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29

Niedrig die altersgrauen Dächer des Ostens an der Oberspree. Riesig, mit ragenden Schloten, die Fabrikburgen im Norden. Breit, schnurgerade, seltsam leer, dann wieder jäh menschenwimmelnd, die Straßen des Nordens.

Rote Laternen von Nachtlokalen um die dunkle, öde Flache vor dem Stettiner Bahnhof. Taxen rollten heran und hielten an seinem Portal. Aus der einen stieg die Fränze. Ging rasch wie eine Reisende in die Halle. Drückte sich da herum. Ließ sich dann still, so als sei sie eben angekommen, in einem Menschenstrom von der Sperre her wieder ins Freie tragen.

Links vom Bahnhof lärmte ladenhell die Chausseestraße. Die Fränze schob sich nachtwandelnd durch das farblose Gedränge des Bürgersteigs, machte nach kurzem unauffällig halt, schlüpfte, wie eine Maus ins Loch, in den Verbindungstunnel.

Der Gang unterhalb der Güterbahngeleise oben war viele hundert Schritte lang, spärlich in Abständen erhellt, schmal, nur mit Raum für ein paar Menschen nebeneinander, fast leer.

Man war plötzlich außerhalb Berlins, wie in einem steinernen Bergwerksstollen. Die leichten Schritte der Fränze Häselich hallten an den niedern Wänden. Ein paar Eisenbahner kamen ihr entgegen. Eine alte Frau. Eine Weile niemand.

Der Tunnel knickte sich jetzt in einem flachen Winkel. Da stand im Zwielicht einer. Die Fränze machte jäh halt. Ebenso rasch trat der drüben auf sie zu, die Uhr in der Hand. Eine schnelle, helle, hochdeutsche, nervös-eindringliche Stimme:

»Wo bleiben Sie? Erzählen Sie doch mal ... Warum lassen Sie mich warten – möcht' ich gehorsamst wissen ...«

»Der Dicke hat mir eben erst ...«

»Ich hab' doch noch mehr zu tun – nicht wahr?« Die Worte sprudelten flüsternd und vertraulich ... »ich muß doch in den Westen zurück! In Gesellschaft! Nicht wahr? Westen – Osten – mal da – mal dort – das ist mein Vorteil, daß ich nicht existiere! Komisch – was?«

»Verrückt sind Sie!« sagte die Fränze in einem unwillkürlichen Schauder. »Oder Sie stellen sich so an!«

»Verrückt – nicht wahr?« Die Sätze hasteten. »Sind Sie wieder bei Trost – ja? Brauchbar – ja?«

»... aber zu nischt Verbotenem ...«

»Peinlich – Ihnen? ... Mir auch! Nicht wahr? Ach – es ist ja so herrlich!« Ein Kichern drüben. Ein Händereiben. »Die Welt ist ja so witzig ...«

»Find' ich nicht ...«

»Die Berliner werden lachen, wie sie noch nie gelacht haben – nicht? Sie lachen mit ...«

»Losheulen möcht' ich!« Die haselnußhellen Augen der Fränze Häselich glänzten feucht – in einer verbissenen, starren Wildheit. Drüben ein Schnalzen mit der Zunge.

»Wiebeking ... Wer will Wiebeking morden? Wer mordet Geheimräte? Ich kann kein Blut sehen. Das macht mich krank. Der Geheimrat Wiebeking – nicht wahr – fährt jetzt gerade, in der sechsten Abendstunde, mit seiner Frau Gemahlin übers Wochenende auf sein Gut in Pommern – nicht wahr?«

»Woher wissen Sie denn das schon wieder?«

»Der junge Wiebeking – der Sie ins Haus gebracht hat – nicht zu bezahlen! Dieses Kamel ...« Ein Handkuß mit zwei Fingern schwärmerisch durch die Nacht gen Westen, zu der Villa im Tiergarten geschnippt. »Junger Mann – abends nicht daheim ... Personal fliegt am Sonntagabend aus. Haus leer. Das Fenster in Ihrem Zimmer zur ebenen Erde – hintenheraus – nach dem dunklen Garten offen – durch Sie – nicht wahr?«

»Ich soll ...«

»Für mich!« Eifrige Handbewegungen des Schattens im Dunkel. »Ich muß morgen abend das ganz allein ... Es kann mir dabei niemand helfen ...« Ein Zittern plötzlicher, wahnsinniger Leidenschaft in der geheimnisvoll gedämpften Stimme. »Die Sache ist zu groß! ... Die Sache ist heilig – nicht wahr?«

»Wenn einer nachts klaut ...?««

»Ich nehme nichts im Hause fort – nicht wahr? Ich tue niemandem was im Hause – nicht wahr? Ich halte mich nur zehn Minuten im Hause auf – nicht wahr? Sie passen auf, daß ich nicht gestört werde – nicht wahr?«

»Und wenn man uns doch klappt ...?«

»Dann ist es auch kein Unglück! Dann bin ich eben in Geschäften gekommen und habe den Herrn Geheimrat nicht getroffen und wollte ein paar Zeilen auf seinem Schreibtisch hinterlassen – nicht wahr? Fällt bei einem Herrn wie mir nicht weiter auf – nicht wahr?«

»Wer sind Sie denn?«

»Ich bin nicht! Das hab' ich schon vorhin gesagt, nicht wahr? Passen Sie besser auf, wenn ich rede! Sonst sag' ich's dem Dicken!«

»Nein – ach Gott – nein!«

»Sie wissen: der Dicke spaßt nicht!«

»Ja.«

»Wenn Sie nicht gehorchen – noch einmal kann ich Sie nicht vor ihm schützen – nicht wahr?«

»Ja.«

»Also morgen abend nach elf Uhr am Fenster Ihres Kämmerleins. Tralla!«

Die bartlose, in den Dreißigern stehende Gestalt im Schatten lief langbeinig den Gang dahin, leise und vergnügt vor sich hin trällernd, nervös vornübergebeugt, die Hände in den Seitentaschen des Paletots. Die Fränze schaute ihm nach, raffte sich zusammen und ging schleppend, leise in sich hineinweinend, in der Richtung nach dem andern Ausgang weiter.


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