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»Bitte nehmen Sie Platz, Herr Professor!«
Ilselott setzte sich dem Arzt gegenüber. Sie atmete schwer. Sie zerballte das Taschentuch zwischen den im Schoß gekrampften Händen. Der Besucher tat, als bemerkte er es nicht.
»Sie telefonierten mir gestern abend in meiner Abwesenheit, gnädige Frau«, sagte er ruhig, »ich möchte mich möglichst früh heute zu einer Konsultation bei Ihnen einfinden!«
»... und ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie gleich gekommen sind! Ich weiß ja, wie wahnsinnig Sie Ihre Praxis in Berlin in Anspruch nimmt!«
»Wenn es sich um einen Namen wie den Ihres Gatten handelt ...«
»Es handelt sich um meinen Mann ...«
»Ich kenne ihn leider nicht persönlich!« Das Antlitz des Arztes war glattrasierte, fünfzigjährige, menschenkundige Ruhe. »Sie sehen sehr blaß aus, gnädige Frau. Sind Sie um die Gesundheit Ihres Herrn Gemahls besorgt?«
»Sie sind eine Autorität in Nervensachen, Herr Professor! Und die Nerven meines Mannes sind total kaputt!«
»Überarbeitung?«
»Nein! Seine Sammelwut ...« Die junge Frau sprang verzweifelt auf. Sie wies verstört durch die weite Halle. »Diese Marmorstatuen und Madonnen und Mumien und Teppiche und Porzellane ...«
»Wunderbare Sachen ...«
»An denen krankt mein Mann!«
»In welcher Form?«
»An diesem blindwütigen Fanatismus, immer neu und wieder zu kaufen – um jeden Preis! Er schläft nicht mehr. Er fiebert! Er verfällt! Gestern hat er wieder eine direkt wahnsinnige Summe für ein Bild gezahlt ...«
»Ich las es heute früh in der Zeitung ...«
»Und seitdem flößt mir sein Zustand geradezu Schrecken ein! Schon den Tag über war er gestern mit den Nerven auseinander, wie ich ihn noch nie gesehen hab' ... Dann blieb er die halbe Nacht über außer Haus!«
»Wo war er denn?«
»Das sagt er nicht! Er ist auch sonst öfters eine Nacht in Geschäftsreisen für seine Sammlungen weg. Aber diesmal kam er zwischen zwei und drei Uhr morgens geradezu atemlos, wahnsinnig aufgeregt, ganz erschöpft wieder heim und preßte krampfhaft ein Päckchen Papiere an die Brust. Das streichelte er immer zärtlich wie ein kleines Kind und gab ihm gute Worte und lachte vor sich hin. Mir hat förmlich gegraut!«
»Was waren das für Schriftstücke?«
»Es schienen mir Briefe oder so was! Ich hab' es nicht erkennen können! Ich hatte die Nacht durch aufgesessen und auf ihn gewartet, ohne daß er es wußte. Wie er mich sah, steckte er das Bündel rasch in die Tasche, damit ich es nicht bemerken sollte, und lief in sein Zimmer und schloß sich gleich ein und antwortete auf nichts!«
»Und jetzt?«
»Heute morgen ... Ach – ich bin in Todesangst ... mal sitzt er und hält die Schläfen zwischen den Händen und starrt verzweifelt ins Leere und murmelt unhörbares Zeug vor sich hin. Dann auf einmal kichert er wieder und reibt sich die Hände und springt auf und läuft geschäftig im Zimmer herum und macht ein geheimnisvoll glückliches Gesicht – warum? – das geht über meinen Verstand!«
»Hm!«
»Dummerweise frug ich ihn, was das für so wichtige Papiere gewesen seien, daß er sie mitten in der Nacht habe holen müssen! Da geriet er in helle Wut und sprang auf und schrie mich an – ganz anders als sonst – sonst ist er immer sanft und freundlich zu mir – und kreischte, ob ich den Verstand verloren hätte? Das befürchte er schon seit längerer Zeit ...«
»So ... so ...«
»Und was das für eine fixe Idee von Briefen bei mir wäre? Es gäbe keine Briefe! Das bildete ich mir nur in meinem krankhaften Gemütszustand ein!«
»Sie, gnädige Frau, sind ganz gesund ... hm ... Und jetzt hat er sich wieder beruhigt?«
»Vorläufig ja! Nun ist auch noch zu allem Unheil vorgestern nacht hier bei uns im Haus auf rätselhafte Weise eingebrochen worden. Mein ganzer Schmuck ist verschwunden. Mein Mann weiß noch von nichts. Er wird sich entsetzlich aufregen! Ich wage gar nicht, es ihm noch so schonend beizubringen! Er erklärt mich womöglich gleich wieder für verrückt! ... Ach, Herr Professor ...«
»Na – Kopf hoch, gnädige Frau! Wir werden ja sehen! Ist Ihr Herr Gemahl in seinem Zimmer? Kann ich ihn möglichst unauffällig sehen und sprechen?«
»Ein Freund von mir hat mir Gott sei Dank vorhin am Telephon einen Rat gegeben: Ich sollte meinem Mann sagen, Sie hätten die Bitte ausgesprochen, seine Sammlungen zu besichtigen, von denen, besonders nach dem Triumph gestern in der Auktion, ganz Berlin spräche!«
»Eine sehr gute Idee von diesem Herrn!«
»Wie mein Mann ist, war er gleich Feuer und Flamme, als er das hörte! Er könne es gar nicht erwarten, sagt er, einer Berühmtheit wie Ihnen seine Sachen zu zeigen! Er führt Sie sicher selber überall herein!«
»Das gibt die beste Gelegenheit ...«
»Glauben Sie mir, es steht viel auf dem Spiel, Herr Professor! Nicht nur wegen der Gesundheit meines Mannes, sondern auch wegen seines Geldes. Er hat mich ja in seiner Art sehr lieb, wie seine Kunstschätze! Aber wenn er mit dem Ankauf von Kunstschätzen so weitermacht ... Er ist ja sehr reich ...«
»Hüsgenwerke! Der Name sagt in Deutschland genug!«
»... dann ruiniert er sich! Hoffentlich kann da Ihre ärztliche Kunst ihn seelisch beeinflussen! Kommen Sie, Herr Professor! Ich führe Sie hinauf!«
»Aber lassen Sie mich dann bitte mit ihm unter vier Augen, gnädige Frau!«
Ilselott Hüsgen kehrte allein in ihr kleines, altchinesisches Schreibzimmer zurück. Ihre Stimme schwankte am Sprachrohr des Telephons:
»Werner ... ich danke dir für den guten Rat! Eben ist der Professor gekommen! Es ist die höchste Zeit! Mein Mann ist in einer Verfassung ... ganz irre – Ich möchte geradezu heulen ...«
»Wie?« Sie weitete ihre großen, blauen Augen, das Ohr an der Muschel. »Heute nacht bei euch in der Bank ein Einbruch? Davon steht ja gar nichts heute morgen in der Zeitung!«
»Das kann noch nicht!« tönte es durch den Draht. »Die Geschichte stieg erst nach Mitternacht. Aber die ganze Stadt redet schon davon! Nein! Gestohlen worden kann nichts sein! Die ganze Bande wurde ja mitten in der Arbeit festgenommen! Die Polizei hat das sehr nett gedeichselt!«
»Gott sei Dank!«
»Nur gegen den Ale selber kann auch die Polizei nichts. Das Nachtgespenst ist wieder durch die Lappen! Toller Kerl!«
»Ach ...«
»Nun sag ... Wann darf ich zu dir kommen? Ich sitze hier auf dem Sprung!«
»Erst muß der Professor ... ich kann jetzt nicht weiterreden, Werner! Eben schneit mir da mein Bruder ins Zimmer!«
Das großohrige, nachtäugige, bleiche Geschöpf hatte bei dem Wort »Werner« schmerzlich gefeixt. Er stand und sog tiefsinnig am Platinaknopf seines Spazierknüppels.
»Lüttchen – was fällt dir denn eigentlich ein, daß du hier unangemeldet ...«
»Bitte – ich folgte errötend den Spuren deiner Jungfer!«
»Agnes – was haben Sie denn?«
»Herr Juwelier Bauer ist am Apparat und möchte gnädige Frau selber sprechen!« meldete das Mädchen.
»Bestellen Sie dem Herrn Kommerzienrat, ich fühlte mich nicht wohl! Ich ließe ein andermal bitten!«
Die Jungfer zog das Häubchen aus dem Türspalt zurück. Lüttchen hob bedeutsam seine übernächtigen Augen zum Himmel. Ein tiefes Seufzen:
»Mit mir ist's alle, Ilselott! ... Ich war zu schön für diese Welt!«
Und nach einem vergeblichen Warten auf den Eindruck:
»Du denkst wohl, ich werde mich erschießen! Nein – das tu' ich der Menschheit doch nicht an ... Weißt du, was passiert ist ...?«
»Bitte – geh jetzt wieder!«
Lüttchen trottete trübe auf seine Schwester zu und machte gebrochen halt.
»Heute morgen ist sie gestorben!« sprach er erstickt.
»Wer?«
»Gibt's in unserer Verwandtschaft nicht!«
»Aber in meiner Wahlverwandtschaft. Ihr verflossener Mann war Berliner Grundstückspekulant ... Respekt ...«
»Du siehst doch, daß ich ...«
»... bei Lebzeiten ein listiger, alter Knabe! Hat ihr, bei den miesen Zeiten, ein Mordsvermögen hinterlassen!«
»Lüttchen – ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht ...«
»In dem alten, ehrlichen Zoppot habe ich in seligen Maientagen Tante Spittko kennengelernt. Ich saß neben ihr. Sie setzte immer auf Rouge ... die gute Frau! Sie konnte ja meine Mutter sein ...«
Lüttchen schnaubte sich erschüttert in ein drachengesticktes Schnupftuch aus hauchdünner, goldfarbener, chinesischer Seide.
»Und sie war es auch. Ich erinnerte sie so an ihren verstorbenen Sohn – sagte sie. Der wäre auch solch ein Taugenichts gewesen ...«
»Verschone mich ...«
»In der Schummerstunde saß sie immer und hielt meine Hand in ihrer und weinte sanft vor sich hin ... Es war ja auf die Dauer öde ... Aber ich duldete still, wenn sie mir ihr Herz und ihr Scheckbuch öffnete.«
»Davon hast du dein Geld?«
»Gehabt!« sprach Lüttchen düster. »Tante Spittko ist tot! Und ihre Erben sind schnöde Banausen. Sie haben keinen Sinn für mich als wertvollsten Nachlaß der Verblichenen. Sie wollen ihr Geld für sich behalten! Kannst du das begreifen?«
»Lüttchen – ich kann dich jetzt nicht anhören!«
»Es braucht mich auch nur dein Mann anzuhören! Gebhard der Reiche! Wozu war ich vorsichtig in der Wahl meines Schwagers? Ich will ihm großmütig das glänzende Geschäft zuwenden, mich neu zu finanzieren!«
»Gebhard ist unpäßlich! Der Arzt ist bei ihm! Ich gebe dir Nachricht, wann du ihn sprechen kannst! Aber jetzt lasse mich um Himmels willen in Ruhe!«
Ilselott schob den Bruder an seinen dürftigen Schultern zur Türe hinaus. Sie stand allein im Zimmer. Sie wandte verzweifelt den bleichen Kopf zur Tür.
»Agnes – was stören Sie denn schon wieder?«
»Herr Juwelier Bauer läßt sich nicht abweisen, gnädige Frau! Es sei nur eine Kleinigkeit! Ich habe in Gottes Namen umgeschaltet!«
»Verzeihung, gnädige Frau – nur, damit wir einig gehen ...« tönte, während die Jungfer verschwand, aus der Muschel die trockene Stimme eines alten Herrn. »An Ihrem großen Kollier ist doch die eine Perle vorläufig imitiert?«
»Gewiß! Bis die echte wieder im Stand ist! Die war doch matt geworden!«
»Nun – dann ist ja alles in Ordnung, gnädige Frau! Es ist ja nur, weil ich für den ganzen Schmuck einstehen muß, gegenüber meiner Bankverbindung, die ihn beliehen hat ...«
»Meinen Schmuck ...?«
»... den Sie uns gestern durch Ihren Herrn Gemahl haben bringen lassen ... Mein Gott ... kein Wort, gnädige Frau ... Ich verstehe ja vollkommen ... Diskretion Ehrensache ... heutzutage ... da braucht selbst ein Doktor Hüsgen einmal Kasse – zumal bei dem großen Bilderkauf gestern ...«
»Ja ... ja ...«
»... und die Bank berechnet sich ja auch ihre kräftigen Zinsen ...«
»... ja ...«
»Und es ist ja nur ein Überbrückungskredit auf ganz kurze Zeit, wie Ihr Gatte sagt ...«
»Ja ... ja ... davon versteh' ich nichts ...«
»Ist ja auch nichts für Damen, gnädige Frau!«
»Ja ... ja ... Aber ich habe natürlich gern eingewilligt ... als mein Mann mich bat ... Herr Kommerzienrat ...«
»Das nenne ich doch noch eine liebende Gattin, die sich stoisch von ihrem Schmuck trennt ... ha ... ha ... Also, gnädige Frau – dann darf ich gehorsamst guten Morgen wünschen!«