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56

Die Fränze Häselich stand um die gleiche Zeit fern im Osten in der Färberstraße. Noch blaß, aber munter, das rote Topfhütchen über den kessen, hellbraunen Augen, die Hände in den Taschen des mausgrauen Warenhausmäntelchens. Neben ihr, in seiner Schiffertracht, der Paule Räder.

»Das ist der Obstladen, wo das Fräulein gestern das Geld geholt hat, das die Jungs nachher gar nicht haben wollten«, sagte er. »Fränze – das ist guter Schick, daß du dir hier noch mal bei ihr bedankst! Wenn das Fräulein gestern nicht so dreist gewesen wäre und wäre da hinauf mang die Galizier und bis zu dem Schwemmkloß ohne Beine gestiegen ...«

»... dann hätte mich der Dicke heute nacht in die Spree getunkt ... Auf Nimmerwiederschauen!« Die Kleine zeigte rachsüchtig die weißen Zähne. »Ich hab's wohl unter der Decke gehört, wie's ihm der Ale verboten hat ...«

»Gegen den Ale hab' ich nichts. Der hat seitdem meinen Segen!« Sie näherte sich mit dem Spreeschiffer der Farbenpalette der Früchtehandlung im Gassengrau. »Aber der Dicke ... Wenn er noch ein bißchen lieb hätte zu mir sein wollen, ehe er mich kalt macht – aber gerade nur ausspucken: ›Komm' ich eben alleene heim! Na – wat denn weiter?‹ ... Pfui – da is kein Zartgefühl nich ...«

»Aber ich fürchte mich vor dem Dicken nicht mehr!« Die Fränze blieb stehen. Ihr feines Gesichtchen war verzerrt vor Zorn. »Wenn ich's bloß dem Dicken noch so recht feste besorgen könnt', ehe wir abfahren, Paule ... daß der wieder mal seinen Blauen Heinrich im Zuchthaus zu löffeln kriegt – Aber unsereiner ... der gilt ja nicht mehr wie 'ne Laus ...«

»Dem Dicken schneidet schon mal ein Herr im Frack und weißen Handschuhen sauber den Kopf ab!« Der Schiffer Räder trat, schwer in seinen Wasserstiefeln, in den Laden. »Guten Morgen! Ist das Fräulein nicht da? Wir wollen ihr nämlich Adieu sagen – ich und meine Braut, weil wir ins Ausland machen!«

»Meine Nichte?« Die leidende ältere Dame hinter dem Ladentisch funkelte durch die Brille. »Die ist heute früh weggelaufen – ich weiß nicht, wohin, und wann sie wiederkommt. Wenn Sie sie zufällig in Berlin sehen sollten, dann sagen Sie ihr, daß sich hier eine gesetzte Witwe ihretwegen die Krampfadern in den Leib steht!«

»Und nun noch die Polizei!« Sie wandte kummervoll den dünnen, grauen Scheitel zur Türe. »Herr Schupo – sind Sie schon wieder da ...?«

»Ich hab' dem Fräulein Lüders gestern um die Zeit versprochen, daß ich heute morgen hier 'rankomm'!«

»Aber mein geehrtes Fräulein Nichte ist nicht da! Das hab' ich eben schon den Herrschaften hier ...«

»Halt!« Der Schupo Peschke sprang mit einem Satz rückwärts zur Tür und stellte sich mit ausgespreizten Armen als Straßensperre davor. Sein rundes, braunes, vergnügtes Antlitz härtete sich in jähem Diensteifer und glühendem Tatendrang. »Halt – hiergeblieben ... jawoll: Sie! ... Fränze Häselich ...«

»Jesus – woher kennen Sie mich denn, Herr Wachtmeister?«

»So! Wer ist denn vor vierzehn Tagen auf dem Ottoplatz zu mir auf die Insel gekommen und hat geflötet: ›Dort geht der gefährlichste Mensch von Berlin – der Ale ... Verhaften Sie den!‹ Und wie ich zurückkomm', waren Sie weg!«

»Das waren Sie?«

»Und vor acht Tagen von Wiebekings weg – jawoll – weiß ich auch! Warum denn – he?«

»Wenn die mich doch vor der Villa aufgegriffen haben – und mich eingesponnen – bis gestern!« Die Fränze beugte sich zornig vor. Dann verlegte sie sich, mit gefaltet erhobenen Händen, aufs Bitten: »Herr Kriminalrat – lassen Sie mich doch laufen! Ich bin ja nicht schlecht. Ich war ja nur unter schlechten Menschen. Von denen will ich nur weg. Da, mit meinem Bräutigam – der ist Flußschiffer – nach Holland. Da wollen wir heiraten!«

»Jawoll! Ohne Papiere!«

»Hab' ich!« schrie die Fränze Häselich. »Alles sauber beisammen – schon wie ich bei Wiebekings war, hab ich mir's von zu Hause geholt, weil ich am andern Morgen nach Ostpreußen sollt'! Da, im Rockfutter hab' ich's eingenäht!«

»Ich habe keine Untersuchung gegen Sie zu führen!« Friedrich Peschkes Stimme klang feierlich. »Wegen mir verziehen Sie sich bis an den Nordpol! Aber vorher müssen Sie mir den Ale ans Messer liefern! Wie Sie mir's damals auf der Verkehrsinsel versprochen haben!«

»Ich hab' schon hundertmal gesagt«, die kleine Häselich rang verzweifelt die Hände, »ich kenn' ihn doch – den Ale – wenn ich ihn seh! Aber ich weiß nicht, wer er ist und wie er heißt und wo er wohnt! Und wenn ihr mich totschlagt!«

»Und ohne den Ale war' ich heute schon eine tote Wasserratte!« Sie ließ die Arme sinken. »Wenn ich es auch müßte, so tat' ich den Ale nicht anzeigen! Das war' doch ordinär von mir – nich?«

Plötzlich lief ein weißer Schein von Haß auf Tod und Leben über ihr schmales Gesicht. Sie trat wie eine Katze drei Schritt auf den Schupo zu.

»Aber der Dicke ...« flüsterte sie. »Kennen Sie den?«

»Glauben Sie, ich hätt' euch alle beisammen nicht bei Vater Krügern, dem ollen Schweinehund ... na ja ...«

»Dürfen Sie ruhig von meinem Stiefvater sagen! Stimmt!«

»... ich hätt' euch da nicht beobachtet?«

»Is gut! Also der Dicke ... das Aas serviere ich Ihnen mit Wonne! Heute noch!«

»Können Sie das?«

»Kann ich!« Die Kleine raunte aufgeregt. »Er hat ja 'ne unangemeldete Schlafstelle, drüben, nahe bei die Friedrichsgracht – in dem Haus, wo sie mal die Rauschgifte verschoben haben – erinnern Sie sich? Aber da ist er selten! Er pennt mal da, mal dort! Und denn kommt er von irgendwoher ins Bild!«

»Und nu gestern spät am Nachmittag ...« die Stimme der Fränze Häselich wurde fast unhörbar, »hat er sich bei mir im Zimmer in der Pionierstraße mit Zweien von der Kolonne – dem Goldhäschen und dem Butterkopf – für heute vormittag auf halber elfe an den Untergrundbahnhof Sachsenplatz verabredet!«

»Wie weit is es bis dahin?«

»Noch nich fünf Minuten!«

»Jetzt ist es gleich halb elf!« Der Schupo Peschke sah auf die Uhr. »Wir kommen gerade noch zurecht!«


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