen Sie sich in acht!«

»Ich glaube. Sie schmökern zuviel!« Der Fahrer Werner brachte den Wagen wieder in Gang.

»Die sind schon hinter Ihnen her! Die wissen, wer Sie sind!«

»Ein simpler Garagenschlosser! Kann jeder auf meiner Arbeitsstelle erfahren – und wenn Sie zehnmal geheimnisvoll den Kopf schütteln! Ich danke Ihnen für die übertrieben hohe Meinung, die Sie von mir hegen, Fräulein Hilde! Aber hier sind wir an der Güntherstraße! Da müssen Sie nun 'raus aus dem Vergnügen! Also auf Wiedersehen heute nachmittag!«


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