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»So? Meine Eltern sind übern Sonntag nach Groß-Kietz hinüber! Na – Elise – dann nehmen Sie sich wieder des kleinen Fräuleins an!« Der junge Mann schob der mißgünstig wortlosen, bebrillten Jungfer die Fränze Häselich wie eine willenlose Wachspuppe zu. »Nu pennen Sie mal ordentlich, Kind!« Er gab der Fränze die Hand. »Hu ... was für eiskalte Fingerchen! Na – morgen kieken Sie schon wieder munterer in dieses Jammertal! Gute Nacht!« Er drehte sich unruhig auf dem Absatz. »Machen Sie mal fix vorne hell, Leopold!«
Unter dem Knipsen des stillen, ältlichen Dieners leuchtete der schwere, schweigende Reichtum der Reihe von Gesellschaftsräumen auf. Werner Wiebeking durchschritt sie hastig, bis zum Ende der Zimmerflucht hinten, dem saalartigen Arbeitskabinett seines Vaters.
Auf der riesigen Schreibtischfläche stand zwischen Stößen von Drucksachen und Schriftstücken das Telephon. Er schlug das danebenliegende Adreßbuch auf, suchte halblaut: ›Dr. Gebhard Hüsgen. Grunewald. Westallee 17.‹ – wiederholte sich die Nummer, streckte die Hand nach dem Sprechtrichter, ließ sie halbwegs wieder unschlüssig sinken.
Er schüttelte mißmutig den Kopf und zog sich zögernd von dem Apparat zurück. Im Nebenzimmer stand vor ihm ein frischer, junger, gesunder Mann aus dem Volk, im Arbeitsanzug, die Kappe schief hinten auf dem rotblonden Stoppelkopf. Das war sein eigenes Ebenbild im Wandspiegel, der Monteur Karl Werner. Dahinter, an der Türe, stumm, besorgt, fast einen stillen Kummer auf den faltigen Zügen, der Diener des Hauses. Er mußte lachen.
»Mich mißbilligen Sie in dem Aufzug immer gründlich, Leopold! Weiß ich! Na – freuen Sie sich! Damit hat's nun geschnappt! Von jetzt ab wohn' ich wieder hier!«
»Das ist gut, daß der Herr Doktor endlich von Berlin O genug haben!«
»Nee! Der Osten hat mich 'rausgeschmissen! Glauben Sie nur nicht, daß die Menschenkinder dort duldsamer sind als hier bei uns! Nun richten Sie oben meine Zimmer, während ich bade, und legen Sie Wäsche und 'nen Anzug heraus!«
Da ist man also wieder das, was die Vorsehung nun einmal mit einem will ... Der Dr.-Ing. Wiebeking sah nach einer halben Stunde, auf der Schwelle zu dem väterlichen Arbeitskabinett, in dem großen Wandspiegel einen andern Doppelgänger als vorhin: einen mit vornehmster Unauffälligkeit gekleideten, modernen jungen Mann, dessen rauhe und rote Hände allein dem weltmännischen Schnitt des grauen Herbstanzugs widersprachen.
Er kämpfte mit sich. Er näherte sich vorsichtig, fast auf den Fußspitzen, wieder dem Fernsprecher auf dem Arbeitstisch des Vaters, prägte sich noch einmal aus dem Adreßbuch halblaut Amt und Nummer der Villa Hüsgen ein, drehte sich plötzlich wieder um und ging eiligen Schritts nach hinten.
»Na – schläft die Häselich schon?« frug er auf dem Gang zur Küche die Jungfer Elise. Und die würgte bleich unter ihrer Brille:
»Na die! Mir zittern ja noch die Beine ...«
»Vorhin haben wir sie glücklich zurückgebracht!« Nervöses Gesichtszucken begleitete die Worte des kriegsversehrten Portiers.
»Ich hab' ihr doch noch den Korb 'rinjetragen!« Die dicke, rote Köchin drängte sich vor. »Wird sie wohl ›Dank schön‹ sagen? Nichts als ›Huch! Laßt mich!‹ und in ihre Stube!«
»Da war sie nun 'ne Zeitlang mucksstill«, ergänzte die Elise, »... und wie ich nun denke, sie schläft, und schau' leise nach ...«
»... da rennt sie doch rasch wie 'ne Ratte mit bloßem Kopf an mir vorbei aus dem Haus, in der Richtung nach dem Kanal.« Auf dem schnurrbärtigen Gesicht des Portiers zuckte es noch heftiger. »Ich ihr nach ...«
»Ich mit ...« sprach leise und sorgenvoll der Diener.
»Will das Frauenzimmer ... will das Fräulein doch weiß Gott ins Wasser! Wir hätten sie nicht mehr eingeholt! Aber gebrüllt haben wir wie die Wilden! Gottlob – da haben sich ihr noch zwei Herren in den Weg gestellt! Nu konnten wir sie in Schutzhaft nehmen und wieder ins Haus zurückführen!«
»Jetzt sitzt sie in ihrer Stube und muckscht!« schloß die ältliche Elise. »Nichts aus ihr 'rauszukriegen!«
»Fränze!« Der Sohn des Hauses trat vor den Stuhl inmitten des kahlen Kämmerchens, auf dem die Kleine wild atmend und zerstrubelt hockte, die geballten Fäuste auf den Knieen. »Was sind nur das für blödsinnige Streiche? Ist denn das der Dank?«
»Fränze!« Er beugte sich nieder und schrie ihr ins Ohr. »Wachen Sie auf!«
»Fränze! Antworten Sie gefälligst!« Er schüttelte sie in seiner Ungeduld an der Schulter. Diese Handgreiflichkeit brachte sie zu sich. Das schien sie gewohnt. Sie hob das schmale, hübsche Gesicht aus dem dunklen Wirrhaar über den hellbraunen Augen. Werner Wiebeking bedeutete mit einem Kopfwink das hinter ihm gescharte Personal, das Zimmer zu räumen, und schloß die Türe. Nur die Jungfer Elise blieb zurück.
»Fränze: Ich will Ihnen jetzt nicht den Kopf waschen, wie sich's eigentlich gehörte. Sie sind vorläufig nicht in der Verfassung dazu. Aber in Ihrem eigenen Interesse beschwöre ich Sie: Seien Sie doch vernünftig! Bezwingen Sie doch diese kindische Angst! Sie sehen ja nur Gespenster! Sie stehen ja hier unter meinem Schutz!«
Ein leises Weinen.
»Und wenn Sie gar keinen Rat mehr wissen, Kind ...« Er streichelte ihren zerzausten Scheitel. »Dann kommen Sie gleich zu mir. Wenden Sie sich nur an das Fräulein Elise Die wird dafür sorgen, daß Sie mich jederzeit sprechen können, wenn Sie mich sprechen wollen! Nicht wahr, Elise?«
»Wie der Herr Doktor meinen ...« versetzte die kleine, ältliche Person knapp. Das Schluchzen der Fränze wurde heftiger. Werner Wiebeking klopfte sie ermunternd auf die nasse Backe.
»Also abgemacht, Fränze, nicht wahr? ... Aber Sie werden doch nicht ...«
»Doch!« Es klang erstickt. »Ihnen muß man die Hand küssen!«
»Geben Sie mir lieber die Hand, Kind! So – und nun schlafen Sie gut!«
Der Dr.-Ing. Wiebeking kehrte in die Vorderräume zurück. Auf der Schwelle zu dem Arbeitskabinett seines Vaters stutzte er. Da drinnen hantierten zwei fremde Männer.
»Nanu!« rief er mit starker Stimme und sprang in das Zimmer, auf die beiden zu. Aber neben denen hob, mit seinem gewohnten, ruhigen und sorglichen Gesicht, Leopold, der Diener, beschwichtigend die Hand.
»Es sind zwei Kassenboten aus dem Hauptgeschäft!« er flüsterte immer mehr als er sprach. »Herr Doktor kennen sie!«
»Natürlich! Der Schultz und da – der Teichgräber – entschuldigen Sie das Mißverständnis, meine Herren!«
»Bitte sehr, Herr Doktor!« Die beiden verbeugten sich ehrerbietig und stellten vorsichtig eine Anzahl halb mannshohe, steife Kartenrollen aufrecht auf den Teppich.
»Sie haben die Grundrisse vom Hauptgeschäft nicht früher bringen können, Herr Doktor«, erklärte der Diener. »Für die Besprechung übermorgen mit dem Herrn Architekten. In den Kassenschrank gehen sie nicht. Der Herr Geheimrat hat hinterlassen, man soll sie, wenn sie zu groß sind, einstweilen in die Ecke hier am Fenster stellen!«
»Na – dann tut das! Aber so schnell's geht – nicht wahr? Ich hab' nämlich nachher hier dringend zu telephonieren!«
Und diesmal griff Werner Wiebeking, allein geblieben, mit einem raschen Entschluß wirklich nach dem Hörer und ließ sich mit der Villa Hüsgen im Grunewald verbinden und frug mit schwankender Stimme:
»Bitte: Ist die gnädige Frau zu Hause?«
»Bei uns ist doch heute hier italienische Nacht!«
»Dann bestellen Sie doch: der Monteur Werner – nee – was rede ich denn da: der Dr.-Ing. Wiebeking ließe dringend bitten, ob er nicht die gnädige Frau einen Augenblick selber sprechen könnte!«
Er horchte. Er hörte sein Herzklopfen. Sein Gesicht verklärte sich.
»Gnädige Frau! Hier, am andern Ende, ist ein reuiger Sünder!«
»Und was wollen Sie noch?« Ganz leise, ganz von fern her, die weiche Stimme.
»... meiner Zerknirschung Luft machen – ich habe die ganze Zeit mit mir gerungen, ob ich so unverschämt sein soll, und mir endlich gedacht: Ach was – ich probier's, und frage mit gerungenen Händen, ob ich einmal bei Ihnen meine Aufwartung machen und verzweifelt um Verzeihung flehen darf?«
»Bereuen Sie denn auch wirklich ...?« sanft, zögernd, die Worte aus der Weite.
»Ach entsetzlich, gnädige Frau! ... Wenn ich Ihnen nur erklären dürfte, wie ich dazu kam! Schließlich hab' ich ja nicht geschwindelt! Ich war ja wirklich als Garagenfahrer zu Ihnen geschickt!«
»Ja – das mildert die Sache!« klang es leise durch den Draht.
»Wann darf ich kommen? ... Wann darf ich kommen?«
Drüben ein Schweigen.
»Gnädige Frau – haben Sie Mitleid!«
»Ich überlege nur ...« Wieder eine kleine Pause. Dann rascher die ferne Stimme: »Wir haben eben hier ein Gartenfest. Im Straßenanzug. Kommen Sie doch in Gottes Namen!«