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»Na – so eilig, Sie Verwandlungskünstler? Die schöne Frau läuft Ihnen nicht davon! Im Gegenteil!« Die schlauen Augen des Kunsthändlers Rösing blinzelten vielsagend in dem blühenden Silengesicht, dessen rotwollener Vollbart das Schneeweiß seines Flanellanzuges vom Lido überlohte. Er drehte den bauchigen Korpus zu dem brünetten Glatzkopf neben ihm. »Darf ich Sie mit Herrn Chauffeur Wiebeking bekannt machen, Herr Kieselbach?«
»Nu Spaß ... Wiebeking ... Weiß jeder ...« Der kleine, schnurrbärtige Bankier verbeugte sich beflissen. Werner Wiebeking drückte ihm geistesabwesend die Hand. Er hob sich auf die Fußspitzen, um die Gruppen ringsum besser zu übersehen. Der rote Rösing nieste.
»Herbstfest an der Riviera? Schnuppen an der Riviera! Man sieht ja den Atem! Morgen hab' ich 'ne Frühgeburt von Grippe – Frau Ilselott zu Ehren!«
»Sehen Sie irgendwo Frau Hüsgen?«
»Dort drüben spricht sie mit meiner besseren Hälfte ...« Der Börsenmann Kieselbach wies mit stillem Stolz auf die große, schlanke, dunkle Frau zu Ende Zwanzig mit den schwermütigen, mandelförmigen Augen in dem stillen, schönen, mattgetönten Antlitz.
»Da tun sie hier dem Süden Gewalt an!« sprach er. »Aber die Iris – nu sagen Sie selbst: Ist das nicht reell ›Traum im Süden‹? Dagegen nu das süße, blonde Köppchen von Frau Hüsgen! Das Tableau is mir lieber als die ganze Börse in Frack und weißer Binde!«
Die beiden Freundinnen wandelten Arm in Arm. Es war, als ob die ernsten Züge der Iris Kieselbach immer nur ein wenig leer lächeln, nie recht lachen konnten. Aber die kleine Frau neben ihr, die ihr nur bis zum Kinn reichte, nickte seelenvergnügt ihren Gästen zu und sonnte sich harmlos im farbigen Glanz ihrer italienischen Nacht.
»Reizend sieht sie sogar neben Ihrer schönen Gattin aus, wenn sie sich so wie 'n Kind amüsiert – was – Kieselbuch?« sagte der Kunsthändler. »Schweres Opfer, das der Mann ihr heute abend mit dem Zauberfest bringt! Drinnen läuft der gute Hüsgen innerlich verzweifelt von einem Saal in den andern, in Todesangst, daß sie ihm was von seinen Kunstschätzen zerteppern!«
»Aber nu da: das läßt tief blicken ...« Der kleine Louis Kieselbach schüttelte nachdenklich das kluge Köpfchen. »Schauen Sie mal Frau Hüsgen an, während Wiebeking junior auf sie zusteuert!«
»Verstellen kann sich die Frau nicht!«
»Habt Sonne im Herzen – nee – auch auf'm Gesichte ...«
»Der junge Mann drängelt sich auch eiligst zu ihr durch! Na – na ...«
»Aber merkwürdig ernst sieht er dabei aus!«
»Nun wird sie's auch, wie er mit ihr spricht!«
»Sie ziehen sich beide in den Hintergrund des Hauses zurück! Was bedeutet denn das?«
»... daß der Herr des Hauses lieber auf dies Hauptstück seiner Sammlung aufpassen sollte!« sprach der dicke Rösing phlegmatisch. »Na – mich geht's nichts an!«
Ganz hinten in der Villa Hüsgen, in einem Seitenkabinett, von dem aus man das ganze, lichterhelle Gewirr der Menschen, der Statuen, der Bilder, der Gobelins, übersah, standen Werner Wiebeking und Ilselott Hüsgen. Die sanften Züge der kleinen Frau waren blaß geworden und still gekränkt.
»Daß ein Mann wie Sie sich von dem ersten besten Mädel solchen Unsinn vorreden läßt ...« sagte sie, dem Weinen nahe.
»Gnädige Frau – das Mädel kennt die Geheimnisse von Berlin besser als wir!«
»Sie verderben einem ja den ganzen Abend ...«
»Ich bin selbst verzweifelt, gnädige Frau! Aber die Sache ist zu dringend!«
»Stören Sie nur nicht auch noch den andern das Fest!«
»Das wird nicht nötig sein!«
»... und vor allem sagen Sie meinem Mann kein Wort, daß der Nachtdoktor bei ihm im Hause sei! Sonst kann ich gleich nach dem wirklichen Doktor schicken!«
»Die Nerven Ihres Herrn Gemahls werden geschont! Verlassen Sie sich darauf!«
»Da bin ich! Husch! Husch! vom Kurfürstendamm!« Ein spitznasiger, hohlwangiger junger Mann mit großen Ohren wankte heran. Dürftig. Bartlos. Mager. Ironisch ältlich die übernächtigen Züge. Aus seiner abgetragenen Sommerkleidung baumelten ihm umgestülpt die sämtlichen Taschen.
»Lüttchen – bist du bei Trost?«
»Ich bin doch unzurechnungsfähig! Das ist doch gerade meine Forsche!« sagte Ilselotts Bruder.
»Was bedeuten die leeren Taschen?«
»Zurück von Monte Carlo! Auch ein Rivieratyp!« Lüttchen strahlte. Dann wurde seine Miene wichtig. »Aber nicht meiner! Euch zugeflüstert: Gestern nacht habe ich erst den wackeren Sempt erschossen! Ob das Barönchen auch hier ist, Herr Wiebeking? Da drüben können Sie sich bedienen! Da steht er mit einem Chicagoer Arbeitslosen – einem gewissen Harris!«
Am Büffet sättigte sich der Litauer Flüchtling, ein schmächtiger Mann zu Anfang der Dreißig, mit spärlichem, rötlichem Haarkranz über dem bartlos bleichen, sinnigen, liebenswürdig lächelnden Gesicht, und neben ihm, in seinem Alter und glattrasiert wie er, der Amerikaner Arthur T. Harris, farblos blond, mittelgroß, eine Erscheinung wie tausend. Lüttchen winkte matt mit der spitznägeligen Spielerhand und trottete zu seinen Freunden hinüber.
»Ich hab' gut hundert Leute hier zusammengetrommelt!« Die weiche Stimme Ilselotts klang erstickt vor Kummer. »Darunter schauen mindestens zwanzig, dreißig genau so aus, wie Sie sich Ihren Nachtdoktor vorstellen!«
»Ja. Das seh' ich!«
»Zum Beispiel, der da malerisch an der Säule posiert – auch ein Freund von meinem Bruder – der schöne Mensch mit dem gekrausten Haar – als Gondoliere kostümiert – nun ja – er will ja zum Film – aber sein Vater hat doch die Firma Aster ...«
»Das genügt!«
»Wollen Sie jemand wie den jungen Aster und diese Herren alle auf ein Lastauto laden und zu Schimpf und Schande für mein Haus auf die Polizei fahren lassen? Für nichts und wieder nichts!«
»Davon ist ja keine Rede, gnädige Frau!«
»Wenn ich das gewußt hatte, dann hätt' ich Ihnen nicht telefoniert zu kommen!«
»Kommen Sie, gnädige Frau! Es könnte dem Betreffenden, den ich suche, auffallen, wenn mir hier zu lange miteinander tuscheln!«
»Es gibt gar keinen!« sagte die kleine Frau weinerlich.
»Wir wollen durch den großen Saal nach vorn gehen und dabei ...«
Ein schwerfälliger Mann in den Dreißig, glattrasiert, von massiger, mittelgroßer Gestalt, trat den beiden in den Weg. Auf den groben Zügen des starken, braunbehaarten Rundschädels wuchsen die buschigen Brauen fast zusammen und gaben den tiefliegenden Augen einen finsteren Blick. Er beugte sich, in einfachem Straßenanzug, ungelenk über Ilselotts Hand.
»Sie hatten die Güte, mich zu heute abend einzuladen, gnädige Frau!«
»Ja, Herr Doktor Schraubt! Ich wollte Sie wegen Ihrer Fürsorgeangelegenheit, in der Sie mich vorigen Donnerstag besuchten – für entlassene Verbrecher – ja – mit meinem Mann zusammenbringen! Entschuldigen Sie mich nur noch eine kurze Weile!«
Der Privatgelehrte zog sich stumm zurück. Er trat zu der schönen, dunkeln Iris Kieselbach. Die beiden gaben sich als alte Bekannte die Hand und plauderten miteinander. Ilselott Hüsgen und der Dr.-Ing. Wiebeking gingen weiter. Er sagte leise und bittend:
»Gnädige Frau! Ich bin ein unglücklicher Mensch! Ich hatte mir den Abend so schön gedacht! Ich verwünsche diesen Nachtkönig ja auch in den Abgrund der Hölle. Aber es gibt doch Pflichten – nicht nur gegen einen selbst, sondern auch gegen die Gesellschaft. Also eine Bitte ...«
»Soll ich die Gäste in Reih' und Glied aufstellen?«
»Erlauben Sie mir nur, das bewußte Mädel, das draußen auf der Straße steht und wartet, möglichst unauffällig durch den Hintereingang hereinzuholen und drüben in der Ecke hinter der Säule zu postieren! Von da aus soll sie ihren Ale, ohne daß er es ahnt, zeigen. Das ist für heute abend genug, daß wir das große Geheimnis gelüftet haben, wer er ist! Alles Weitere findet sich dann mit Hilfe der Polizei in den nächsten Tagen! Also darf ich? Danke!«